Tief wirst du schlafen (eBook)
464 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45920-1 (ISBN)
Christian Kraus wurde 1971 in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Humanmedizin und Promotion an der Universität Hamburg war er lange als Arzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf tätig. Seit 2006 ist er Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er absolvierte Zusatzausbildungen in Psychoanalyse, forensischer Psychiatrie und Sexualtherapie und arbeitet heute als niedergelassener ärztlicher Psychotherapeut und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Hamburg. Christian Kraus ist verheiratet und hat eine Tochter.
Christian Kraus wurde 1971 in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Humanmedizin und Promotion an der Universität Hamburg war er lange als Arzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf tätig. Seit 2006 ist er Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er absolvierte Zusatzausbildungen in Psychoanalyse, forensischer Psychiatrie und Sexualtherapie und arbeitet heute als niedergelassener ärztlicher Psychotherapeut und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Hamburg. Christian Kraus ist verheiratet und hat eine Tochter.
4
Im Großen Verhandlungssaal des Landgerichts im zweiten Stock des Strafjustizgebäudes nahm der mächtige, mit dunklen Holzblenden verkleidete Richtertisch fast die gesamte Breite des Raums in Anspruch. Dort thronten die drei Berufsrichter in ihren schwarzen Roben, umrahmt von zwei Schöffen in Zivilkleidung. Ihr gemeinsamer Sitzbereich war durch eine Stufe im Boden um einen knappen halben Meter hochgesetzt und unterstrich allein dadurch, wer hier im Saal das letzte Wort hatte.
Der Zuschauerraum lag auf der gegenüberliegenden Raumseite, er war durch ein Geländer vom eigentlichen Gerichtssaal abgetrennt und nur über einen separaten Nebeneingang zu erreichen. Auf den kargen Holzbänken drängelten sich die Reporter. Etliche hatten keinen Sitzplatz abbekommen und quetschten sich in die Ecken.
Christoph saß an der Seite des Oberstaatsanwalts unter einer ausladenden Fensterfront an einem im Vergleich zum Richterpult deutlich bescheideneren Tischchen. Schräg gegenüber, neben der Eingangstür, hatten zwei Wachleute Platz genommen und schienen sich auf einen ereignislosen Vormittag einzustellen. Ihr Job war vorerst erledigt, nachdem sie den Angeklagten von der Untersuchungshaftanstalt in den Verhandlungssaal geleitet, ihn von den Hand- und Fußfesseln befreit und an den Tisch seines Strafverteidigers gesetzt hatten.
Dort hockte nun der Mann, an dem sich die Mühlen der Hamburger Justiz seit Wochen abarbeiteten.
Bogdan Draganescu hatte sich ordentlich herausgeputzt. Aber sein schwarzer Maßanzug, sein blütenweißes Designerhemd und die Seidenkrawatte konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mann nach monatelanger Untersuchungshaft und sieben Verhandlungstagen körperlich und seelisch am Ende war. Sein Gesicht war verquollen und blass, der Blick stumpf, er hing wie ein Sack über dem Tisch. In den ersten Prozesstagen hatte er unermüdlich mit einem Bleistift Notizen in einen Schreibblock gekritzelt. Ob er die Zeugenaussagen und Fragen von Gericht und Staatsanwalt festgehalten oder ohne Unterlass Strichmännchen gezeichnet hatte, blieb sein Geheimnis. Inzwischen schien seine Kraft kaum noch auszureichen, um den Kopf zu heben und Christoph misstrauische Blicke zuzuwerfen. Bogdans öffentlicher Ruf hatte nicht weniger gelitten als sein äußeres Erscheinungsbild. Selbst ein Ansgar van Golderbloom hatte nicht verhindern können, dass der ehemals stolze Unternehmer, Investor und Partylöwe in den Medien nur noch »Bogdan, der Bunkermörder« genannt wurde.
Der Anwalt hatte früh erkannt, dass kein Gericht der Welt seinen Mandanten aus Mangel an Beweisen freisprechen würde. So hatte er bereits am ersten Verhandlungstag eine Erklärung des Angeklagten verlesen, in der dieser die Tat faktisch einräumte, aus tiefstem Herzen bedauerte – und jegliche Verantwortung für sein Handeln abstritt.
