1966 - Ein neuer Fall für Thomas Engel (eBook)
448 Seiten
Blanvalet Verlag
978-3-641-26097-2 (ISBN)
Kriminalkommissar Thomas Engel hat es nach West-Berlin verschlagen, um bei der Mordkommission in der geteilten Stadt ermitteln zu können. Doch es kommt anders: Statt Mörder sind Spione sein täglich Brot, denn die Stadt ist voll davon. Die Alliierten tun alles, um an Informationen von der Gegenseite zu kommen. Dass sie dabei nicht zimperlich vorgehen, erfährt Engel gleich an seinem zweiten Tag im Dienst. Bei der Observation eines Verdächtigen geht alles schief, Engel nimmt die Verfolgung auf und gerät mitten hinein in den Kalten Krieg zwischen Ost und West ...
Von Düsseldorf nach Berlin: der zweite Fall für Kriminalkommissar Thomas Engel.
Auch lieferbar: 1965. Der erste Fall für Thomas Engel. Beide Bände sind unabhängig voneinander lesbar.
Thomas Christos ist das Pseudonym des Drehbuchautors Christos Yiannopoulos. 1964 kam er als Sohn griechischer Gastarbeiter nach Deutschland. Er studierte Germanistik und Pädagogik in Düsseldorf und schrieb bereits mit 24 Jahren sein erstes Drehbuch, das auch verfilmt wurde. Danach war er hauptsächlich Drehbuchautor für das Fernsehen und wirkte an vielen erfolgreichen Produktionen mit. Unter anderem wurde er für seinen Film »Schräge Vögel« für den Adolf-Grimme-Preis nominiert. Er lebt zurzeit in Düsseldorf.
1
Ostberlin, 1966
Dietrich Gromek war einer der Chefdolmetscher der DDR und wurde bei vielen Gesprächen der allerhöchsten Geheimstufe zwischen den Militärs des Warschauer Vertrags herangezogen. Der hochgewachsene Mittvierziger trug das Parteizeichen am Revers und sang vor seinen Genossen stets das Hohelied auf die Vorzüge des Arbeiter- und Bauernstaates – Gromek galt als ein Hundertfünfzigprozentiger. Niemand ahnte, dass er seine Zukunft trotzdem nicht im Sozialismus sah, sondern im kapitalistischen Westen, konkret in den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das Startkapital für sein neues Leben verdiente er sich durch konstantes Weiterleiten geheimer Gesprächsprotokolle an den Klassenfeind. Ihm war bewusst, was ihm bei einer Enttarnung blühte – auf Hochverrat stand die Todesstrafe. Aber er wähnte sich sicher, da er bei der Übermittlung seines brisanten Materials auf die übliche Tote-Briefkasten-Methode verzichtete. Vielmehr wählte er als Treffpunkt für seine Kontakte zu westlichen Agenten immer nur volle Restaurants, die eine Observation Spionageverdächtiger nahezu unmöglich machten – wie etwa das Café Warschau.
Da seine Frau seine Nebentätigkeit niemals gutgeheißen hätte, hatte Gromek vor einem Jahr die Scheidung eingereicht, was zur Folge hatte, dass er seinen Frühstückskaffee allein trinken musste.
Doch an diesem Morgen kam er nicht dazu. Gerade als er das Kaffeewasser aufsetzen wollte, sah er durch das Küchenfenster zwei dunkle Wartburg 312 vorfahren, aus denen Männer in grauen Anzügen stiegen. Er war sofort alarmiert. Die Operationsgruppe in der Spionageabwehr pflegte bei der Verhaftung öffentliches Aufsehen zu vermeiden und tauchte dementsprechend in den frühen Morgenstunden auf. Offensichtlich war er enttarnt worden. In seinem Brustkorb begann es zu brennen, Magensäure kroch die Speiseröhre hoch. Er versuchte, sich zusammenzureißen und den Schalter umzulegen. Tief durchatmen. Weg von der Panik, hin zu rationalem Handeln. Er wusste doch, was in solch einem Fall zu tun war.
Zunächst deponierte er die Minox in einer präparierten Spraydose, entsorgte anschließend den Zahlenstreifen, mit dem er die Funksprüche dechiffrierte, in der Toilette. Dass sein Radio, Modell Stern 3, für den Empfang von chiffrierten Funksignalen präpariert war, würde man nicht ohne Weiteres herausfinden.
Das Ganze hatte keine drei Minuten gedauert. Jetzt musste er schnellstens raus aus der Wohnung.
