Blutige Stufen (eBook)
496 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2665-8 (ISBN)
Chris Carter wurde 1965 in Brasilien als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Er studierte in Michigan forensische Psychologie und arbeitete sechs Jahre lang als Kriminalpsychologe für die Staatsanwaltschaft. Dann zog er nach Los Angeles, wo er als Musiker Karriere machte. Mittlerweile lebt Chris Carter als Autor in London. Seine Thriller um Profiler Robert Hunter sind allesamt Bestseller.
Chris Carter wurde 1965 in Brasilien als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Er studierte in Michigan forensische Psychologie und arbeitete sechs Jahre lang als Kriminalpsychologe für die Staatsanwaltschaft. Dann zog er nach Los Angeles, wo er als Musiker Karriere machte. Mittlerweile lebt Chris Carter als Vollzeit-Autor in London. Seine Thriller um Profiler Robert Hunter sind allesamt Bestseller.
1
Mit besorgtem Blick beobachtete die Taxifahrerin, wie eine stark alkoholisierte Melissa Hawthorne die hintere Tür des silbernen Mazda 3 aufstieß und ungelenk auf den Gehsteig vor ihrem Haus taumelte. Es war kurz vor zwei an einem Sonntagmorgen, und Melissa hatte seit etwa einundzwanzig Uhr die ganze Nacht hindurch getrunken. Normalerweise machte sie so etwas nicht, aber ihre beste Freundin war achtundzwanzig geworden, und sie hatten im Broken Shaker gefeiert, einer Cocktailbar mit Pool und einem entspannten South-Beach-Vibe auf dem Dach des historisch einzigartigen Freehand Hotels in Downtown Los Angeles. Fruchtige Cocktails und Jägerbombs waren, wie Melissa nun feststellen musste, eine nahezu tödliche Mischung, und obwohl sie sich großartig amüsiert hatte, graute ihr bereits vor dem monumentalen Kater, der ihr garantiert beim Aufwachen bevorstand.
»Die Tür …«, rief die Taxifahrerin. »Könnten Sie bitte die Tür zumachen?«
»Ach so, ja. Sorry!«, lallte Melissa, ehe sie der Tür des Mazda mit der Hüfte einen Schubs versetzte. Das war erstens recht mühsam, und zweitens nahm sie nicht genug Schwung, um die Tür vollständig zu schließen.
»Sie ist immer noch nicht richtig zu«, rief die Fahrerin und zog eine Grimasse.
Melissa grinste schief, ehe sie einen zweiten Versuch unternahm. Doch statt die halb eingerastete Tür einfach zuzudrücken, riss sie sie wieder auf und gab ihr abermals einen kraftlosen Stoß mit der Hüfte.
»Ups!«
»Ist schon gut«, meinte die Fahrerin kopfschüttelnd. »Ich mach es selbst. Kein Stress.«
Während sie ausstieg und um den Wagen herumging, torkelte Melissa langsam in Richtung Haustür. Dort angekommen, brauchte sie annähernd zweieinhalb Minuten, um in der Tasche ihren Schlüssel zu finden und ihn ins Schlüsselloch zu stecken.
Sobald sie im Haus war, schloss sie die Tür hinter sich, goss sich ein Glas Wasser ein und ging weiter ins Schlafzimmer. Sie warf ihre Handtasche auf den Nachttisch und sprang noch schnell unter die Dusche, ehe sie endlich ins Bett kroch. Noch ein letzter Blick auf ihr Smartphone. Es war zwei Uhr achtundzwanzig.
Keine neuen Nachrichten.
Ehrlich gesagt, war sie ein bisschen enttäuscht. Sie hatte im Broken Shaker einen Mann kennengelernt, der ihr ziemlich sympathisch gewesen war. Er hieß Mark, und nach einigen Cocktails, ein paar Shots und viel Gelächter hatten sie Telefonnummern ausgetauscht.
