Gabriel. Ein Dialogroman (eBook)
176 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961974-3 (ISBN)
George Sand (1804-1876) gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Romantik. Die Französin schrieb mehr als 70 Romane und zahlreiche Theaterstücke; bereits als junge Frau war sie in ganz Europa berühmt. Sand war auch journalistisch tätig und beteiligte sich an der Revolution von 1848. Die Übersetzerin: Elsbeth Ranke, geb. 1972, übersetzt aus dem Englischen und Französischen. 2004 erhielt sie den André-Gide-Preis für deutsch-französische Literaturübersetzungen. Mit einem Nachwort von: Walburga Hülk ist Professorin für Französische und Italienische Literaturwissenschaft an der Universität Siegen.
George Sand (1804–1876) gilt als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Romantik. Die Französin schrieb mehr als 70 Romane und zahlreiche Theaterstücke; bereits als junge Frau war sie in ganz Europa berühmt. Sand war auch journalistisch tätig und beteiligte sich an der Revolution von 1848. Die Übersetzerin: Elsbeth Ranke, geb. 1972, übersetzt aus dem Englischen und Französischen. 2004 erhielt sie den André-Gide-Preis für deutsch-französische Literaturübersetzungen. Mit einem Nachwort von: Walburga Hülk ist Professorin für Französische und Italienische Literaturwissenschaft an der Universität Siegen.
Gabriel
Vorbemerkung
Handelnde Personen
Prolog
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Zu dieser Ausgabe
Nachwort
Zum Weiterlesen und Weiterhören
Szene 2
DER FÜRST, DER PRÄZEPTOR
DER FÜRST. Auf ihn ist doch Verlass?
DER PRÄZEPTOR. Wie auf mich selbst, Euer Gnaden.
DER FÜRST. Und … er ist, außer Ihnen und Gabriels Amme, der Einzige, der je erfahren hat …
DER PRÄZEPTOR. Er, die Amme und ich, wir sind neben Eurer Hoheit die einzigen Menschen auf der Welt, die heute von diesem gewichtigen Geheimnis wissen.
DER FÜRST. Gewichtig! Ja, Sie haben Recht; furchtbar, entsetzlich ist dieses Geheimnis, manchmal peinigt es mir gar das Gewissen. Und sagen Sie mir, Pater, ist nie irgendein Wort zu viel …
DER PRÄZEPTOR. Nicht eines, Euer Gnaden.
DER FÜRST. Und bei den Menschen, die täglich mit ihm umgehen, ist nie irgendein Argwohn aufgekommen?
DER PRÄZEPTOR. Nie, Euer Gnaden.
DER FÜRST. So haben Sie mir also in Ihren Briefen keinen Honig um den Bart gestrichen? Alles ist die reine Wahrheit?
DER PRÄZEPTOR. Eure Hoheit stehen kurz davor, sich selbst davon zu überzeugen.
DER FÜRST. Richtig! … Und das macht mich unsäglich ergriffen.
DER PRÄZEPTOR. Euer Vaterherz wird Grund zur Freude haben.
DER FÜRST. Mein Vaterherz! … Pater, überlassen wir solche Worte denen, die sie unbefangen benutzen. Wüssten sie nämlich, durch welche dreiste, ja beinahe wahnwitzige Lüge ich mir die Ruhe und Wertschätzung meiner alten Tage erkaufen musste, so würden sie mir ein schweres Vergehen zur Last legen, das weiß ich! Verwenden wir also nicht wie sie die Sprache einer engherzigen, banalen Zärtlichkeit. Meine Zuneigung zu den Kindern meines Geschlechts war ein ernsteres, ein stärkeres Gefühl.
DER PRÄZEPTOR. Ein Gefühl der Leidenschaft!
DER FÜRST. Lassen Sie das Schmeicheln, man könnte es genauso gut ein Verbrechen nennen; ich kenne den Wert der Worte und messe ihm keinerlei Bedeutung zu. Ich kenne die gemeinen Pflichten, die kindischen Sorgen, die bürgerliche Väter binden, aber darüber stehen die Ehrenpflichten, die verzehrenden Ambitionen des adligen Vaters. Mit dem Mut der Verzweiflung habe ich sie erfüllt. Ich hoffe nur, dass die Zukunft mir nicht das Gedächtnis schwächt und nicht den Stolz meines Namens hinter Verfahrens- oder Gewissensfragen zurücktreten lässt!
