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Blindes Eis (eBook)

Thriller - Dark-Iceland-Serie Band 3
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
352 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-28827-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blindes Eis -  Ragnar Jónasson
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»Ragnar Jónasson ist der Stephen King des Isländischen Thrillers.« SHE READS
Ein abgelegener Bauernhof in einem schwer zugänglichen Seitental von Siglufjörður im Norden Islands: Dorthin verschlägt es in den 1950er Jahren zwei Ehepaare. Doch nach nur wenigen Monaten stirbt eine der beiden Frauen unter rätselhaften Umständen. Sechzig Jahre später taucht ein Foto auf, das zeigt: Die vier waren damals nicht allein dort draußen. Ari, Polizist in Siglufjörður, findet viele Ungereimtheiten. Eine befreundete Journalistin aus Reykjavík, die selbst in einem komplizierten Fall von Kindesentführung und Mord recherchiert, hilft ihm bei der Suche. Was geschah damals wirklich? Und wer ist der mysteriöse Fremde auf dem Foto?

»Blindes Eis« ist der dritte Band der Dark-Iceland-Serie von SPIEGEL-Bestsellerautor Ragnar Jónasson.

Ragnar Jónasson, 1976 in Reykjavík geboren, ist Mitglied der britischen Crime Writers' Association und Mitbegründer des »Iceland Noir«, dem internationalen isländischen Krimifestival. Seine Bücher, darunter die preisgekrönte »Hulda-Serie« sowie die »Dark-Iceland-Serie« werden weltweit gefeiert und erscheinen in 36 Ländern mit einer Gesamtauflage von 5 Millionen Büchern. Er lebt und arbeitet als Schriftsteller und Investmentbanker in der isländischen Hauptstadt und unterrichtet an der Universität außerdem Rechtswissenschaften.

1. Kapitel


Es war ein ganz gewöhnlicher Abend, den er ausgestreckt auf dem Sofa verbrachte.

Sie wohnten in der Ljósvallagata an der westlichen Stadtgrenze von Reykjavík, in einer kleinen Erdgeschosswohnung im mittleren von drei antiquierten Reihenhäusern aus den 1930er Jahren. Róbert setzte sich auf, rieb sich die Augen und sah aus dem Fenster in den kleinen Vorgarten. Es dämmerte schon. Jetzt im März musste man mit jedem Wetter rechnen, und im Moment regnete es. Doch er saß behaglich in den eigenen vier Wänden, und da hatte das Prasseln der Tropfen an den Fensterscheiben etwas Beruhigendes.

An der Uni lief es gar nicht so schlecht. Er studierte im ersten Jahr Ingenieurwesen und gehörte mit seinen achtundzwanzig Jahren schon zu den älteren Semestern. Der Umgang mit Zahlen hatte ihm schon immer Spaß gemacht. Seine Eltern, beide Buchhalter, wohnten in Uptown Reykjavík, in Árbær. Die Beziehung zu ihnen war schon immer schwierig gewesen, doch jetzt war der Kontakt fast ganz abgebrochen – sein Lebensstil entsprach einfach nicht ihren Vorstellungen. Es war durchaus okay gewesen, dass sie versucht hatten, ihm ein Buchhalterleben schmackhaft zu machen, doch er wollte seinen eigenen Weg gehen.

Jetzt war er schließlich doch noch an der Universität gelandet, aber das wussten sie nicht einmal. Er versuchte, sich ganz auf sein Studium zu konzentrieren, doch er war in letzter Zeit mit den Gedanken oft in den Westfjorden. Dort besaß er zusammen mit ein paar Freunden ein kleines Boot, weshalb er sehnsüchtig auf den Sommer wartete. Draußen auf dem Meer war es so einfach, alles zu vergessen – das Gute wie das Schlechte. Das Schaukeln des Bootes wirkte wie ein Tonikum gegen Stress, und seine Lebensgeister erwachten in der vollkommenen Stille auf dem Wasser. Ende des Monats wollte er schon mal hinfahren, um das Boot wieder fit zu machen. Für seine Freunde war der Trip in die Fjorde ein willkommener Vorwand, um auf Sauftour zu gehen. Aber nicht für Róbert. Er war seit zwei Jahren trocken – eine absolut notwendige Abstinenz nach den jahrelangen Trinkexzessen, die mit den Ereignissen jenes verhängnisvollen Tags vor acht Jahren begonnen hatten.

