Requiem am Comer See & Letzte Klappe am Comer See (eBook)
560 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7061-5 (ISBN)
CLARA BERNARDI ist das Pseudonym der Autorin Julia Bruns, die bereits zahlreiche Regionalkrimis veröffentlichte. Julia Bruns studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie. Nach ihrer Promotion arbeitete sie viele Jahre als Redenschreiberin. Mit >Requiem am Comer See< erschien 2019 der erste Band der Comer-See-Krimireihe bei DuMont, gefolgt von >Letzte Klappe am Comer See< (2020) und >Schwarze Brillanten am Comer See< (2021).
1 Bis in die frühen Morgenstunden hatte es geregnet. Und auch nach Anbruch des Tages hingen die Wolken noch so schwer über den Gipfeln der Berge, dass sie jeden Moment wieder aufzureißen drohten. Dicke Nebelfetzen schwebten wie ein Schleier tief über dem Comer See und versperrten den Blick auf die Dörfer der verschlafenen Westseite. Unter den Schwaden jedoch leuchtete der See in einem satten Türkisblau, wie er es ausschließlich nach einem kräftigen spätsommerlichen Regenguss tat. Das Gesicht des Lago di Como wandelte sich von Stunde zu Stunde. Die Jahreszeiten, das dem Wetter geschuldete Spiel von Licht und Schatten, und auch die besondere Lage des von Bergen umrahmten Gewässers, dessen Seitentäler sich bis zum Ufer hinabzogen und die unterschiedlichsten Strömungen hervorriefen, gaben dem Lago ein ständig wechselndes, malerisches Antlitz. Das zog jeden, der es einmal gesehen hatte, in seinen Bann und ließ ihn nicht wieder los. Angelockt von dieser Einzigartigkeit, strömten jährlich Tausende Touristen in diesen Teil der Lombardei, ließen sich vom Zauber des Lario, wie die Einheimischen ihn nannten, einfangen und versuchten diese Einzigartigkeit mit unzähligen Schnappschüssen festzuhalten und zu konservieren. Doch der See gab sein Geheimnis nur selten preis. Man musste schon ein echter Comasco sein, um ihn zu verstehen.
So wie Giulia Cesare. Die schöne Lombardin lag auf der Wiese am Friedhof der Gemeinde Zana, ein kleiner Ort in den Berghängen des sich am Ostufer des Comer Sees erhebenden Grigna, sah in den Himmel und kaute auf einem Grashalm. Ihre Knie schmerzten unter dem Baumwollstoff ihrer verwaschenen kakifarbenen Hose, und die hohe Luftfeuchtigkeit hatte ihr die Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Auf ihrem blassgrauen T-Shirt, dessen Vorderseite eine verblichene Stones-Zunge zierte, zeichneten sich am Rücken und unter den Armen Schweißflecken ab. Ihre nackten, braun gebrannten Füße ruhten übereinandergeschlagen im Gras. Einige Meter neben sich hatte sie ihre Zehentrenner-Sandalen mit ergonomischem Fußbett und ihre halb volle Wasserflasche abgeworfen. Giulia spürte jeden Knochen, und sie war nicht bereit, diesen grässlichen Rasenmäher auch nur einen Meter weiter über die Anhöhe zu schieben.
