Böser Abschied (eBook)
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491434-3 (ISBN)
Eva Ehley studierte Literaturwissenschaften und Mathematik und arbeitete als Lehrerin. In ihren Texten erzählt sie allerdings von Dingen, über die man in der Schule nichts lernt. Hier werden Neurotiker leicht zu Mördern, während Egoisten unter Umständen ein Helfersyndrom entwickeln. Eva Ehleys Sylt-Krimis sind klassische Whodunnits mit Tendenz zum Psychothriller. Und sie sind nicht nur an der Nordsee Kult. Ehleys Texte wurden vielfach preisgekrönt u.a. mit dem Agatha-Christie-Krimipreis. Die Autorin lebt in Berlin. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Eva Ehley studierte Literaturwissenschaften und Mathematik und arbeitete als Lehrerin. In ihren Texten erzählt sie allerdings von Dingen, über die man in der Schule nichts lernt. Hier werden Neurotiker leicht zu Mördern, während Egoisten unter Umständen ein Helfersyndrom entwickeln. Eva Ehleys Sylt-Krimis sind klassische Whodunnits mit Tendenz zum Psychothriller. Und sie sind nicht nur an der Nordsee Kult. Ehleys Texte wurden vielfach preisgekrönt u.a. mit dem Agatha-Christie-Krimipreis. Die Autorin lebt in Berlin. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Eva Ehley entwickelt rund um diesen ebenso spektakulären wie rätselhaften Mord ein kunstvolles Geflecht von Motiven und möglichen Verdächtigen.
Eva Ehley [...] versteht es auch, dem Buch eine gewisse Atemlosigkeit zu geben, eine Eigenschaft also, die quasi per Definition einen Krimi zum Thriller macht.
Die Rede ist hier von Eva Ehleys wunderschön ausgearbeiteten Roman Böser Abschied.
Samstag, 22. Juni, 03.27 Uhr, Hörnum Strand
Silja Blanck läuft die letzte Dünenschräge hinunter und springt auf den Strand. Dann nähert sie sich mit langsamen Schritten der Meereskante. Seitlich von ihr liegen drei Männer rücklings im Sand. Keiner von ihnen bewegt sich, alle drei haben die Augen geschlossen. Zwei sind ziemlich durchtrainiert mit gut geformten Brustkörben unter den Shirts und schmalen Hüften unter den gutsitzenden Jeans. Der dritte lässt auch im Liegen einen Spitzbauch unter dem geblümten Hemd ahnen. Seine Haare sind schlecht geschnitten und deutlich gelichtet. In seinen Ohren stecken AirPods. Umgeben sind die Männer von einem Kranz heruntergebrannter Fackeln. Zwischen den Fackeln stehen und liegen zwei Bierkisten, einige Chipstüten und ein paar Schnapsflaschen.
Was, wenn die auch alle tot sind?, fährt es Silja plötzlich durch den Kopf. Obwohl kein Blut zu sehen ist und auch sonst nichts auf einen Mord hindeutet, lässt sich der Gedanke nicht verjagen. Sie spürt, wie Adrenalin durch ihren Körper schießt, und sieht die Schlagzeile von morgen förmlich vor sich.
Vier Tote am Hörnumer Strand.
Vorsichtig nähert sich Silja den Männern. Ihre Gesichter wirken im Mondlicht fahl, die Münder stehen weit offen. Gift? Drogen? Siljas Gedanken überschlagen sich.
Doch dann hört sie ein lautes Schnarchen. Einer zumindest lebt. Silja tritt näher heran und inspiziert die anderen beiden. Der Spitzbauch bewegt sich beim Atmen, und der zweite Muskelmann scheint in einem unruhigen Traum gefangen zu sein, denn plötzlich wirft er den Kopf mit den wilden dunklen Locken wie ertappt in ihre Richtung.
»Hallo«, ruft Silja laut in die Runde. »Aufwachen, die Herrschaften. Hier ist die Kriminalpolizei, ich brauche Ihre Aussagen.« Aufmerksam beobachtet sie die Reaktion der drei.
Der Spitzbauch blinzelt kurz, blickt dann verwirrt in die Runde, fummelt die AirPods aus seinen Ohren und richtet sich schließlich ächzend auf. »Oh, Entschuldigung«, sagt er mit erstaunlich klarer Stimme. »Aber was machen Sie hier? Ist was passiert?«
Bevor Silja antworten kann, kommt auch in den Schnarcher Bewegung. Er verstummt für Sekunden, nur um danach laut aufzustöhnen und sich schlaftrunken aufzurappeln. Erst dann öffnet er seine Augen. Irritiert sieht er sich um, mustert zunächst seine beiden Saufkumpane und anschließend Silja mit absolut erstauntem Gesichtsausdruck.
