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Im Saal von Alastalo (eBook)

Eine Schilderung aus den Schären

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
1136 Seiten
mareverlag
978-3-86648-817-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Saal von Alastalo -  Volter Kilpi
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Als Proust »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« und Joyce »Ulysses« schrieb, entstand auch in Finnland ein epochales Werk: In Volter Kilpis Prosa-Epos lädt der Gutsherr Alastalo die wichtigsten Männer der Schärengemeinde ein, um sie vom gemeinsamen Bau einer Dreimastbark zu überzeugen. Während mit Hingabe Pfeife geraucht und Grog getrunken wird, umkreisen die unterschiedlichen Lager einander listig in dem Versuch, die eigenen Interessen durchzusetzen. Kilpis über tausendseitiges Opus magnum, im Original 1933 erschienen, spielt an einem einzigen Nachmittag und ist eine großartige Charakterstudie der Menschen, die den Kosmos der finnischen Schären im 19. Jahrhundert bevölkerten. Vor allem aber ist der Roman ein überwältigendes Sprachkunstwerk, das einen unvergleichlichen Sog entwickelt und durch Stefan Mosters Übersetzungsgroßtat endlich der deutschen Leserschaft zugänglich wird. »Eines der bedeutendsten Zeugnisse der modernen finnischen Literatur. (...) Ein modernes Epos von ganz persönlichem Gepräge.« - Kindlers Neues Literatur Lexikon

Volter Kilpi wurde 1874 in der südwestfinnischen Schärengemeinde Kustavi als Sohn eines Kapitäns geboren. Nach seinem Studium in Helsinki absolvierte er eine Laufbahn als Bibliothekar. In jungen Jahren machte er mit drei Romanen im symbolistischen Stil auf sich aufmerksam, verstummte danach aber für fast 30 Jahre, bis er mit einer groß angelegten Trilogie über seine Heimat zum bedeutenden Schriftsteller wurde. Das Herzstück der Trilogie, der Roman »Im Saal von Alastalo« (1933), gilt heute als einer der besten finnischen Romane überhaupt. Kilpi starb 1939 in Turku.

Volter Kilpi wurde 1874 in der südwestfinnischen Schärengemeinde Kustavi als Sohn eines Kapitäns geboren. Nach seinem Studium in Helsinki absolvierte er eine Laufbahn als Bibliothekar. In jungen Jahren machte er mit drei Romanen im symbolistischen Stil auf sich aufmerksam, verstummte danach aber für fast 30 Jahre, bis er mit einer groß angelegten Trilogie über seine Heimat zum bedeutenden Schriftsteller wurde. Das Herzstück der Trilogie, der Roman »Im Saal von Alastalo« (1933), gilt heute als einer der besten finnischen Romane überhaupt. Kilpi starb 1939 in Turku.

Der KirchhofPROLOG


Ein sommerlicher Sonntag gegen Abend. Eine stille Schärenkirche mitten auf einem Friedhof. Das schwarze Schindeldach erhebt sich hoch und ernst im Laubwerk, das Blinken der Sonne aus dem Westen spielt auf der roten Wand, lässt die weißen Fensterrahmen leuchten. Unsagbarer Friede in der Luft und ringsumher. Als einziger Laut nur das Flattern der Espen neben der bemoosten Mauer.

Ich habe das Eisentor zum Kirchgarten geöffnet, in den Scharnieren quietschend, fällt es mit einem dumpfen Schlag hinter mir zu, und der Kies knirscht unter meinen Füßen. Graue, verblasste Holzkreuze beiderseits des Weges, hier und da ein schwarzes eisernes mit Messingschild, dazwischen, die anderen überragend, eine Blechtafel, die man auf eine Eisenstange geschoben hat und von deren gewölbter Fläche eine rostige, vermooste Inschrift ins Auge sticht. Herrscht hier im Kreuzwald gar noch tiefere Stille als eben am Eisentor, das sich zum sonntagabendlichen Ausruhen schloss?

