Seit Jahren wird FBI-Agentin Atlee Pine von ihrer Vergangenheit heimgesucht: Ihre Zwillingsschwester Mercy wurde als Kind entführt und Atlee damals schwer verletzt. Seitdem versucht sie, das Rätsel um Mercy zu lösen - denn auch ihr Job steht auf dem Spiel. Gemeinsam mit der unbeirrbaren Carol Blum folgt Atlee einer heißen Spur nach New Jersey. Dort sprengt sie versehentlich die Ermittlungen ihres alten Bekannten John Puller, der als Spezialermittler der Militärpolizei eine andere Sorte Verbrecher verfolgt. Doch dann ergeben sich Verbindungen zwischen ihren Fällen. Kann Puller helfen, Mercy zu finden? Die Wahrheit, die endlich ans Licht kommt, ist schockierender als alles, was Atlee sich ausgemalt hat.
David Baldacci, geboren 1960 in Virginia, arbeitete lange Jahre als Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist in Washington, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Sämtliche Thriller von ihm landeten auf der New York Times-Bestsellerliste. Mit über 150 Millionen verkauften Büchern in 80 Ländern zählt er zu den beliebtesten Autoren weltweit.
»Ein fesselndes Rätselspiel« The Sunday Times
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Zwei Tage später fuhr Pine in ihrem Mietwagen durch ein Arbeiterviertel in den Außenbezirken von Trenton. Sie dachte darüber nach, was sie zu Anthony »Tony« Vincenzo sagen würde, der gelegentlich in dem Haus wohnte, das sein Vater Teddy allem Anschein nach von seinem Vater Ito geerbt hatte – jenem Monster, das Pine für die Entführung ihrer Schwester verantwortlich machte. Wenn möglich, wollte sie sich die bürokratischen Prozeduren ersparen, die nötig wären, um Teddy Vincenzo im Gefängnis zu besuchen. Teddys Sohn Tony war die naheliegende Option – nur dass Pines momentaner Gemütszustand die Gefahr heraufbeschwor, dass sie den Kerl über den Haufen schoss, falls er sich als widerspenstig erwies.
Als Enkel von Ito Vincenzo konnte Tony möglicherweise wichtige Infos über seinen Großvater beisteuern – vielleicht sogar, wo er sich aufhielt, falls er noch lebte. Diese Informationen wiederum konnten Pine möglicherweise zu Mercy führen, und nur deshalb war sie hier. Der Weg zu Mercy war lang und verschlungen; an manchen Tagen erschien Pine das Ziel so unerreichbar wie der Mond. Doch nach dem jüngsten Durchbruch würde sie nicht einfach aufgeben. Und wenn dafür mehr als nur ein paar Tage nötig sein sollten, dann war es eben so.
Du darfst nur nicht wieder die Beherrschung verlieren, beschwor sie sich.
Bevor sie die Ermittlungen in den Andersonville-Morden aufgenommen hatte, war Pine mit einem pädophilen Mörder aneinandergeraten, der in Colorado ein kleines Mädchen entführt hatte. Leider war die Sache eskaliert. Ihr Zorn, von der Erinnerung an die Entführung ihrer eigenen Schwester angefacht, hatte sie völlig die Beherrschung verlieren lassen. Sie hatte den ausfälligen Mistkerl beinahe zu Tode geprügelt und damit gegen alle Regeln des FBI verstoßen. Daraufhin hatte Clint Dobbs sie vor die Wahl gestellt, ihre persönlichen Angelegenheiten ein für alle Mal zu klären oder sich ein anderes Betätigungsfeld zu suchen. Doch Pine brauchte keine zusätzliche Motivation, weder von Dobbs noch von sonst jemandem. Sie war bereit, nötigenfalls ihre FBI-Laufbahn hinzuschmeißen, um Mercy zu finden.
Es geht hier nicht bloß darum, den Kopf für meinen Job freizukriegen, überlegte sie. Solange ich nicht weiß, was genau mit Mercy passiert ist, werde ich mein ganzes Leben nicht auf die Reihe bekommen.
Es war ein beängstigendes Eingeständnis, hatte aber auch etwas Befreiendes.
Mit ihrer Glock und einer kompakten Beretta Nano als Zweitwaffe im Fußholster – für den Fall, dass die Situation eskalierte, was in ihrem Job nicht selten vorkam –, hielt Pine drei Häuser vor Vincenzos bescheidener, mit Bitumenziegeln gedeckter Behausung.