»Du willst doch wohl nicht schon schlappmachen, Pipistrello«, rief ihr Mann Jacopo Pavese ihr lachend zu. Der große, kräftige Jacopo kauerte auf dem Dach des Locolu, des langen Grabgebäudes auf dem Friedhof, und schlug Nägel in die Bitumendachpappe. Seine goldbraunen Haare standen unter der Wirkung des Haargels, das er jeden Morgen großzügig darin verteilte, in alle Richtungen ab, und seinem Vollbart konnte man die intensive Pflege, die er darauf verwendete, ansehen. Das Leinenhalstuch, das er sonst stets um seinen sehnigen Hals geknotet trug, baumelte aus der rechten Gesäßtasche seiner Jeans. Sein T-Shirt war nicht halb so verschwitzt wie das von Giulia, und auch sonst machte er nicht den Eindruck, als ob ihm die körperliche Arbeit etwas ausmachte. Nur ab und zu stand er auf, federte leicht mit den Beinen auf und ab und streckte seine Gliedmaßen durch. Giulia hatte sich aufgesetzt und beobachtete ihn. Er hatte trotz seines Alters – Jacopo war dreiundfünfzig Jahre alt – noch immer einen erstaunlich sportlichen Körper. Davon hatten sich erst vor zwei Wochen alle Gäste der Osteria Sali e Tabacchi, ihrer Stammkneipe im Nachbarort Maggiana, überzeugen können. Eigentlich hatten sie und Jacopo lediglich mit Giulias bestem Freund Brutus Grazioli, dem örtlichen Briefträger, ihren Fünfzigsten begießen wollen. Dann aber war es, wie so oft, mit dem Koch Fabrizio zu einer Fachsimpelei über die richtige Zubereitung des Carpaccio di Bresaola con Rucola e Grana gekommen. Giulia vertrat dabei den Standpunkt, dass der Rucola den ausgezeichneten Geschmack des Rinderschinkens, wie man ihn nur im norditalienischen Veltlin bekam, dominierte und daher überflüssig war. Fabrizio, der Koch, argumentierte mit der Harmonie zwischen dem nussigen Salat und dem luftgetrockneten Fleisch und schimpfte Giulia eine Banausin. Irgendwann im Verlauf dieser Diskussion, die normalerweise in einer Schreierei endete, musste der gutmütige Brutus Giulias Geburtstag erwähnt haben. Wieso er diese Art des Ablenkungsmanövers gewählt hatte, war später nicht mehr zu klären gewesen. Zumal er wusste, dass es Giulia ganz und gar nicht recht war, dass die gesamte Gemeinde an ihr Alter erinnert wurde. Doch am Ende war das bedeutungslos. Hier oben am Berg kannte ohnehin jeder jeden, und vor allem kannte man Giulia Cesare. Die Anwesenden hatten sich daraufhin bemüßigt gefühlt, der Jubilarin etwas Gutes zu tun, angeführt von Fabrizio, denn ein echter Lombarde war niemals nachtragend. Im Handumdrehen war vor ihr eine Batterie ihres geliebten Amaro, des typisch italienischen Kräuterlikörs, aufgebaut worden, die sie, um niemanden vor den Kopf zu stoßen, eigentlich hätte austrinken müssen. Da Giulia aber vieles, nur nicht trinkfest war und ein derartiger Exzess für sie noch bis in den nächsten Tag hinein weitreichende Folgen gehabt hätte, hatte sich Jacopo erbarmt. Er vertrug alles Alkoholische ausgezeichnet – bis auf Kräuterlikör. Voller Eifer und mit einem fröhlichen Augenzwinkern hatte er einen Schnaps nach dem anderen auf das Wohl seiner Frau geleert. Das wiederum hatte bei ihm neben heiterer Ausgelassenheit zu dem Drang geführt, sich und insbesondere seiner Gattin zu beweisen, was er noch immer für ein Kerl war. Also hatte er sich einen Stuhl geschnappt, war in einem Satz draufgesprungen, hatte sich hingehockt und in gebückter Haltung versucht, eine Euromünze, die vor seiner Frau auf dem Fußboden lag, zu greifen. Mit erstaunlicher Gelenkigkeit war ihm dies tatsächlich gelungen, was die Zuschauer mit lauten Jubelschreien quittiert hatten. Vom Applaus angespornt, hatte er das nächste Kunststück zum Besten gegeben, bei dem er sich, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, auf dem linken Bein stehend in die Hocke begeben und dabei das andere nach vorn gestreckt hatte. Dieser weitere Beweis von Muskelkraft und Selbstbeherrschung hatte die Anwesenden zum Toben gebracht. Daraufhin hatte Jacobo noch einige akrobatische Nummern nachgeschoben, die seinen Schwiegervater, einen ehemaligen Schauspieler, mit Stolz erfüllt hätten – wenn er denn da gewesen wäre.
