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Tod auf Raten (eBook)

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2021 | 1. Auflage
816 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01263-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tod auf Raten -  Louis-Ferdinand Céline
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Paris, um 1900. Der junge Ferdinand wächst in einer engen Pariser Passage heran, in der die Mutter ein kleines Modegeschäft führt. Der Vater ist ein cholerischer Versicherungsangestellter, seinen Sohn hält er für einen Versager. Céline porträtiert Ferdinands Eltern und die anderen Händler als die typischen stets zu kurz gekommenen Kleinbürger mit ihrem verbissenen Groll auf alle anderen, die da oben wie die da unten. Ferdinand bricht verschiedene Lehren ab, geht nach England, kann sich auch dort keine Existenz aufbauen. Er kehrt nach Frankreich zurück und wird schließlich Arzt in einem Pariser Armenviertel. Céline denunziert die Niedrigkeit, mit der alle, die doch selber um ihre Existenz ringen, sich gegenseitig verfolgen. Wie schon mit «Reise ans Ende der Nacht» erweitert er mit «Tod auf Raten» die französische Literatursprache um sämtliche Schattierungen von Mündlichkeit, er zieht alle Register, vom Poetischen bis zum Unflat - seinerzeit ein Schock. Der Roman gilt neben «Reise ans Ende der Nacht» als einer der wirkmächtigsten Romane des 20. Jahrhunderts. Seine zynische Härte, verzweifelte Sehnsucht und grimmige Komik, in eine Prosa voll rhythmischen Schwungs gefasst, machten ihn weltberühmt. Hinrich Schmidt-Henkel hat das Buch mit neuem Titel (bislang «Tod auf Kredit») neu übersetzt, die Auslassungen früherer Versionen ergänzt und ein Nachwort verfasst.

Louis-Ferdinand Céline (eigentlich Louis-Ferdinand Destouches), geboren 1894 in Courbevoie, meldete sich freiwillig zum Ersten Weltkrieg und wurde verwundet, studierte Medizin, war Armenarzt in einer Pariser Vorstadt, bevor er als Romancier und Essayist bekannt wurde, u.?a. mit Reise ans Ende der Nacht und Tod auf Raten. Umstritten wegen antisemitischer Pamphlete, floh er gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nach Dänemark und wurde in Abwesenheit wegen Kollaboration verurteilt, später begnadigt. Céline starb 1961 in Meudon.

Louis-Ferdinand Céline (eigentlich Louis-Ferdinand Destouches), geboren 1894 in Courbevoie, meldete sich freiwillig zum Ersten Weltkrieg und wurde verwundet, studierte Medizin, war Armenarzt in einer Pariser Vorstadt, bevor er als Romancier und Essayist bekannt wurde, u. a. mit Reise ans Ende der Nacht und Tod auf Raten. Umstritten wegen antisemitischer Pamphlete, floh er gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nach Dänemark und wurde in Abwesenheit wegen Kollaboration verurteilt, später begnadigt. Céline starb 1961 in Meudon. Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, lebt in Berlin. Er übersetzt u.a. auch Jean Echenoz, Édouard Louis, Jon Fosse, Tomas Espedal und Tarjei Vesaas. Ausgezeichnet wurde er z. B. mit dem Jane Scatcherd-Preis, dem Paul-Celan-Preis des Deutschen Literaturfonds und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (zusammen mit Frank Heibert).

Da wären wir wieder allein. Das alles ist so zäh, so schwer, so traurig … Bald werde ich alt sein. Und dann ist endlich Schluss. So viele Leute sind in mein Zimmer gekommen. Haben alles Mögliche gesagt. Und doch nicht groß was gesagt. Sind wieder gegangen. Sind alt geworden, elend und langsam, jeder an einem Ende der Welt.

Gestern um acht Uhr ist Madame Bérenge, die Concierge, gestorben. Ein großer Sturm kommt in der Nacht auf. Ganz oben, wo wir sind, erzittert das Haus. Sie war eine sanfte und liebenswerte und treue Freundin. Morgen wird sie in der Rue des Saules beerdigt. Sie war wirklich alt, so alt, wie man nur werden kann. An dem Tag, als sie zum ersten Mal gehustet hat, hab ich zu ihr gesagt: «Legen Sie sich bloß nicht hin! … Schlafen Sie im Sitzen!» Mir war es gleich verdächtig … Und jetzt das … Und was solls …

Ich hab nicht immer als Arzt praktiziert, Scheißberuf das. Ich werde ihnen allen, die mich gekannt haben, schreiben, dass sie gestorben ist, Madame Bérenge, allen, die sie gekannt haben. Wo sind sie? …

Von mir aus dürfte der Sturm noch viel mehr Lärm veranstalten, je mehr, desto besser, bis die Dächer einstürzen, bis kein Frühling mehr kommt, bis unser Haus verschwindet.