Die schmucklosen, anderthalbstöckigen Häuser an der Straße ähnelten einander sehr. Es war eine Wohnsiedlung, wie sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Randbezirken fast aller größeren Städte in den USA entstanden waren, nachdem die »Boys« aus dem Krieg gegen Hitler, Mussolini und Kaiser Hirohito heimgekehrt waren. Neun Monate später wurden in Siedlungen wie diesen die ersten von Millionen Babyboomern geboren, aus denen inzwischen die Großeltern der Millennials und der Generation Z geworden waren. Übrig geblieben waren diese schmucklosen, teils heruntergekommenen Häuser, in denen insbesondere die ältere Generation, aber auch viele junge Leute wohnten, die auf dem Sprung ins Leben standen.
Obwohl die Häuser eine monotone Uniformität aufwiesen, gab es doch deutliche Unterschiede. Manche Gärten waren gepflegt, die Hauswände frisch gestrichen, und in den Auffahrten standen chromblitzende Limousinen. Andere Häuser hingegen wirkten trist und verwahrlost. Die Gärten waren verwildert, und manche der am Straßenrand geparkten Autos waren rostige Wracks, mit Ziegelsteinen aufgebockt. Von den Fassaden blätterte der Putz, und an manchen Eingangstüren fehlte die Glasscheibe. Hier und da gab es nicht mal einen Briefkasten, und die Auffahrten waren von Unkraut überwuchert.
Pine sah drei heruntergekommene Häuser mit Einschusslöchern in der Fassade. Vor einem flatterte sogar noch ein Absperrband im Wind, das die Bruchbude als Tatort kennzeichnete.
Auch Anthony Vincenzos Zuhause gehörte zur Kategorie der Bruchbuden. Doch für Pine spielte es keine Rolle, wie Tonys Behausung aussah. Das Einzige, was sie interessierte, waren Tonys Erinnerungen an seinen Großvater Ito und andere, die an dem Albtraum beteiligt gewesen waren, den die Pine-Schwestern als kleine Mädchen durchgemacht hatten.
Pine stieg aus dem Wagen und betrachtete das Haus einen Moment lang. Hier also hatte Ito Vincenzo, dieses Ungeheuer, mit seiner Familie gewohnt. Pine hatte keine Ahnung, wie Ito als Vater und Ehemann gewesen war. Aber wenn er es fertiggebracht hatte, ein kleines Mädchen halb totzuschlagen und ein anderes zu verschleppen und Gott weiß was mit ihm anzustellen, konnte Pine sich diese Bestie nur schwer als liebevollen Vater vorstellen.
Itos Enkel Tony arbeitete in Fort Dix, dem Militärstützpunkt etwa zehn Kilometer südlich von Trenton. Das Gefängnis, in dem Tonys Vater Teddy einsaß, gehörte zu diesem Komplex. Vielleicht wollte der Sohn seinem Erzeuger nahe sein. In diesem Fall war es denkbar, dass Tony ihn regelmäßig besuchte; möglicherweise hatte er von Teddy dabei einiges über seinen Großvater Ito erfahren.
Pine trat auf den Bürgersteig, der an vielen Stellen vom Frost aufgeworfen und rissig war, ohne dass jemand sich die Mühe gemacht hätte, die Schäden zu beseitigen. Für einen Moment sah Pine vor dem geistigen Auge, wie Ito, jenes Monster, das Mercy entführt und sie selbst beinahe umgebracht hätte, lässig über den Bürgersteig schlenderte, eine Zigarette im Mundwinkel. Das Bild verschlug ihr schier den Atem; sie verscheuchte es hastig, wartete einen Moment, bis sie sich wieder gefangen hatte, und ging weiter.
Sie gelangte zur Haustür, spähte durch eines der Seitenfenster. Drinnen rührte sich nichts. Falls Tony in die Fußstapfen seines Vaters getreten war, schien er seine kriminellen Geschäfte nicht im Erdgeschoss zu betreiben, sondern in der Abgeschiedenheit des Kellers. Andererseits ging er in Fort Dix einer geregelten Arbeit nach; es konnte also durchaus sein, dass er ein gesetzestreuer Bürger war.