DER PRÄZEPTOR. Das Schicksal hat Eure Ziele bislang wunderbar gestützt.
DER FÜRST (nach kurzem Schweigen). Sie schrieben, er sei von schöner Gestalt?
DER PRÄZEPTOR. Bewundernswert! Das lebende Abbild seines Vaters.
DER FÜRST. Ich hoffe, sein Charakter hat mehr Energie!
DER PRÄZEPTOR. Wie ich es Eurer Hoheit wiederholt vermeldet habe, unglaubliche Energie!
DER FÜRST. Sein armer Vater! Er war ein schüchterner Charakter … eine furchtsame Seele. Guter Julien! Wie mühsam konnte ich ihn nur überzeugen, in der Beichte auf dem Totenbett das Geheimnis zu wahren! Bestimmt hat diese Last sein Leben verkürzt …
DER PRÄZEPTOR. Eher doch der Schmerz, den ihm der zu frühe Tod seiner schönen jungen Gattin zufügte …
DER FÜRST. Ich habe Ihnen verboten, mir die Dinge schönzureden; Pater, ich bin ein Mann, der die ganze Wahrheit ertragen kann. Ich weiß, ich habe Herzen bluten lassen, und es werden noch weitere bluten! Nun denn, was geschehen ist, ist geschehen … Er tritt sein siebzehntes Jahr an; er muss von recht hübscher Größe sein?
DER PRÄZEPTOR. Mehr als fünf Fuß, Euer Gnaden, und er wächst weiter und schnell.
DER FÜRST (mit sichtbarer Freude). Wahrhaftig! Es stimmt, das Schicksal steht uns bei! Und das Gesicht, hat es schon männliche Züge? Schon! Ich möchte mich selbst betrügen … Nein, sagen Sie nichts mehr; ich werde ihn ja sehen … Sprechen Sie nur von seiner Moral, von der Erziehung.
DER PRÄZEPTOR. Alles, was Eure Hoheit angeordnet haben, wurde gewissenhaft erfüllt, und alles ist wunderbar geglückt.
DER FÜRST. Sei gelobt, Fortuna! … wenn Sie nichts übertreiben, Pater. So wurde also nichts unversucht gelassen, um seinen Geist zu formen, um ihn mit allem Wissen zu schmücken, das ein Fürst besitzen muss, um seinem Namen und seinem Rang Ehre zu machen?
DER PRÄZEPTOR. Eure Hoheit sind umfassend gebildet. Ihr werdet selbst meinen edlen Schüler befragen können und sehen, dass sein Studium anspruchsvoll und durch und durch männlich war.
DER FÜRST. Lateinisch, Griechisch, hoffe ich?
DER PRÄZEPTOR. Er beherrscht das Lateinische wir Ihr selbst, das darf ich sagen, Euer Gnaden; und das Griechische … wie …
(Er lächelt gewandt.)
DER FÜRST (herzlich lachend). Wie Sie, Pater? Wunderbar, ich danke Ihnen und gestehe Ihnen in diesem Punkt die Überlegenheit zu. Und Geschichte, Philosophie, Literatur?
DER PRÄZEPTOR. Das kann ich mit Sicherheit bejahen; die Ehre fällt dabei ganz dem Verstand des Schülers zu. Seine Fortschritte waren schnell, geradezu erstaunlich.
DER FÜRST. Studiert er gerne? Gelten seine Vorlieben ernsten Dingen?
DER PRÄZEPTOR. Er studiert gerne, und er ertüchtigt sich auch gerne, liebt die Jagd, die Waffen, den Wettlauf. Seine Geschicklichkeit, seine Ausdauer und sein Mut gleichen die körperliche Kraft aus. Seine Vorlieben gelten den ernsten Dingen, aber er hat auch die Vorlieben seines Alters: für schöne Pferde, reiche Gewänder, glänzende Waffen.
DER FÜRST. In diesem Fall steht alles zum Besten, und Sie haben meine Absichten vollkommen begriffen. Jedoch ein Wort noch. Haben Sie es verstanden, seinen Gedanken diese besondere, ganz eigene Ausrichtung zu geben … Sie wissen, was ich meine?