»Ist Ihnen klar, wo Sie sich befinden?«, fragt Silja.
Nach einer kurzen Pause schüttelt er den Kopf.
»Wissen Sie Ihren Namen?«
»Jaaa.«
Trotz der eindeutigen Antwort scheint er zu überlegen. Er fährt sich mit der flachen Hand durch die etwas zu langen blondgesträhnten Haare, die in einer Stirntolle ins Gesicht fallen.
»Und? Ihr Name?«, hakt die Kommissarin nach.
»Guido Berger«, nuschelt er und nickt bestätigend, als sei er ziemlich stolz auf seine Gedächtnisleistung. »Warum fragen Sie?«
»Wir haben einen Toten oben in den Dünen gefunden. Ich würde gern Ihre Aussagen zu den letzten Stunden aufnehmen.«
»Meine?« Er runzelt die Stirn. Jedenfalls versucht er es, kann aber nur seine Augenbrauen minimal hochziehen. Botox macht’s möglich, beziehungsweise unmöglich, denkt Silja mäßig amüsiert.
Inzwischen ist auch in den Dunkellockigen Bewegung gekommen. Er wirft seinen durchtrainierten Körper unkoordiniert auf die Seite, landet mit dem Gesicht halb im Sand, atmet offenbar etwas davon ein und setzt sich heftig hustend auf. Zwischendurch schnappt er nach Luft. Trotz aller Mühen, den Hustenreiz unter Kontrolle zu bringen, schafft er es, einen anerkennenden Blick auf die Kommissarin zu werfen und ihr anschließend ein strahlendes Lächeln zu schenken.
Silja ignoriert den Blick ebenso wie das Lächeln. Der Mann ist zwar alles andere als unattraktiv, aber so einfach lässt sie sich nicht um den Finger wickeln.
»Und Ihr Name ist?«, fragt sie strenger als nötig.
»Paul.« Husten. Lächeln.
»Nachname?«
»Anklam. Paul Anklam. Wer will das wissen?« Breites Lächeln. Ganz ohne Hustenreiz.
»Silja Blanck. Kriminalpolizei.«
»Oha. Habe ich was verbrochen?«
Täuscht sich Silja, oder wird das Lächeln noch eine Spur charmanter. Der Kerl ist echt nicht aus der Ruhe zu bringen, denkt sie irritiert, aber ihrer Antwort ist nichts anzumerken.
»Sagen Sie es mir.«
Er runzelt konzentriert die Stirn und streicht sich eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht. Dann antwortet er mit schmuseweicher Stimme: »Ich habe nicht die blasseste Ahnung, sorry.« Seine entschuldigende Geste umfasst die gesamte Szenerie: erloschene Fackeln, leere Flaschen, zerknüllte Chipstüten. »War wohl ein bisschen viel Alkohol insgesamt.«
»Woran erinnern Sie sich denn noch?«
»Also, wenn Sie es genau wissen wollen …« Er macht eine Kunstpause, in der er seinen Blick über die beiden Zechkumpane, den Strand und das Meer schweifen lässt. »Ich weiß noch, dass wir Boot fahren wollten. Und dass Jan-Hendrik uns unendlich mit seinen Kinderfotos gelangweilt hat. Aber danach – keine Ahnung.« Entschuldigendes Schulterzucken, neuerliches Lächeln.
»Na super«, entfährt es Silja. »Wer ist Jan-Hendrik?«
»Ein blöder Hamburger Schnösel. Keine Ahnung, wo er und die anderen abgeblieben sind.«
»Welche anderen?«, erkundigt sie sich streng.
»Wir waren zu neunt, ursprünglich mal.«
»Wann sind die anderen sechs verschwunden?«
»Ich weiß es wirklich nicht, sorry.«
Energisch wendet sich Silja wieder dem Blondgesträhnten mit dem Mimikproblem zu. »Guido Berger, ja? Was ist mit Ihrer Erinnerung?«
»Äh, na ja. Auch nicht so gut. Ich kann mich an die Schüsse erinnern, aber danach …«
»Welche Schüsse?«, fragt die Kommissarin in scharfem Tonfall. Gleichzeitig beobachtet sie, wie der Spitzbauch dem Blondgesträhnten einen warnenden Blick zuwirft. Eigentlich hätte sie die Aussagen der drei Männer getrennt aufnehmen müssen, fährt es ihr durch den Kopf. Aber dafür ist es jetzt zu spät.
»Wie viele Schüsse haben Sie denn gehört?«, präzisiert sie ihre Frage.
»Drei«, antwortet der Blondgesträhnte.
»Können Sie das bestätigen?«, wendet sich Silja an die anderen beiden.
Der Spitzbauch nickt, der Lockenkopf zuckt die Achseln.
»Was wollen Sie damit sagen?«, hakt Silja nach.
