Meeressarg (eBook)
512 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2629-0 (ISBN)
STEFAN AHNHEM ist einer der erfolgreichsten Krimiautoren Schwedens. Seine Bücher sind allesamt Bestseller und preisgekrönt. Bevor Ahnhem begann, selbst Krimis zu schreiben, verfasste er Drehbücher unter anderem für die Filme der Wallander-Reihe. Er lebt mit seiner Familie in Kopenhagen.
STEFAN AHNHEM ist einer der erfolgreichsten Krimiautoren Schwedens. Seine Bücher sind allesamt Bestseller und preisgekrönt. Bevor Ahnhem begann, selbst Krimis zu schreiben, verfasste er Drehbücher unter anderem für die Filme der Wallander-Reihe. Er lebt mit seiner Familie in Kopenhagen.
Prolog
3. August 2012
Erica Andersson hatte nie viel für Wasser übriggehabt. Duschen war kein Problem. Und es machte ihr auch nichts aus, mit einem guten Buch in der Badewanne zu liegen. Im Gegenteil. Aber was sie nicht mochte, war Baden. Also Planschen, Schwimmen oder was immer man im Wasser so machte, wenn man weder schmutzig war noch schwitzte.
Nicht, dass sie überhaupt nicht hätte schwimmen können, aber eine sichere Schwimmerin war sie nicht. Dafür hätte man in der Lage sein müssen, zweihundert Meter zurückzulegen, ohne allzu viel Wasser zu schlucken, und das hätte sie niemals geschafft. Schon gar nicht auf dem offenen Meer mit all den Wellen, Quallen und ekligen Fischen.
Trotzdem hatte sie sich überreden lassen, ihre Kilos in ein kleines Kajak zu zwängen, so schmal und wacklig, dass es nur durch ein Wunder noch nicht umgekippt war. Sie saß buchstäblich im Wasser. Diesem kalten dunklen Wasser, das mit seinen ungestümen Wellen von allen Seiten nach ihr griff.
Laut Mikkel wurde man beim Kajakpaddeln fast nie nass. Er hatte ihr treuherzig in die Augen geblickt und allen Ernstes behauptet, allerhöchstens ihre Unterarme würden ein paar Spritzer abbekommen.
Natürlich war diese Aussage in keiner Weise zutreffend, was allerdings Mikkels Charakter recht treffend beschrieb, vor allem, wenn er sich eine Idee in den Kopf gesetzt hatte, die er selbst für glänzend hielt. Seit einem Monat hat er nichts anderes getan, als davon zu schwärmen, den Sonnenaufgang von den Kopenhagener Kanälen aus zu begrüßen und eins mit dem Wasser zu werden.
Eins mit dem Wasser. Jesus …
Doch was tat man nicht alles für die Liebe. Es war ja nicht so, dass sie von interessierten Männern belagert wurde, und um ehrlich zu sein, war Mikkels Marktwert viel höher als ihrer. Er sah nicht nur gut aus, sondern hatte auch als Programmierer eine richtige Karriere gemacht und bekam ein Gehalt, von dem die meisten nur träumen konnten.
Der einzige Haken war, dass er Däne war und sie seinetwegen Helsingborg hatte verlassen müssen. Wobei das eigentlich einfacher gewesen war, als dieses Kajak im Gleichgewicht zu halten.
Beim kleinsten bisschen Seegang kippte es, und ihr taten bereits die Pomuskeln weh. An Arme und Schultern mochte sie gar nicht denken. Wenn sie diesen Höllenritt überstanden hatte, würde sie zu nichts mehr zu gebrauchen sein.
»Siehst du denn nicht, wie schön es hier ist?«, rief er von vorn.
Sie nickte. Natürlich war es schön hier. Kopenhagen zeigte sich tatsächlich von einer ganz anderen Seite. Aber genießen konnte sie den Anblick nicht. Vor allem, seit sie den beschaulichen und pittoresken Wilderskanal hinter sich gelassen und das Hafengebiet erreicht hatten, wo viel mehr Verkehr herrschte und das Wasser noch unruhiger war.
