Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Der langsame Tod der Luciana B (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
221 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-0742-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der langsame Tod der Luciana B -  Guillermo Martínez
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
(CHF 9,75)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Luciana B. ist eine schöne und intelligente Studentin. Nebenbei arbeitet sie als Sekretärin bei dem berühmten Krimiautor Kloster. Als dieser ihr eindeutige Avancen macht, zeigt Luciana ihn an und zerstört damit seine Ehe. Als dann innerhalb weniger Jahre ihr Verlobter auf rätselhafte Weise ertrinkt, ihre Eltern an einer Pilzvergiftung sterben und ihr Bruder brutal ermordet wird, steht für Luciana fest: Hinter all ihrem Unglück steht Kloster, der ihr nie verziehen hat und sich grausam rächt ...



Guillermo Martínez, geboren 1962, lebt in Buenos Aires und ist promovierter Mathematiker. Für seinen Krimi Die Oxford-Morde erhielt er 2003 den Premio Planeta; der Roman wurde in über 40 Sprachen übersetzt und 2008 fürs Kino verfilmt. Der Nachfolgeband Der Fall Alice im Wunderland wurde mit dem Premio Nadal 2019 ausgezeichnet.

Guillermo Martínez, geboren 1962, lebt in Buenos Aires und ist promovierter Mathematiker. Für seinen Krimi Die Oxford-Morde erhielt er 2003 den Premio Planeta; der Roman wurde in über 40 Sprachen übersetzt und 2008 fürs Kino verfilmt. Der Nachfolgeband Der Fall Alice im Wunderland wurde mit dem Premio Nadal 2019 ausgezeichnet.

1


Das Telefon riss mich an einem Sonntagmorgen aus dem Tiefschlaf. Eine dünne Stimme wisperte ängstlich Luciana, als müsste das genügen, um mich an sie zu erinnern. Verunsichert wiederholte ich den Namen, und sie fügte ihren Nachnamen hinzu, der eine ferne, vage Reminiszenz in mir wachrief, bis sie mich in einem beklommenen Tonfall daran erinnerte, wer sie war. Luciana B. Die junge Frau, die zum Diktat gekommen war. Natürlich erinnerte ich mich an sie. Waren seitdem tatsächlich zehn Jahre vergangen? Ja, fast zehn Jahre, bestätigte sie, und sie sei froh, dass ich immer noch in derselben Wohnung wohne. Dabei hörte sie sich alles andere als froh an. Sie verstummte kurz. Ob sie mich treffen könne? Sie müsse mich treffen, verbesserte sie sich mit einem verzweifelten Unterton, der jedes Missverständnis im Vorfeld ausräumte. Ja, natürlich, sagte ich, etwas alarmiert, wann? Sobald du kannst, so schnell wie möglich. Ich blickte zweifelnd um mich, auf die Unordnung meiner Wohnung, die den schleichenden Kräften der Entropie ausgesetzt war, und schaute auf die Uhr neben dem Bett. Wenn es um Leben und Tod geht, sagte ich, wie wäre es denn mit heute Nachmittag, hier, um vier Uhr zum Beispiel? Ich hörte einen erstickten Laut am anderen Ende der Leitung, wie sie stoßweise ausatmete, als unterdrückte sie ein Schluchzen. Entschuldige, murmelte sie beschämt, aber ja, es geht um Leben oder Tod. Du weißt nichts davon, oder? Niemand weiß Bescheid. Niemand bekommt es mit. Wieder schien sie fast in Tränen auszubrechen. Es folgte ein Moment des Schweigens, in dem sie sich einigermaßen fasste. Noch leiser, als fiele es ihr schwer, den Namen auszusprechen, fuhr sie fort: Es hat mit Kloster zu tun. Und bevor ich noch irgendetwas hinzufügen konnte, sagte sie rasch, als befürchtete sie, ich könnte es mir anders überlegen: Um vier bin ich bei dir.

Zehn Jahre zuvor hatte ich mir bei einem dummen Unfall das rechte Handgelenk gebrochen, und ein unerbittlicher Gips machte meine Hand bis zum letzten Fingerknöchel bewegungsunfähig. Ich sollte zu der Zeit meinen zweiten Roman abgeben, hatte jedoch bislang nur ein in meiner Krakelschrift geschriebenes Manuskript, zwei dicke Spiralblöcke voller Durchstreichungen, Pfeile und Korrekturen, die niemand anders hätte entziffern können. Campari, mein Verleger, hatte mir nach kurzem Überlegen eine Lösung für mein Problem vorgeschlagen: Seit einiger Zeit, erinnerte er sich, sei Kloster dazu übergegangen, seine Romane zu diktieren, er habe dafür eine junge Frau engagiert, die offenbar in jeder Hinsicht so perfekt sei, dass Kloster sie inzwischen als unverzichtbar für sein Schaffen betrachte.

