Die Entführung (eBook)
500 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2619-8 (ISBN)
USA, Präsidentschaftswahlkampf 2000: Allison Leahy, erfolgreiche linksliberale Staatsanwältin, is going for President! Ihr Gegenspieler, General Lincoln Howe, versucht mit allen Mitteln, den Umfragenvorsprung der beliebten Juristin aufzuholen.
Da wird seine Enkelin gekidnappt. Das FBI schaltet sich ein. Hat Lincoln Howe die Entführung inszeniert, um Allison, die Leiterin des FBI, in ein schlechtes Licht zu stellen? Und was hat die Entführung von Allisons Adoptivtochter Emily, die sich vor acht Jahren ereignete und niemals aufgeklärt wurde, mit dem aktuellen Fall zu tun?
James Grippando ist Autor diverser New York Times-Bestseller. Er arbeitete zwölf Jahre als Strafverteidiger bevor sein erstes Buch' Im Namen des Gesetzes' 1994 veröffentlicht wurde und ist weiterhin als Berater für eine Kanzlei tätig. Er lebt mit seiner Familie im Süden Floridas.
Prolog: März 1992
Um elf Uhr war das Geschrei endlich vorbei.
Es hatte als Wimmern begonnen, schwach, aber gleichmäßig. Mit jedem zittrigen Atemzug war es stärker, von Minute zu Minute schriller geworden und gipfelte schließlich in einem verzweifelten Urschrei, der sich über die Grenzen von Sprache hinwegsetzte und kaum noch menschlich klang.
Wie jede Nacht schauderte es Allison Leahy auch heute nacht vor den Schreien ihrer vier Monate alten Tochter. Daß der Kinderarzt ihr erklärt hatte, das sei »normal«, machte es ihren Ohren auch nicht angenehmer. Irgend etwas mußte ihr Baby beunruhigen, obwohl Allison das deutliche und hilflose Gefühl hatte, daß Klein Emily wahrscheinlich ihre Pubertät erreichen würde, bevor Mami es begriffen hatte.
Sie hatte einige Theorien – besser gesagt, Ängste, die sie in Anfällen von Panik quälten. Es konnte etwas Ernstes sein, ein psychologisches Anzeichen dafür, daß Emily ihre Adoptivmutter ablehnte. Vielleicht war es eins dieser gefürchteten Syndrome, das Vermächtnis einer unbekannten jungen Mutter, deren pränatale Diät aus Wodka und Zigaretten bestanden hatte. Oder war Allison selbst das Problem? Es war sehr gut möglich, daß ihre Freunde recht hatten: Es war verrückt von einer neununddreißigjährigen Karrierefrau, ein Neugeborenes zu adoptieren, ohne daß ein Vater in Sicht war.
Glücklicherweise löste sich ihre Paranoia für gewöhnlich beim bloßen Anblick dieses kleinen Gesichts auf – wenn sie die Stupsnase sah und den perfekten kleinen Mund, Züge, die die Leute dazu veranlaßten, zu sagen, sie sähe genau aus wie ihre Mutter. Nicht wie ihre biologische Mutter. Wie ihre wirkliche Mutter. Allison genoß diese Ähnlichkeit, auch wenn sie nur Zufall war.
»Schläfst du, mein Herzchen?« flüsterte sie voller Hoffnung.
Emily lag zusammengesunken in ihrem Autositz, das Doppelkinn auf der Brust. Die Stille war eine deutliche »Antwort«.
Allison schaltete den Wäschetrockner aus. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, woher sie den hilfreichen Tip hatte, aber ein Kleinkind in einem Autositz auf einen warmen, vibrierenden Trockner zu setzen wirkte wie mechanischer Baldrian. Sie nahm ihr Baby in die Arme und ging durch die Küche. Vor dem tragbaren Fernseher, der auf der Küchenanrichte stand, blieb sie stehen. Anthony Hopkins bedankte sich glücklich bei der Academy für seinen Oskar als bester Darsteller. Emily riß ihre verschlafenen Augen auf, als wäre sie irgendwie von der Magie Hollywoods gebannt.
