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Die Radiosängerin (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
550 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1938-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Radiosängerin - John Dunning
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Amerika im Sommer 1942: Das Land befindet sich in einem Zustand höchster Nervosität. Überall werden japanische oder deutsche Spione vermutet. Ein Medium erlebt in all den Wirren seine Blütezeit: das Radio. Als Jack Dulaney, ein erfolgloser Schriftsteller, erfährt, dass sein alter Freund Carnahan in Schwierigkeit steckt, zieht er quer durch das Land an die Küste von New Jersey. Hier, an einer kleinen Radiostation hat Carnahan zuletzt gearbeitet - bis er spurlos verschwand. Unter falschem Namen gelingt es Jack, bei dem Sender eine Anstellung zu finden. Die Hörspiele, die er zu schreiben beginnt, entfalten einen Zauber, der ihm bald den Ruf einträgt, ein Genie des Radios zu sein. Und dann trifft er Holly, Carnahans Tochter. Er hat sie einst geliebt, doch ist sie vor ihm und seiner Liebe davongelaufen. Holly singt in einer Band, ein geheimnisvoller Engel, dem alle Zuhörer verfallen sind. Das Wiedersehen der beiden verläuft äußerst kühl. Holly gibt vor, Jack nicht zu kennen - aus Angst, wie er bald erfährt. Sie glaubt, dass Spione, denen der Sender als Tarnung dient, ihren Vater getötet haben ...

John Dunning ist ein großer Roman gelungen - eine wunderschöne Liebesgeschichte, eine Hommage an das Medium Radio und ein einzigartiger literarischer Thriller zugleich.



John Dunning war viele Jahre lang nicht nur Journalist und Schriftsteller, sondern auch Buchhändler und Antiquar. Sein Geschäft in Denver galt als eine Kultstätte für Bücher. Er besitzt eines der größten Archive über die Geschichte des Radios. Seine Serie um den Bücherdetektiv Cliff Janeway gehört zu den erfolgreichsten Krimiserien in den USA.

3.


Er dachte den ganzen Nachmittag über Holly und über Kendall nach. Er glaubte immer noch, daß sein Freund irgendwo irgendwas angestellt hatte. Kendall war letzten November ganz unvermittelt in Santa Anita aufgetaucht, ein vom Pech verfolgter Zeitgenosse, den es irgendwann auf eine Pferderennbahn verschlagen hatte. Es war ein karges Dasein. Ein Mann konnte sechs Stunden lang Pferde herumführen und damit drei Dollar verdienen. Da er zudem kostenlos auf einer Pritsche im Geräteraum übernachten durfte, stellten diese drei Dollar gar kein so schlechtes Einkommen dar, wenn er sich davon lediglich Essen und gelegentlich neue Arbeitskleidung leistete. Dulaney kannte Männer, die ihr Leben lang nichts anderes getan hatten.

Zwischen Männern, die füreinander auf Kochplatten in Gerätekammern Mahlzeiten zubereiteten und gemeinsam in den Rennbahnküchen zu Abend aßen, entstand eine enge Kameradschaft. Man nahm für den anderen die Post entgegen, schlief im selben kleinen Zimmer und wusch sich in derselben offenen Duschkabine. Doch in jenem Winter kam die Rennsaison nie richtig in Gang. Nach dem Bombenangriff auf Pearl Harbor wurde die gesamte Westküste unter Militärhoheit gestellt und auch die Rennbahn von der Armee übernommen. »Es geht das Gerücht, wir würden für die Dauer des Krieges schließen«, sagte Kendall eines Abends. »Das Gelände hier soll in ein Lager für amerikanische Japaner umgewandelt werden.«

Aber bis es soweit war, mußten die Pferde regelmäßig bewegt werden. In gewisser Weise war es sogar gleichgültig: Sowohl Kendall als auch Dulaney strebten nach Höherem. Dulaney wollte ein Buch schreiben, und Kendall sprach immerzu davon, wieder groß ins Radiogeschäft einzusteigen. Früher hatte er zu den meistbeschäftigten Radioschauspielern von New York gezählt. 1938, während seines besten Jahres, kam er quer durch alle Sendernetze auf fünfzehn Shows pro Woche und brachte in den Soap-Serien von Frank und Anne Hummert die volle Bandbreite seines Talents zur Geltung. Er war ein älterer Ladenbesitzer in John’s Other Wife und ein reizbarer Konzertpianist in Just Plain Bill. Er half Stella Dallas, ihre verschwundene Tochter Laurel zu finden, und verschwor sich in Our Gal Sunday gegen Lord Henry Brinthrope. Kendall erzählte dermaßen oft von diesen Melodramen, daß Dulaney sie beinahe wirklich zu hören glaubte, obwohl er sich ansonsten kaum für Radiosendungen interessierte. Für Kendall war das alles Teil einer glorreichen Vergangenheit, die dem Alkohol zum Opfer gefallen war. Die Hummerts gaben niemandem eine zweite Chance: Kendall verpaßte eine Probe und wurde auf einen Schlag aus sechs täglichen Fortsetzungsrollen gefeuert. Die Nachricht machte in der Branche schnell die Runde: Kendall hing an der Flasche. Nach einem Jahr war er erledigt.