»Aber warum sollte er sie mir dann leihen wollen?«, fragte ich, noch ungläubig über diesen Glücksfall. Klosters Name, von Campari so selbstverständlich erwähnt und aus unerreichbaren Höhen herabgeholt, hatte mich gegen meinen Willen ein wenig beeindruckt. Wir befanden uns in Camparis großem Büro, in dem ein Druck der Titelseite von Klosters erstem Roman unübersehbar an einer Wand hing, das einzige dekorative Zugeständnis des Verlegers.

»Nein, ich bin mir sicher, dass er sie dir nicht leihen würde. Aber Kloster kommt erst Ende des Monats nach Argentinien zurück, er ist in einer dieser Künstlerresidenzen, in die er sich für die letzten Korrekturen an seinen Romanen vor der Veröffentlichung zurückzuziehen pflegt. Seine Frau hat er nicht mitgenommen, insofern glaube ich nicht«, Campari zwinkerte mir zu, »dass sie seine Sekretärin mitfahren ließ.«

In meinem Beisein rief er bei Kloster zu Hause an, begrüßte überschwänglich offenbar Klosters soeben erwähnte Ehefrau und hörte sich mit resignierter Miene eine Reihe von Klagen an, die sie anscheinend vorbrachte, wartete geduldig, bis sie den Namen im Adressbuch gefunden hatte, und notierte schließlich die Telefonnummer auf einem Zettel.

»Sie heißt Luciana«, sagte er zu mir, »aber Vorsicht. Du weißt, Kloster ist unsere heilige Kuh. Du musst ihm die Frau am Ende des Monats heil zurückgeben.«

Dieses kurze Gespräch hatte mir einen unverhofften Einblick in das zurückgezogene und öffentlichkeitsscheue Leben des einzig wirklich schweigsamen Schriftstellers eines Landes gegeben, dessen Autoren sich vor allem durch Redseligkeit auszeichnen. Die Unterhaltung mit meinem Verleger bescherte mir eine Überraschung nach der anderen, und unwillkürlich sprach ich meine Gedanken laut aus. Kloster, der fürchterliche Kloster, hatte also eine Frau? Und sogar etwas so Unvorstellbares, so unglaublich Bürgerliches wie eine Sekretärin?

»Und eine kleine Tochter, die er anbetet«, ergänzte Campari. »Ich habe ihn ein paarmal getroffen, als er mit ihr in den Park ging. Ja, er ist ein liebevoller Familienvater, wer hätte das gedacht?«