Allison lächelte, ging weiter den Flur entlang ins Kinderzimmer und redete in einem weichen, rührseligen Mami-Tonfall auf ihr Baby ein. »Irgendwann wirst du da stehen, mein Herzchen. Vielleicht merken dann sogar die alten Hollywood-Dummköpfe, daß sie ja auch keine getrennten Auszeichnungen für den besten Regisseur und die beste Regisseurin vergeben. Also müssen sie auch nicht den besten Hauptdarsteller und die beste Hauptdarstellerin getrennt ehren. Du wirst Emily Leahy, der beste Hauptdarsteller, sein. Besser als alle Jungs und alle Mädchen. Weil du die Beste bist. Ja«, schwärmte sie, »das bist du: die Beste!«
Sie legte ihren kleinen Vierzehnpfundgewinn auf die rosafarbenen Baumwolldecken im Gitterbettchen, dankbar dafür, daß ihre chronische Unfähigkeit, ihre Meinungen für sich zu behalten, diesmal nicht dazu geführt hatte, daß sie völlig vergeblich neunzig Minuten lang über dem Wäschetrockner ausgeharrt hatte. Emily schlief tief und fest. Vielleicht würde sie sich ja an eine Mutter gewöhnen, die sich nicht scheute, ihre Ansichten zu vertreten. Das würde ich ihr auch raten, dachte Allison.
Allison war während der Eisenhower-Ära in einer kleinen Stadt nördlich von Chicago aufgewachsen, wo sie im Alter von neun Jahren von der katholischen Schule geflogen war. Sie hatte einer alten Nonne, die gemeint hatte, ihre Mutter käme in die Hölle, weil sie geschieden war, eine dicke Lippe verpaßt. Den Rest ihrer Schulzeit absolvierte sie an einer staatlichen High-School, und ihr Studium am University of Illinois College of Law schloß sie im 76er Jahrgang als Zweitbeste ab. In lediglich zwei Jahren erlangte sie nationale Anerkennung als Beraterin für eine Verbraucherschutzorganisation. Elf Kleinkinder, von denen man angenommen hatte, sie seien den plötzlichen Kindstod gestorben, waren in Wirklichkeit Opfer von Billigplüschtieren, deren Füllmaterial Rückstände von geruchlosen, aber hochtoxischen Lösungsmitteln enthielt. Allison hatte der Regierung den Weg geebnet, wasserdichte Strafanzeigen gegen die Topmanager zu erstatten, die für diese dubiosen Methoden der Kostensenkung verantwortlich waren. Ihre Beharrlichkeit hatte die Aufmerksamkeit des Bundesstaatsanwalts auf sich gezogen, der sie auf der Stelle einstellte. In sechs Jahren hatte sie nicht einen einzigen Fall verloren. Nach vierjährigem Arbeitsaufenthalt in Washington als bislang jüngste Vorsitzende der Abteilung »Public integrity« im Justizministerium kam sie zurück nach Chicago und betrat die Bühne der großen Politik. Im Alter von sechsunddreißig Jahren gewann sie das heiß umkämpfte Rennen um den Posten des Bezirks-Staatsanwalts von Cook County mit sechzig Prozent der Stimmen. Die weibliche Hälfte der Wählerschaft hatte auf ihre Botschaft, Frauen würden zu oft das Opfer von Gewaltverbrechen, eine deutliche Antwort gegeben. Aber selbst ihre eigenen Demoskopen waren sich nicht sicher, ob ihre männlichen Wähler sich von ihren Wahlaussagen hatten leiten lassen oder von dem, was ihr sexistischer Gegenspieler den »Grace Kelly-Faktor« genannt hatte. Die Bürde ihrer dreijährigen Amtstätigkeit hatte ihrem Äußeren nichts anhaben können, auch wenn ihre blonden Haare mittlerweile schulterlang waren und in ihren haselnußbraunen Augen immer häufiger Skepsis aufblitzte. Wie ihre Mutter kürzlich gesagt hatte, war sie eine Frau im Übergang von strahlender Schönheit zu eleganter Selbstgewißheit.
»Gute Nacht, mein Liebling«, sagte sie und gab Emily einen Kuß auf die Stirn. Sie legte den Sender des Babyphons auf die Kommode neben dem Kinderbett. Der kleine drahtlose Empfänger paßte gut in die tiefe Tasche ihres Frotteebademantels. Sie stellte die Lautstärke ein. Es war, als würde man das eigene Baby belauschen, ein Abhörgerät, das es besorgten Eltern erlaubte, im Haus herumzulaufen oder in einem anderen Raum zu schlafen, ohne ein einziges Quäken oder Glucksen zu überhören. Allison stellte das Gerät auf gleichmäßigen Empfang, dann schaltete sie die Winnie-Puuh-Lampe auf der Kommode aus und ging in ihr Schlafzimmer.
