Für immer sollst du schweigen (eBook)
448 Seiten
beTHRILLED (Verlag)
978-3-7517-1631-4 (ISBN)
Wie gut kennst du die Menschen, die du liebst?
Maggie lebt in einer typischen Kleinstadt: Jeder kennt jeden, Geheimnisse gibt es nicht. Aber dann verschwindet die junge Charlene, und die perfekte Fassade beginnt zu bröckeln - denn es ist nicht das erste Mädchen, das verschwindet. Der Fall wird für Maggie umso dramatischer, als ihr eigener Sohn Ricky verdächtigt wird. Und auch ihr Ehemann, der die polizeilichen Ermittlungen leitet, scheint mehr über das verschwundene Mädchen zu wissen als er sollte ...
'Ein meisterhafter Thriller.' Freizeit Extra Plus
Ein packender Psychothriller der New-York-Times-Bestsellerautorin Lisa Unger.
eBooks von beTHRILLED - Mörderisch gute Unterhaltung!
EINS
Als die Fliegentür krachend ins Schloss fiel, hüpfte ihr Herz vor Freude. Aber dann spürte sie sofort die Ernüchterung, und ein kleiner Abgrund tat sich in ihrer Seele auf. Fast hörte Maggie ihren Sohn, wie er früher einmal gewesen war – immer im Laufschritt, immer schmutzig vom Fußballtraining, ständig auf dem Fahrrad in der Nachbarschaft unterwegs. Beim Nachhausekommen war er immer hungrig oder durstig gewesen und hatte sich direkt auf den Kühlschrank gestürzt. Mom, ich will was essen. Er war voller Liebe gewesen und immer bereit, sie zu umarmen und zu küssen, ganz anders als seine Freunde, die damals schon vor ihren Müttern zurückschreckten, als wäre ein Kuss so unangenehm wie eine Impfung. Er hatte viel gelacht. Er war ein Clown, der auch sie zum Lachen bringen wollte. Es war noch gar nicht so lange her, dass ihr Sohn Ricky hieß, nicht Rick. Aber heute war dieser kleine Junge so weit weg, als
wäre er in eine Rakete gestiegen und zum Mond geflogen. Rick kam in die Küche. Er überragte sie um einen ganzen
Kopf und war von oben bis unten in Schwarz gekleidet – schwarze Jeans, sorgfältig zerrissenes, durchlöchertes T-Shirt und knöchelhohe Schnürstiefel von Doc Martens, obwohl es heute ungewöhnlich warm war. Maggie fand es geradezu schwül, wobei daran vielleicht nur die Hormone schuld waren. An den silbernen Nasenring ihres Sohns hatte sie sich längst gewöhnt, eigentlich fand sie ihn ganz cool.
»Hey, Mom.«
»Hallo, Schatz.«
Er machte sich daran, alle Schränke aufzureißen. Maggie versuchte, nicht hinzusehen. Sie hatte am Küchentresen gestanden und in einem Katalog mit lauter Schnickschnack geblättert, den kein Mensch brauchte. Sie spähte aus den Augenwinkeln hinüber. Gestern war er mit einer Tätowierung nach Hause gekommen, einem abstrakten Stammeszeichen, das sich über den ganzen Unterarm schlängelte. Es war entsetzlich und noch nicht fertig; man sah kaum mehr als einen nicht ausgemalten Umriss. Die Fertigstellung würde noch einige Sitzungen dauern, und um die bezahlen zu können, musste Ricky noch lange jobben. Auf keinen Fall würde Maggie dafür bezahlen, dass er sich verschandeln ließ. Nicht dass er sie um das Geld gebeten hätte.
Die wunde, gereizte Haut an Rickys Unterarm war von einer glänzenden Schutzschicht aus Vaseline bedeckt. Allein beim Anblick wurde Maggie übel. So traurig machte sie das.
Sie musste immerzu daran denken, wie perfekt und makellos er gewesen war, wie weich seine rosige Babyhaut. Wie warm sich sein kleiner, wohlgeformter Körper angefühlt hatte, und wie sie ihn abgeküsst und seine Schönheit bewundert hatte. Als junge Mutter hatte sie sich nicht von ihm losreißen können. Nun starrte sie angestrengt in den Katalog, um ihren Sohn und das, was er mit sich angestellt hatte, nicht mehr sehen zu müssen.