Dulaney hatte Kendall wenig von sich erzählt. Kendall wußte, daß er an einem Buch schrieb, aber Dulaney hatte ihm weder verraten, worum es dabei ging, noch wieviel Zeit er benötigen würde. Er hatte sich selbst etwas geschworen: Dulaney würde mit seinem neuen Roman, der seinem toten Freund Tom gewidmet sein sollte, endlich Ernst machen. Er mietete sich ein Zimmer abseits der Rennbahn, wo er mittags mit der Arbeit begann, sobald das letzte Pferd sich abgekühlt hatte und wieder in der Box stand. Gegen neunzehn Uhr erlosch dann der kreative Funke, und er kehrte zu Fuß zur Rennbahn zurück, überquerte den riesigen Parkplatz bis zu den Ställen, aß mit Kendall zu Abend und begab sich um einundzwanzig Uhr zu Bett. Am Morgen ging alles von vorn los. Sie teilten die Arbeit untereinander auf, und Kendall holte stets für sie beide die Post ab. Es war ihm besonders wichtig: Wenn die Poststelle morgens öffnete, stand Kendall immer schon bereit, und das kam Dulaney im Rückblick ziemlich merkwürdig vor. Dulaney erhielt nie irgendwelche Post. Nach Toms Tod hatte er sich treiben lassen und war von einer Rennbahn zur nächsten gezogen, ohne kaum jemals seine neue Adresse zu hinterlassen, bis er in Santa Anita Kendall kennenlernte.

Wenn er mit seinem Roman ins Stocken geriet, schrieb er Kurzgeschichten über das Leben auf der Rennbahn. Sein Agent hatte einige davon bei Zeitschriften unterbringen können, und eines Tages sah Kendall eines dieser Magazine und fragte, ob er Dulaneys Story einmal lesen dürfe. Es war die traurige Geschichte eines Mannes, der ein billiges, vorgeblich lahmendes Rennpferd gekauft hatte, um es vor dem Abdecker zu retten. Er hatte dazu seine Ersparnisse verwendet, die eigentlich die Ausbildung seiner Tochter sichern sollten, und er schaffte es tatsächlich, das Tier wieder aufzupäppeln. Aber dann, als das Pferd wieder zu den Gewinnern zu zählen versprach, wurde es von einem skrupellosen Trainer gestohlen, der sich als Freund des Mannes ausgab.

Nach der Lektüre kam Kendall ganz aufgeregt zu ihm. Er folgte Dulaney mit funkelndem Blick über den Reitplatz und schwärmte überschwenglich von der Wahrheit, die in seiner Geschichte lag.

Dulaney hatte zu dem Zeitpunkt sechs dieser Geschichten veröffentlicht, auf die Kendall sich sofort stürzte. In Dulaneys kleinem Erfolg sah er die Chance seiner eigenen Errettung. »Jack, das wären phantastische Hörspiele. Falls du eine Skriptfassung erstellen würdest, könnte ich mit Sicherheit einen Sender dafür interessieren.«

Dulaney wurde unwillkürlich neugierig, und Kendall war Feuer und Flamme. »Mann, wir reden hier von echtem Radio, nicht von dem Schrott, den ich für die Hummerts gemacht habe. Wir reden von etwas so Neuem und Aufregendem, daß kaum jemand begreift, wie gut es sein kann.«

Dulaney führte sein Pferd unter die Bäume, damit es sich im Sand wälzen konnte. Kendall blieb ihm hartnäckig auf den Fersen. »Du hast eine Begabung, Jack, und ich werde deine Visitenkarte auf dem direkten Weg an die Spitze sein. Ich kenne viele wichtige Leute in New York. Ich bin dein Agent.«

»Ich habe schon einen Agenten, Marty. Sein Name ist Harold Ober.«

»Schick ihn in die Wüste. Ich kann mehr für dich tun.«

»Ich habe lange gebraucht, um bei diesem Agenten aufgenommen zu werden. Er vertritt William Faulkner und einige andere Schriftsteller, die ich bewundere.« Dulaney sagte das nicht gern. Er kam sich dabei wie ein billiger Angeber vor.

