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Waldberg oder die wilden Jahre -  Sean Stinehead

Waldberg oder die wilden Jahre (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 6. Auflage
136 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-6946-1 (ISBN)
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Früher war nicht alles besser, trotzdem war es eine schöne Zeit, voller Träume, Erwartungen und Lebensdurst, aber auch voller Verrücktheiten und toller Ideen. Allerdings fielen diese manchmal etwas aus dem Rahmen, und hätte damals jemand behauptet, man habe einen kleinen Fittirallala oder einen Nagel in der Kappe, wäre das noch reichlich untertrieben gewesen. Doch früher, in den 1980ern, war die Welt noch gemütlich. Man konnte seinen Gedanken noch Raum geben, wobei das Gehirn aus dem Leerlauf heraus zuweilen recht kreativ wurde, so dass man heute, wenn man sich im Lichte eines inzwischen gesundeten Verstandes daran erinnert, nur kopfschüttelnd schmunzeln und es kaum noch glauben kann. Denn vieles, was in jenen Tagen geschah, war einfach unglaublich. Bedauerlicherweise dauerte diese Periode nur wenige Jahre, und einen kurzen Abschnitt daraus erzählt dieses Buch.

Sean Stinehead arbeitet seit 1982 als freier Schriftsteller und Fachjournalist. Er ist ein Sohn des Ruhrgebietes und wohnt mit seiner Familie in Waltrop.

1. Kapitel


Bert Gummrich, wegen seiner dünnen, kurzen Haare von seinen Freunden auch ‚Locke‘ genannt, befand sich auf dem Heimweg von Dortmund nach Waldberg. Er steuerte seinen dunkelgrünen BMW, den er einem Rentner abgekauft hatte, über das breite, gewundene Asphaltband, auf dem man, obwohl gut ausgebaut, nur fünfzig fahren durfte. Bert ärgerte das, empfand es als Freiheitsberaubung, und so tippte er leicht aufs Gas und brauste dahin, allerdings mit wachsamem Auge, wegen der Polizeistreifen, die zuweilen versteckt hinter Büschen zu stehen pflegten. Zu seiner Rechten schimmerten im goldenen Abendlicht, hier und dort von buschigem Strauchwerk betupft, die Kohlehalden der Zeche Achenbach, und in der Ferne hoben sich Fördertürme und rauchende Schornsteine vom Himmel ab. Es war um jene zauberhafte Zeit, da der Tag sich bereits dem Ende zuneigt, der Abend sich aber noch unschlüssig hinter dem Horizont verbirgt. Um diese Stunde wird des Tages rastloses Getriebe allmählich still, und man beginnt, Pläne für die späteren Stunden zu machen.

In einer Seitenstraße stoppte er den Wagen vor einer Ampel, der langsamsten, langweiligsten und ekelhaftesten Ampel auf dem Heimweg. Aus dem geöffneten Fenster schauend, tippte er ungeduldig mit dem Finger aufs Lenkrad, legte schon den ersten Gang ein. Diese verdammte Ampel. Bert fühlte sich seiner Freiheit beraubt. Drüben in einem kleinen Gärtchen saß Zeitung lesend ein Mann im Lehnstuhl; um ihn herum tollten Kinder und sägten an seinem Geduldsfaden.

»Bettina«, rief er, »bringst du mir bitte noch einen Kaffee? Und sorge doch bitte dafür, dass die Kinder woanders spielen.«

»Ja, Schatzi!«, tönte es aus einer Seitentür des Hauses, und gleich darauf trat eine hübsche Frau heraus, stellte den Kaffee auf den Tisch und sagte:

»Los Kinder, verzieht euch auf den Hinterhof. Papi will seine Ruhe!« Die Kinder verschwanden. Der Mann fragte:

»War Fred schon beim Friseur?«

»Ich weiß es nicht, Schatzi. Er ist noch nicht zurück.«

»Ach, zum Kuckuck! Dieser Junge raubt mir noch den letzten Nerv. Hat lange Haare, treibt sich nur herum, und nichts ist ihm mehr heilig. Womit habe ich das nur verdient?«

