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Rot wie Schnee (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
428 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2753-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rot wie Schnee - Kjell Eriksson
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In Uppsala wird ein Mann mit durchschnittener Kehle und nur mit Unterwäsche bekleidet im Fluss gefunden. Der Tote ist Armas, der Kompagnon des Gastrokönigs Slobodan Andersson. Rasch führen die Ermittlungen Ann Lindell in die Tiefen internationaler Drogenkriminalität und vor Ort in das Restaurant 'Dakar', in dem jeder der Beschäftigten verdächtig zu sein scheint. Aber wer ist hier Strippenzieher, wer Opfer?



Kjell Eriksson, geboren 1953, hat Erfahrungen in mehreren Berufen gesammelt. Er lebt in der Nähe von Uppsala. Für seinen ersten Kriminalroman um die Ermittlerin Ann Lindell erhielt er 1999 den schwedischen 'Krimipreis für Debütanten'. Sein Roman 'Der Tote im Schnee' wurde zum 'Kriminalroman des Jahres 2002' gekürt, eine Ehrung, die bereits Autoren wie Liza Marklund, Henning Mankell und Håkan Nesser bekommen hatten. 

1


Auf der anderen Seite des Tales senkten sich die Wolken langsam über die Berge. Am späten Nachmittag wanden sie sich in schmalen weißen Streifen durch den Pass im Osten. Wenn dann die Sonne hinter den Gipfeln verschwand, schimmerten sie silbrig. Die Bäume, die sich auf dem Kamm in unvorstellbar weiter Ferne abzeichneten, sahen aus wie eine Kompanie Soldaten, fand Manuel Alavez.

Um Nahrung und Feuchtigkeit aufzunehmen, waren die Wolken bis weit hinaus in die Welt gesegelt, bis an die pazifische Küste der Provinz Oaxaca. Suchten sie Abwechslung, wenn sie nach Nordwesten zogen, um vom Salz der Karibischen See zu kosten? Bei ihrer Rückkehr dampften die Berghänge noch von der Feuchtigkeit, die aus der dichten Vegetation aufstieg.

In Manuels Fantasie erzählten sich Wolken und Berge dann, was im Laufe des Tages vorgefallen war. Zwar hatte der Berg kaum mehr als den Dorfklatsch zu berichten, aber die Wolken waren es zufrieden. Nachdem sie so weit über unruhiges Land voll Verzweiflung und harter Arbeit gesegelt waren, war ihnen nach Alltäglichem zumute.

La vida es un ratito, das Leben ist ein kleiner Augenblick, pflegte seine Mutter zu sagen. Wenn sie dabei lächelte, unterstrich der fast zahnlose Mund ihren Ausspruch und reduzierte ihn gleichzeitig.

Manuel formulierte den Ausdruck später um. La vida es una ratita, das Leben ist eine kleine Ratte, sagte er.

Von der Terrasse, wo sie die Kaffeebohnen trockneten, sahen Manuel, seine Mutter und die Brüder unter sich die sechzig Häuser des Dorfs liegen, deren Ziegeldächer im Abendlicht in warmen Rottönen schimmerten. Rauch stieg auf. Wenn sie zu den Bergen hinüberblickten, konnten sie auf schmalen Pfaden winzige Menschen mit schwer bepackten Mulis erkennen, die unterwegs ins Dorf waren, wo die Hunde sie mit müdem Gebell erwarteten.

Das Dorf lag abseits, wie so viele andere. Bis zur nächsten größeren Straße, auf der man nach Talea gelangte, dauerte es knapp eine Stunde. Der Bus brachte einen dann in fünf Stunden in die Provinzhauptstadt Oaxaca.

Ihr Kaffee wurde in irgendeinem Hafen verpackt und nach »el norte« oder nach Europa verschifft. Sobald die Aufkäufer die Säcke verladen und weggebracht hatten, verloren die Dorfbewohner die Kontrolle darüber. Sie wussten, dass ihr Kaffee gut schmeckte und dass sich sein Preis verzehnfacht, vielleicht verzwanzigfacht haben würde, wenn er die Käufer erreichte.

