Rattenkönig (eBook)
464 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12090-5 (ISBN)
Pascal Engman, geboren 1986, war Journalist des schwedischen »Expressen«. Sein 2019 bei Tropen erschienener Thriller »Der Patriot« wurde in Schweden ein Bestseller. »Feuerland« war der erste Band in der Krimi-Reihe um Kriminalinspektorin Vanessa Frank. Pascal Engman lebt in Stockholm.
Pascal Engman, geboren 1986, war Journalist des schwedischen »Expressen«. Sein 2019 bei Tropen erschienener Thriller »Der Patriot« wurde in Schweden ein Bestseller. »Feuerland« war der erste Band in der Krimi-Reihe um Kriminalinspektorin Vanessa Frank. Pascal Engman lebt in Stockholm. Nike Karen Müller, geboren in Hannover, studierte Nordische Philologie in München und Lund. Seit 2002 übersetzt sie Kriminalliteratur aus dem Schwedischen, u. a. Erik Axel Sund und Caroline Eriksson.
»Engman zeigt einmal mehr, dass sich ein schwedischer Thriller nicht in der bei vielen Autoren des Landes so beliebten Melancholie suhlen muss, sondern auch mit Tempo und einer vielschichtigen Story punkten kann.«
Elke Heid-Paulus, Was liest du?, 03. März 2021
»Nichts für schwache Nerven.«
Die Presse am Sonntag, 30. Mai 2021
»Wie unter einem Brennglas seziert der Autor ein empörendes gesellschaftliches Problem und bezieht klar Stellung. Selbst Nebenfiguren erweckt er dabei zu authentischem Leben. Dieser starke Roman setzt ein deutliches Ausrufezeichen in der #MeToo-Debatte.«
Emmanuel van Stein, Kölner Stadt-Anzeiger, 09. April 2021
»Action und Spannung - super Unterhaltung.«
Nadine Foltynowicz, Misshappyreading, 23. März 2021
Eins In der Tanne im Monica-Zetterlunds-Park hing eine lilafarbene Lichterkette. Kommissarin Vanessa Frank trug einen dunkelblauen Mantel, darunter eine dunkle Hose und eine frisch gebügelte weiße Hemdbluse.
Sie fuhr sich mit der Zunge über das Zahnfleisch. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Vanessa einen Vorsatz gefasst für das neue Jahr: Auf den Snus zu verzichten. Sie hatte das den ganzen Winter vor sich hergeschoben, und inzwischen war Mitte April. Der Schnee war weggetaut. Vor achtundvierzig Stunden hatte sie ihre letzte Portion Snus genommen, und jetzt schüttelte die Abstinenz ihren ganzen Körper durch.
In Hassans Handyshop, in dem seinem Namen zum Trotz alles Mögliche verkauft wurde, war es noch hell.
Die Türglocke bimmelte, und Hassan grinste, als er Vanessa eintreten sah.
»Konstapel Frank«, begrüßte er sie in gebrochenem Schwedisch und machte eine halbherzige Verbeugung. »Ich hoffe, du bist nicht hier, um Snus zu kaufen.«
»Hör auf, ich bin dreiundvierzig. Gib mir eine Dose.«
»Vor zwei Tagen hast du genau hier gestanden und hast mir verboten, Snus an dich zu verkaufen.«
»Entweder gibst du mir eine Dose oder ich raube dich aus.«
Hassan schob sich eilig zwischen Vanessa und den Snuskühlschrank.
»E-Zigaretten sind nicht so gefährlich, und du bist beschäftigt«, sagte er und deutete auf eine Vitrine. »Im Ernst, Vanessa, ich musste es dir versprechen. Und das will ich auch halten.«
Vanessa seufzte und zupfte ihren Blusenkragen zurecht. Sie schätzte Menschen, die ihre Versprechen hielten.
»Jaja, jetzt gib mir den Mist endlich. Aber pass auf, Hassan, dass du nicht den Fußboden zerkratzt.«
Er warf Vanessa einen fragenden Blick zu, dann musterte er seine Füße.
»Was?«
»Ja, mit dem Stock in deinem Hintern.«
An der Ecke Odengatan blieb Vanessa stehen, schaltete ihre E-Zigarette ein, nahm einen Zug und studierte gedankenverloren den weißen Rauch, der sich in dem dunklen Frühlingshimmel verlor. Sie spazierte Richtung Sveavägen. Die Straßencafés hatten geöffnet, die Leute tranken Bier, sie hatten sich Decken um die Schultern gelegt und beugten sich über wacklige Tische.
