Real Easy (eBook)
350 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76823-5 (ISBN)
Ein kühner, fesselnder Psychothriller über drei unerschrockene Frauen
Irgendwo in den Südstaaten, 1999: Das Lovely Lady ist ein Stripclub in dem eine Schar junger Frauen beinahe rund um die Uhr arbeiten. Eines Nachts verschwinden zwei der Tänzerinnen - eine wird schon bald ermordet aufgefunden, die andere ein paar Wochen später. Die Detectives Holly Meylin und David Baer glauben, dass hier ein Serientäter am Werk ist, da sich die Morde mit älteren Fällen vereinbaren lassen. Klar ist: Irgendjemand aus dem Umfeld des Clubs muss der Täter sein - oder ein Polizist, der auch mit dem Laden zu tun hat ...
Marie Rutkoski, geboren 1977 in Hinsdale, hat selbst in dem Job gearbeitet, bevor sie eine renommierte Kinder- und Jugendbuchautorin und Professorin für Englische Literatur wurde – <em>Real Easy</em> ist ihr erster Roman für Erwachsene. Sie lebt mit ihrer Familie in Brooklyn.
SAMANTHA
(RUBY)
»Du bist so schön, dass ich am liebsten nach Hause fahren und meiner Frau in die Fresse schlagen würde.«
Samantha lächelt und fragt, ob er einen Tanz möchte. Er riecht wie ein kleiner Junge, nach Schweiß und Trinkpäckchen. Er ist untersetzt, eine seiner Schultern hängt herunter. Mit seiner riesigen Hand fährt er sich über den silbergrauen Bürstenschnitt und sagt: »Auf jeden Fall.«
Sie führt ihn zu den Ledersofas unter der Hauptbühne. Die Bässe dringen durch die niedrige Plexiglasdecke.
Gleich neben ihr tanzt Violet für einen bärtigen Typen, der wie ein Lehrer wirkt. Ihre dunkelbraune Haut glänzt im pinkfarbenen Licht, sie trägt mandarinenfarbigen Lippenstift. Samantha wünscht sich, sie könnten tauschen.
Ihr Kunde macht es sich auf dem Sofa bequem und sagt: »Ich kann mich an dich erinnern. Aus der Zeit, bevor du deine Titten bekommen hast. Du warst flach wie ein geplatzter Reifen.«
Eigentlich sollte sie sich nicht ärgern. Zum einen, weil er recht hat, und zum anderen, weil sie schon Schlimmeres gehört hat. Sie schält sich aus ihrem Kleid. »Wie gefalle ich dir jetzt?«
»Was würde ich nicht dafür geben.«
Samantha greift nach dem winzigen transparenten Häkchen ihres V-Strings und lässt den roten Stofffetzen fallen. Dann nimmt sie die Brüste in ihre Hände. Die falschen Brüste kommen ihr immer noch fremd vor, obwohl sie sie schon vor Monaten bekommen hat. Sie haben die Konsistenz von benutztem Kaugummi. »Willst du ins Champagnerzimmer?«
»Vielleicht später.«
Der Song ist zu Ende. Er gibt ihr einen Zwanziger.
Dann steht er auf, genau wie Violets Typ. Samantha hakt ihren V-String wieder fest. Violet schwankt auf den hohen Absätzen, als sie in ihr Kleid steigt, und greift nach Samanthas Arm, um sich abzustützen. »Guck mal, die Neue«, flüstert sie.
Sie sind die Letzten, die noch draußen sind, beinahe. Das neue Mädchen hat sich mit nacktem Hintern aufs Sofa fallen lassen, um ihren Thong besser über die klobigen Schuhe ziehen zu können. Samantha kann sich nicht an ihren Namen erinnern. Dünnes Mädel, teigiges Gesicht. Violet zieht geräuschvoll die Luft ein.
Samantha ist kurz davor, dem neuen Mädchen das Offensichtliche zu erklären, aber Morgan, eine hochgewachsene Brünette mit Bibliothekarinnenbrille und falschen, aber nicht übermäßig riesigen Brüsten, kommt ihr zuvor. »Setz dich da besser nicht hin«, sagt Morgan.
Das Mädchen schaut zu ihr hoch.
»Da holst du dir Bakterien in deinen Keks.«
Als Samantha auf den Parkplatz vor ihrem Apartmentgebäude biegt, herrscht das trübe Licht des beginnenden Tages. Sie stellt den Wagen neben den von Mrs Zace, den die Nachbarin ihnen manchmal im Gegenzug dafür überlässt, dass sie ihr Lebensmittel mitbringen. Nick behauptet, Samantha wünsche sich die Welt wie eine Postkartenidylle, aber was ist so schlimm daran? Mrs Zace spielt für Rosie nur zu gern die Oma und hat gelegentlich auf sie aufgepasst, bevor Nick seinen Job verloren hat. Mrs Zaces schwarzer PKW wirkt im Nebel grau, als hätte ihn jemand angehaucht. Samanthas Sneakers machen auf dem Asphalt kein Geräusch. Ihre enge Jeans fühlt sich gemütlicher an als ein Schlafanzug, ihre locker herabfallenden Haare riechen nach Zigarren, Schweiß und Körperspray.
Sie ist froh, dass sie ihr Make-up im Club abgewischt hat. Rosie ist schon auf, zu früh für einen Samstagmorgen, und sitzt vor dem Fernseher.
»Ist dein Daddy wach?«, fragt Samantha.
