Kommissar Gennat und der BVG-Lohnraub (eBook)
304 Seiten
Elsengold Verlag
978-3-96201-097-3 (ISBN)
Regina Stürickow hat in Berlin Geschichte und Slavistik studiert. Nach einer Tätigkeit in der Lokalredaktion des Senders Freies Berlin ist sie seit 1993 als freie Publizistin in ihrer Heimatstadt tätig. Sie hat zahlreiche Bücher zur Berliner Geschichte veröffentlicht, tritt im Fernsehen regelmäßig als Expertin auf und schreibt populäre Magazinartikel zu historischen Themen. Bei Recherchen in den 1990er- Jahren stieß sie in alten Akten auf den fast vergessenen Kommissar Ernst Gennat und machte ihn in den folgenden Jahren mit mehreren Publikationen wieder bekannt.
Regina Stürickow hat in Berlin Geschichte und Slavistik studiert. Nach einer Tätigkeit in der Lokalredaktion des Senders Freies Berlin ist sie seit 1993 als freie Publizistin in ihrer Heimatstadt tätig. Sie hat zahlreiche Bücher zur Berliner Geschichte veröffentlicht, tritt im Fernsehen regelmäßig als Expertin auf und schreibt populäre Magazinartikel zu historischen Themen. Bei Recherchen in den 1990er- Jahren stieß sie in alten Akten auf den fast vergessenen Kommissar Ernst Gennat und machte ihn in den folgenden Jahren mit mehreren Publikationen wieder bekannt.
PROLOG
Charlottenburg, 15. Juli 1931
Der junge Mann kam immer um diese Zeit und immer mit dem Fahrrad. Einen Fahrschein für die BVG hätte er sich nicht leisten können. Einmal war er sogar von der Schöneberger Dennewitzstraße, in der er wohnte, bis in die Charlottenburger Spreestraße, die direkt gegenüber dem Rathaus Charlottenburg von der Berliner Straße abzweigte, zu Fuß gegangen. Mehr als eine Stunde hatte er da gebraucht. Heute bog er nicht gleich in die Spreestraße ein, wo er jede Woche vom Wohlfahrtsamt seine 11,85 Mark Unterstützung abholte, sondern hielt an und warf einen Blick auf die Turmuhr des Rathauses: kurz vor acht Uhr. Genau die richtige Zeit, dachte er. Er schob sein Rad auf den Bürgersteig, direkt dem imposanten Protzbau gegenüber. Um nicht aufzufallen, tat er so, als pumpe er das Vorderrad auf, ließ dabei aber die Geschehnisse vor der Filiale der Stadtbank im rechten, erst später angebauten Flügel des Rathauses nicht aus den Augen. Auch wenn ihm die vorbeifahrenden Straßenbahnen, deren Trassen auf beiden Seiten am Fahrbahnrand neben dem Bürgersteig verliefen, immer wieder die Sicht nahmen, blieb er auf dieser Seite. Niemandem sollte auffallen, dass er die Bank beobachtete. Was er sonst nur flüchtig im Vorbeifahren gesehen hatte, wollte er jetzt genauer beobachten.
Er musste nicht lange warten, bis ein Bus der BVG vorfuhr und am Fahrbahnrand anhielt. Vier Männer in BVG-Uniformen stiegen aus, zu zweit trugen sie jeweils eine offensichtlich schwere Kiste in die Bank. Jetzt fuhr ein zweiter Bus vor. Aus diesem luden zwei Beamte eine weitere schwere Kiste aus und brachten sie in das Gebäude. Die Männer aus dem ersten Bus verließen die Bank nach wenigen Minuten wieder. Einer von ihnen trug die beiden, jetzt offensichtlich leeren Kisten allein. Nachdem er sie in den Bus gestellt hatte, stiegen sie ein und fuhren weg. Die BVGler aus dem zweiten Bus blieben noch mindestens zehn Minuten in der Bank.
Noch immer beobachtete er den rechten Rathausflügel und beschäftigte sich gleichzeitig mit seinem Fahrrad, tat so, als sei etwas mit der Kette nicht in Ordnung. Jetzt kamen die Männer mit der Kiste heraus. Offensichtlich war sie immer noch schwer, denn sie trugen sie gemeinsam. Dann hievten sie sie in ihren Bus, stiegen ein und fuhren ebenfalls weg.