Über die Feuertreppe lief er nach unten. Klappte einwandfrei. Erleichtert verließ er das Haus durch den Hinterhof, den die Stasi-Leute merkwürdigerweise nicht gesichert hatten. Wurde er beschattet?
Im Laufschritt begab er sich in Richtung S-Bahnhof. Sein Ziel war der Treptower Park, in der Nähe der Spree Von dort aus würde er versuchen, in den Westen zu gelangen. Sein Plan schien aufzugehen, er war guter Dinge, als er die Stufen zum S-Bahnhof hochlief. Jedenfalls sah er nur drei Bauarbeiter am Bahnsteig stehen. Im nächsten Moment fuhr auch schon die S-Bahn ein. Euphorisiert wollte er einsteigen, da wurde er von dem Arbeitertrio zu Boden geworfen. Sie legten ihm Handschellen an, nahmen ihn in ihre Mitte und zerrten ihn zu einem Auto. Bevor sie ihm die Augen verbanden, konnte er gerade noch sehen, dass an der Autotür die Fensterkurbel und der Öffner fehlten.
Nach zehn Minuten Fahrt wurde Gromek in den Laderaum eines Lieferwagens verfrachtet. Der Wagen war nicht gut abgefedert, und obendrein stank es nach Abgasen. Er zweifelte nicht daran, dass er in das Geheimgefängnis der Staatssicherheit gebracht wurde. Als einer der wenigen wusste er von der Existenz dieser Einrichtung, die auf offiziellen Karten nicht verzeichnet war. Für normale Passanten unzugänglich, lag der Bau mitten in einem militärischen Sperrgebiet in Berlin-Hohenschönhausen.
Nach einer halben Stunde endete die Fahrt. Zwei Uniformierte führten ihn über endlose Treppen und lange Gänge in eine feuchtkalte Zelle, wo sie ihm das Tuch über den Augen entfernten. Das grelle Licht blendete ihn.
Gromek wurde bereits von einem Mann in einem dunklen Anzug erwartet.
»Sofort ausziehen!« Seine Stimme war kalt wie Eis.
»Jawohl«, hauchte Gromek matt und folgte dem Befehl. Die beiden Uniformierten begannen, seine Körperöffnungen und Achselhöhlen zu untersuchen. Gromek empfand die Prozedur als demütigend, wagte aber keinen Widerstand. Er hoffte, dass man ihn in der Zelle allein lassen würde. Er brauchte dringend Ruhe, um sich das weitere Vorgehen überlegen zu können. Aufgeben war keine Option. Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht.
»Anziehen!«, hallte es ihm entgegen.
Und wieder nahmen ihn zwei Uniformierte an die Kandare. Sie brachten ihn in ein schmales Verlies, gerade mal einen Meter breit. Es stank fürchterlich nach Fäkalien, und Gromek kämpfte gegen den Brechreiz.
»Du bleibst hier stehen, bis wir dich rufen! Wag es ja nicht, dich an die Wand zu lehnen!«
Gromek nickte matt. Endlich allein. Er musste Energie schöpfen für den einen Plan, der ihm noch blieb. Sein Körper war erschöpft, am liebsten hätte er sich hingelegt, aber das ging in diesem Loch nicht. Also versuchte er, sich an die Wand zu lehnen.
»Anlehnen verboten!«, brüllte ein Wärter, der durch das Guckloch in die Zelle linste. Gromek biss die Zähne zusammen und blieb stehen.
»Ich muss austreten!«, rief er nach einer Stunde.
»Nichts da!«, bekam er zur Antwort.
Gromek versuchte, sich zusammenzureißen, aber die Zeit schritt voran, und irgendwann konnte er seine Blase nicht länger kontrollieren. Die Reaktion des Wärters erfolgte prompt:
»Mitkommen zum Verhör!«
Man führte ihn in ein kleines, leeres Zimmer, wo er von zwei Männern in Zivil in Empfang genommen wurde. Auf dem Tisch stand die demontierte Spraydose, der darin eingerollte Film lag daneben. Damit wurde ihm seine Enttarnung vor Augen geführt. Er versuchte, die Nerven zu behalten und sich nichts anmerken zu lassen.
Einer der Männer, ein drahtiger Typ in einem abgewetzten Anzug, kam sofort zur Sache.
»Gromek, uns ist bewusst, dass Sie systematisch Informationen für den amerikanischen Geheimdienst gesammelt haben. Sie wissen, dass auf dieses Vorgehen die Todesstrafe steht.« Er hielt inne. »Aber Sie können Ihren Kopf aus der Schlinge ziehen«, schob er hinterher.
