Kommissar Gennat und der Anschlag auf den Orientexpress (eBook)
304 Seiten
Elsengold Verlag
978-3-96201-099-7 (ISBN)
Regina Stürickow hat in Berlin Geschichte und Slavistik studiert. Nach einer Tätigkeit in der Lokalredaktion des Senders Freies Berlin ist sie seit 1993 als freie Publizistin in ihrer Heimatstadt tätig. Sie hat zahlreiche Bücher zur Berliner Geschichte veröffentlicht, tritt im Fernsehen regelmäßig als Expertin auf und schreibt populäre Magazinartikel zu historischen Themen. Bei Recherchen in den 1990er- Jahren stieß sie in alten Akten auf den fast vergessenen Kommissar Ernst Gennat und machte ihn in den folgenden Jahren mit mehreren Publikationen wieder bekannt.
Regina Stürickow hat in Berlin Geschichte und Slavistik studiert. Nach einer Tätigkeit in der Lokalredaktion des Senders Freies Berlin ist sie seit 1993 als freie Publizistin in ihrer Heimatstadt tätig. Sie hat zahlreiche Bücher zur Berliner Geschichte veröffentlicht, tritt im Fernsehen regelmäßig als Expertin auf und schreibt populäre Magazinartikel zu historischen Themen. Bei Recherchen in den 1990er- Jahren stieß sie in alten Akten auf den fast vergessenen Kommissar Ernst Gennat und machte ihn in den folgenden Jahren mit mehreren Publikationen wieder bekannt.
II
Der Lokomotivführer Fischer war in seinem Element. Er liebte diese Strecke. Schnurgerade über viele Kilometer hinweg. Hier konnte er seinem Affen Zucker geben. Er beschleunigte und pfiff den Schlager „Das ist die Liebe der Matrosen“ vor sich hin. 105 Stundenkilometer zeigte die Nadel des Tachometers. Vielleicht konnte er es noch auf 120 bringen. Auf dieser Strecke war das kein Problem. Die Nadel bewegte sich zitternd auf 106, 107 und erreichte gerade 109, als ihn ein gleißend heller Lichtschein blendete, gefolgt von einer heftigen Detonation. Die tonnenschwere Lok erzitterte, vibrierte, geriet ins Wanken. Mit Wucht wurde er von der einen Seite auf die andere geschleudert. Er klammerte sich am Haltegriff an der Tür fest. Spontan leitete er eine Vollbremsung ein. Die Räder kreischten, Funken sprühten von den Gleisen. Die Lok kam nach einigen Hundert Metern zum Stehen. Das erste Mal in seinem Berufsleben hatte er eine Vollbremsung machen müssen. Entsetzt starrte er in die Dunkelheit. Für mehr als zweihundert Menschen in den Personenwagen, die er mit seiner Lok hinter sich her zog, hatte er die Verantwortung. „Das war nicht meine Schuld!“, stammelte er. „Das war nicht meine Schuld. Die sanfte Kurve hier macht doch sonst auch keine Probleme. Die kann man doch sogar mit 120 nehmen.“ Seine Ohren dröhnten, seine Hände zitterten. „Ich habe nichts falsch gemacht“, murmelte er immer wieder.
Damit ihm die Beine nicht einschliefen, hatte Benno gerade versucht, sich vorsichtig zu bewegen, als ihn der gleiche helle Lichtschein traf. Trotz der Mütze schmerzte er in den Augen, und der gewaltige explosionsartige Knall drohte seine Ohren und seinen Kopf zu zerfetzen. Wie ein Fischkutter im Orkan auf hoher See wankte der Zug hin und her. Angsterfüllt klammerte Benno sich fest, mit den Füßen versuchte er im Gestänge Halt zu finden, doch seine Beine rutschten von der Achse. Der Schmerz ließ ihn laut aufschreien. Aus und vorbei, dachte Benno, und in Sekundenschnelle zog sein kurzes Leben an ihm vorüber. Ich bin von der Achse gefallen, ging es ihm durch den Kopf. Hatte ihn der Zug überrollt? Jemand hatte ihm mal erzählt, wenn man stirbt, sehe man einen hellen Lichtschein und in Gedanken liefe noch einmal das ganze Leben vor einem ab. Er gehörte also zu denen, die die Fahrt als Blinder nicht überlebt hatten. Aber die Schmerzen? Hat man noch Schmerzen, wenn man schon tot ist? Ihm war, als falle er einen Abhang hinunter, während der Knall noch immer in seinem Kopf nachhallte. Alles schien sich zu drehen. Er glaubte in ein tiefes Loch zu fallen. Mit letzter Kraft schaffte er es, die Kapuze vom Kopf zu ziehen. Über sich sah er den Sternenhimmel. Sonst war es stockdunkel. „Ist das nun der Tod?“, dachte Benno. Er war gerade 16 Jahre alt geworden. Vom Leben hätte er ohnehin nichts mehr zu erwarten gehabt – außer einer Mordanklage und Zuchthaus. Aber Anni, was wird nun aus Anni? Dann wurde es schwarz um ihn.
