Am Limit (eBook)
464 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-26560-1 (ISBN)
Jack Constantine hat einen der drei Mörder seiner Frau erschossen. Dafür sitzt der Ex-Polizist nun in einem Hochsicherheitsgefängnis in Florida. Genau hier verbüßen auch die beiden anderen Killer ihre Haftstrafe. Constantines Rache ist zum Greifen nahe. Da rast ein Hurrikan und mit ihm riesige Flutwellen auf das Gefängnis zu. Die Wächter flüchten, ohne die Insassen zu evakuieren, und Constantine muss ausbrechen, um zu überleben. Zu seinem Glück findet er eine Verbündete: Keira Sawyer, eine junge Justizvollzugsbeamtin, die von ihren Kollegen aus Versehen zurückgelassen wurde. Gemeinsam stellen sie sich dem Sturm und den marodierenden Insassen des Gefängnisses. Bis Constantine sich entscheiden muss, was ihm wichtiger ist: sein Leben oder die Rache an den Mördern seiner Frau.
Paul Herron ist gebürtiger Schotte, der seit einigen Jahren in der Hitze und Feuchtigkeit Südafrikas zu überleben versucht (und an manchen Tagen scheitert). Er ist Autor diverser Computerspiele und Comics und hat an mehreren Fernsehsendungen mitgewirkt, von denen eine sogar für den renommierten Emmy Award nominiert wurde. »Am Limit« ist Paul Herrons Thriller-Debüt.
Eins
Freitag, 27. August
06:00 Uhr
Im Gefängnis dreht sich alles darum, dein Strafmaß in Zeiteinheiten zu unterteilen. Das ist der einzige Weg zu überleben. Ein Jahr, das ist zu viel. Ein halbes Jahr ist deprimierend. Verdammt, selbst ein Monat fühlt sich an wie eine Ewigkeit.
Eine Woche hingegen – eine Woche ist gerade so zu managen, zumindest dann, wenn du etwas hast, womit du die Zeit füllen kannst. Ein Besuch der Familie zum Beispiel, dann hast du einen Countdown. Einen Grund, um weiterzumachen.
Ich habe nichts dergleichen. Meine Eltern sind beide tot. Keine Kinder, keine Brüder oder Schwestern. Eine ermordete Ehefrau. Also nicht viel, worauf ich mich hier freuen könnte.
Aber du treibst dich weiter an, du pusht dich, bis du nicht mehr kannst. Denn so ist das Leben, wie mein Alter immer zu sagen pflegte. Du lebst, du stirbst. Alles dazwischen ist lediglich ein dampfender Haufen Scheiße, aber du versuchst, das Möglichste draus zu machen.
Sein Möglichstes bestand in Drogen und Nutten, und es endete damit, als er sich um drei Uhr nachts von einer dreißig Meter hohen Brücke in einen reißenden Fluss stürzte, mit Koks voll bis oben hin und mit nichts weiter bekleidet als seinen Superman-Boxershorts. Die Hure, die aus dem Auto sprang, kurz bevor es von der Brücke fuhr, sagte später, er hätte sich über Lydia – meine Mutter – ausgeheult. Sie würde ihn in einen Käfig sperren, ihn davon abhalten, frei zu sein, doch er würde ihr beweisen, dass ihr das nicht gelänge.
Spoileralarm: Er schaffte den Gegenbeweis nicht.
Aber mit einer Sache hatte er recht. Du machst weiter, oder du steigst aus. Ich komme weder an Koks noch an Nutten ran und ich kann mich auch nicht in einen reißenden Fluss stürzen, also besteht die einzige Alternative darin, sich mit einer von den Gangs anzulegen, sodass sie mich unter der Dusche abstechen (hoffentlich mit was Nichtorganischem, wenn du verstehst, was ich meine), oder die Wächter anzugreifen und ihnen derart übel mitzuspielen, dass sie tödliche Gewalt anwenden müssen.
Vielen Dank auch, da mach ich lieber weiter!
Felix sagt, es wird einfacher, je länger man drinnen ist, aber ich glaub nicht viel von dem, was Felix so von sich gibt. Er ist ein notorischer Lügner. Oder, wie er es gern nennt, ein Geschichtenerzähler. Ich bin jetzt seit drei Jahren hier drin, wie viel länger wird’s noch dauern?
Ich runzle die Stirn, als ich durch das kleine, zerkratzte Fenster gucke, das in die Zellentür eingelassen ist. Warum zum Teufel denke ich daran, wie die Zeit vergeht? Das ist ein ganz schlechter Weg, in den Tag zu starten. Führt nur zu Depressionen.