Pine klopfte an. Keine Reaktion. Sie klopfte erneut. Wieder nichts. Sie ließ den Blick schweifen, schaute zum Haus nebenan, vor dem eine alte Frau in einem Schaukelstuhl auf der Veranda saß. Ihr dünnes graues Haar, mit einer frischen Dauerwelle in Form gebracht, ließ an manchen Stellen die Kopfhaut durchschimmern; es sah aus, als würde die Sonne zwischen den Wolken hervorblinzeln. Die Frau ignorierte Pine und richtete ihre bebrillten Augen auf irgendeine Strickerei, mit der sie sich beschäftigte. Der Garten ihres Hauses wirkte sauber und gepflegt. Auf der Veranda standen Töpfe, in denen bunte Chrysanthemen wuchsen, die ein wenig Farbe in die eintönige Umgebung brachten.
»Tony ist zu Hause«, sagte die Frau unvermittelt.
Pine ging zum Ende der Veranda, die vor Vincenzos Haus verlief, legte die Hand auf das Holzgeländer und schaute zu der alten Dame hinüber. »Sie kennen ihn?«
Die Frau nickte, ohne von ihrer Strickarbeit aufzusehen. »Aber Sie nicht.«
»Ich heiße Atlee.«
»Seltsamer Name für ein Mädchen.«
»Das habe ich schon öfter gehört. Tony ist hier, sagen Sie?«
»Ich hab ihn vor einer Stunde reingehen sehen, und er ist noch nicht wieder rausgekommen.«
»Ist er allein zu Hause?«
»Weiß ich nicht. Ich habe aber sonst keinen gesehen.« Die Frau sprach leise und hielt keine Sekunde in ihrer Beschäftigung inne. Hätte man sie von weiter weg beobachtet, hätte man nicht gewusst, dass sie mit Pine sprach.
»Okay, danke.«
»Sind Sie hier, um ihn festzunehmen? Sind Sie Polizistin?«
»Ja. Aber ich bin nicht hier, um Mr. Vincenzo zu verhaften.«
»Warum wollen Sie dann zu ihm?«, fragte die Frau.
»Ich will ihm ein paar Fragen stellen.«
»Er arbeitet in Fort Dix.«
»Ja, das habe ich gehört.«
»Ich weiß zwar nicht, was Sie Tony fragen wollen, aber Ihre Fragen werden ihm bestimmt nicht passen.«
»Mag sein. Wohnt er ständig hier?«
»Nein, nur hin und wieder. Gott sei Dank. Er ist nicht besonders freundlich zu mir. Er beschimpft mich und pinkelt auf meine Blumen. Und seine Freunde sehen mir auch nicht koscher aus. Das hier war mal eine richtig nette Gegend, aber diese Zeiten sind vorbei. Heute möchte ich am liebsten weg.«
»Tja … besten Dank für Ihre Auskünfte.«
»Bedanken Sie sich nicht. Seien Sie lieber vorsichtig. Tony ist ein schlimmer Finger.«
»Danke für die Warnung.« Pine ging zurück zur Haustür und klopfte erneut.
»Anthony Vincenzo?«, rief sie.
Nichts.
Zwei, drei Sekunden verstrichen. Pine hob die Hand, um noch einmal anzuklopfen, als sich etwas tat. Jede Menge sogar.
Auf der Rückseite des Hauses erklang ein lautes Krachen. Holz splitterte, Glas klirrte. Eine Tür knallte, gefolgt von schnellen Schritten.
Es waren Geräusche, die Pine oft genug gehört hatte. Wieder einmal lief jemand vor ihr davon. Und wieder gab es vermutlich gute Gründe für den Fluchtversuch.
Und aus ebenso guten Gründen würde Pine die Flucht nicht zulassen.
Als sie über das Geländer der Veranda flankte, schaute die ältere Frau zum ersten Mal von ihren Stricknadeln auf.
»Schnappen Sie sich den...
Erscheint lt. Verlag | 15.11.2021 |
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Reihe/Serie | Die Atlee-Pine-Serie |
Übersetzer | Norbert Jakober |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Daylight - Atlee Pine 3 |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Atlee Pine • Dan Brown • Entführung • FBI • John Grisham • John Puller • Lee Child • New York Times Bestseller • Politthriller • Zwillingsschwester |
ISBN-10 | 3-641-27363-3 / 3641273633 |
ISBN-13 | 978-3-641-27363-7 / 9783641273637 |
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