Der Heizer war von der Maschine gestiegen und rief zum Lokführer: „Was zum Teufel ist da explodiert?“ Fischer kletterte aus dem Führerstand. Seine Beine drohten zu versagen. „Keine Ahnung. Ich dachte, der Kessel ist in die Luft geflogen“, stammelte er.
„Ist bei euch alles in Ordnung?“, rief der Heizer in Richtung des Postwagens, dem ersten hinter der Lok. Der Postbeamte öffnete mit aller Kraft das Fenster, das sich verzogen hatte. „Was ist denn da explodiert? Ich dachte schon, die ganze Maschine ist in die Luft geflogen. Wo kam der Blitz her?“ Der Heizer half ihm, die Tür des Waggons zu öffnen, und der Postmann kletterte hinaus. Er riss ein Streichholz nach dem anderen an, um besser sehen zu können.
„Lass den Quatsch“, herrschte der Lokführer ihn an. „Habt ihr Taschenlampen an Bord?“
„Ja, zwei“, stammelte der Postbeamte, kletterte zurück in den Waggon und kam mit zwei Taschenlampen zurück. Der Heizer hatte inzwischen ebenfalls eine Taschenlampe und zwei Petroleumlaternen aus der Lok beschafft.
„Wir müssen sehen, was los ist“, kommandierte Fischer, der sich wieder gefangen zu haben schien. Mit Taschenlampen gingen die drei Männer in rückwärtige Richtung und blieben nach einigen Schritten wie angewurzelt stehen. „Mein Zug, wo ist mein Zug“, stammelte der Lokführer. Der Heizer und der Postbeamte sahen in die gleiche Richtung. Erst nach einer Schrecksekunde wurde ihnen klar: Nur der Postwagen und der erste Personenwagen dahinter standen noch auf der Böschung. Die übrigen acht Waggons waren entgleist, umgekippt und die Böschung hinuntergestürzt.
„Verdammt, der Zug nach München! Wenn das Gegengleis etwas abbekommen hat …“ Der Lokomotivführer mochte den Gedanken nicht weiterspinnen. Gemeinsam suchten sie das Gleis ab. „Hier sind Eisenschwellen festgemacht. Wir brauchen Werkzeug.“ Fischer rannte zur Lok zurück und kam mit einem Vorschlaghammer und einem Brecheisen zurück. Die beiden Männer machten sich an die Arbeit, während der Heizer die Petroleumlaterne anzündete. „Ich geb dem Zug ein Haltesignal“, rief er. „Beeilt euch, viel Zeit haben wir nicht.“
Der Eisenbolzen auf der einen Seite ließ sich mit ein paar Hammerschlägen entfernen. Der andere hatte sich festgefressen oder verkantet und bewegte sich keinen Millimeter. Der Heizer rannte, die Signallaterne schwenkend, dem Zug Berlin-München entgegen, dessen Scheinwerfer in der Ferne bereits aufblitzten. Je nach Geschwindigkeit wird er einige Hundert Meter brauchen, um zum Stehen zu kommen, wusste der Heizer. Die Scheinwerfer kamen näher. Den beiden Männern lief der Schweiß über Stirn und Rücken. Das Eisenstück saß fest. Das Warnsignal der Lokomotive war deutlich zu hören. Der Heizer fuchtelte mit seiner Laterne und fluchte laut. Die beiden Männer am Gleis sahen sich an. „Weg hier“, sagte Fischer. „Wir schaffen das nicht. Ich bin nicht lebensmüde.“ Der Zug schien heranzurasen, bis das Kreischen der Räder verriet, dass er scharf bremste. Ein letzter wütender Schlag auf das Eisenstück und es flog im hohen Bogen davon. Das Schnaufen der Lokomotive kam bedrohlich näher. Die stählerne schwarze Lok erschien ihnen riesig. Etwa 50 Meter vor den beiden Männern kam sie endlich zum Stehen. Der Heizer war im letzten Augenblick zur Seite gesprungen und kam jetzt keuchend angerannt. Vor Erschöpfung schien er einer Ohnmacht nahe.