»Wir brauchen Namen. Mit wem arbeiten Sie zusammen?«, ergänzte sein untersetzter Kollege, während er ein Stück Käse auspackte, das Gromek bekannt vorkam.
»Ich bin ein kleiner Fisch. Ich kenne niemanden«, antwortete Gromek mit leiser Stimme. Die Stasi-Leute reagierten mit hämischem Gelächter.
»Ein kleiner Fisch, der Mikrofilme in einer Spraydose versteckt? Der mit seinem Radio Funksprüche empfängt?«, höhnte der Dicke und schnitt einige Käsestücke ab. »Kommt Ihnen der Emmentaler nicht bekannt vor? Ist aus Ihrem Kühlschrank. Den gibt’s bei uns nur im Intershop.«
»Kann sich nicht jeder leisten. Wie viel Honorar zahlen die Amis?«, ergänzte sein Kollege und nahm ein Stück Käse entgegen.
Gromek hatte für die beiden, die sich sogar an seinen Lebensmitteln vergriffen hatten, nichts als Verachtung übrig.
»Sagen Sie einfach: ›Ich gebe auf. Ich arbeite seit drei Jahren für die Amerikaner‹!«
»Ich habe meine Wohnung für jemanden zur Verfügung gestellt. Ich kenne nur seinen Decknamen.«
»Erzählen Sie uns doch keinen Mist. Wir wissen Bescheid. Schon mal was vom Maulwurf gehört?«, meinte der Drahtige und grinste. »Wie du mir, so ich dir.«
Gromek verstand sofort. Es ging das Gerücht um, dass es in Westberlin einen Maulwurf gäbe, der für den Osten arbeitete. War er ein Alliierter? Ein deutscher Polizist? Oder gar jemand vom Verfassungsschutz? Wenn der ihn verraten hatte …
»Ich bin ein kleiner Fisch!«, wiederholte er, obwohl ihm bewusst war, dass die beiden ihm nicht glaubten.
»Es reicht! Unsere Geduld ist zu Ende. Dann eben zurück ins Einzelzimmer!«, brüllte der Dicke und zeigte auf die Tür. Gromek stand langsam auf, senkte schuldbewusst den Blick und sagte dann mit leiser Stimme: »Ich will reden.«
»Ach ja?«, fragte der Drahtige und zog die Brauen zusammen. Das Eingeständnis sorgte offenbar für Skepsis.
Gromek nickte erschöpft. »Ich gebe auf. Hat ja doch keinen Sinn.«
»Dann mal los, hissen Sie die weiße Flagge, wir sind ganz Ohr!«
»Es gibt einen Block mit Aufzeichnungen«, begann er. »Der ist im Café Warschau deponiert.«
»Im Café Warschau? Wieso das denn?«
»Das war ein Treffpunkt«, erklärte Gromek.
»Und wo genau da?«
»In der Küche. Ich muss ihn selbst holen.«
Die beiden Männer tauschten sich leise aus, wandten sich dann an Gromek.
»Wir sind gleich zurück.«
Sie eilten aus dem Büro und ließen ihn mit einem Uniformierten zurück. Er vermutete, dass sie mit ihren Vorgesetzten über das weitere Vorgehen sprechen würden. Mit etwas Glück würde sein Plan aufgehen.
Er sollte recht behalten. Keine halbe Stunde später saß er mit den beiden Stasi-Männern in einem dunklen Wartburg, der zum Café Warschau fuhr. Das Restaurant in der Karl-Marx-Allee war sehr gefragt und bot über dreihundertfünfzig Gästen Platz. Auch an diesem Tag herrschte Hochbetrieb.
Vor dem Restaurant befreiten die beiden Stasi-Leute ihren Gefangenen von den Handschellen, um kein Aufsehen zu erregen.
»Ich gehe am besten vor«, meinte Gromek zu den beiden. Jetzt durfte er sich keinen Fehler...
Erscheint lt. Verlag | 25.10.2021 |
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Reihe/Serie | Thomas Engel ermittelt | Thomas Engel ermittelt |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 1965 • Alex Beer • Berlin • eBooks • Frank GOLDAMMER • Geschichte • Geteilte Stadt • Heimatkrimi • Historische Kriminalromane • historische Polizeiarbeit • Historischer Kriminalroman • Kalter Krieg Roman • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Nationalsozialismus • neue Krimireihe • Neue Reihe • Neuerscheinung • NS-Verbrechen • Rolling Stones • Sechzigerjahre • Spione • Volker Kutscher • Zeitgeschichte und Krimi |
ISBN-10 | 3-641-26097-3 / 3641260973 |
ISBN-13 | 978-3-641-26097-2 / 9783641260972 |
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