Oh yeah, Felix.
»Ich meine, der Bengel hat schon wieder geweint«, sagt Felix von seiner Pritsche. »Er ist hier wie lange? Seit drei Wochen nun? Ich hab’s ihm gesagt. Ich hab ihm gesagt, der einzige Weg, im Gefängnis zu überleben, ist, nicht dagegen anzukämpfen.«
»Ist das so?«, frage ich abwesend.
Unsere Zelle liegt auf der oberen Ebene von Block B. Alles, was ich durchs Fenster sehen kann, ist das Geländer auf dem Gang und die Zellen auf der gegenüberliegenden Seite unseres Traktes. Sieht aus, als hätte Stevens mal wieder seinen Kopf gegen das Glas gehämmert. Sein Fenster ist blutrot verschmiert.
»’türlich ist das so. Akzeptier, dass du hier drin bist, Mann. In der Zukunft existiert für uns kein Haus mit drei Schlafzimmern. Kein kleiner Umweg an einem Freitagnachmittag nach der Arbeit, um der Geliebten ’nen Besuch abzustatten – du weißt schon, die, die die Dinge macht, die deine Frau ekelhaft findet. All das ist vorbei, denk nicht mal daran. Das ist jetzt dein Leben. Umarme es. Gesteh dir die Scheiße ein.«
»Ich dachte, das hätte ich.«
Hatte ich das tatsächlich? Ich war da nicht so sicher. Es ist ziemlich schwer, seinen eigenen Geisteszustand im Gefängnis zu beurteilen. Zu viele Gedanken schießen dir durch den Kopf, die Dinge erscheinen einem verwirrend, konfus.
»Was zum Teufel, Mann?«, blafft Felix. »Du glaubst nicht ein Wort von dem, was ich sage?«
Jessas. Fräulein Temperamentvoll da drüben. Bei Felix muss man vorsichtig sein. Normalerweise ist er ziemlich gechillt, aber die abwegigste Sache kann ihn rasend machen. Ich war bisher noch nie derjenige, der das dann ausbaden musste, aber andere Häftlinge hatten weniger Glück und verbrachten dann die nächsten Tage auf der Krankenstation.
»Ich glaub dir«, sage ich. Mache eine Pause. »Frischst du meine Erinnerung noch mal auf?«
»Ich sage, wir müssen akzeptieren, dass wir hier drin festsitzen. Sieh mal … du hast Leo gesehen, richtig? Der alte Kerl. Sitzt immer ganz hinten in der Kantine. Hält immer Messer und Gabel so, als würde er sie sich gleich in den Schädel rammen.«
»Yeah.«
»Weißt du, warum er so ist?«
»Lass mich mal eine verwegene Vermutung anstellen … weil er nicht akzeptiert hat, hier zu sein?«
»Bingo! Er denkt immer über einen Weg nach, der nach draußen führt. Immerzu Ausschau halten, planen. Der Typ sieht aus wie ’n Achtzigjähriger. War sein ganzes Leben hier drin, und er denkt immer noch, dass er irgendwann wieder das Draußen sehen wird. Immerzu redet er darüber, Tunnel zu graben oder sich durch die Kanalisation rauszuschleichen. Was hat’s ihm gebracht? Magengeschwüre und Wahnvorstellungen. Das hab ich dem neuen Bengel gesagt. Pauly.«
»Was hat er gemacht?«
»Wieder angefangen zu heulen.«
Ich werfe einen Blick über die Schulter rüber zu Felix. Er ist ein großer Kerl, eins neunzig, ziemlich muskulös. Schwarze Haut und intensiv blickende Augen. Mag kitschige Romane aus der Gefängnisbibliothek. Gerade liegt er auf seiner Pritsche und hält ein rosa-oranges Buch in der Hand, ich kann aber nur die nackte Brust eines Typen, der einem Piraten ähnelt, auf dem Cover erkennen.
»Nur damit ich’s richtig verstehe: Du glaubst, dass sich Leo mit seiner fehlenden Akzeptanz Magengeschwüre und Wahnvorstellungen eingehandelt hat?«
»Sicher. Du musst im Strom mitschwimmen, Mann. Das Leben leben wie ein Zenmönch, die Wichser machen sich keinen Stress über nix. So bricht dich der Knast. Du behältst die Hoffnung, das killt dich am Ende. Du musst kapieren, dass das von nun an dein Leben ist. Du musst den Scheiß in deiner Seele akzeptieren. Dann ist alles in Butter.«
»Niemand sagt mehr alles in Butter, Felix«, murmele ich und drehe mich wieder zur Zellentür.
