Der liebe Augustin (eBook)
96 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61184-7 (ISBN)
Hansjörg Schneider, geboren 1938 in Aarau, arbeitete als Lehrer und als Journalist. Mit seinen Theaterstücken, darunter ?Sennentuntschi? und ?Der liebe Augustin?, war er einer der meistaufgeführten deutschsprachigen Dramatiker, seine ?Hunkeler?-Krimis führen regelmäßig die Schweizer Bestsellerliste an. 2005 wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Schriftsteller in Basel.
Die Wirtschaft ist leer. Auf treten Augustin und Beatrice. Beatrice mit einem Schellenbaum, Augustin z.B. mit einer Ziehharmonika.
AUGUSTIN
Hier ist der Augustin. Er steht da. Er setzt sich. Jetzt sitzt er. Er steht auf. Linkes Bein, rechtes Bein. Zwei erstklassige Beine. Er geht. Ein Finger, zwei Finger, drei, vier, fünf Finger. Fingerln. Zeherln. Beinerln. Da klopft was. Wer klopft? Der Augustin klopft nicht. Das Herz klopft. Da schnauft was. Es schnauft. Zu Beatrice Los, schellen.
BEATRICE
Es hat keinen Sinn, Augustin.
AUGUSTIN
Jetzt bin ich hier, aus dem Nirgendwo, wo nichts ist außer das Nirgend, und kein besonderes Nirgend, sondern irgend ein Nirgend, und aus einem Wo, von dem man nicht weiß wo. Ich will sagen, dass ich nichts will, außer sagen, dass ich nichts will, außer Sätze sagen:
Der Mensch meint
sein Leben sei wichtig.
Richtig ist:
Es ist nicht wichtig.
Das sind gute Sätze. Und ich mache weiter Sätze:
Der Mensch meint
er sei wichtig.
Richtig ist:
Er ist nicht wichtig.
Und das Gegenteil stimmt auch:
Das Leben ist darum wichtig
weil es nicht wichtig ist.
So ist es richtig.
Weiter. Beatrice ist eingeschlafen.
AUGUSTIN
Schlaf nur, schlaf. Stimmt, das Leben macht müde.
Es ist ermüdend zu leben. Singt.
Schlaf, mein Kind,
der Wind
streicht durch dein Haar.
Träum, mein Kind
der Wind
macht deine Träume wahr.
Susanne tritt auf. Augustin wendet sich an sie.
AUGUSTIN
Tanz, mein Kind,
der Wind
tanzt durch dein Haar.
SUSANNE
Was machen Sie?
AUGUSTIN
Die Zeit vertreiben.
SUSANNE
Möchten Sie Kaffee?
AUGUSTIN
Nein, Wein.
SUSANNE
Rot oder weiß?
AUGUSTIN
Rot oder weiß.
BEATRICE
Für mich Kaffee, bitte, und Semmeln.
SUSANNE
Ich hole Ihnen gleich welche. Bringt Wein und Kaffee.
AUGUSTIN
Die Wirtschaft ist sehr leer.
SUSANNE
Immer am frühen Morgen. Die Leute arbeiten.
AUGUSTIN
Was arbeiten die Leute?
SUSANNE
Arbeiten Sie nichts?
AUGUSTIN
Nein.
SUSANNE
Aber Sie machen Musik.
AUGUSTIN
Manchmal.
SUSANNE
Das ist auch eine Arbeit. Ich hole Ihnen die Semmeln.
Ab
BEATRICE
Im Grunde glaubst du die Sätze nicht, die du sagst.
AUGUSTIN
Und?
BEATRICE
Warum sagst du sie denn?
AUGUSTIN
Irgendeiner muss etwas sagen.
BEATRICE
Im Grunde willst du gar nicht leben.
AUGUSTIN
Ich muss nicht unbedingt leben.
BEATRICE
Du musst dich gegen das wehren.
AUGUSTIN
Gegen was?
BEATRICE
Du bist auf der Welt, und du musst leben.
AUGUSTIN
Man muss gar nichts.
BEATRICE
Du willst nichts mehr.
AUGUSTIN
Ich will hier sitzen, Wein trinken und ein bisschen Musik machen.
BEATRICE
Das, worauf du wartest, gibt es nicht.
AUGUSTIN
Stimmt nicht. Du wartest auf etwas, was es nicht gibt. Du wartest auf mich, und mich gibt es nicht.
BEATRICE
Der Wind macht die Träume nicht wahr.
AUGUSTIN
Geh doch, wenn du nicht bei mir bleiben willst.
BEATRICE
Du weißt, dass ich dich liebe.
AUGUSTIN
Ich dich auch.
BEATRICE
Ach lass das.
AUGUSTIN
Doch, ich glaube tatsächlich, dass ich dich liebe, Beatrice.
BEATRICE
Du liebst nicht einmal dich selber richtig.
AUGUSTIN
Ich bin so, wie ich bin, und nicht so, wie du willst, dass ich bin.
BEATRICE
Im Grunde bist du anders, als du jetzt bist.
AUGUSTIN
Wie bin ich denn?