Der Familienkrach von gestern lag hinter ihnen; sie hatten alles gesagt, was zu sagen war. In drei Wochen wurde er achtzehn Jahre alt. Sie war nicht mehr für seinen Körper verantwortlich. Du hast nicht das Recht, mich zu kontrollieren, hatte er ihr vorgeworfen. Ich bin kein Kind mehr. Natürlich hatte er recht. Das verletzte sie am meisten.
»Halb so wild, Mom«, sagte er, als könnte er ihre Gedanken lesen. Er durchwühlte die Post auf dem Tresen. »Viele Leute haben ein Tattoo.«
»Ricky«, sagte sie und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Aber anstatt weiterzusprechen, atmete sie ganz langsam aus. Manche Sachen konnten nie wieder rückgängig gemacht werden. Er würde dieses Ding für immer mit sich herumtragen. Vielleicht würde es ihr eines Tages nicht mehr auffallen, so wie seine Haarfarbe, die sich ständig änderte und heute rabenschwarz war. Er stellte sich neben sie und küsste sie auf den Scheitel.
»Ich bin kein Baby mehr.«
»Für mich schon, Ricky«, sagte sie. Er wollte sich abwenden, aber sie packte ihn und zog ihn an sich. Er erwiderte die Umarmung.
»Rick«, korrigierte er sie, drehte sich um und ging zum Kühlschrank.
»Ricky, für immer«, sagte sie. Ihr war klar, wie albern und dickköpfig das klang. Er hatte einen Anspruch darauf, sich seinen Namen selbst auszusuchen, oder? Hatte sie ihm nicht beigebracht, für sich einzustehen, Grenzen zu ziehen, Respekt einzufordern?
»Mom.« Ein Wort. Ein sanfter Tadel und eine Aufforderung an sie, sich zu beruhigen.
Sie musste lächeln und spürte, wie ihre Anspannung nachließ. Egal, wie traurig oder wütend sie war, die Chemie zwischen ihnen machte jeden Streit praktisch unmöglich. Bevor sie laut wurden oder mit Türen knallten, konnten sie ebenso gut in Gelächter ausbrechen. Zwischen Ricky und seinem Vater sah die Sache anders aus. Wenn ihr Mann und ihr Sohn stritten, wurde Maggie klar, dass manche Menschen niemals lernen würden, miteinander auszukommen.
»Was macht deine Band?«, fragte sie. Ein Themenwechsel täte ihnen beiden gut.
»Nicht gerade viel. Charlene und Slash haben sich gestritten. Sie hat seine Gitarre kaputt gemacht. Er kann sich keine neue leisten. Wir hatten eh keine Auftritte geplant. Vielleicht legen wir eine Pause ein.«
»Wer ist Slash?«
»Du weißt schon. Billy Lovett.«
»Oh.« Billy mit dem goldblonden Haar und den meergrünen Augen, der Charmeur, der Starkicker, seinerzeit der Schwarm aller Viertklässlerinnen. Inzwischen standen er und Ricky kurz vor dem Schulabschluss und hatten mit den beiden Jungs, deren Augen auf den alten Klassenfotos schelmisch blitzten, nichts mehr gemein. Heute sahen sie eher so aus, als verschliefen sie die den Tag in einem Sarg. Dass Billy
»Slash« genannt werden wollte, war ihr ganz neu.
»Tut mir leid«, sagte sie. Ehrlich gesagt fand sie die Band schrecklich. Charlenes Gesang konnte bestenfalls als mittelmäßig durchgehen. Ricky spielte seit der vierten Klasse Schlagzeug, seine Technik war in Ordnung, aber er besaß kein besonderes Talent – zumindest nicht in Maggies Ohren. Billy alias Slash war ein ganz passabler Gitarrist, aber wenn die drei zusammen musizierten, kam nichts heraus als aggressiver Krach, der Maggie innerlich zusammenzucken ließ.