Kurz bevor sie gegangen war, hatte Mark gefragt, ob er mit ihr nach Hause kommen solle. Ein verlockendes Angebot. Sie hatte seit einem halben Jahr keinen Sex mehr gehabt – seit sie herausgefunden hatte, dass ihr Freund, mit dem sie zwei Jahre lang zusammen gewesen war, sie mit einer Kollegin betrog. Aber trotz ihres Alkoholpegels und des unleugbaren Knisterns zwischen ihr und Mark hatte sie abgelehnt. Sie wollte nicht zu bedürftig erscheinen, denn wie sie immer zu sagen pflegte: Sie spielte dieses Spiel nicht zum ersten Mal. Und sie hatte die Erfahrung gemacht, dass es keinen guten Eindruck bei einem Mann hinterließ, wenn man gleich am ersten Abend mit ihm ins Bett ging.
»Vielleicht beim nächsten Mal«, hatte sie gesagt und Mark zum Abschied ihr schönstes Lächeln geschenkt.
Insgeheim hatte sie gehofft, er würde ihr noch eine Nachricht schreiben, ehe sie ins Bett ging. Nichts Außergewöhnliches, einfach nur Ich hoffe, du bist gut nach Hause gekommen oder War schön, dich heute Abend kennengelernt zu haben. Irgendetwas, das ihr verriet, dass er an sie dachte. Er war ihr nicht wie einer dieser Männer vorgekommen, die immer mindestens drei Tage warteten, ehe sie sich bei einer Frau meldeten.
Zwei Uhr dreißig.
Keine Nachrichten, keine verpassten Anrufe.
»Du machst dir zu viele Gedanken, Mel«, sagte sie zu sich selbst. »Du bist keine Anfängerin mehr, schon vergessen? Bestimmt schreibt er dir morgen.«
Sie legte das Telefon weg, schaltete das Licht aus und vergrub das Gesicht in ihrem Kopfkissen, doch als sie gerade einschlafen wollte, hörte sie ein Summen, gefolgt von dem Signalton, der den Eingang einer neuen Nachricht ankündigte. Sie blinzelte kurz, dann griff sie mit einem glücklichen Lächeln nach ihrem Smartphone.
Hattest du Spaß auf der Party?
Melissas Lächeln wurde breiter.
Und wie, schrieb sie zurück. Sie gehörte zu den Menschen, die blitzschnell mit beiden Daumen tippen konnten. Du auch?
Ich war gar nicht dort.
Stirnrunzelnd las Melissa die Antwort. Weil sie so betrunken war und mit einer Nachricht von Mark gerechnet hatte, war sie gar nicht auf die Idee gekommen, nach dem Absender zu schauen.
Unbekannt.
Ihr Lächeln verflog.
Wer ist denn da?, tippte sie. Mein Handy erkennt die Nummer nicht.
Etwa fünfzehn Sekunden vergingen, bis eine Antwort kam.
Oh, das kann es auch nicht. Ich stehe definitiv nicht in deiner Kontaktliste.
Melissa setzte sich im Bett auf und schaltete die Nachttischlampe ein.
Wer bist du denn dann?, tippte sie. Und woher hast du meine Nr, wenn du nicht in meinen Kontakten bist?
Wer ich bin? … Nun ja … für dich bin ich ein Mentor, Melissa. Eine Art Lehrer, wenn man so will.
Melissa legte die Stirn in Falten. Was sollte sie denn damit anfangen?
Ein Mentor?, schrieb sie.
Ganz genau. Ich lehre. Ich unterweise. All das hier ist Teil einer großen Lektion, Melissa.
In dem Moment fiel bei ihr der Groschen. Mark hatte ihr gesagt, dass er Lehrer an einer Highschool war. Wenn sie sich recht erinnerte, unterrichtete er Mathe.
»Okay, jetzt verstehe ich«, sagte sie laut und nickte. Bestimmt hatte er die Rufnummernunterdrückung aktiviert, damit ihr Telefon seine Nummer nicht anzeigte, und diese Nachrichten sollten charmant oder witzig oder mysteriös sein oder was auch immer. Vermutlich war er genauso betrunken wie sie.
Irgendwie süß, dachte sie. Ich hoffe nur, er macht das nicht bloß, weil er mich gleich fragen will, ob ich ihm ein paar Nacktbilder schicke.
Obwohl sie müde war, beschloss Melissa, sich auf das Spiel einzulassen – wenigstens für den Moment. Mal sehen, wohin es führen würde.