Als er den Transport der Kisten das erste Mal beobachtet hatte, konnte er sich noch nicht zusammenreimen, was das bedeutete. Dann hatte er seinem Bruder davon erzählt. Der war selbst BVGler. Busfahrer. Nun war ihm ein Licht aufgegangen. Zweimal im Monat, immer am 1. und am 15., an den Tagen, an denen die Löhne ausgezahlt wurden, hatte er die Busse gesehen. Der erste Bus brachte die schweren Kisten mit den Einnahmen aus den Fahrscheinverkäufen vom Vortag, vornehmlich Kleingeld, und zahlte das Geld ein. Dann fuhren sie mit den leeren Kisten wieder weg. Die Leute aus dem zweiten Bus brachten ebenfalls eine Kiste mit Kleingeld aus Fahrscheinverkäufen. Sie gingen aber nicht mit leeren Händen wieder weg, sondern holten die Lohngelder für die Mitarbeiter ab – in Scheinen natürlich. Wenn sein Bruder der Mutter am Tag der Lohnauszahlung das Kostgeld gab, waren es immer Scheine. Das hatte er schon oft gesehen. Demnach waren die Münzen in der Bank in Papiergeld gewechselt worden. Mindestens 60 000 oder sogar 70 000 Mark, so vermutete sein Bruder – vielleicht sogar mehr. Die Kiste müsste man sich unter den Nagel reißen, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. 70 000 Mark! Damit wären alle Probleme gelöst. Die Bank und die BVG könnten das verschmerzen. Die Banken hatten ohnehin genug Geld. Dieser Bertolt Brecht soll gesagt haben, ein Einbruch in eine Bank sei nicht schlimmer als die Gründung einer Bank, oder so ähnlich. Die Brüder Sass kamen ihm in den Sinn. Das waren Helden. Die Jungs waren genial. Denen konnte sowieso keiner das Wasser reichen. Einen Tunnel zu graben, um einen Tresorraum auszurauben, das war nicht seine Sache. Er hatte einen anderen Plan. Aber dazu brauchte er zuverlässige Leute, ein schnelles Auto – und Waffen. Das musste alles erst organisiert werden. Er stellte sein Fahrrad ab, immer in der Angst, es könnte ihm geklaut werden, denn er hing an seinem alten verrosteten Drahtesel. Es war das einzige, was ihm sein Vater, der vor neun Jahren gestorben war, vermacht hatte. Er stellte sich in die lange Schlange der Unterstützungsempfänger und schmiedete seinen Plan.
Schöneberg, Anfang April 1932
Im Oktober 1931 hatte er eine Anstellung in einer Klempnerei bekommen. Er arbeitete viel, und wenn er Feierabend hatte, war er so müde, dass er, wenn er nach Hause kam, gleich ins Bett fiel. Nur noch selten, meistens am Wochenende, traf er sich mit den Genossen aus dem Kommunistischen Jugendverband. Politische Parolen waren nicht seine Sache. Oft verstand er nicht einmal, was die Leute da redeten. Aber die Ausflüge, die sie machten, die Zeltlager in der Mark oder an der Ostsee wollte er nicht missen. An den Plan, den Geldtransport zu überfallen, dachte er nur noch selten.
Ende Januar 1932 wurde er dann entlassen. Mist. Wieder stempeln gehen. Wieder Unterstützung. Wie sollte man mit den paar Kröten zurechtkommen? Das letzte Mal, als er arbeitslos war, hatte er das Geld von der Wohlfahrt auf Heller und Pfennig seiner Mutter gegeben. – Als Witwe mit fünf Kindern hatte sie es besonders schwer. Er fluchte vor sich hin. Die Kapitalisten lebten wie die Maden im Speck, und seine Mutter wusste nicht, wie sie die Familie satt bekommen sollte. Eine Schande ist das, dachte er.
Der Transport der BVG-Lohngelder ging ihm nun nicht mehr aus dem Kopf. Sein Billardpartner aus seiner Stammkneipe in der Yorckstraße schien ihm ein zuverlässiger Komplize zu sein. Das Wichtigste: Er konnte Auto fahren. Der Junge war nicht älter als er und hatte, bevor er arbeitslos wurde, als Chauffeur bei einer Krankentransportfirma gearbeitet und vorher in einem Taxiunternehmen. Jetzt klaute er, nur so zum Spaß, hin und wieder Autos. Einfach so, um eine Spritztour durch die Stadt oder die Mark Brandenburg zu machen. Fast alle Fahrzeugtypen konnte er problemlos starten und meisterhaft fahren.