Rosie lutscht an ihren Haarspitzen. »Nein.«
Samantha setzt sich zu ihr aufs Sofa. Es ist neu und mit einem graugrünen Chenillestoff bezogen. Manche Tänzerinnen sprechen davon, nach Chicago zu ziehen, um mehr verdienen zu können, aber hier in Fremont kann sie sich einen angenehmen Lebensstil leisten. Die Schulen sind gut, und wenige Straßen weiter gibt es einen Spielplatz. Fremont hat eine hübsche Hauptstraße mit Antiquitätenläden, einem Laden, der gebrauchte CDs und DVDs verkauft, und einem ehemaligen Theater, das zu einem Kino umfunktioniert wurde. Die samtbezogenen roten Sitze kratzen an den Beinen, aber die Decke ist mit einem Himmel bemalt. Rosie findet es toll, wenn das Licht ausgeht und über ihrem Kopf kleine Sterne auftauchen. Fremont ist genau die richtige Art Stadt: nicht zu groß, aber groß genug, um eine Art Nachtleben zu haben, mit dem Club und einem Casino am Des Plaines River. Die Stadt hat einen Costco, einen Best Buy und reichlich unbebautes Land. Dazwischen ragen die Silos von Farmen auf, die Mais und Sojabohnen anbauen.
Samantha lässt sich tief ins Sofa sinken. Ihre Füße mit der doppelten Schicht fersenloser Socken tun weh. Die Vorhänge sind noch geschlossen. »Komm her, Baby.«
Rosie rührt sich nicht. Auf ihrem Gesicht reflektiert das Licht des Fernsehers. Ein Werbespot geht in den nächsten über.
»Was schaust du dir an?«
Rosie zuckt die spitzen Schultern. Dann lehnt sie sich an Samantha und kuschelt sich zusammen. »Warum kommst du immer so spät, Samantha?«
»Nicht immer.«
»Ich hab auf dich gewartet.«
Samantha streicht über Rosies Haare, bis zu den stachligen feuchten Spitzen. »Ich gehe mit dir frühstücken. Kleine Pfannkuchen mit Schokostreuseln.« Sie möchte die perfekte Stiefmutter sein, mustergültig und liebenswert, immer bereit, dem Augenblick etwas Besonderes zu geben.
»Okay.« So dicht an ihrem Körper klingt Rosies Stimme gedämpft. »Du riechst nicht gut.«
Das Gefühl, dass etwas möglich ist, wird in ihrem Inneren zerknüllt wie Cellophan, wie etwas, das nicht mehr in seine ursprüngliche Form zurückfindet, auch wenn man es sorgsam glattstreicht.
Als sie vom Frühstück zurückkommen, ist Nick wach. Er bedankt sich, als sie ihm die Hälfte des Geldes gibt.
»Lasst uns heute Abend ins Kino gehen«, schlägt er vor.
Rosie strahlt. »Ich will den Film aussuchen.«
»Ich muss arbeiten«, sagt Samantha.
Das gefällt Rosie nicht. »Dann gehen wir ohne dich«, droht sie.
»Macht das. Amüsiert euch.« Samantha will Rosie eine ihrer blonden Locken hinters Ohr schieben, aber das Mädchen weicht zurück.
Später, als Samantha aus der Dusche kommt und Rosie in ihrem Zimmer spielt, sagt Nick: »Ich frag mich, ob diese Scheißer, für die du tanzt, ahnen, dass du zum Teil ein Typ bist.«
Es ist noch hell, als sie auf den Parkplatz des Lovely Lady fährt. Anhand der Autos kann sie teilweise erkennen, wer heute Abend arbeitet. Skyes gelber Hummer, Morgans blauer Taurus. Außerdem steht da ein schicker schwarzer Caddy, den Samantha nicht kennt. Seine schwarze Farbe reflektiert das Licht des Sonnenuntergangs, so wie schwarze Haare es manchmal tun. Mit einem Hauch von Rot.
Sie betritt den Club durch die Tür zur Garderobe. Auf ihrem Spind klebt einfaches Kreppband mit ihrem Namen. Andere Mädchen haben ihre Türen richtig dekoriert, wie Paris, die innen und außen alles mit Fotos ihrer Tochter beklebt hat, die ebenfalls Paris heißt. Auch auf einigen anderen Türen finden sich Fotos der Kinder. Samantha hat auf der Innenseite eins von Rosie aufgehängt. Sogar Sasha, die alles andere als mütterlich wirkt, hat das Bild eines still wirkenden, dunkeläugigen Mädchens auf der Tür. Ihr Name – Melody – ist vor dem Hintergrund von Notenlinien gemalt, das d sieht aus wie eine Achtelnote. In den Lüftungsschlitzen mehrerer Spinde stecken künstliche Blumen. Das ist nicht erlaubt, weil diese Blumen irgendwann auf den Boden fallen. Weil so viele Mädchen hier arbeiten, mehrere Dutzend, und ihre Dienstpläne sich in obskuren Mustern überlappen, kann hier schnell Chaos entstehen. Dale, der Manager, hat es eine Million Mal gesagt: »Das Lovely Lady bleibt sauber.« Er ist pingelig, aber ein guter Boss. Er sagt, seine Tür steht ihnen immer offen, und so ist es auch. ...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2022 |
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Übersetzer | Stefan Lux |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bordell • Detektiv • Illinois • Kriminalroman • Milieu • neues Buch • Nordamerika (USA und Kanada) • Poledance • Psychothriler • Rache • Spannung • ST 5143 • ST5143 • Stripclub • Stripperin • Stripperlokal • Subkultur • suhrkamp taschenbuch 5143 • USA Mittlerer Westen • USA Mittlerer Westen East North Central Staaten der Großen Seen • USA Mittlerer Westen: East North Central Staaten der Großen Seen • Vereinigte Staaten von Amerika USA |
ISBN-10 | 3-518-76823-9 / 3518768239 |
ISBN-13 | 978-3-518-76823-5 / 9783518768235 |
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