Zum Mörder wurde man nicht allein durch die Tat, sondern durch die Gesinnung. Mordlust, Habgier, Heimtücke, sprich niedere Beweggründe, machten die willentliche Tötung eines Menschen zum Mord und veranlassten das Gericht, den Täter lebenslang wegzusperren.
Ansgar van Golderbloom kassierte von seinem Mandanten einen vermutlich sechsstelligen Betrag, um ebendies zu verhindern. Der findige Rechtsanwalt hatte in der Lebensgeschichte Bogdan Draganescus herumgegraben und etwas gefunden, worauf er seine gesamte Verteidigungsstrategie aufbaute: Eine psychische Störung, die, so sein Kalkül, aus dem kaltblütigen Bunkermörder einen psychiatrischen Patienten werden ließ. Jemanden, der nicht gewusst hatte, was er tat, als er die Waffe auf seinen Cousin Silvio gerichtet und achtmal abgedrückt hatte.
Die Strafgesetze sahen in so einem Fall die Möglichkeit einer erheblichen Strafmilderung oder sogar Straffreiheit vor. Statt als verurteilter Mörder lebenslang hinter Gittern zu verschwinden, würde Bogdan Draganescu im psychiatrischen Maßregelvollzug untergebracht. So lange, bis Gutachter und Richter ihm attestierten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausging. Auch das konnten rasch einige Jahre werden. Aber diese Art der Unterbringung wäre in jedem Fall kürzer und komfortabler als lebenslanger Knast.
Die größte Hürde, die Ansgar van Golderbloom bei seinem Plan im Weg stand, war der vom Gericht bestellte psychiatrische Gutachter.
Christoph.
Der Vorsitzende Richter Bromm blickte durch die Reihen der Prozessbeteiligten. Seine Tränensäcke hatten im Verlauf der Verhandlung ebenso an Volumen zugenommen wie die Aktenordner, die vor ihm auf dem Richtertisch verteilt lagen. »Wenn keine weiteren Anträge vorgebracht werden …« Der Richter schaute in die Runde. Ansgar van Golderbloom, dem die Frage hauptsächlich galt, blieb stumm und blätterte durch seine Notizen.
»Dann kommen wir zur Erstattung des psychiatrischen Gutachtens. Professor Kerber?«
Bromm sah ihn aus der Tiefe seiner Augenhöhlen an, und Christoph verspürte ein aufgeregtes Kribbeln im Nacken. Gut so! Er kam auf Betriebstemperatur.
»Wie Ihnen bekannt ist«, sagte der Richter, »muss ich Sie gemäß Strafprozessordnung belehren, dass Sie als Sachverständiger Ihr Gutachten neutral und unabhängig und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten haben.«
Christoph nickte. Bromm fragte ihn, wie es das Protokoll vorsah, nach seinem Namen, seinem Alter und seiner Berufsbezeichnung.
»Professor Doktor Christoph Kerber. Dreiundvierzig Jahre alt. Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Zusatzbezeichnung Forensische Psychiatrie. Seit Kurzem tätig in eigener Gutachtenpraxis, vorher etliche Jahre Oberarzt im Forensischen Institut der Hamburger Uniklinik.«
»Moment!« Van Golderbloom sah von seinen Akten auf, hob die Hand. Seine typische Geste, mit der er ein ums andere Mal einen Befangenheitsantrag, eine nervenaufreibende Zeugenbefragung oder einen missmutigen Kommentar eingeleitet hatte.
Der Oberstaatsanwalt sog hörbar Luft durch die Nase, aber Richter Bromm verzog keine Miene. »Der Verteidiger hat eine Frage?«
Der Anwalt nickte, wandte sich an Christoph. »Herr Kerber, sind Sie Inhaber eines Lehrstuhls, oder worauf gründet sich Ihr Professorentitel?«, fragte er.
»Warum sollte das wichtig sein?« Oberstaatsanwalt Rieper war auf dem Posten und sprang Christoph bei. Der knurrige Ankläger hatte sich wiederholt mit der breiten Brust seiner zwanzigjährigen Berufserfahrung zwischen den kampfeslustigen Strafverteidiger und sein nächstes Opfer geworfen. Rieper bedachte den Anwalt mit einem betont lässigen Blick.
