Dramatische Rundschau 03 (eBook)
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491504-3 (ISBN)
Falk Richter, geboren 1969 in Hamburg, gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Theaterregisseure und Dramatiker. Seit 1994 arbeitet er rund um den Globus an renommierten Bühnen u. a. in Berlin, Hamburg, Zürich, Wien, Brüssel, Paris, Stockholm, Melbourne, Oslo, Amsterdam sowie bei Festivals wie der Ruhrtriennale, den Salzburger Festspielen und dem Festival d'Avignon. Seine Stücke, die von hoher Aktualität zeugen, liegen in mehr als dreißig Sprachen vor und werden weltweit gespielt. In den letzten Jahren entwickelte er zunehmend freie Projekte, basierend auf eigenen Texten gemeinsam mit einem Ensemble aus Schauspieler*innen, Musiker*innen und Tänzer*innen. Seit der Spielzeit 2020 / 2021 ist Falk Richter leitender Regisseur an den Münchner Kammerspielen.
Falk Richter, geboren 1969 in Hamburg, gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Theaterregisseure und Dramatiker. Seit 1994 arbeitet er rund um den Globus an renommierten Bühnen u. a. in Berlin, Hamburg, Zürich, Wien, Brüssel, Paris, Stockholm, Melbourne, Oslo, Amsterdam sowie bei Festivals wie der Ruhrtriennale, den Salzburger Festspielen und dem Festival d'Avignon. Seine Stücke, die von hoher Aktualität zeugen, liegen in mehr als dreißig Sprachen vor und werden weltweit gespielt. In den letzten Jahren entwickelte er zunehmend freie Projekte, basierend auf eigenen Texten gemeinsam mit einem Ensemble aus Schauspieler*innen, Musiker*innen und Tänzer*innen. Seit der Spielzeit 2020 / 2021 ist Falk Richter leitender Regisseur an den Münchner Kammerspielen. Olivia Wenzel, 1985 in Weimar geboren, Studium der Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis an der Uni Hildesheim, lebt in Berlin. Sie schreibt Theatertexte und Prosa, machte zuletzt Musik als Otis Foulie. Wenzels Stücke wurden u.a. an den Münchner Kammerspielen, am Hamburger Thalia Theater, am Deutschen Theater Berlin und am Ballhaus Naunynstrasse aufgeführt. Neben dem Schreiben arbeitet sie in Workshops mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In der freien Theaterszene kollaboriert sie als Performerin mit Kollektiven wie vorschlag:hammer. »1000 Serpentinen Angst« ist ihr erster Roman. Literaturpreise: Literaturpreis der Stadt Fulda 2020 Mörike-Förderpreis der Stadt Fellbach 2021 Hugo-Ball-Förderpreis 2023
AKT I – Die Niederkunft der Katze
/Im ersten Akt trägt Eleonore nur bei Nacht ihr Fell./
1.|Bild
LECKEN
/Nacht. Anfang September./
/Eleonore sitzt im Lichtkegel einer Lampe auf dem Boden. Sie leckt sich das Fell./
2.|Bild
[waʊ]
/Tag. Einige Tage später, September./
/Eleonore bürstet ihren Mantel mit einer Fusselrolle. Sie geht dabei sehr bedacht vor./
Ich habe es erst vor einem Jahr richtig verstanden,
obwohl ich es schon immer wusste,
ich meine intuitiv,
ohne es in Worte fassen zu können.
Es war an einem Abend im September.
Ich sah aus dem Fenster
und beobachtete eine Katze.
Sie saß auf dem
gegenüberliegenden Trottoir
im Schein einer Straßenlaterne,
als hätte sie jemand für mich dort hingesetzt;
leckte sich die Pfote.
Und ich dachte an meine Mutter.
Und
wieso ich ihr passiert war.
Meine Gedanken an sie waren
ein autodynamisches Patchwork
ihres Geredes
über die Arbeit
die Nachbarn
die Wahl
der Spinat
das Ozonloch
Prozentzahl
war damals
die Modernisierung
als dürfte man nicht mehr
bin ich denn jetzt
nie gehört
Postpaket
Eitelkeit
Gruppenchat
einfach wegen Geld
ist das jetzt
macht jetzt ein Update
darf man doch
ich denn jetzt schuld daran?
Gisela
Anne-Helene
die geht auf die Straße
nicht Prostitution
nein Protest
haha, das ist doch dummdreist
komm ehrlich, ja?, ehrlich
und Klaus sagt das auch
wobei neulich, da hab ich
eins, zwei, eins, zwei, allez hopp
das war bestens, ich sag dir, du wärst
hin und weg
und am Flughafen
weißt ja, nie würd ich
der Tante
also deiner nicht meiner
hahahahaha
die wird sich noch wundern
die rechnet ja nun wirklich am allerallerwenigsten damit
ach, schau mal
aber ehrlich, das musst du ja selbst – na ja
Eleonore
das Hochzeits- guck an!
auf keinen Fall werden wir ihr das Haus
er sagte ja damals
der Fisch war
und Jodsalz
und Essig
und sagte ich schon?
igitt
wirklich ih
ih ih ih
ija
[v]ub
[w]ab
[w]ab[w]ab[w]ab [w]lab
[waʊ]
blaa blaa blaa
bääh bäääh
ääia
a.
Und dann,
unwillkürlich,
leckte ich mir den Teil meiner Hand
zwischen Daumen und Zeigefinger,
wo es weich ist,
wo Fleisch und Sehnen sind.
Und erst im Lecken
fiel mir auf, dass ich leckte.
Ich stutzte.
Die Worte im Kopf wurden breiig’breiiger’teigig’klebrig’hefig’eklig,
egal, waren
eigentlich völlig ereignislos.
Mein Magen knurrte.