DER PRÄZEPTOR. Ja, Euer Gnaden. Seit seiner zartesten Kindheit (Eure Hoheit hatten selbst seiner Phantasie diesen ersten Anstoß gegeben) wurde er durchdrungen von der ruhmreichen Stellung des Mannes und von der Schmach der weiblichen Rolle in Natur und Gesellschaft. Die ersten Gemälde, die er erblickt hat, die ersten Grundzüge der Geschichte, die ihm zu denken gegeben haben, haben ihm die Schwäche und Dienstbarkeit des einen Geschlechts vor Augen geführt, sowie die Freiheit und Macht des anderen. Seht hier auf diesen Tafeln die Fresken, die ich nach Eurem Befehl habe fertigen lassen: auf dieser den Raub der Sabinerinnen, auf jener Tarpeias Verrat; dann die Verbrechen und Bestrafung der Danaiden; dort der Verkauf von Sklavinnen im Orient; andernorts gibt es verstoßene Königinnen, geächtete oder verratene Geliebte, hinduistische Witwen auf dem Scheiterhaufen ihres Gatten; überall die Frau als Sklavin, Besitz, Eroberung, die, wenn sie ihre Ketten abzuschütteln versucht, zu nichts als Lüge, Verrat, feigen und nutzlosen Verbrechen greifen kann und sich dadurch doch nur einer noch härteren Strafe aussetzt.
DER FÜRST. Und welche Gefühle haben diese ständigen Beispiele in ihm erweckt?
DER PRÄZEPTOR. Eine Mischung aus Abscheu und Mitleid, aus Sympathie und Hass …
DER FÜRST. Sympathie, sagen Sie? Ist er denn je einer Frau begegnet? Hat er je ein paar Worte wechseln können mit den Vertreterinnen eines anderen Geschlechts als … seinem? …
DER PRÄZEPTOR. Ein paar Worte wohl; ein paar Gedanken nie. Er hat nur von weitem die Bauernmädchen gesehen, und er würde niemals mit ihnen sprechen.
DER FÜRST. Und Sie meinen wirklich, dass er selbst nichts von der Wahrheit ahnt?
DER PRÄZEPTOR. Seine Jugend war so keusch, seine Gedanken sind so rein, die Wahrheit ist ihm mit einem so undurchdringlichen Schleier verhüllt, dass er nichts ahnt und erst aus dem Mund Eurer Hoheit erfahren wird, was er erfahren muss. Allerdings muss ich Euch warnen: Es wird ein harter Schlag, ein heftiger, vielleicht ein übersteigerter Schmerz … Das ist nun die Kehrseite der Dinge …
DER FÜRST. Bestimmt … gut so. Sie werden ihn im Gespräch vorbereiten, wie wir es vereinbart haben.
DER PRÄZEPTOR. Euer Gnaden, ich höre ein Pferd im Galopp … Er ist es. Wenn Ihr durch dieses Fenster sehen wollt … Er kommt.
DER FÜRST (steht lebhaft auf und blickt, versteckt hinter dem Vorhang, durchs Fenster). Was denn! Dieser junge Mann auf einem schwarzen Pferd, so schnell wie der Wind?
DER PRÄZEPTOR (stolz). Ja, Euer Gnaden.
DER FÜRST. Der Staub, den er aufwirbelt, verhüllt mir sein Gesicht … Dieses prächtige Haar, diese elegante Gestalt … Ja, das muss ein hübscher Reiter sein … Gute Haltung auf dem Pferd; Anmut, Geschick, Kraft sogar … Wie! Wird er etwa über die Mauer springen, dieser junge Heißsporn?
DER PRÄZEPTOR. Wie immer, Euer Gnaden.
DER FÜRST. Bravissimo! Ich hätte es mit...
Erscheint lt. Verlag | 11.2.2022 |
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Nachwort | Walburga Hülk |
Übersetzer | Elsbeth Ranke |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil • Gender Roman • George Sand Buch • George Sand Dialogroman • George Sand Literatur • Roman Crossdressing • Roman sexuelle Identität • Roman Transsexualität • Sexualität in der Literatur • Weibliches Schreiben |
ISBN-10 | 3-15-961974-5 / 3159619745 |
ISBN-13 | 978-3-15-961974-3 / 9783159619743 |
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