Sie konnte nicht verstehen, warum er sie gezwungen hatte, aufs offene Wasser hinauszufahren. Wahrscheinlich wollte er ihr jetzt, wo sie ihn endlich einmal begleitete, alles zeigen. Oder hatte er etwas anderes im Sinn?
Diesem Gedanken wollte sie lieber nicht nachgehen, aber offensichtlich hatte sie das nicht selbst zu entscheiden. Er führte ein Eigenleben, und es verzweigte sich bereits in alle möglichen Richtungen.
Mikkel war in letzter Zeit ungewöhnlich reizbar gewesen, und miteinander geschlafen hatten sie schon fast seit einem Monat nicht mehr. Anfangs hatte sie geglaubt, diese kleine Krise würde von selbst verfliegen. Doch es war eher schlimmer geworden. Und jetzt hatten sie Urlaub, und die Luft war dicker denn je.
Hatte er genug von ihr? War das der Grund? Hatte er sie deswegen zu diesem Höllentrip überredet? Damit sie von sich aus Schluss machte? Weil er nicht die Eier hatte? Gott, wie feige.
Andererseits war das Ganze auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Wie merkwürdig, dass er sich ausgerechnet für sie entschieden hatte.
Sie war manchmal anstrengend. Das war ihr durchaus bewusst. Vor allem, wenn sie ihre fixen Ideen hatte. Die ließen sie einfach nicht los. Bis es zu spät war. Wie dieses eine Mal, als sie sich sicher gewesen war, er hätte eine andere, und bei der erstbesten Gelegenheit seinen Computer und sein Smartphone durchforstet hatte. Ohne etwas Verdächtiges zu finden.
Hätte sie in dem Moment lockergelassen, wäre alles okay gewesen. Aber sie musste ihm ja unbedingt zwei Abende später wie in einem grobkörnigen Spionagefilm heimlich hinterherschleichen, um zu kontrollieren, ob er wirklich mit diesem Kumpel einen trinken ging. Und natürlich hatte er sie bemerkt und war stinksauer geworden. Nein, rasend. Wie damals, als sie einmal zu oft nach dieser Ex-Freundin gefragt hatte, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.
»Und dort siehst du das neue Opernhaus!« Er zeigte mit dem Paddel auf das grandiose Gebäude.
»Toll!«, rief sie. »Können wir jetzt bitte umkehren?«
»Nein! Merkst du denn nicht, dass das Wasser ganz ruhig ist?«
»Doch, aber ich glaube, es reicht mir für heute. Ich habe langsam keine Kraft mehr in den Armen.«
»Na, dann trainierst du sie jetzt eben ein bisschen.«
»Aber Mikkel, ich fühle mich nicht sicher. Kannst du das denn nicht verstehen? Ich habe Angst und will jetzt nicht mehr. Ich will nur noch an Land.«
»Es gibt hier nichts, wovor du Angst haben müsstest, Erica. Das schwöre ich dir.«
Und dann setzte er dieses Lächeln auf, von dem ihr die Knie weich wurden und gegen das sie vollkommen wehrlos war. Wenn er sie so ansah, war sie bereit, alles für ihn zu tun. Seufzend paddelte sie an der Oper vorbei und weiter hinaus in den Hafen.
Genauso hatte er sie angesehen, als er damals auf sie zugekommen war und sie gefragt hatte, ob er ihr einen Drink spendieren dürfe. Sie war mit ein paar Freundinnen in Kopenhagen unterwegs gewesen und auf Anhieb so verliebt, dass sie zwei Wochen später ihren Job gekündigt hatte und in die dänische Hauptstadt gezogen war.
Den Einwand ihrer Mutter, dass das Ganze vielleicht ein bisschen zu schnell gehen und sie diesen Mann doch kaum kennen würde, hatte sie überhört. Zumindest am Anfang.