»Ich schon.«
Fakt ist, ich gebe ihm tatsächlich recht. Auch wenn ich von Zeit zu Zeit strauchle, hauptsächlich wegen der Langeweile von all dem Ganzen, hab ich mich doch vor Langem damit abgefunden, dass es das ist. Dass mein Leben vorbei ist.
Nicht dass es mir was ausmacht. Mein Leben war vorbei, bevor ich geschnappt wurde.
Aber was Felix über die Hoffnung sagt, ist wahr. Selbst diejenigen, die einen Grund zum Leben mitbringen, verlieren am Ende. Vielleicht pinnen sie ein Foto von ihrer Freundin an die Wand oder Zeichnungen von den Kindern. Geburtstagskarten, solche Sachen, alles erst mal Zeichen der Hoffnung. Hoffnung, dass sie immer noch ein Leben da draußen haben, dass sie eines Tages rauskommen. Aber wenn die Monate voranschreiten, gewinnt die Verzweiflung die Oberhand. Du kannst die Hoffnung nicht am Leben erhalten, ohne etwas dafür zurückzuzahlen. Du kannst deinem Verstand nur eine Weile lang etwas vorgaukeln, dann wendet er sich gegen dich.
Am besten ist einem alles einerlei. Oder irgendwer. Hat man nichts zu verlieren.
»Durchzählen!«
Ich lehne mich zurück, als ein heftiges Kurbelgeräusch durch den Trakt hallt, gefolgt von dem metallischen Knallen, als sich zweiundvierzig Türen öffnen.
Ich trete aus der Zelle und schaue dabei nach rechts und links. Ein Reflex. Es ist die perfekte Gelegenheit für einen Angriff, weil niemand es erwartet.
Alles safe, nur gähnende Häftlinge, die sich am Sack kratzen, als sie auf den metallenen Gitterrost treten, während Teil eins des täglichen Ablaufs beginnt. Das erste Zeitsegment in der niemals endenden Spirale, die in den Wahnsinn führt oder zum Tod – was immer auch zuerst kommt.
»Du hast die letzte Nacht geschnarcht«, sagt Felix, als er mir auf den Gang folgt.
»Ich schnarche nicht.«
»Verflucht, und ob du schnarchst! Wie ein Güterzug. Ernsthaft. Du musst zu ’nem Arzt oder irgendwas, denn sonst werd ich dich höchstwahrscheinlich irgendwann erwürgen, wenn du so weitermachst.«
»Was auch immer.« Ich unterdrücke ein Gähnen. Ich bin erschöpft, das ist jeder. Der Sturm, der seit zwei Tagen auf Florida einprügelt, hört sich an, als würde er stärker werden. Der tosende Wind sorgt für ein konstantes Heulen und Kreischen, das man selbst durch die dicken Gefängnismauern hört. Es treibt alle in den Wahnsinn, hält jeden nachts wach.
Heute habe ich deshalb verschlafen, normalerweise bin ich vor fünf auf den Beinen. Das ist die ruhigste Zeit im Knast. Selbst die Verrückten, die die ganze Zeit wach bleiben und rumschreien und weinen, dämmern in der Regel nach vier weg. Dann genieße ich die wenigen Momente der Entspannung, bevor mich die Gefängnisroutine dazu zwingt, den Tag in immer kleinere Zeitbröckchen einzuteilen.
Das erste Bröckchen startet mit dem Appell um Viertel nach sechs. Jeder Häftling muss sich aus seiner Zelle bequemen und davor warten, während die Vollzugsbeamten – die Correction Officers oder kurz COs...
Erscheint lt. Verlag | 20.6.2022 |
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Übersetzer | René Stein |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Breakout |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2022 • Abenteuerroman • Actionthriller • Alex Cross • Clive Cussler • David Baldacci • eBooks • Ex-Polizist • Florida • Gefahr • Gefängnisausbruch • Hurrikan • Jack Reacher • James Patterson • Jason Bourne • John Wick • Kampf ums Überleben • Lee Child • Mord • Neuerscheinung • Pageturner • Rache • Serienkiller • spannend • Spannung für Männer • Spannungsroman • Stirb Langsam • Taschenbuch Neuerscheinung 2022 • Thriller • Thriller Neuerscheinungen 2022 • Thriller UK |
ISBN-10 | 3-641-26560-6 / 3641265606 |
ISBN-13 | 978-3-641-26560-1 / 9783641265601 |
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