Es war ein wunderschöner Tag. Kaum ein Lüftchen wehte über das Spielfeld, die Sommersonne schien warm, und die Zuschauerränge waren gut gefüllt. Sie steuerten gerade auf einen überzeugenden Sieg gegen einen wenig überzeugenden Gegner zu. Er hatte schon eine Einladung fürs Training mit der nationalen Jugendmannschaft in der Tasche, und später im Sommer bestand die Aussicht auf ein Testtraining mit einem der norwegischen Spitzenteams. Von seinem Agenten wusste er, dass sogar einige Mannschaften der unteren englischen Ligen Interesse an ihm signalisiert hatten. Sein alter Herr war mächtig stolz auf ihn. Denn obwohl er selber einmal ein ziemlich guter Fußballspieler gewesen war, hatte er doch nie Chancen auf eine Profikarriere gehabt. Die Zeiten hatten sich geändert, es gab heute mehr Möglichkeiten.

Es waren noch fünf Minuten zu spielen, als Róbert den Ball bekam. Er schaffte es am Verteidiger vorbei, hatte das Tor vor Augen und sah die Angst im Gesicht des Tormanns. Das Spiel lief in die gewohnte Richtung: Ein Fünf-zu-null-Sieg zeichnete sich ab.

Er sah den Angreifer nicht kommen, hörte nur das Knacken und spürte den höllischen Schmerz, als sein Bein an drei Stellen brach. Wie gelähmt blickte er hinab auf den offenen Bruch.

Der Anblick hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Die Tage im Krankenhaus verbrachte er wie im Nebel, ohne je zu vergessen, dass der Arzt gesagt hatte, seine Chancen, jemals wieder Fußball zu spielen – zumindest als Profi –, wären gering. Also gab er das Spielen ganz auf und suchte Trost im Alkohol. Ein Drink folgte dem anderen, in wachsendem Tempo. Das Schlimmste aber war, dass sein Genesungsprozess schneller verlief, als der Arzt prognostiziert hatte. Der Bruch verheilte viel besser als erwartet, gleichwohl ließ sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen, und der Traum von einer Fußballkarriere war für immer geplatzt.

Inzwischen lief es wieder besser. Es gab Sunna, und den kleinen Kjartan hatte er auch ins Herz geschlossen. Aber tief in seinem Inneren nisteten ein paar dunkle Erinnerungen, die hoffentlich nie ans Licht kommen würden.

* * *

Spät am Abend kam Sunna nach Hause und klopfte ans Fenster, um zu signalisieren, dass sie ihren Schlüssel vergessen hatte. In ihren schwarzen Jeans und dem grauen Rollkragenpullover war sie schön wie immer. Ihr markantes Gesicht wurde von langem, rabenschwarz glänzendem Haar umrahmt, doch es waren ihre Augen gewesen, die ihn zuerst in Bann gezogen hatten, dicht gefolgt von ihrer tollen Figur. Sie war Tänzerin, und manchmal kam es ihm vor, als tanze sie durch ihre kleine Wohnung, statt zu gehen, jede Bewegung voller Anmut.

Er wusste, dass er großes Glück mit ihr hatte. Sie hatten sich auf der Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes kennengelernt und sofort gut verstanden. Seit sechs Monaten waren sie ein Paar und vor drei Monaten zusammengezogen.

Sunna kam herein und drehte die Heizung hoch. Sie fror schneller als er.

»Es ist kalt draußen«, sagte sie. Tatsächlich drang frostige Luft ins Zimmer. Das große Wohnzimmerfenster war undicht, und an die ständige Zugluft konnte man sich nur schwer gewöhnen.

Ihr gemeinsames Leben war nicht einfach, doch allmählich wurde ihre Beziehung stabiler. Sie hatte ein Kind aus einer früheren Beziehung, den kleinen Kjartan, und focht mit dem Kindsvater, Breki, einen bitteren Sorgerechtsstreit aus. Fürs Erste hatten Breki und Sunna sich auf ein gemeinsames Sorgerecht geeinigt, und im Moment verbrachte Kjartan auch Zeit mit seinem Vater.

Doch jetzt hatte Sunna einen Anwalt eingeschaltet, um das alleinige Sorgerecht zu erwirken. Sie checkte zudem die Möglichkeit, ihre Tanzausbildung in Großbritannien fortzusetzen, was sie und Róbert aber noch nicht ausdiskutiert hatten. Beides würde Breki nicht kampflos hinnehmen, so dass sie wahrscheinlich vor Gericht endeten. Doch Sunna glaubte, gute Karten zu haben, dass Kjartan ihnen bald ganz allein gehörte.

»Setz dich, Schatz«, sagte Róbert. »Es gibt Pasta.«

»Hmm«, sagte sie und ließ sich auf dem Sofa nieder.