Ihr schmerzender Rücken holte Giulia aus ihren Gedanken. Sie war müde. Langsam stand sie auf, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, öffnete ihren Zopf, sodass ihre glänzenden schwarzen Locken auf die Schultern fielen, fasste erneut nach ihrer Haarpracht und knotete alles wieder straff zusammen. Dabei rieb sie ihre markant geschwungenen Lippen fest aufeinander, so wie es Frauen taten, die ihren Lippenstift gleichmäßig verteilen wollten. Nur dass Giulia nie welchen trug. Jetzt ließ sie ihren Blick zufrieden über den See wandern. Sie atmete tief durch und genoss die Ruhe eines Sonntagmorgens. Bis spät in die Nacht hatten sie unten am See gefeiert. Das ganze Wochenende stand im Zeichen der Giornata Mondiale dei Moto Guzzi, der Welt-Moto-Guzzi-Tage. Seit 2002 kamen Tausende von Bikern aus aller Welt einmal im Jahr an den See, um ihrer Leidenschaft für dieses außergewöhnliche italienische Zweirad zu frönen. Eine Moto Guzzi war nicht irgendein Motorrad, sie war Kult, und Mandello del Lario war für echte Fans ein Muss. Der Ort war seit der Gründung des Unternehmens 1921 der Stammsitz der Guzzi-Familie, und sogar das Grab des Gründers Carlo Guzzi befand sich auf dem direkt an das Werk grenzenden Friedhof. Dieses Jahr feierte die Guzzi ihren achtundneunzigsten Geburtstag. Zum Neunzigsten hatten die Veranstalter rund zwanzigtausend Besucher gezählt. Giulia schätzte, dass sie den Rekord diesmal noch gebrochen hatten. In der Gegend war kein freies Bett mehr zu bekommen. Die Fans campierten in Zeltstädten am See oder in den Vorgärten der Einheimischen. Seit Freitag waren die engen Gassen von Mandello komplett verstopft. Das Dröhnen der Motoren hallte tagsüber durch die Straßen und wurde allein von den Konzerten abgelöst, die ein paar überdrehte Rockbands bis weit nach Mitternacht auf der Bühne am Lago gaben. Heute Nachmittag stand der Höhepunkt des dreitägigen Spektakels an, die Parade der klassischen Guzzi-Modelle. Doch noch wirkte oberhalb des Sees alles so verschlafen wie immer.
Die Ortschaft Onno auf der gegenüberliegenden Seite des Lago, das Heimatdorf ihres Jacopos, blieb vom Nebel verschluckt, und das Spiel der Wolken verriet Giulia, dass sie gut daran taten, ihre Arbeit so schnell wie möglich zu beenden. »Wir müssen uns beeilen«, rief sie ihrem Mann zu. »Auf einem Friedhof können wir uns keine Bummelei erlauben. Erst recht nicht, wenn morgen Vormittag die Beerdigung von Großvater De Luca ansteht.« Der alte Knabe hatte zur Verwunderung aller darauf bestanden, die letzte Ruhe neben seiner Frau zu finden. Wo sonst konnte er absolut sicher sein, dass seine Gattin nie mehr keifen würde. Sein letzter Wunsch sollte dem Verblichenen erfüllt werden. Nur dass bei dem maroden Dach in Verbindung mit Regenschauern den Trauergästen morgen, noch bevor sie die Urne hier hereinschieben konnten, das Wasser aus dem geöffneten Grabfach entgegenschießen würde. Das wiederum würde die Trauerzeremonie und vor allem die Laune des Prete Filippo, des Gemeindepfarrers, empfindlich stören. Beides musste Giulia unbedingt verhindern, und so hatte sie dem alten Campanaro Chiapponi seine Bitte, den Friedhof für die Beerdigung herzurichten, nicht abschlagen können. Überhaupt sagte Giulia nie Nein, wenn jemand aus der Gemeinde ihre Hilfe brauchte. Oftmals jedoch waren auch die Fähigkeiten ihres Jacopo gefragt, denn begabte Handwerker waren rar. Abgesehen davon war dieser Friedhof,...
Erscheint lt. Verlag | 1.11.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller | |
Schlagworte | 2in1 Krimi • Alpen • batrogene ehefrau • Bellagio • Comer See • Cosy Crime • cover mit comer see • ebook bundle • ebook im Paket • Ermittlerkrimi • Ermittlungen • Erster Fall • Filmset • Italien • Italienisches Essen • Italien Krimi • kommissarin giulia cesare • Krimi Angebot • Krimi für den Urlaub • Krimi Italien • Kriminalroman • Landhaus Krimi • Mailänder Scala • Mord • Mord am comer see • neue Krimireihe • Norditalien • Regionalkrimi • Sehnsuchtsort • Serienstart • Suche nach Liebe • unterhaltsamer Krimi • Urlaubsidylle • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre • Urlaubsort • weibliche Ermittler • Zwei eBooks • zwei Krimis • Zwei Krimis Sonderangebot |
ISBN-10 | 3-8321-7061-8 / 3832170618 |
ISBN-13 | 978-3-8321-7061-5 / 9783832170615 |
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