Ich schlängle mich zwischen den Kreuzen hindurch, taste mit den Augen nach verblichenen Inschriften, ergründe einen Namen hier, einen Namen dort. Du bist es, der da ruht? Und du bist in diesem Torf geborgen? Name auf Name, vertraut wie die eigene Kindheit, buchstabiere ich mir, jeden für sich, Hügel um Hügel, Reihe für Reihe lese ich sie: er also auch und auch sie, Junge, Alte, das Volk meiner Jugend, das zarte Kind, die zittrige Greisin, eins neben dem anderen im Schoße des Kieses, in der Reihenfolge, in der ihnen die Totenglocke getönt hat! Aus den Kammern ferner Erinnerungen schimmert der Kopf eines kleinen Mädchens hervor, ruhend auf einem Kissen aus Leinzeug, bläuliche Adern auf der siechen Schläfe, auf der blassen, eingefallenen Wange eine verirrte arme, aschblonde Strähne, in den grauen Augen der schmerzliche Glanz einer Sehnsucht, die alle Hoffnung fahren gelassen hat. Vor meinem Auge scheint eine gebückte Greisin auf, zitternd, die knotige Hand am abgenutzten Griff ihres Gehstocks, die dünnen fahlweißen Reste des lockigen Haars, die in den Furchen um das vom Leiden bleiche Gesicht herum verschwinden, vom Leben so gänzlich entkleidet schon, dass der Tod keine große Mühe mehr hat, dieses Antlitz auszulöschen. Von Hügel zu Hügel, von Kreuz zu Kreuz wandere ich, lese moosbewachsene Inschriften auf den Gräbern erloschener Menschen, Erloschener, vor Jahren und Jahrzehnten Erloschener, deren Leben dennoch vor mir steht wie der gestrige Tag.

Kinder sehe ich, Alte sehe ich, Junge in der Blüte ihres Lebens und Männer in ihrer Männlichkeit, Frauen in der vollen Reife ihres Frauseins, ich sehe eine Prozession meiner Mitmenschen, der nun verstummten, von denen jeder die Luft des Lebens geatmet hat wie ich, gehofft, gewartet wie ich, enttäuscht wurde, gelitten hat wie ich, mittellos und reich gewesen ist, wie es dem schmerzlichen Los des verlorenen Menschen entspricht! Auch du, Kind, ruhest hier: Deine halb offenen Lippen habe ich gesehen, auf denen der holde Hauch des Lebens spielte, des Blutes zarte Blüten auf deinen weichen Wangen zitternd, im Kinderstaunen deiner Augen groß und fragend die Erwartung des Lebens. Die staunenden Erwartungsträume in deinen Augen haben sich also nie erfüllt, und als einzige Gabe des Lebens hat nur der kalte Blauschimmer armer Myrte deine erbleichte Stirn umrankt, als einzige Erinnerung an dich bleiben die Erde unter diesem Kreuz und der Stich der Trauer, der deiner Mutter ins Herz schnitt, als man dein Grab zuschaufelte. Wen ich nicht alles sehe, kalt in des Grabes Kälte, dich und dich: Wer war mutiger als du, damals, da in unserer Brust die Jugend fauchte und die Kühnheit in deinen Augen loderte, und fröhlich war der Schwung deines Kopfs und geschwind dein Gang, du Gefährte meiner Jugend, dessen stolzer Schritt nicht bis an die Schwelle des Mannseins trug, ehe sich das Grab vor dir auftat; in wessen Augen flimmerte das Leben mit stärkerem Schimmer, auf wessen Wange spross holder das gesunde Rot, auf wessen Haares Strohgelb spielte die Sonne goldener als auf deinem, Jungfrau aus meiner Jugend, deren Busen, einst vor jugendlicher Sehnsucht schwellend, seit Jahrzehnten schon der Sand des Kirchhofs drückt, und deren Lippen, einst vor Lebensdurst geöffnet, nun die dichte Dunkelheit der Erde schließt! Wen ich nicht alles sehe, Männer in ihrer Würde, im Blick die Klinge eines festen Willens und entschlossene, unverbrüchliche Autorität; Männer in ihrer Lebensfülle, Jux und Ulk im braun gekräuselten Bartgesträuch, im Glanz der Augen sprühender Schalk und Scherz; ich sehe Mütter mit geschmolzenen Mütterblicken und Väter mit festen Vätergesichtern; Alte, auf den Gesichtern schon fügsame, demütig bereite Reglosigkeit, in den gebeugten Schultern, den schwankenden Schritten das zitternde, suchende Gebet der großen Ruhe; die ganze erwachende, hoffende, feiernde, wollende, tätige, ergebene, erschöpfte Prozession des Lebens.

Ich lasse mich auf einer moosbewachsenen Steinplatte nieder, bedecke mit den Händen die Augen. All die stillen, bleichen Reihen unter meinen Füßen, reglos Ruhende, einer neben dem anderen, die Lider für immer geschlossen, auf den Lippen den Schatten und das ungebrochene Siegel ewigen Schweigens, die über Kreuz gelegten Arme auf ewig in Unbeweglichkeit erstarrt. Einer neben dem anderen, Reihe um Reihe, die Jungen und die vom Alter Gebeugten, die Kinder und Greise, die Armen und Reichen, die Mächtigen der Gemeinde und die Kleinsten der Kleinen, Seite an Seite, nebeneinander, wie der Todestag fiel, alle gleich still, alle mit dem gleichen Los: die unermessliche Größe und unbeugsame Autorität der Totenruhe; alle in der gleichen Armut; ewiges Abrücken von den flimmernden Lüften und bunten Gefilden des Lebens.