Madame Bérenge, die wusste, dass alle Kümmernisse von den Briefen kommen. Ich weiß nicht mehr, wem ich schreiben soll. All diese Leute sind so fern … Sie haben ihre Seelen verstellt, um besser zu betrügen, besser zu vergessen, um immer über etwas anderes zu reden …

Die alte Madame Bérenge … Ihr Hund, der schielende, der wird wohl abgeholt und weggeschafft …

Der ganze Kummer der Briefe, seit bald zwanzig Jahren ist er bei ihr gelandet. Er ist da, im Geruch des kürzlich eingetretenen Todes, dem unglaublich sauren Geschmack … Er hat sich gerade entfaltet … Er ist da … Er streunt herum … Er kennt uns, wir kennen ihn mittlerweile. Er wird nie wieder gehen. Das Feuer in der Pförtnerloge muss gelöscht werden. Wem werde ich schreiben? Ich habe niemanden mehr. Kein Lebewesen mehr, das sanft den freundlichen Geist der Toten auffangen könnte … Um danach noch sanfter zu den Dingen zu sprechen … Mut für einen selbst!

Zum Ende zu hat meine gute alte Hausmeisterin gar nichts mehr sagen können. Bekam keine Luft mehr, hielt mich bei der Hand … Der Briefträger kam herein. Er hat sie sterben sehen. Ein kleiner Schluckser. Das wars. Viele Leute kamen einst zu ihr, die zu mir wollten. Sie sind wieder verschwunden, fern, sehr fern in der Vergessenheit, um sich eine Seele zuzulegen. Der Briefträger nahm seine Mütze ab. Ich, ja ich könnte meinen ganzen Hass herausschreien. Ich weiß. Ich mache das später, wenn sie nicht zurückkommen. Lieber erzähle ich Geschichten. Ich werde solche erzählen, dass sie wiederkommen, extra, um mich zu töten, von den vier Enden der Welt. Und dann ist Schluss, und ich kann endlich zufrieden sein.

——

In der Linuty-Stiftung, der Klinik, wo ich arbeite, habe ich schon tausendfach unangenehme Bemerkungen für die Geschichten kassiert, die ich erzähle … In dieser Hinsicht ist mein Cousin Gustin Sabayot ganz strikt: Ich müsste unbedingt meine Art und Weise ändern. Er ist ebenfalls Arzt, aber auf der anderen Seite der Seine, in La Chapelle-Jonction. Gestern hatte ich keine Zeit, ihn zu besuchen. Natürlich wollte ich ihm von Madame Bérenge erzählen. Ich kam zu spät auf die Idee. Sprechstunden abhalten ist ein anstrengender Beruf. Gustin ist abends auch völlig fertig. Fast alle Leute stellen nervige Fragen. Es hilft nichts, sich beeilen zu wollen, man muss ihnen zwanzigmal sämtliche Details des Rezepts erklären. Sie haben Freude daran, einen zum Reden zu zwingen bis zur Erschöpfung … Mit all den schönen Ratschlägen fangen sie dann nichts an, absolut nichts. Aber sie fürchten, wir könnten uns nicht richtig bemühen, und zur Sicherheit lassen sie nicht locker; es geht um Schröpfköpfe, Röntgenbilder, Blutproben … wir sollen sie von oben bis unten abtatschen … Sollen alles messen … Den Blutdruck und was sonst noch für Blödsinn … Gustin, der praktiziert schon seit dreißig Jahren in La Jonction. Meine Jammergestalten, da denk ich schon dran, die werd ich eines schönen Morgens nach La Villette[1] schicken, da können sie heißes Blut trinken. Das macht sie dann schon früh morgens fertig. Ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun soll, um sie abzuschrecken …

Vorgestern wollte ich ihn auf jeden Fall besuchen gehen, also Gustin, in seiner Wohnung. Bis zu seinem Kaff sind es von mir zwanzig Minuten zu Fuß, wenn man erst mal über die Seine ist. Gar kein nettes Wetter. Trotzdem schwinge ich mich auf. Ich denke, nehmen wir doch den Bus. Ich beeile mich, mit der Sprechstunde fertig zu werden, schleiche mich durch den Verbands-Flur raus. Ein Weibsbild erspäht mich und hält mich fest. Schleppende Aussprache, wie meine. Die Erschöpfung eben. Außerdem raue Stimme, das liegt am Alkohol. Jetzt jammert sie rum, will mich mitschleifen. «Kommen Sie, Herr Doktor, bitte, bitte! … meine kleine Tochter, meine Alice! … In der Rue Rancienne! … nur einen Steinwurf von hier! …» Ich muss nicht unbedingt mitgehen. Die Sprechstunde hab ich ja eigentlich hinter mir! … Sie lässt nicht locker … Jetzt sind wir draußen … Ich hab die Kränkler so was von über … Hab seit heut früh schon dreißig Nervensägen repariert … Kann nicht mehr … Sollen sie doch husten! Sollen sie spucken! Sollen sie vom Fleisch fallen! Sollen sie verschwuchteln! Sollen sie in die Luft gehen mit dreißigtausend Gasen im Hintern! … Mir doch völlig schnuppe! … Aber die Heulsuse da hat mich im Klammergriff, hängt mir fest am Hals, bläst mir ihre Verzweiflung entgegen, voller Rotem … Mir fehlt die Kraft, mich zu wehren. Die lässt mich nicht mehr los. Wenn wir in der Rue des Casses sind, die ist lang und völlig unbeleuchtet, dann verpass ich ihr vielleicht einen Arschtritt … Ich werd schon wieder weich … Krieg kalte Füße … Schon geht die Leier von vorn los. «Meine kleine Tochter! … Ach bitte, bitte, Herr Doktor! … Meine kleine Alice! … Kennen Sie sie? …» Es ist ein ganzes Stück bis zur Rue Rancienne … Liegt gar nicht auf meinem Weg … Ich kenne sie. Hinter der Kabelfabrik … Ich höre ihr in meiner Benommenheit zu … «Wir haben nur 82 Francs pro Woche … mit zwei Kindern! … Und mein Mann ist ganz fürchterlich zu mir! … Eine Schande ist das, lieber Herr Doktor! …»