Róbert holte das Essen aus der Küche und brachte Teller, Gläser und einen Wasserkrug mit.

»Ich hoffe, es schmeckt«, sagte er. »Ich lerne noch.«

»Ich hab so großen Hunger, da schmeckt es auf jeden Fall.«

Er stellte Musik zum Relaxen an und setzte sich neben sie.

Sunna erzählte ihm von ihrem Tag – den Proben und dem Druck, unter dem sie stand. Sie war Perfektionistin und hasste es, Fehler zu machen.

Seine Pasta schmeckte nicht sensationell gut, war aber doch ziemlich lecker.

Plötzlich sprang Sunna auf und ergriff seine Hand. »Auf die Beine, Liebling«, sagte sie. »Jetzt wird getanzt.«

Róbert stand auf, nahm sie in die Arme und tanzte mit ihr im Takt einer langsamen südamerikanischen Ballade. Er schob eine Hand unter ihren Pullover, strich mit den Fingerspitzen über ihren Rücken und öffnete mit einem einzigen Handgriff ihren BH. Darin war er Experte.

»He, junger Mann«, sagte sie gespielt empört, ein warmes Leuchten in den Augen. »Was wird das denn?«

»Wir sollten schamlos ausnutzen, dass Kjartan bei seinem Vater ist«, sagte Róbert. Er küsste sie lange und innig. Die Hitze ihrer Körper stieg genauso wie die Zimmertemperatur, und es dauerte nicht lange, da nahm er sie an der Hand und führte sie ins Schlafzimmer.

Wie immer schloss Róbert die Tür und zog die Gardinen vor dem Fenster zu, das zum Garten hinausging. Trotz dieser Vorkehrungen waren die Laute ihres Liebesspiels noch in der Nachbarwohnung zu hören.

Als wieder Stille eingekehrt war, hörte er eine Tür knallen, vom prasselnden Regen gedämpft. Es klang wie die Verandatür an der Rückseite des alten Hauses. Sunna setzte sich auf und sah ihn erschrocken an. Er versuchte, seinen eigenen Schrecken hinter gespielter Tapferkeit zu verbergen, stand auf und ging nackt ins Wohnzimmer. Niemand da.

Aber die Hintertür stand tatsächlich offen und schlug im Wind hin und her. Er warf einen Blick auf die Veranda, um sagen zu können, dass er nachgesehen hatte, und zog die Tür schnell wieder zu. Selbst wenn es da draußen von Menschen nur so gewimmelt hätte, hätte er sie in der Dunkelheit nicht erkennen können.

Dann ging er von Zimmer zu Zimmer, mit immer heftiger klopfendem Herzen, konnte aber keinen unwillkommenen Gast entdecken. Nur gut, dass Kjartan nicht zu Hause war.

Plötzlich bemerkte er etwas, was ihn die ganze Nacht über wach halten würde.

Er eilte durchs Wohnzimmer zurück, voller Angst, dass Sunna etwas passiert sein könnte. Mit angehaltenem Atem betrat er das Schlafzimmer, wo sie auf dem Bettrand saß und gerade ein Shirt überzog. Sie lächelte schwach, konnte ihre Beunruhigung nur schwer verbergen.

»Da war nichts, Schatz«, sagte er und hoffte, dass sie das Zittern in seiner Stimme nicht bemerkte. »Ich hatte den Müll rausgebracht und wohl die Tür nicht richtig zugemacht«, log er. »Du weißt ja, der Wind hinterm Haus spielt manchmal verrückt. Bleib hier, ich hole dir einen Drink.«

Er verließ rasch das Schlafzimmer und beseitigte als Erstes die Spuren, die er entdeckt hatte.

Hoffentlich tat er das Richtige – Sunna nichts von den Pfützen auf dem Boden zu erzählen, von den nassen Schuhabdrücken, die der Eindringling im Haus hinterlassen hatte. Am schlimmsten aber war,...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2022
Reihe/Serie Dark-Iceland-Reihe
Dark-Iceland-Reihe
Übersetzer Helga Augustin
Sprache deutsch
Original-Titel RÓF
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • Agatha Christie • Ari Thor Arason • Cold Case • eBooks • Hörbuch • Hulda-Trilogie • junger Kommissar • Krimi • Kriminalromane • Krimi Neuerscheinung 2022 • Krimis • Lesung • Neuerscheinung • Skandinavische Krimis • Thriller • Yrsa Sigurdardóttir
ISBN-10 3-641-28827-4 / 3641288274
ISBN-13 978-3-641-28827-3 / 9783641288273
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