»Es geht natürlich um die Reputation des Sachverständigen«, sagte der. »Seine Stellungnahme wird maßgeblich den Ausgang des Verfahrens und damit die Zukunft meines Mandanten beeinflussen. Da sollten wir doch genau wissen, mit wem wir es zu tun haben.«
Nicht nur Christophs Augen wanderten zum Richtertisch. »Die Strafkammer kennt Professor Kerber aus diversen Strafprozessen«, sagte Bromm. »Wir hegen keinerlei Zweifel an seiner Fachkompetenz. Aber wenn es den Verteidiger beruhigt …« Er nickte Christoph zu.
»Ich bin im Fach Forensische Psychiatrie habilitiert«, sagte er. »Zum Thema freie Willensbildung bei psychiatrischen Erkrankungen. Der Professorentitel wurde mir von der Universität Hamburg außerplanmäßig verliehen.«
»Das heißt, Sie besetzen keinen regulären Lehrstuhl? Sind nicht Institutsdirektor oder Leiter eines Krankenhauses? Und waren es auch nie?«
Bogdan Draganescu hob seinen Kopf, und Christoph meinte, einen Hauch von Genugtuung in den dunklen Augen zu erkennen. Der Angeklagte zückte seinen Bleistift und kritzelte etwas in seinen Notizblock.
»Ich hatte einen Ruf als Professor für Forensische Psychiatrie an die Charité, als Leiter des dortigen Instituts«, sagte Christoph. »Ich habe abgelehnt. Aus persönlichen Gründen.« Jetzt musste er doch schlucken. Der persönliche Grund hatte einen Namen: Eva. Liebend gern wäre er nach Berlin gegangen. Aber sie hatte um keinen Preis der Welt aus Hamburg weggewollt. Weg von ihren Freunden, ihrer Familie. Sie hatten lange und heftig darüber gestritten, sogar eine räumliche Trennung hatte im Raum gestanden. Als Eva dann schwanger geworden war, hatte er schweren Herzens nachgegeben und die begehrte Professorenstelle sausen lassen.
Richter Bromm taxierte den Strafverteidiger mit einem ungeduldigen Blick. Der hatte offenbar genug. Vorerst. Dessen Mandant griff nach einem Bleistiftanspitzer und bearbeitete damit sein Schreibgerät.
Christoph nahm seine vorbereiteten Zettel zur Hand und legte los: »Wie Ihnen bekannt ist, hat der Beschuldigte es abgelehnt, sich von mir befragen und untersuchen zu lassen. Deswegen stützt sich mein Gutachten allein auf die mir vom Gericht zur Verfügung gestellten Unterlagen sowie meine persönlichen Eindrücke aus der Hauptverhandlung.«
Christoph optimierte seine Sitzposition, bevor er weitersprach. Über Bogdan Draganescus Lebensgeschichte war wenig Persönliches bekannt. Der Angeklagte hatte durch sein Schweigen vor Gericht maßgeblich dazu beigetragen, dass es so geblieben war. Richter und Staatsanwalt hatten aus Zeitungsberichten und Zeugenaussagen zusammengetragen, dass die Draganescus in dritter Generation in Deutschland lebten. Der Familienclan bestand je nach Zählart aus fünfundzwanzig bis vierzig Mitgliedern. Der vor Jahren verstorbene Gründungsvater Fiodor war in den Siebzigerjahren durch den Eisernen Vorhang von Rumänien nach Deutschland geflüchtet. Mitgenommen hatte er laut der Familienlegende lediglich eine Flasche selbst gebrannten Obstschnaps und seine vier Kinder: den ältesten Sohn Dragan, den zweitältesten Bogdan und dessen Zwillingsschwester Elena sowie den jüngsten Spross Pjotr. Etliche Verwandte waren im Verlauf der Jahrzehnte nachgeholt worden, mindestens ebenso viele...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | alte Rechnungen • Christoph Kerber • forensischer Psychiater • Freier Wille • Gerichtspsychiater • Hypnose • Hypnose-Video • Journalistin • Manipulation • Mord • Mörder • Mordserie • Professor • Psychiater • Psychothriller • Psychothriller bücher • Psychothriller Deutschland • Psychothriller Romane • Social Media • Thriller deutsche Autoren • Thriller Rache • Thriller und Psychothriller • Türkin • Verschwörung |
ISBN-10 | 3-426-45920-5 / 3426459205 |
ISBN-13 | 978-3-426-45920-1 / 9783426459201 |
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Größe: 909 KB
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