Alles Geschwätz, mir schon klar. Stinkt muffig, nach schlechtem Atem vom Magen her …

Wir kommen vor der Bruchbude an …

Ich geh hoch. Setz mich endlich hin … Die Kleine trägt Brille.

Ich lasse mich neben ihrem Bett nieder. Immerhin spielt sie noch ein bisschen mit ihrer Puppe. Ich will sie ein wenig amüsieren. Ich kann wirklich lustig sein, wenn ich mir Mühe gebe … Dem Tod geweiht ist die kleine Krabbe nicht … Sie atmet nicht sehr frei … Lungenödem, ganz klar … Ich bringe sie zum Lachen. Gleich kriegt sie keine Luft mehr. Ich beruhige die Mutter. Die Schlampe nutzt aus, dass ich in ihrer Butze festsitze, um sich auch gleich noch untersuchen zu lassen. Wegen der blauen Flecken, ihre Beine sind voll davon. Sie schiebt sich den Rock hoch, ganz marmoriert sind ihre Stelzen von den Prügeln, sogar tiefe Brandwunden sind mit dabei. Der Schürhaken. So einer ist also ihr Alter. Ich gebe einen Rat … Mit einem Faden veranstalte ich ein sehr lustiges Auf und Ab mit der schäbigen Puppe … Rauf geht es mit der und runter, bis zum Türgriff … besser das als zu quatschen.

Ich horche ab, es rasselt reichlich. Ist aber eigentlich halb so schlimm … Ich beruhige sie noch mal. Wiederhole zwei Mal dieselben Worte. Genau das macht einen so fertig … Jetzt lacht die Kleine sich weg … Wieder kriegt sie kaum noch Luft. Ich muss abbrechen. Sie wird schon blau … Vielleicht ein bisschen Diphtherie? Mal schauen … Einen Abstrich machen? … Morgen! …

Der Erzeuger kommt nach Hause. Mit 82 Francs pro Woche gibt es hier nur noch Cidre, keinen Wein. «Ich trink den jede Menge. Kann man gut von pissen!», verkündet er sofort. Jetzt trinkt er aus der Flasche. Er zeigt es mir … wir finden beide, dass es der kleinen Süßen gar nicht so übel geht. Mich begeistert vor allem die Puppe … Ich bin zu müde, um mich mit Erwachsenen und Prognosen zu befassen. Die reinste Pest sind die Erwachsenen! Bis morgen nehm ich mir keinen mehr vor.

Mir doch schnuppe, wenn sie mich nicht ernst nehmen. Ich trinke noch mal auf seine Gesundheit. Mein Hausbesuch ist gratis, Überstunden halt. Die Mutter bringt mich wieder zu ihren Beinen zurück. Ich äußere eine letzte ärztliche Meinung. Dann gehe ich die Treppe runter. Auf dem Bürgersteig ist da auf einmal ein kleiner hinkender Hund. Er folgt mir ungebeten. Heute Abend hängen sich alle an mich dran. Ein kleiner Fox ist dieser Hund da, ein schwarz-weißer. Ich würde sagen, er hat sich verlaufen. Undankbare Leute, die armen Schlucker von da oben. Bringen mich nicht mal runter zur Tür. Sicher fangen sie gleich wieder an, sich zu prügeln. Ich kann sie schnauzen hören. Soll er ihr doch sein Schüreisen bis zum Anschlag in den Hintern schieben! Die richtige Lektion für die Schlampe!...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2021
Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antisemitismus • Familienroman • Französische Literatur • Neuübersetzung • Paris • Reise ans Ende der Nacht
ISBN-10 3-644-01263-6 / 3644012636
ISBN-13 978-3-644-01263-9 / 9783644012639
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