Die Ampel schaltete auf Grün, und Bert fuhr, angeödet von dieser Szene, mit quietschenden Reifen davon. ›Solche verdammten Spießer!‹, dachte er. ›Gott sei Dank habe ich mit sowas nichts am Hut. Das wäre wirklich das Letzte - mich von meiner Frau bedienen lassen, schreiende Gören um mich herum und mich darüber aufregen, dass mein Sohn lange Haare hat. Dieser verknöcherte Alte von Vater. Fürchterlich! So werde ich nie! Niemals!‹ Bert schüttelte sich. Unter Leben verstand er etwas anderes. Er wollte Spaß haben, richtig leben, verrückte Dinge tun - und er würde sie tun, und er würde leben, so wie es ihm passte, zusammen mit seinen Freunden. Flexibel sein, das war sein Wahlspruch. Er war ein Mann der neuen Generation.

Bert Gummrich fühlte die Lebenskraft in sich, die Kraft zu großen Taten; und er war in seinem Inneren zufrieden. Er studierte Foto-Design an der hiesigen Fachhochschule, und obwohl er gewiss noch viel zu lernen hatte, beherrschte er in der Fotografie bereits einige Kunstkniffe, die selbst seinen Professoren Bewunderung abrangen und ihnen Rätsel aufgaben.

Schon als Kind war Bert ein Individualist und entwickelte Neigungen und auch Abneigungen gegen gewisse Dinge. So hasste er es, mehr als die übrigen Kinder, bevormundet zu werden. Stets hatte er seinen eigenen Kopf, der ihn öfter als lieb in so manche Bedrängnis führte. Auch mochte er nicht Fußball spielen, wogegen sein Interesse schon sehr früh den Mädchen galt, für die er ein feines Gefühl und auch ein Händchen besaß. Er verstand es ausgezeichnet, mit ihrer zarten und den Gesetzen besonderer Logik unterworfenen Natur umzugehen; er achtete und respektierte sie, und deshalb war Bert Gummrich bei allen Mädchen beliebt. Dies änderte sich auch nicht, als Bert älter wurde und bot ihm derzeit gegenüber anderen Männern einen gewaltigen Vorteil.

An diesem Abend brodelte es in ihm und quoll aus seinen tiefsten Tiefen herauf, ein Gefühl, er werde es zu etwas bringen. Er konnte den Erfolg schon fast riechen, begann er sich doch jetzt schon mehr und mehr abzuzeichnen.

Neben seinem Studium hatte er ein kleines Fotostudio im Keller eines Freundes eingerichtet und dort schon für verschiedene Unternehmen hervorragende Werbefotos erstellt. Diese kleine Firma nannte er stolz ‚Gummrich-Productions‘, vor deren grüner Holztür bereits zwei hübsche Mädchen warteten, die Bert, als er seinen Wagen vorfuhr, mit Befriedigung gewahrte. Er hatte sich mit ihnen zwecks Probeaufnahmen für eine große Werbecampagne verabredet.

Da er sich die Models von Agenturen noch nicht leisten konnte, bezog er seine Mädchen derzeit noch auf andere Weise; nicht selten waren sie das Resultat zufälliger Begegnungen. In solchen Momenten sprach er sie einfach an, auf seine höfliche und gewinnende Art, und hatte sie dann auch binnen kurzem dazu überredet, mitzumachen. Diesmal waren es zwei Blondinen: Susie und Bettina. Er hatte sie tags zuvor in einer Eisdiele aufgegabelt und ihnen verraten, dass sie bei ihm möglicherweise etwas verdienen könnten.

Als Bert jetzt ausstieg und sich ihnen in seiner etwas wogenden Gangart näherte, da waren sie erleichtert und wussten, dass man sie nicht an der Nase herumgeführt hatte.

»Guten Abend! Warten Sie schon lange?«, begrüßte er die beiden, ohne unfreundlich zu wirken, in abgewogen förmlichem Ton. Das war ratsam, damit sie ihm nicht schon nach Ablauf einer Stunde auf der Nase herumtanzten. Bert Gummrich besaß da seine Erfahrungen.