Manuel lehnte seinen Kopf an das Fenster des Flugzeugs und starrte in die sternenklare Nacht über dem Atlantik. Nach der langen Reise aus den Bergen hinunter nach Oaxaca, weiteren sieben Stunden im Bus zur Hauptstadt und einem halben Tag Warten auf dem Flugplatz war er erschöpft. Nun befand er sich in elftausend Metern Höhe, und seine Unruhe hatte sich in Erstaunen verwandelt. Er flog zum ersten Mal.

Eine Stewardess kam vorbei und bot Kaffee an, aber er lehnte ab. Er hatte nicht gut geschmeckt, der Kaffee, den sie ihm vorher serviert hatten. Manuel betrachtete die Stewardess, als sie die Passagiere auf der anderen Seite des Mittelgangs bediente. Sie erinnerte ihn an Gabriella, die Frau, die er heiraten sollte. Seine Mutter fand, es sei höchste Zeit, in ihren Augen war er alt.

Gabriella und er hatten sich vor einigen Jahren kennengelernt und Briefkontakt gehalten, als er in Kalifornien arbeitete. Ein paar Mal hatte er angerufen. Sie hatte offenkundig auf ihn gewartet. Sicher liebte er sie, das redete er sich jedenfalls ein, aber bei dem Gedanken, sich für immer zu binden, wuchs seine Unruhe.

Kaum war er eingeschlafen, war Angel bei ihm. Sie waren auf einer milpa, wo sie Mais, Bohnen und Squash anbauten. Die Maisernte stand bevor. Ausgelassen hatte sich der Bruder in den Schatten eines Baums gelagert. Er lachte glucksend, wie nur er lachen konnte. Das Glucksen schien aus seinem Bauch zu kommen. Angel war rundlich und drall, als Kind hatte man ihn »El Gordito« genannt, das Dickerchen.

Angel erzählte von Alfreda aus dem Nachbardorf Santa Maria de Yaviche. Sie hatten sich im Februar bei der Fiesta kennengelernt, und Angel beschrieb ausführlich ihr Gesicht und ihre Haare. Bei Details war er immer genau.

Manuel stand auf, das leichtsinnige Schwatzen des Bruders über die junge Frau mochte er nicht. Sie war erst siebzehn. »Du darfst sie nicht an der Nase herumführen.«

»Sie führt doch mich an der Nase herum«, lachte Angel. »Sie bringt mich zum Beben.«

»Wir müssen jetzt zurückgehen«, sagte Manuel.

»Gleich«, sagte Angel, »ich bin noch nicht fertig.«

Manuel konnte nicht anders, er musste einfach lachen. Angel könnte Schriftsteller werden, er kann so gut erzählen, dachte er, und setzte sich wieder hin.

Auf der anderen Seite des kleinen Ackers tollten unbekümmert wilde Kaninchen herum, neugierig und verspielt, und achteten nicht auf den Habicht oben am Himmel.

»Du bist genauso ein Rammler. Aber das Leben ist nicht nur Spiel.« Manuel bereute seine Worte sofort.

Er war der älteste von drei Brüdern. Viel zu oft übernahm er die Rolle desjenigen, der die Verantwortung trägt, des Ermahners. Patricio, der mittlere der drei, und Angel waren eher zu Lachen und kindlichen Streichen aufgelegt, sie waren schnell und oft verliebt. Eigentlich beneidete Manuel sie um ihren Optimismus und ihre Unbeschwertheit.

Angel folgte dem Blick des Bruders und entdeckte den Raubvogel am Himmel, der sich langsam herabsinken ließ. Er hob die Arme, als hielte er ein Gewehr, zielte und schoss. »Päng!«, rief er und lachte Manuel zu.

Manuel lächelte. Dann senkte er den Kopf. Er wusste, dass der Habicht gleich zum Sturzflug ansetzte, und er wollte nicht mit ansehen, wie er seine Jagd erfolgreich beendete.

»Ich habe ihn verfehlt, aber der Habicht muss doch auch leben«, sagte Angel, als hätte er die Gedanken des Bruders gelesen. »Es gibt so viele Wildkaninchen.«

Manuel war auf einmal sehr unzufrieden, dass der Bruder spanisch sprach, aber ehe er ihn noch zurechtweisen konnte, schreckte er hoch. Er richtete sich auf und sah zu der Frau auf dem Nachbarsitz. Sie schlief. Offenbar hatte er sie nicht geweckt, als er beim jähen Aufwachen zusammenzuckte.