Bekannte und Unbekannte, solche, die meine Augen gesehen haben, und solche, von denen ich nur vom Hörensagen weiß, meine sanfte Mutter, mein ernster Vater, der zu Erde gewordene ehrenwerte Staub meiner Vorfahren! Plötzlich bemerke ich, dass ich auf der moosüberwachsenen, in die Erde gedrückten Steinplatte meines vorzeiten zu Grabe getragenen kleinen Bruders sitze. Und da schneidet mir auch schon die erste drängende Schmerzensfrage des Fünfjährigen von vor Jahrzehnten in die Brust: zusammengesunken, das greinende Gesicht auf den harten Fußboden gedrückt, in den Ohren noch die unerklärlich nachhallende steinharte Botschaft, stammle ich im haltlosen Schmerz und in der unbewussten Selbstsucht des am Leben Gebliebenen die hilflose Klage und den Vorwurf: Väinö, böser Väinö, warum bist du tot, wir hätten doch noch so viel zusammen spielen sollen!

Ihr alle, alle ihr bleichen Ruhenden habt einst gelebt, eure stehen gebliebenen Herzen haben gepocht, die Wonne des Blutes hat in euren Adern geklungen, eure eingefallenen Schläfen haben geblüht, in eurer versiegten Brust die Wogen des Lebens geschäumt. Der Träume Rausch hat eure junge Stirn umweht, eure jungen Lippen haben von der Seligkeit der Lüfte getrunken, die Busen sind euch übergegangen von dem vielfarbigen Reichtum des Lebens, eure jungen Beine sind zu den schwebenden Tänzen des Lebens geeilt!

Das Menschenschicksal, in die rollenden Wellen des Meeres geschrieben! Das Menschenleben: ein Blühen wie das der Wiese im vergangenen Frühling, dessen vertrockneten Halm die Winde dieses Tages hin und her werfen, bis es morgen zu Staub geworden ist! Die Sehnsucht drückt auf die Brust, schwer wie der unermessliche Busen der Erde. Das Mitleid mit denen, die gelebt haben, das Mitleid mit den Lebenden, das Mitleid mit den Künftigen, das Mitleid mit dem eigenen, verfliegenden Dasein. Was bleibt übrig von dem ins kalte Grab gerückten Leben? Von einem Leben, glückserfüllt, schmerzerfüllt wie der Busen eines uferlosen, Wellen aufwerfenden Meeres, das in seiner Uferlosigkeit die hellen Wölbungen der Himmel und die Ruhe schimmernder Unendlichkeit spiegelt, dann wieder als dunkler Tumult tobender Kräfte kämpft, als Meer von schlingenden Schlünden des Todes? Von einem Leben, das strahlte mit dem zarten Staunen im Blick des Kindes, das seufzte unter dem Gewicht des überbordenden Reichtums in der jugendlichen Brust, das die stählernen kämpfenden Kräfte der Männlichkeit anschwellen ließ, das in den stiller werdenden Tagen des gebrechlichen Greisenalters ermattete? Mensch, du, der du gelebt hast von den Morgendämmerungen deiner Kindheit über den Morgen deiner Jugend und den Tageslauf deines Mannseins bis in die kühlen Abende deines Alters hinein, der du die unschuldigen Spiele deines morgigen Tages gespielt, die jugendlichen goldenen Luftspiegelungen deiner Hoffnungen geträumt hast, über das schwere Ackerland deiner Arbeitstage geschritten bist, die abflauenden Abende deines welkenden Lebens erreicht hast, was ist der Lohn deines Lebens? Du Mensch, der du die Qualen und Triumphe der Schmerzlichkeiten und des Glücks erfahren hast, der du die rötlichen Flüge deines jungen Blutes und die pulsierenden Kräfte deiner jungen Schultern erlebt hast, die jungen aufsteigenden Gedanken deiner Stirn und das leise Rauschen beim Entfalten deiner jungen Schwingen; der du auf der schweren Erde deines lehmigen Ackers gegangen bist, deine...

Erscheint lt. Verlag 5.4.2022
Übersetzer Stefan Moster
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Dreimastbark • Finnland • Joyse • Klassiker • mare-Klassiker • Opus Magnum • Preis der Leipziger Buchmesse • Proust • Schären • Schärengarten • Schärenmeer • Schiffsbau • Shortlist • Turku • Übersetzung • Ulysses
ISBN-10 3-86648-817-3 / 3866488173
ISBN-13 978-3-86648-817-5 / 9783866488175
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