Das Telefon klingelte, und sie geriet in Panik. Sie schnappte sich den schnurlosen Hörer und lief ins Gästeschlafzimmer am anderen Ende des Hauses, weit weg von ihrem schlafenden Engel, der es ihr übelnehmen würde, wenn er jetzt aufwachte.
»Hallo«, sagte sie mit heiserem Flüstern.
»Ich bin’s, Mitch.«
Sie seufzte. Mitch O’Brien, ihr Exverlobter. Ihre Beziehung hatte drei Jahre gedauert, bis Allison sich schließlich eingestehen mußte, daß ihr Versäumnis, sich auf einen Hochzeitstermin festzulegen, nicht nur Verzögerungstaktik gewesen war. Vor knapp acht Monaten hatten sie sich gütlich getrennt, aber seit er sich vor drei Monaten gemeldet hatte, um ihr zu ihrer Adoption zu gratulieren, hatte er es sich angewöhnt, jeden Montagabend anzurufen. Allison hatte nichts dagegen einzuwenden, aber als sie ihm vorgeschlagen hatte, sie könnten ja Freunde bleiben, hatte sie nicht beste Freunde gemeint.
»Und wie geht’s der kleinen Miss America?« fragte er.
»Das war letzte Woche. Diese Woche ist sie bester Darsteller.«
»Du meinst beste Darstellerin.«
»Das wird sich noch herausstellen«, sagte sie geziert.
Ein zufriedenes Glucksen rauschte im Babyphon. Emily schien ihr zuzustimmen.
Allison lächelte. »Sie plappert neuerdings so munter drauflos, daß ich sie darauf vorbereiten sollte, im Jahre 2010 Oprah zu ersetzen. Wäre das nicht ein guter Einstieg? Michael Crichton und Martha Stewart könnten gemeinsam ihr vorzügliches neues Mittel gegen Krebs anpreisen.«
Mitch lachte, dann wechselte er das Thema. Er ging schnell dazu über, sie auszuhorchen, wie es bei ihr mit Männergeschichten aussah. Es gab da wirklich etwas »Neues von Bedeutung«, obwohl eine Wochenendbeziehung zu einem Mann, der in New York lebte, schwerlich als bedeutsam bezeichnet werden konnte im Vergleich zu dem, was sich im Nebenraum abspielte. Allison war schon nicht mehr bei der Sache, statt dessen konzentrierte sie sich auf die Geräusche des Wohlbefindens aus dem Babyphon. Alles andere nahm sie gar nicht mehr wahr – Mitchs Worte, das Verrinnen der Zeit.
Alles auf der Welt, das sich nicht um Emily drehte.
Aus dem Funkgerät drangen Störgeräusche. »Der Lauscher« hatte neunzig Minuten lang am Ende der Straße Royal Oak Court geparkt, wo der Empfang laut und deutlich gewesen war. Ein gleichmäßiger Refrain aus Glucksern und Seufzern, gefolgt von zeitweiligem Schnauben – der kindlichen Version, Baumstämme zu sägen. Nun aber waren nur nervende Funkstörungen zu vernehmen, gewürzt mit gelegentlichen Einsprengseln einer hirnverbrannten Unterhaltung zwischen Allison Leahy und Mitch O’Brien.
Sie hat ein schnurloses Telefon, stellte er fest. Die kombinierten Sendefrequenzen verfälschten das Signal, das er aus Leahys Babyphon empfing.
Er schaltete den elektronischen Scanner am Armaturenbrett aus. Das Knistern hörte auf. Im Kleinbus war es dunkel und still. Er öffnete das Fenster auf der Fahrerseite einen...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2021 |
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Reihe/Serie | James Grippando Thriller | James Grippando Thriller |
Übersetzer | Norbert Möllemann |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | THE ABDUCTION |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | angeklagt • Anwalt • David Baldacci • Fehlurteil • Grippando • Jack Swyteck • Justiz • Mörder • Randy Singer • Thriller |
ISBN-10 | 3-8412-2619-1 / 3841226191 |
ISBN-13 | 978-3-8412-2619-8 / 9783841226198 |
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