Zu zweit war der Überfall allerdings nicht durchführbar. Er zog drei weitere zuverlässige Freunde ins Vertrauen. Über Wochen beobachteten sie gemeinsam die Geldtransporte und kundschafteten die Örtlichkeiten aus. Er besorgte für jeden eine Pistole. Bei der nächsten Gelegenheit wollten sie zuschlagen.
Charlottenburg, 29. April 1932
In einem am Vorabend in Wilmersdorf gestohlenen Wagen erwartete der arbeitslose Chauffeur seine vier Komplizen in der Nähe des Winterfeldtplatzes. Eine problemlose Flucht war somit garantiert. Während der Fahrt gab er jedem eine Pistole mit Munition. Seine Komplizen würden zunächst nur in die Luft schießen. Stellte sich ihnen aber jemand in den Weg, würden sie sofort das Feuer eröffnen, notfalls auch mit gezielten Schüssen. Dass der Transport schon heute, am 29., stattfand, war sicher, denn der 30. fiel auf einen Sonnabend. Die fünf warteten in dem gestohlenen Wagen gegenüber des Charlottenburger Rathauses. Doch der Fahrer kam heute schneller wieder aus der Bank als sonst und winkte einem Schutzmann zu, der wohl zufällig vorbeigekommen war, begrüßte ihn scheinbar herzlich und begann mit ihm zu reden.
Die fünf überlegten kurz. Sollen sie den Überfall trotzdem wagen? Zwei waren dafür. „Dann schießen wir eben. Wozu haben wir die Dinger denn?“ Die drei anderen waren dagegen. „Das gibt nur eine wilde Schießerei, und wer garantiert uns, dass wir die Kiste unter diesen Umständen überhaupt kriegen? Wir ziehen ab, Jungs. Das wird heute nichts. Zu viel Risiko. Die Gelegenheit, uns das Geld zu schnappen, kehrt alle 14 Tage wieder. Lasst uns lieber auf Nummer sicher gehen.“
Schöneberg, 13. Mai 1932, 17.20 Uhr
Das schwarze Auto hielt direkt vor dem Eingangstor der Laubenkolonie an der General-Pape-Straße. Das charakteristische schwarz-weiß gewürfelte Band, das unterhalb der Fenster um den hinteren Teil des Fahrzeugs lief, wies es als Taxi aus. Erich Salewski trat ein paar Schritte zurück auf die Veranda seiner Laube, um von der Straße nicht gesehen zu werden. Den Wagen ließ er nicht aus den Augen, denn er wollte wissen, welcher seiner Nachbarn sich ein Taxi leisten konnte. Salewski selbst fuhr bei Wind und Wetter mit seinem altersschwachen Fahrrad in den Garten, der ihn und seine Familie mit Kartoffeln, Mohrrüben, Kohl und Obst versorgte. Sogar Erdbeeren hatte er angepflanzt. Auch Kaninchen hielt er. Würde er das Grundstück und die Tiere nicht hegen und pflegen, wäre bei ihnen oftmals Schmalhans Küchenmeister. Auf seine Harke gestützt wartete er.
Plötzlich flogen fast gleichzeitig die hinteren Türen des Taxis auf. Zwei Männer sprangen heraus. Wie gelähmt vor Schreck starrte Salewski auf die Straße. Der eine Mann hatte eine Pistole in der Hand und riss jetzt den Schlag auf der Fahrerseite auf. „Raus hier, oder ich knall dich ab!“, hörte Salewski ihn brüllen. Der zweite Mann, er war ebenfalls bewaffnet, postierte sich hinter seinem Komplizen.
„Ich denke ja gar nicht...
Erscheint lt. Verlag | 29.10.2021 |
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Reihe/Serie | Gennat-Krimi |
Gennat-Krimi | Gennat-Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Berlin • BVG Lohnraub • Historischer Kriminalroman • Kommissar Ernst Gennat • Krminalroman • True Crime |
ISBN-10 | 3-96201-097-1 / 3962010971 |
ISBN-13 | 978-3-96201-097-3 / 9783962010973 |
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