»Nö, nö, wir sind auch gerade erst angekommen«, erwiderte Susie, indem sie sich ihre Haare nach hinten strich und ein wenig verlegen lächelte.

Die Mädchen folgten Bert die schmale Kellertreppe hinunter in die Arbeitsräume, wo bereits die Fotos zahlreicher Schönheiten die Wände schmückten. »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte er, worauf er sich würdevoll in seinen Chefsessel gleiten ließ, die Beine übereinander schlug und eine heiter seriöse Stimmung verbreitete.

»Über eines müssen Sie sich klar sein, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten möchten: Wir machen hier keine Kindergartenspiele, noch machen wir Passfotos«, sagte er. »Die Arbeit erfordert viel Ernst und Geduld. Es ist also kein reines Vergnügen. Für die Fotos ist nur das Optische einer Person maßgebend, und darin stelle ich hohe Anforderungen. Zunächst müsste ich deshalb sehen, ob Sie sich von den körperlichen Proportionen her für die beabsichtigten Fotos eignen. Dazu wird es notwendig sein, dass Sie sich bis auf die Unterwäsche ausziehen und mir für einige Probefotos stehen.«

Die Mädchen schluckten. Sie waren baff - und erstaunt, nicht eher bemerkt zu haben, dass sie es hier mit einem Lüstling zu tun hatten.

»Ausziehen?!«, ereiferte sich Susie. »Wieso denn ausziehen? Davon haben Sie aber kein Wort gesagt. Glauben Sie vielleicht, wir geben uns für Pornofotos her?«

Bert hob den Blick zur Zimmerdecke und schlug sich vor den Kopf. Er gab sich ungehalten und auch enttäuscht. Dann beruhigte er sich. Er nahm eine Zeitschrift mit einem im Badedress abgebildeten Mädchen zur Hand.

»Sehen Sie einmal dieses Foto an. Es ist nichts weiter als eine gutgemachte Werbung für Badebekleidung und hat mit Pornografie überhaupt nichts zu tun. Dieses Mädchen besitzt dazu gut ausgebildete, schöne Proportionen. Stimmt’s?«

»Stimmt«, befand Bettina.

»Nun gut, jetzt stellen Sie sich einmal vor, da auf dem Foto säße so eine schrumpelige Omma. Wer würde sich dann so einen Badeanzug kaufen?«

»Vermutlich kaum jemand«, befand Susie.

»Gut, dann sehen Sie jetzt auch wohl ein, dass Sie sich ausziehen müssen?!« Aufgrund solch bestechender Logik konnten die beiden keine Einwände mehr äußern und sie legten, wenn auch schüchtern und mit Unbehagen, ihre Kleider ab. Als sie schließlich mit nichts weiter als ihren Schlüpfern vor ihm standen, ließ Bert seinen fachmännischen Blick über ihre Rundungen schweifen. Es war ein kritischer, anhaftender Blick, den die Mädchen bis auf die Knochen zu spüren glaubten und der sie zuweilen schamhaft erröten ließ.

»Nicht schlecht - bei Gott nicht schlecht«, murmelte der Meister, während er die Kandidatinnen umkreiste. Er war ganz bei der Sache. Zu Susie sagte er: »Nur hier unten haben Sie ein wenig zuviel Speck - aber das kriegen wir schon hin. Ansonsten sehen Sie beide fabelhaft aus, geradezu ideal.«

Nun holte Bert seine Kamera hervor, knipste einige Scheinwerfer an, richtete sie aus, dirigierte die Mädchen nacheinander in diverse Positionen und begann sein Werk. Der Kameraspiegel klackte unentwegt, und der Winder surrte, und die Fotos waren fertig noch bevor die beiden...

Erscheint lt. Verlag 31.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
ISBN-10 3-7534-6946-7 / 3753469467
ISBN-13 978-3-7534-6946-1 / 9783753469461
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