»Wir paddeln nur bis zum Reffenmarkt, und dann drehen wir um!«, rief er ein paar Hundert Meter weiter. »Okay?«
»Ich will aber nicht mehr, glaube ich«, sagte sie. »Echt jetzt, Mikkel. Das Kajak kippt fast um, und …«
»Es kippt nicht um. Entspann dich einfach und paddle ganz ruhig weiter.«
Warum machte er nicht einfach Schluss und setzte sie vor die Tür, wenn er das unbedingt wollte? Klar würde sie traurig und bestimmt auch wütend werden. Sie würde rumschreien und ihm Vorwürfe machen. Vielleicht würde sie sogar Sachen an die Wand werfen.
Aber irgendwann würde sie sich damit abfinden und zurück nach Helsingborg ziehen, auch wenn sie ihn mit Sicherheit noch ein paarmal anrufen würde, bevor sie endgültig aufgab. Schlimmer würde es nicht werden. Wenn er sie einfach nur loswerden wollte, konnte er das haben.
Er traute sich bloß nicht. Das war die einzige Erklärung. Und natürlich war sie ein wenig cholerisch, das stritt sie gar nicht ab. Aber verglichen mit ihm war sie ein Lamm.
Mitunter hatte sie richtig Angst vor ihm bekommen. Vor allem dieses eine Mal, als sie ihm gedroht hatte, ihn wegen Vergewaltigung anzuzeigen, wenn er sie nicht schlafen ließe. Da hatte er mit der Faust direkt über ihrem Kopf so fest an die Wand geschlagen, dass dort ein Abdruck zurückgeblieben war.
Doch diese Zeiten waren vorbei. Mittlerweile wollte er gar nicht mehr mit ihr schlafen.
Als sie ein paar Minuten später in der Ferne den Kreuzfahrtdampfer in den Hafen einfahren sah, wusste sie plötzlich ganz genau, was er vorhatte.
Und sie wurde panisch.
»Schau mal da!«, rief er, während sie verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Albtraum suchte. Er zeigte auf einige weiße Skulpturen, die auf dem Kai aufgereiht waren.
Selbstverständlich hatte er sie durchschaut und versuchte jetzt mit aller Macht, sie abzulenken. Die Skulpturen, die dort in all ihrer Pracht Wind und Wetter trotzten, waren bestimmt schön, aber sie konnte nur einen kurzen Blick darauf werfen, während sie sich voll und ganz auf das Kreuzfahrtschiff konzentrierte.
Es würde wahrscheinlich nicht noch weiter in den Hafen hineinfahren, sondern am Langeliniekai anlegen, aber die Wellen, die der Dampfer aufwarf, setzten sich bis ins Innere des Hafens fort, und auch wenn sie sie noch nicht sehen konnte, fühlte sie sie bereits auf sich zukommen.
Sie würde kentern, das wusste sie, und wenn sie erst einmal gekentert war, hatte sie keine Chance mehr. Und er wusste es natürlich auch. Mit was für einem Psychopathen war sie eigentlich zusammen? Machte er es immer so, wenn er die Nase voll von seinen Partnerinnen hatte? Beseitigte er sie mithilfe eines obskuren Unfalls?
Natürlich hatte er sie deswegen aufs mehr oder weniger offene Meer hinausgelockt, wo es weit und breit keine Zeugen gab. Es würde wie ein ganz normaler Tod durch Ertrinken aussehen. Wieder einer mehr in der Statistik der ungeübten Schwimmer, die das Risiko nicht bedacht hatten.
»Hilfe!«, schrie sie und paddelte in Richtung Ufer. »Hilfe!«
»Was machst du da, Erica?«
Ohne mit dem Paddeln...
Erscheint lt. Verlag | 18.10.2021 |
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Reihe/Serie | Ein Fabian-Risk-Krimi | Ein Fabian-Risk-Krimi |
Übersetzer | Katrin Frey |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Dänemark • Ermittler • Kommissar • Kopenhagen • Mord • Mordmotiv • Schweden • Spannung • spiegel bestseller • Stockholm • toxische männlichkeit |
ISBN-10 | 3-8437-2629-9 / 3843726299 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2629-0 / 9783843726290 |
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