Ich kreiste die Schultern und
sah geradeaus, und da blickte der Katze ich plötzlich direkt in die
Augen.
Sie saß auf dem Fenstergesims.
Uns trennte
die Scheibe aus Glas.
3.|Bild
DAS FELL
/Tag. Ein Tag später, September./
Am nächsten Tag kaufte ich mir ein Fell.
Es ist schwarz,
samtig glatt,
Echthaar.
Ich brachte es
zu einer Schneiderin,
die nestelte an ihrer
Brille herum,
(SCHNEIDERIN:) Darf man fragen, für welchen Anlass?
kicherte sie,
süß oder so, sagte sie, fände sie Katzen.
Ich legte ihr
für die wirklich herausragend gearbeitete Spezialanfertigung zwei-
tausendachthundertsechzig
Euro auf den Tisch und
sagte
Nein.
Ich trug das Fell heim
wie ein ohnmächtiges Tier,
das es zu reanimieren galt.
.
Ich dachte, es würde verwachsen
mit meiner erbärmlichen Menschenhaut.
Tut es aber nicht.
Nun gut,
man geht
Kompromisse ein.
Das bleibt auch als Katze nicht aus.
.
Es war unglaublich
wahr,
das erste Mal
in meinem
Fell und
ich leckte es,
schmiegte mich
reckte und
streckte und
lag in der Ecke
und dachte an nichts.
Da klingelte plötzlich das Telefon, klingelte’klingelte’klingelte
oh so erbarmungslos.
(WARANTSCHOW:) Eleonore?! In der Heinrichstraße 87 warten Kunden, was ist los, kommst du noch?
Warantschow,
sagte ich,
ruhig,
ich komme nie wieder.
4.|Bild
DA
/Nacht. Einige Nächte später, September./
/Eleonore liegt da in ihrem Fell. Sie döst./
5.|Bild
BENIGNER PAROXYSMALER LAGERUNGSSCHWINDEL
/Tag. Einige Tage später, September./
Frau Erdigenbach schob einen Stift durch die Luft,
und ich folgte ihm
mit meinem Blick.
(ERDIGENBACH:) Schildern Sie mal den Verlauf Ihrer Schwindelattacken?
Und so schilderte ich
meinen Schwindel,
kein Schmerz, nur
kein Gleichgewicht,
dreht, alles dreht sich, nur
ich dreh mich nicht,
dann erbreche ich,
kommt einfach über mich,
aus mir,
im Ernst,
vorher kannte ich
Schwindel nicht, ach
und
er kommt nach dem
Schlaf.
Erdigenbach machte Notizen,
der Schwindel sei
gutartig,
danke,
wie schön, was
kann besser sein, als sich einem Taumel ausgeliefert zu sehen,
dessen Erträglichkeit spannt wie die Eihaut der
Fruchtblase kurz vor dem Riss, und ist gutartig,
gut, ist nicht böse dabei, gebt mir mehr
davon
Erdigenbach stellte die Krankschreibung aus,
könne wieder passieren.
Gut, noch was anderes,
sagte ich,
ja?,
fragte sie, und ich sah
ihre Nägel,
perfekt manikürt,
blass rosé auf bedrucktem Papier,
Befreiungsmanöver stand oben, darunter
war etwas, das aussah wie Yoga.
Sie schob es mir rüber,
(ELEONORE:) Ich bin eine Katze.
.
Erdigenbach, bass erstaunt saß sie da wie Gelee,
Sekunden
vergingen,
dann fragte sie,
(ERDIGENBACH:) Was?
Eine Katze.
.
Weiß auch nicht,
es war ein Versuch,
dieser Frau zu erzählen,
was los ist
mit mir.
Und so fragte ich,
ob unter den Voraussetzungen
meiner menschlichen Physis
ein Leben als Katze
bedenklich sei.
Frau Doktor Erdigenbach überlegte,
zumindest
sah es so aus.
.
So ich mich mit Nährstoffen reichlich versorgte viel tränke Banane
Brot Vitamin-C ist mein Eisengehalt denn in Ordnung
Bewegung Beruhigung mal Gurke aufs Auge heraus-
fordernd ja das Soziale das sei sicher sei
so so ist das da sehe sie nun und beruf-
lich wie wollen Sie das also ich
meine nur meine als Katze?
Erdigenbach stieß ein Lachen auf.
Dass ich kündige, sagte ich,
schaute sie an,
die sich sammelte,
sammelte sich wie die matschigen
Pflaumen
vom Rasen,
doch leider
gelang es ihr nicht und sie
fing an
zu faseln:
Nun ja Frau Garazzo ach so ja verstehe wie ist das denn dann wenn
dann äm also ja dann gut finanziell? für eine Er-
werbsminderungsrente hm sei kompliziert sei die
DRV pingelig Reha PT wird eventuell nun...
Erscheint lt. Verlag | 27.10.2021 |
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Reihe/Serie | Dramatische Rundschau | Dramatische Rundschau |
Zusatzinfo | 16 s/w Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | Aktuelle Stücke • Anthologie • Bühne • Caren Jeß • #dasdramalebt • das drama lebt • dasdramalebt • Die Katze Eleonore • Die Worte gehören uns • Drama • Drama Literatur • Dramatik • Dramaturgie • Falk Richter • Fiston Mwanza Mujila • Fünf gelöschte Nachrichten • Garten der Lüste • lukas rietzschel • mais in deutschland • moderne Dramatik • Olivia Wenzel • Open Mike • Sammlung • spectaculum • Stücke • Theater • Theaterpraxis • Theaterstücke • Theater Theater • Theatertreffen • Widerstand • Yade Yasemin Önder |
ISBN-10 | 3-10-491504-0 / 3104915040 |
ISBN-13 | 978-3-10-491504-3 / 9783104915043 |
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