BEATRICE
Hör mit dem Wein auf.
AUGUSTIN
Warum?
BEATRICE
Weil du so zugrunde gehst. Und ich auch. Du lebst, Augustin, du bist lebendig. Man muss das Leben, das man hat, leben.
AUGUSTIN
Ich mache nichts anderes.
BEATRICE
Ich kann nicht so leben wie du.
AUGUSTIN
Das musst du auch nicht.
BEATRICE
Warum willst du mich nicht verstehen?
AUGUSTIN
Ich verstehe dich sehr gut. Du willst gehen, weil du genug hast von mir.
BEATRICE
Ich habe nie einen Menschen so geliebt wie dich, und ich werde nie mehr einen Menschen so lieben wie dich. Auch wenn ich gehe, lebe ich nur durch dich. Verstehst du das?
AUGUSTIN
Du willst gehen. Also gehe.
BEATRICE
Komm mit, sonst gehst du kaputt.
AUGUSTIN
Ich gehe ohnehin kaputt.
BEATRICE
Es geht alles kaputt. Aber es kommt drauf an, wie etwas kaputt geht.
AUGUSTIN
Es schillert, es leuchtet, es stinkt, es verändert sich. Das ist Leben.
BEATRICE
So schöne Sätze sagst du.
AUGUSTIN
Geh bitte nicht.
BEATRICE
Soll ich bleiben?
AUGUSTIN
Ach geh zum Teufel.
BEATRICE
Du hast keine Ahnung von Liebe. Du hast keine Ahnung, was ein Mensch ist. Ich kann auch ohne dich leben.
AUGUSTIN
Ich brauche dich nicht.
BEATRICE
Ich will leben.
AUGUSTIN
Ein Stein lebt nicht, und es gibt nichts Schöneres als einen Stein, der in der Sonne liegt. Oder auch im Regen, wenn er leuchtet.
BEATRICE
Du bist kein Stein.
AUGUSTIN
Nein.
BEATRICE
Du bist wie porös. Manchmal denke ich, alles geht durch deine Haut in dich hinein. Deshalb liebe ich dich.
AUGUSTIN
Du hast eine Haut wie Wasser, eine Wasserhaut. Manchmal ist sie wie Pfirsich.
BEATRICE
Du hassest das Leben.
AUGUSTIN
Du hast eine Pfirsichhaut, und du schnaufst.
BEATRICE
Warum hassest du das Leben?
AUGUSTIN
Ich liebe alles, was schnauft. Alles geht kaputt.
BEATRICE
Komm mit.
AUGUSTIN
Wohin?
BEATRICE
Ich lasse dich jetzt.
AUGUSTIN
Es ist erst Morgen.
BEATRICE
Ich gehe. Sie geht
AUGUSTIN singt
Liebe ist, wenn man liebt.
Liebe ist, wenn man geht.
Es regnet
auf meine Träume.
Sie werden nass.
Ich bleibe trocken.
Die Sonne
brennt meine Gedanken.
Sie werden dürr.
Ich werde warm.
SUSANNE kommt mit den Semmeln
Wo ist Ihre Frau?
AUGUSTIN
Gegangen.
SUSANNE
Kommt sie nicht zurück?
AUGUSTIN
Nein.
SUSANNE
Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein.
AUGUSTIN
Ich bin nicht trauriger als sonst.
SUSANNE
Die Pest ist in Neustadt.
AUGUSTIN
So.
SUSANNE
Erschreckt Sie das nicht?
AUGUSTIN
Ich weiß nicht.
SUSANNE
Neustadt ist weit weg.
AUGUSTIN
Es geht.
SUSANNE
Doch. Man braucht einen ganzen Tag, um von dort hierher zu fahren.
AUGUSTIN
Ein Tag ist kurz.
SUSANNE
Nein, ein Tag ist lang. Einen ganzen Tag braucht man, ich habe es in der Bäckerei gehört. Wollen Sie die Semmeln nicht?
AUGUSTIN
Nein.
SUSANNE
Wer soll sie denn essen?
AUGUSTIN
Gib mir eine. Zur Erinnerung.
SUSANNE
Zur Erinnerung an was?
AUGUSTIN
Ich weiß nicht. An meine Jugend.
SUSANNE
Sie sind frisch aus dem Ofen. Der Rat wird sie nicht hereinlassen.
AUGUSTIN
Wen wird er nicht hereinlassen?
SUSANNE
Die Pest.
AUGUSTIN
Wenn die Pest herein will, kommt sie herein.
SUSANNE
Reden Sie nicht so.
AUGUSTIN
Wie rede ich?
SUSANNE
Unmenschlich.
AUGUSTIN
Das tut mir leid.
SUSANNE
Haben Sie keine...
Erscheint lt. Verlag | 23.6.2021 |
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Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | Corona • Lied • Pandemie • Panik • Pest • Seuche • Theater • Theaterstück • Tod • Totentanz • Volksstück • Vorsicht • Wirtshaus |
ISBN-10 | 3-257-61184-6 / 3257611846 |
ISBN-13 | 978-3-257-61184-7 / 9783257611847 |
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