Kloster war damals zwar noch nicht von einem breiten Publikum »entdeckt« worden, doch bereits seit geraumer Zeit, vor allem seit der Veröffentlichung seiner Tetralogie, wurde er von vielen insgeheim als der Schriftsteller gehandelt, den es zu entthronen galt. Von seinem ersten Buch an war er einfach zu groß gewesen, zu herausragend, zu bedeutend. Das Schweigen, in das er zwischen seinen Romanen verfiel, wirkte fast bedrohlich auf uns; als liege die Katze auf der Lauer, während die Mäuse vor sich hin veröffentlichten. Bei jeder Neuerscheinung von Kloster drängte sich uns schon nicht mehr die Frage auf, wie er es zustande gebracht hatte, sondern wie er es erneut zustande gebracht hatte. Zu unserem Leidwesen war er nicht einmal besonders alt oder unserer Generation fern, wie es uns lieb gewesen wäre. Wir trösteten uns mit der Schlussfolgerung, dass Kloster einer anderen Spezies angehören musste, irgendeiner Teufelsbrut, verstoßen von den Menschen, abgeschottet auf einer Insel aus verhärmter Einsamkeit, vermutlich ebenso grässlich anzusehen wie seine eigenen Figuren. Wir stellten uns vor, er könnte, bevor er Schriftsteller wurde, Gerichtsmediziner gewesen sein, Leichenbalsamierer in einem Museum oder Bestattungswagenfahrer. Schließlich hatte er selbst einem seiner Bücher den verächtlichen Satz von Kafkas Hungerkünstler als Motto vorangestellt: »Ich hungere, weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.« Auf der Innenklappe seines ersten Romans hieß es diplomatisch, Klosters Ausdrucksweise habe etwas »Ungnädiges«, doch man musste nicht lange lesen, um zu erkennen, dass Kloster nicht ungnädig war – er war gnadenlos. Von den ersten Absätzen an blendeten einen seine Romane, wie die Scheinwerfer eines Autos in der Nacht, und zu spät merkte man, dass man sich selbst in einen vor Schreck starren, zitternden Hasen verwandelt hatte und zu nichts anderem mehr fähig war, als hypnotisiert die Seiten umzublättern. Es lag eine beinahe physische Grausamkeit darin, wie seine Geschichten unter die Oberfläche drangen und tief sitzende Ängste aufwühlten, als setzte Kloster einen unheilvollen Meißel an, dessen Bann der Leser sich nicht entziehen konnte. Seine Romane waren nicht besonders blutrünstig, es wurde niemand zerstückelt. Sie waren auch keine richtigen Krimis (sodass wir ihn beruhigt als einfachen Krimiautor hätten abtun können). Aus ihnen sprach schlicht und ergreifend – das Böse. Und wäre das Wort nicht durch all die Seifenopern im Fernsehen verwässert und unbrauchbar gemacht worden, wäre dies vielleicht die beste Definition für seine Romane gewesen: Sie waren böse. Der Beweis dafür, wie übermächtig er bereits damals auf uns wirkte, war die verstohlene Art und Weise, in der wir von ihm sprachen, als ginge es darum, ein Geheimnis eifersüchtig vor »Außenstehenden« zu hüten. Auch die Kritiker wussten im Grunde nicht, was sie von ihm halten sollten, und griffen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er ihnen imponierte, auf Anführungszeichen zurück, wenn sie unbeholfen konstatierten, Kloster schriebe »zu« gut. Darin hatten sie recht: Seine Texte waren zu gut. Außerhalb unserer Reichweite. Jede Szene, jede Dialogzeile, jede Auflösung barg die gleiche entmutigende Lektion, und sooft ich auch versucht hatte, ihre Mechanismen zu »durchschauen«, war ich doch nur zu dem Schluss gekommen, dass hinter alldem ein obsessiver Fantast stecken musste, der gnadenlos über Leben und Tod verfügte, ein absoluter Megalomane. Es ist also nicht verwunderlich, dass ich vor zehn Jahren mehr als neugierig darauf war, wer die »in jeder Hinsicht perfekte« Sekretärin dieses manischen Perfektionisten sein könnte.

Kaum zu Hause angelangt, rief ich sie an – am anderen Ende der Leitung antwortete mir eine gelassen heitere, höfliche Stimme –, und wir vereinbarten ein erstes Treffen. Als ich dann hinunterging, um die Tür zu öffnen, sah ich mich einer großen, schlanken Frau gegenüber, lächelnd und doch ernst, mit hoher Stirn und braunem Pferdeschwanz. War sie attraktiv? Sehr attraktiv. Und vor allem schrecklich jung, sie wirkte wie eine Studentin im ersten Jahr, die gerade aus der Dusche kam. Locker über die Jeans fallende Bluse. Bunte Bänder an einem Handgelenk, Turnschuhe mit einem Sternchen. Wir lächelten uns in der Enge des Fahrstuhls schweigend an; gleichmäßige sehr weiße Zähne, das Haar an den Spitzen noch leicht feucht, Parfum … In meiner Wohnung angekommen, wurden wir uns schnell über Bezahlung und Arbeitszeiten einig. Ganz selbstverständlich hatte sie sich auf den Schreibtischstuhl vor dem Computer gesetzt, ihre Tasche auf einer Seite abgestellt, und während unseres Gesprächs drehte sie mit ihren langen Beinen den Stuhl leicht hin und her. Braune Augen, intelligenter, rascher, gelegentlich schelmischer Blick. Lächelnd,...

Erscheint lt. Verlag 30.4.2021
Übersetzer Angelica Ammar
Sprache deutsch
Original-Titel La muerte lenta de Luciana B
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Anzeige • Argentinien • Begehren • Belästigung • Bestsellerautor • der perfekte Mord • Eremit • Ermittler • Ermittlung • Familie • Feminismus • Geheimnis • Illusion • Krimi • Krimis • Leiche • Liebe • Logik • Me too • Mord • Mystery • Obsession • Rache • Schreibmaschine • Schriftsteller • Sekretärin • Trauer • Unfall • Verfolgungswahn • Verlust • Wahnvorstellung
ISBN-10 3-7517-0742-5 / 3751707425
ISBN-13 978-3-7517-0742-8 / 9783751707428
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2022)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
CHF 9,75
Krimi

von Jens Waschke

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
CHF 9,75
Psychothriller | SPIEGEL Bestseller | Der musikalische Psychothriller …

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2021)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
CHF 9,75