„Was ist passiert? Können wir helfen?“, rief der Lokführer des München-Zuges aus dem Führerstand.
„Mindestens neun Wagen sind abgerissen und die Böschung hinabgestürzt. Wir brauchen alles Hilfsgerät, das ihr habt. Vor allem Leitern, Äxte, Seitenschneider, Laternen und Taschenlampen. Euer Gleis hat anscheinend nichts abbekommen. Helft uns, die Verletzten und die Toten zu bergen.“
Mit allem zur Verfügung stehenden Hilfsmaterial begaben sich die Männer des D-Zuges nach München zu den verunglückten Waggons. Im Licht der Laternen und der Taschenlampen wurde das Ausmaß des Unglücks sichtbar. Hilferufe, Schreie und das Weinen von Kindern drangen aus den havarierten Waggons.
Tennstett saß der Schreck in den Knochen. Der Zug ist entgleist!, ging es ihm durch den Kopf. Er zitterte am ganzen Leib. Er hatte zahlreiche blaue Flecken und sein linker Arm schmerzte, aber offenbar hatte er keine schwereren Verletzungen. Es gelang ihm, sich aus dem Waggon zu befreien, und er tastete sich vorsichtig den Bahndamm hinunter. Aber wo war sein Koffer? Als er aus dem Waggon geklettert war, hatte er ihn hinausgeworfen, konnte ihn aber nicht wiederfinden. Stimmen näherten sich, Männer mit Taschenlampen liefen umher. Schreie und Hilferufe kamen aus der anderen Richtung. Zum Teufel mit dem Koffer! So schnell wie möglich musste er nach Berlin. Nur keine Zeit verlieren. Nur weg hier. Er war die Strecke schon oft genug bei Tageslicht gefahren, um zu wissen, wo die Chaussee war. An den Scheinwerfern der Autos konnte er sich orientieren, denn von der Landstraße kamen schon die ersten Rettungswagen. Er riss ein Streichholz an und sah, dass er auf einem Feldweg war. Er zählte nicht, wie viele Streichhölzer er schon angerissen hatte, um nicht vom Weg abzukommen, als er plötzlich einen heftigen Stoß in den Rücken verspürte und hinfiel. Nur schemenhaft nahm er ein Fahrrad wahr, das ihn offenbar gerammt hatte. Licht hatte es keines. Tennstett rappelte sich auf, hockte sich in ein Gebüsch am Wegesrand und wartete. Erst als nur noch wenige Fahrzeuge in Richtung Bahndamm fuhren, wagte er sich auf die Landstraße. Er kannte die Strecke so genau, dass er erahnte, wo er war. Einige Lichter in der Ferne verrieten ihm, dass er in der Nähe von Jüterbog sein musste. Sicher fand er in der kleinen Stadt jemanden, der ihn nach Berlin oder nach Potsdam mitnehmen könnte. In Jüterbog gab es vielleicht sogar ein Taxi.
Berlin, Kurfürstendamm / Ecke Joachimsthaler Straße,
Berliner Kindl-Bräu
Zum Nachtisch bestellte Gennat Birne Helene. Kaminski nahm das Gleiche. „In Paris haben Sie immer Crème Brûlée bestellt. Erinnern Sie sich noch?“, fragte Kaminski.
„Wie könnte ich das vergessen. Allein dafür lohnt es sich, immer wieder nach Paris zu fahren.“
„Commissaire Belin würde sich sicher freuen, Sie wiederzusehen, Herr Kriminalrat. Jedenfalls war er sehr beeindruckt von...
Erscheint lt. Verlag | 29.10.2021 |
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Reihe/Serie | Gennat-Krimi |
Gennat-Krimi | Gennat-Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Anschläge • Ernst Gennat • Kommissar Gennat • Krimi • True Crime • Züge |
ISBN-10 | 3-96201-099-8 / 3962010998 |
ISBN-13 | 978-3-96201-099-7 / 9783962010997 |
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Größe: 853 KB
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