Vanessas Leben befand sich gerade in einer Umbruchphase. Im Dezember erreichte Natasja, die sechszehnjährige Syrerin, die bei Vanessa gewohnt hatte, ein Anruf von ihrem Vater. Er hatte den Krieg überlebt, als Invalider zwar, aber er lebte. An Heiligabend hatte Vanessa Natasja zum Abschied vor dem Haus hinterhergewunken, die Rücklichter des Taxis waren in dem dichten Schneetreiben die Surbrunnsgatan hinauf verschwunden. Kurz hatten die Bremslichter aufgeleuchtet, und Vanessa hatte eine Sekunde lang gehofft, dass Natasja aus dem Auto springen, sich ihre Reisetasche schnappen und zu ihr zurücklaufen würde, weil alles nur ein Missverständnis gewesen war. Vier Monate waren seitdem vergangen, und trotzdem fühlte sich die Einsamkeit wie eine durchgerostete Fahrradkette an, die jeden Tag gegen ihre Rippen schlug.
Auf dem Sveavägen fuhren die Oldtimer auf und ab, während die Haudegen in ihren Westen und karierten Hemden zu Eddie Meduza und Bruce Springsteen mitgrölten. Benzindämpfe, Südstaatenflaggen. Ein Mann drückte seine anämischen Hinterbacken gegen die Heckscheibe eines weißen Chevrolets. Vanessa wollte eigentlich rechtsherum gehen, auf dem Heimweg durch den Vanadisparken – aber ein Baugerüst spannte sich über den Bürgersteig. Sie verabscheute es, darunter hindurchzugehen, diese Gerüste sahen immer so aus, als würden sie jeden Moment einstürzen. Stattdessen querte sie die Odengatan und hielt sich parallel zur Bushaltestelle.
Als sie an der Bar Storstad vorbeikam, entdeckte sie ein Gesicht, das sie kannte – es gehörte dem Theaterregisseur Svante Lidén. Sie waren zwölf Jahre verheiratet gewesen, ehe sie dahintergekommen war, dass er eine junge Schauspielerin geschwängert hatte. Ohne eine Miene zu verziehen, ging Vanessa einfach weiter. Nach wenigen Schritten hörte sie, wie ihr Name gerufen wurde.
»Du kannst wenigstens grüßen.«
»Hej.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt, aber Svante eilte auf sie zu und legte ihr leicht eine Hand auf die Schulter.
»Kannst du nicht kurz mit reinkommen?«
Er sah sie eindringlich an. Die Alternative wäre, nach Hause zu gehen, sich aufs Sofa zu fläzen und Animal Planet anzuschauen.
»Okay.«
Svante hielt ihr die Tür auf und fragte, was sie trinken wolle. Vanessa bat um einen Gin Tonic und ließ sich am Fenster nieder. Sie warf einen Blick auf den Platz zwischen Bartresen und Tischen, wo sich die Gäste gegenseitig anbaggerten.
Wir Menschen sind doch nur Säugetiere in bunten Klamotten, dachte sie. In hundert Jahren sind alle an diesem Ort tot. Weiße Knochenreste und Staub, begraben six feet under. Keiner wird wissen, dass wir diese Stunden miteinander geteilt haben. Diese Erkenntnis betrübte sie.
»Du siehst großartig aus«, sagte Svante und stellte die Drinks zwischen sie auf den Tisch.
Vanessa prostete ihm zu.
»Du siehst aus, als wärst du seit 2003 tot.«
»Skål«, sagte Svante unbekümmert. »Wie geht es dir denn so?«
Vanessa trank einen Schluck. Da sie nun schon mal hier war, konnte sie genauso gut auch ein bisschen nett sein. Um der alten Zeiten willen. Denn sie freute sich, Svante wiederzusehen, trotz allem.
In den Jahren, die sie zusammengelebt hatten, war es ihnen gut gegangen. Daran, dass er sofort für alles Feuer und Flamme war, hatte sie sich gewöhnt. Dass er ihr ein Kind vorenthalten hatte, hatte sie allerdings verletzt. Als Vanessa in der Zeit vor der Scheidung schwanger geworden war, hatte er sie zu einem Abbruch überredet. Und jetzt war es zu spät.