»Wow«, hatte sie gesagt, nachdem sie und Jones im vergangenen Jahr den Bandwettbewerb in der Schule verfolgt hatten. Ricky und seine Freunde hatten es unter die letzten drei Bands geschafft, schließlich aber gegen die gleichermaßen unbegabte, lärmende Konkurrenz verloren. »Ich bin beeindruckt.«
Ricky schenkte sich einen Orangensaft ein, wobei er es schaffte, die Granitarbeitsplatte und gleichzeitig den frisch geputzten Küchenboden zu bekleckern. Maggie griff zum Lappen, um die Flecken aufzuwischen.
Das ist dein Problem. Du sitzt ihm ständig im Nacken und räumst hinter ihm her. Er meint, er könnte sich alles erlauben. Die heftigsten Auseinandersetzungen mit ihrem Mann hatte sie wegen Ricky, ihrem einzigen Kind. Anscheinend nahm Jones gar nicht wahr, dass sein Sohn, »der Spinner«, wie er ihn nannte, überdurchschnittlich gute Noten nach Hause brachte und einen rekordverdächtigen Schulabschluss machen würde. Sowohl Georgetown als auch die New York University hätten ihn liebend gern aufgenommen; die Zusagen hingen an der Kühlschranktür, wo Maggie früher Ricks Wachsmalbilder und Stundenpläne befestigt hatte. Und das waren nur die ersten zwei Antwortschreiben.
Wozu soll das gut sein, wenn er gar nicht studieren will? Er ist ein schlaues Kerlchen – und dann fällt ihm nichts Besseres ein, als sich die Nase piercen zu lassen?
Aber Maggie kannte ihren Sohn. Er hätte sich nicht die Mühe gemacht, so viele Bewerbungen zu schreiben, wenn sich hinter der Punkerfrisur und dem Tattoo nicht jemand versteckte, der den Wert einer guten Ausbildung zu schätzen wusste. Schließlich wollte er nicht sein ganzes Leben im einzigen Plattenladen der Stadt verbringen.
»Geht ihr, du und Charlene, zum Winterball?«
Rick warf ihr einen scharfen Blick zu. Seine hellwachen Augen nahmen sie ins Visier. Sie waren schwarz, so tiefschwarz wie die seines Großvaters. Manchmal sah Maggie die Stärke und Weisheit ihres Vaters in Ricks Augen, manchmal nur ein kurzes Aufblitzen, das einem lakonischen Witz oder beißendem Spott voranging. So wie jetzt.
»Du machst Witze«, sagte er.
»Nein«, antwortete sie gedehnt. »Nein, ich mache keine Witze. Es wäre bestimmt ein großer Spaß.«
»Äh, nein, Mom. Wir gehen da nicht hin. Außerdem sind es bis dahin noch ein paar Monate.«
»Du könntest als du selbst hingehen, in deinem Stil.« Maggie hielt immer noch den Lappen in der Hand und war dabei, Oberflächen abzuwischen, die nicht abgewischt werden mussten – den verchromten Brotkasten, den Grill, die Tonschüssel aus Italien, in der das Obst lag, falls sie Obst im Haus hatten, was im Moment nicht der Fall war. Sie müsste dringend einkaufen gehen. Gott behüte, dass Jones oder Ricky auf die Idee kamen, sich unaufgefordert die Liste vom Küchentresen zu schnappen und zum Supermarkt zu fahren. Nein,...
Erscheint lt. Verlag | 30.9.2021 |
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Übersetzer | Eva Bonné |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Fragile |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Angst • bethrilled • Domestic Thriller Kleinstadt • Drama • Ehemann • entführte Mädchen • Entführung • Familie • Familiendrama • Familiengeheimnisse • Frau in Gefahr • Jenny Blackhurst • Karen Rose • Kindesentführung • Kleinstadtthriller • Ladythriller • Lisa Gardener • Mann • psychologisch • Psychothriller • Psychothriller für Frauen • Romane für Frauen • Romantic Thrill • Small Town • Sohn • spannend • Spannung Beziehung • Starke Frau • Thriller • Thriller 2021 • Thriller für Frauen • Thriller Neuerscheinungen 2021 • Thriller Serienkiller • Thriller über Familienleben • Thriller USA • Verschleppte Mädchen • verschwunden Mädchen |
ISBN-10 | 3-7517-1631-9 / 3751716319 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1631-4 / 9783751716314 |
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