Eine Lektion, aha, schrieb sie. Du willst mir also was beibringen, ja? Was denn?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Bei der ersten Lektion, Melissa, geht es um Angst.
Melissa kniff die Augen zusammen.
»Angst?«, wiederholte sie laut.
War das ein Fehler der Autokorrektur? Hatte er eigentlich etwas anderes schreiben wollen?
Kurz darauf folgte eine zweite Nachricht.
Und dann lehre ich dich, was Schmerz bedeutet …
Wieder runzelte Melissa die Stirn.
Dann kam eine dritte.
Und sobald du verstanden hast, was diese zwei Worte wirklich bedeuten, Melissa, lernst du von mir etwas über den Tod.
Halb erschrocken, halb angewidert riss Melissa die Augen auf. Wenn das wirklich Mark war, hatte er einen ziemlich beschissenen Sinn für Humor.
Was soll der Mist?, schrieb sie zurück. Mark, bist du das? Das ist überhaupt nicht komisch, sondern echt unheimlich. Weißt du, wie spät es ist? Du bist betrunken, geh ins Bett.
Mark? Wer ist Mark? Der Typ, den du gerade vögelst?
»Was?«, keuchte Melissa, und ihr Kopf zuckte leicht zurück.
Nein, das konnte nicht Mark sein. In der Bar war er so nett, höflich, intelligent und humorvoll gewesen. Diese Nachrichten klangen kein bisschen nach ihm, ob er nun betrunken war oder nicht.
Ihr reichte es.
Hör mal zu, tippte sie. Wer auch immer du bist, so was geht gar nicht. Ich blockiere jetzt deine Nr.
Warte noch …, kam im nächsten Moment die Antwort.
Melissa zögerte.
Es gibt da etwas, was du unbedingt wissen solltest.
Sie starrte auf das Display ihres Telefons wie eine Mutter, die darauf wartet, dass ihr Kind sich für etwas entschuldigt.
Bist du noch da?
Ja, ich warte. Was sollte ich unbedingt wissen?
Statt aus Worten bestand die nächste Nachricht lediglich aus vier Emojis. Das erste war ein Mond, dann kam ein Auto, eine Tür, und das letzte war ein Haus.
Melissa schüttelte den Kopf und zuckte verständnislos mit den Schultern.
»Was zum Geier soll das bedeuten?«, brummelte und tippte sie gleichzeitig.
Das bedeutet, Melissa, dass du, nachdem du vor etwa einer halben Stunde von deiner kleinen Soiree zurückkamst und aus dem Taxi gestolpert bist, vergessen hast, die Haustür abzuschließen.
Während sie diese Worte las, spürte Melissa ein Kribbeln der Angst im Nacken. Instinktiv schaute sie zur Schlafzimmertür.
Erlaubt sich hier jemand einen Scherz mit mir?, fragte der rationale Teil ihres Verstandes.
Vielleicht.
Aber falls dem so war, warf dies zwei weitere, weitaus beunruhigendere Fragen auf:
Wer aus ihrem Bekanntenkreis wäre zu so einem geschmacklosen Scherz fähig?
»Keiner«, murmelte sie.
Und was noch besorgniserregender war: Woher wusste der Absender der Nachrichten, dass sie vor ungefähr einer halben...
Erscheint lt. Verlag | 18.8.2022 |
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Reihe/Serie | Ein Hunter-und-Garcia-Thriller | Ein Hunter-und-Garcia-Thriller |
Übersetzer | Sybille Uplegger |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | blutig • blutige Spannung • Blutlust • Blutrausch • Brutal • detective • E-first • Ermittler • Forensik • Frauen • Garcia • guthart • HART • Hunter • Kriminalpsychologe • LAPD • Leserliebling • Los Angeles • Mord • Nervenkitzel • Polizei • Polizist • Profiler • Psychokiller • sadistisch • Serie • Serienkiller • spannend • Spannung • Team • Thriller • Tote • tote Frauen • Verbrechen |
ISBN-10 | 3-8437-2665-5 / 3843726655 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2665-8 / 9783843726658 |
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