Kendall lächelte bekümmert. Er sah aus wie ein Mann, der eine Auseinandersetzung verlor, die er von Rechts wegen gewinnen müßte. »Verdammt, Dulaney, du könntest ein zweiter Norman Corwin werden. Verstehst du überhaupt, was ich sage?«

Sogar Dulaney hatte bereits von Corwin gehört, dem Genie der Columbia-Gruppe, dem man nachsagte, er würde die erste echte Literatur über den Äther transportieren.

Sie standen in der Poststelle von Santa Anita und füllten Adreßänderungsformulare aus, als er Kendall sagte, er würde darüber nachdenken. Vielleicht würde er Ober in einem Brief um seine Meinung fragen, sobald sie in Tanforan eintrafen.

Am nächsten Abend brachte Kendall ein Radio in den Geräteraum mit, und am Montag hörten sie sich Die Geschichte zweier Städte an, mit Ronald Colman in der Rolle, die er auch in der Verfilmung gespielt hatte. Dulaney kannte sich mit Dickens aus, und seiner Meinung nach hatte die Bearbeitung den Kern des Romans gut erfaßt und ihn mit Musik und Geräuschen im Kopf des Hörers zum Leben erweckt. Das alles in nur sechzig Minuten, abzüglich der Werbeeinblendungen für Lux-Seife. Dulaney stand im Stall und füllte sein Wasserglas, als der Funke übersprang. Er blickte in Richtung der Hollywood Hills, keine fünfundzwanzig Kilometer von ihm entfernt, wo genau in diesem Moment eine weitere solche Sendung produziert wurde, und er spürte, wie die Magie von ihm Besitz ergriff.

Sie legten ihr Geld zusammen, fünfundsiebzig Dollar, und kauften einen Wagen: einen zwölf Jahre alten, leuchtendroten Essex, dessen Radio funktionierte. An einem warmen Sonntagabend fuhren sie nach Norden, um sich neue Jobs zu suchen. Unterwegs hörten sie sich erst ein kitschiges Liebesdrama und dann ein Mädchenorchester an, das aus Cincinnati zu ihnen ausgestrahlt wurde. Das sei WLW, erklärte Kendall. »Das stärkste Rundfunksignal des Universums. In Dayton kannst du nicht mal dein Klo spülen, ohne daß WLW aus den Leitungen dröhnt.«

Dulaney war vor allem über die Vielseitigkeit und Bandbreite erstaunt. Erst hörte man etwas Großartiges und dann etwas dermaßen Schlechtes, daß es fast in den Ohren weh tat. Schlecht oder gut, es hörte niemals auf. Das Radio verschlang Material wie eine Feuersbrunst. Es verbrannte Worte wie Zunder.

Sie kamen in Tanforan an, unmittelbar südlich von Frisco, aber auch hier hatte man die Pferde bereits weggeschafft und statt dessen japanische Familien in den Ställen untergebracht. Am Tor stand kein Wachmann, sondern ein Polizist, so daß man sich spontan an ein Konzentrationslager erinnert fühlte. Dulaney umrundete das Gelände und beobachtete, was dort hinter dem hohen Maschendrahtzaun vor sich ging. Neuankömmlinge stiegen von einem Lastwagen herunter, während ein fetter Uniformierter mit lauter Stimme ihre Namen verlas. »Mr. Ben Doi«, sagte der Mann. Mr. Doi trat vor und sah dabei Dulaney am Zaun stehen. Seine Begleiterin, vermutlich seine Ehefrau, starrte ins Leere. Ihre Kinder blickten den Schrecken des Lagers mit tapferen Augen entgegen. Das kleine Mädchen entdeckte Dulaney und winkte ihm schüchtern zu, und plötzlich wallte Empörung in ihm auf. Was hatten diese Japaner getan, daß man sie aus ihren Häusern zerrte und in einem Stall einschloß, der immer noch nach Pferdescheiße stank? Ich werde hierüber schreiben, dachte er.

Entlang der...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2021
Übersetzer Thomas Haufschild
Sprache deutsch
Original-Titel Two O'Clock, Eastern Wartime
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • 40er Jahre • alte Freunde • Amerika • Angst • Ausbruch • Autor • Band • falsche Identität • Gefangenenlager • Gefängnis • Hörspiel • Liebe • Mord • New Jersey • Radio • Radiogeschichte • Radiosender • Radiostation • Sängerin • Spion • Spionage • Tarnung • Tochter • Verschwörung
ISBN-10 3-8412-1938-1 / 3841219381
ISBN-13 978-3-8412-1938-1 / 9783841219381
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