»Ich habe den Job gewechselt.«
»Du bist nicht mehr bei der Polizei?«
Vanessa schüttelte den Kopf.
»Neue Abteilung. Ich habe bei der Nova aufgehört und bin jetzt Ermittlerin bei der Rikskrim, Mordkommission.«
Sie schob sich einen Eiswürfel in den Mund und zerkaute ihn.
»Bei der Rikskrim?«
Aus den Boxen schallte Piano Man, Vanessa beugte sich vor, um Billy Joel zu übertönen.
»Ich fahre im Land rum und helfe Kollegen bei ihren Mordermittlungen.«
»Handelsreisende in Sachen Mord also. Wäre kein schlechter Filmtitel. Und ein begehrter Job, wenn man den Zeitungen Glauben schenken kann.«
Eine Stunde und drei Gin Tonic später spürte Vanessa den Alkohol. Sie wollte nicht nach Hause. Svante war in vielerlei Hinsicht ein Trottel, eine feige Ausrede von Mann, aber sie mochte ihn. Noch hatten sie nicht über Johanna Ek gesprochen, die Schauspielerin, mit der er inzwischen zusammenlebte. Ebenso wenig hatten sie das gemeinsame Kind der beiden erwähnt. Vanessa hatte Angst, die Stimmung zu zerstören, aber schließlich konnte sie nicht länger an sich halten.
Mitten in einer Frage hob sie die Hand in Svantes Richtung.
»Und wie geht’s der Kleinen? Der Einjährigen, meine ich, nicht die, für die du mich verlassen hast.«
Svante machte den Mund auf, um zu antworten, aber Vanessa kam ihm zuvor. »Wie habt ihr sie denn genannt? Yasuragi Lidén?«
»Ich habe in einem von deinen Sakkos eine Hotelrechnung gefunden, neun Monate vor ihrer Geburt bezahlt. Ihr Promis tauft eure Kinder doch nach dem Ort, an dem die Befruchtung stattgefunden hat?«
Svante kratzte sich an der Wange.
»Ich gebe zu, ich habe das nicht ganz einwandfrei geregelt«, sagte er. »Es tut mir leid.«
Sie sahen einander ein paar Sekunden lang in die Augen, dann machte Vanessa eine wegwerfende Geste.
»Das muss es nicht.«
Sie musterte seine braunen Augen, lenkte ihren Blick weiter bis zu seinem schütteren Haar. Es war grauer geworden seit ihrer letzten Begegnung, und von seiner ursprünglichen Haarfarbe war fast nichts mehr zu sehen.
Vanessas Blick kam auf seinen großen Händen mit den abgekauten Nägeln zum Ruhen.
Sie vermisste seinen Humor. Die Geborgenheit. Seine Art, sich auf die Unterlippe zu beißen, wenn er etwas in der Morgenzeitung las, was ihn auf die Palme brachte. Wie er sie nahm. Resolut. Fordernd. Seine kaum verhohlene Eifersucht, wenn er merkte, dass sie einem anderen gefiel.
»Bist du glücklich mit ihr?«
Er stützte das Kinn in die Hand.
»Es ist anders. Irgendwie leichter.«
»Musst du so verdammt ehrlich sein?«
Ein Mann stieß Vanessa in den Rücken. Sie rückte mit ihrem Stuhl näher an Svante heran.
»Weißt du, was mich so richtig...
Erscheint lt. Verlag | 13.2.2021 |
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Übersetzer | Nike Karen Müller |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 4chan • alt-right • Amoklauf • antifeministisch • Breivik • Elliot Rodger • Ermittlerin • Feminismus • Frauenhass • Gefängnis • Gewalt • Gewalt gegen Frauen • hegemoniale Männlichkeit • Incel • incels • Internet • internethass • involuntary celibate • irrational • Machos • manosphere • Misogynie • Patriarchat • Rassismus • Recht auf Sex • reddit • Schweden • Selbstmitleid • Selbstwertgefühl • Soldaten • spannend • Spannung • Stockholm • Subkultur • Täby • Thriller • Troll • weibliche Ermittlerin |
ISBN-10 | 3-608-12090-4 / 3608120904 |
ISBN-13 | 978-3-608-12090-5 / 9783608120905 |
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