Irgendwo dort unten war Patricio. Seit er die Nachricht von Patricios Schicksal bekommen hatte, war er hin und her gerissen zwischen Wut und Trauer. Die Brüder fehlten ihm so. Patricios erster Brief hatte aus drei Sätzen bestanden: »Ich lebe. Sie haben mich geschnappt. Und ich bin zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.«

Der nächste Brief war etwas ausführlicher. Er war zwar sachlich, aber hinter den dürren Worten konnte Manuel schon die Erschöpfung und Verzweiflung ahnen, die in den späteren Briefen vorherrschten.

Manuel konnte sich Patricio nicht hinter Gittern vorstellen. Ihn, der die weiten Felder liebte und der seinen Blick immer so weit wie möglich in die Ferne richtete. Patricios Ausdauer und Beharrlichkeit hatten Manuel und Angel immer wieder erstaunt. Er war stets bereit, noch einige Schritte weiter zu gehen, nur um zu sehen, was sich hinter der nächsten Ecke oder der nächsten Kurve verbergen mochte.

Physisch war er der kräftigste der Brüder, gut einen Meter achtzig groß und damit länger als die meisten im Dorf. Seine Größe, seine Haltung und seine Augen hatten dazu beigetragen, dass ihm im Dorf ein gewisser Ruf vorauseilte. Er galt als vernünftiger Mann, auf dessen Wort man hören sollte. Angel war der Schwätzer, der sich nur ungern bewegte, Patricio hingegen war beweglich und wortkarg, nachdenklich in seinem Reden und zurückhaltend in seinen Gebärden. Gemeinsam war beiden eigentlich nur ihr Lachen.

Manuel hatte dem Brief des Bruders entnommen, dass das Gefängnis in Schweden ganz anders als die war, die man in Mexiko kannte. Dass sie in der Zelle einen Fernseher haben dürften und dass sie studieren könnten. Aber was sollte er studieren? Patricio hatte sich nie etwas aus Büchern gemacht. Er studierte lieber die Menschen und die Natur. Die anfallenden Arbeiten erledigte er unwillig, egal ob es um die Aussaat, das Jäten oder Ernten ging. Die Machete führte er oft kraftlos und unkonzentriert.

»Wenn du glaubst, dass ich so ein armer Campesino bleibe, dann täuschst du dich«, wiederholte er jedes Mal, wenn ihn Manuel daran erinnerte, dass er ein Erbe zu verwalten habe.

»Ich will nicht wie ein Ranchero in den Bergen sitzen, Bohnen und Tortillas futtern, einmal in der Woche in die Stadt kommen und mich mit Aguardiente volllaufen lassen. Und dabei die ganze Zeit immer ärmer werden. Siehst du nicht, wie wir übers Ohr gehauen werden?«

Würde er es aushalten, acht lange Jahre eingesperrt zu sein? Manuel fürchtete um das Leben und die Gesundheit seines Bruders. Patricio einzusperren kam einem Todesurteil gleich. Als Manuel ihm schrieb, er käme nach Schweden, hatte der Bruder unmittelbar geantwortet. Er wolle keinen Besuch. Aber darum scherte Manuel sich nicht. Er musste herausfinden, was passiert war, wie alles zugegangen war. Wie und warum Angel umgekommen war und wieso Patricio hatte so dumm sein können, sich auf ein schmutziges Geschäft wie den Drogenschmuggel einzulassen.

Als das Flugzeug durch die Wolken sank, eine Kurve beschrieb und zur Landung ansetzte, dachte Manuel an die Berge, die Mutter und die Kaffeebohnen. Wie schön diese Bohnen waren! Wenn sie getrocknet in offenen Jutesäcken lagerten, mit denen jeder Flur und Durchgang zu Hause verstellt war – sogar neben den Schlafplätzen standen die Säcke –, dann forderten einen die Bohnen...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Reihe/Serie Ein Fall für Ann Lindell
Ein Fall für Ann Lindell
Übersetzer Sigrid Engeler
Sprache deutsch
Original-Titel Mannen fran bergen
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Drogengeschäfte • Drogenhandel • Geheimnisse • Grabstätte • Kleinstadt • Mord • Schwedenkrimi
ISBN-10 3-8412-2753-8 / 3841227538
ISBN-13 978-3-8412-2753-9 / 9783841227539
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