»Nichts. Ich kann mich nur nicht erinnern. Bloß an die Angeberfotos von Jan-Hendrik. Danach ist alles weg. Vielleicht hat mir jemand K.-o.-Tropfen ins Bier getan, Frau Kommissarin.« Wieder versucht er es mit seinem charmanten Lächeln. Doch diesmal ist Silja eindeutig nicht amüsiert.
»Sehr komisch, wirklich.«
»Was ist hier komisch? Kann ich helfen?«
»Gut, dass du kommst.« Silja wendet sich um. »Bastian Kreuzer, Kriminalhauptkommissar«, stellt sie vor, während Bastian sich dicht neben ihr aufbaut und mit gerunzelter Stirn die am Boden Sitzenden mustert.
»Und diese Herren hier sind wer?«
»Paul Anklam, Guido Berger, und Ihren Namen bräuchten wir auch noch«, wendet sie sich an den Spitzbauch.
»Holger Benningsen. Mit vier n.«
»Wo sind die anderen?«, fragt jetzt auch Bastian, ohne auf die beflissene Miene des Spitzbauchs zu reagieren.
»Was meinen Sie?« Benningsen guckt irritiert.
»Na, Sie haben hier doch nicht zu dritt gefeiert.« Bastian weist auf die ausgebreiteten Decken und Handtücher.
»Nein, äh, natürlich nicht«, gibt Benningsen eilfertig zu. »Wir waren zu neunt. Ein Junggesellenabschied. Nur die besten Freunde, Sie wissen schon.«
»Und die anderen sind schon abgezogen, oder wie?«
»Gewissermaßen.« Benningsen zögert.
»Was jetzt?« Bastians Stimme ist ungeduldig.
»Sie wollten noch Boot fahren«, mischt sich Paul Anklam ein. »Habe ich das nicht vorhin schon erwähnt?« Sein fragender Blick sucht in Siljas Gesicht nach Zustimmung.
»Sie haben lediglich gesagt, dass das der Plan war. Nicht, ob es auch tatsächlich geschehen ist«, korrigiert sie.
»Hast du das noch mitgekriegt?«, wendet sich Anklam jetzt an Benningsen.
Benningsen wirft ihm einen bösen Blick zu und zuckt dann die Schultern. Anschließend konsultiert er seine Armbanduhr. »Ist schon ein bisschen her, dass sie los sind. Eine Stunde vielleicht. Vielleicht auch zwei oder drei. Wollten eigentlich runter zum Hafen, aber ob sie das auch gemacht haben … keine Ahnung.«
»Zu Fuß oder mit dem Auto?«, fragt Silja streng.
Auf den letzten Metern der Herfahrt haben Bastian und sie einen VW-Bus gesehen, der ziemlich heftig gegen einen Laternenpfahl gerauscht sein musste. Der Bus war leer, die hintere Tür stand offen. Silja hat nur schnell das Kennzeichen notiert, dann sind sie weitergefahren. Der Mord war erst mal wichtiger. Allerdings würde der Crash gut zu einem Haufen betrunkener Typen passen, die sich nachts gegen alle Vernunft noch einmal auf den Weg machen.
»Äh, zu Fuß nehme ich an. Sie waren ja alle nicht mehr ganz nüchtern«, antwortet Holger Benningsen kleinlaut.
»Sicher?«
»Nee, nicht wirklich. Also gesehen haben wir das natürlich nicht. Also nur, dass sie zu Fuß hoch zur Straße gelaufen sind, meine ich.« Er blickt sich hilfesuchend nach seinen beiden Kumpels um. Doch die zucken ratlos mit den Schultern.
»Sie kommen alle drei mit aufs Revier«, entscheidet Bastian energisch. »Für einen Alkoholbluttest. Einer der uniformierten Kollegen wird Sie gleich fahren. Außerdem brauchen wir die Namen aller Männer, die...
Erscheint lt. Verlag | 27.4.2022 |
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Reihe/Serie | Winterberg, Blanck und Kreuzer ermitteln | Winterberg, Blanck und Kreuzer ermitteln |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bastian Kreuzer • dunkles Sylt • Entführung • Ermittler-Trio • Fred Hübner • Gisa Pauly • Kommissar verschwunden • Krimi-Bestseller • Küstenkrimi • Mord • Nordsee-Krimi • Regio-Krimi • Sabine Weiß • Silja Blanck • Sommer • Spannung • Sven Winterberg • Sylt-Krimi • Sylt-Reihe • Sylt-Thriller • Thomas Herzberg • tödlicher Junggesellenabschied • Urlaubslektüre • Verschwörung |
ISBN-10 | 3-10-491434-6 / 3104914346 |
ISBN-13 | 978-3-10-491434-3 / 9783104914343 |
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