Tod auf Madeira (eBook)
300 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2518-7 (ISBN)
Tomás Bento ist Germanist, Pädagoge und promovierter Diplom-Psychologe, lebt und arbeitet in Kiel. Er ist gern auf Reisen - immer auf der Suche nach Geschichten und Einblicken in fremde Lebenswelten. Madeiras Flora und Fauna haben ihn dabei besonders beeindruckt.
Tomás Bento ist Germanist, Pädagoge und promovierter Diplom-Psychologe, lebt und arbeitet in Kiel. Er ist gern auf Reisen – immer auf der Suche nach Geschichten und Einblicken in fremde Lebenswelten. Madeiras Flora und Fauna haben ihn dabei besonders beeindruckt.
1
Es ist nicht das, wonach es aussieht.
Das war einer der dümmsten Sätze überhaupt. Niemals hätte sie ihn in einem ihrer Romane verwendet. Genauso wenig wie »Es ist nicht so, wie du denkst« oder »Es war doch nur Sex«.
Ihre Co-Autorin, mit der sie fünf Jahre lang eine Bürogemeinschaft gebildet hatte, mochte in ihren Romanen solche Phrasen benutzen. Ihre Freundin, hätte sie bis vor zwei Wochen gesagt, ehe sie sich über ein neues Konzept vollkommen zerstritten hatten. Bevor ihre Co-Autorin sie aus ihrer gemeinsamen Büroetage geworfen hatte. Ebenso wie aus dem gemeinsamen Projekt. Eine TV-Serie, in der die eifersüchtige Hauptfigur jede Woche ihren jeweiligen Liebhaber auf eine andere absurde Weise ermordete, ohne dass ihr die Polizei jemals auf die Spur kam – das funktionierte doch ohnehin nicht. Wenngleich der Sender ein Honorar angeboten hatte, von dem sie als Romanautorin zurzeit nur träumen konnte.
Unüberbrückbare Differenzen, hatten sie der Produktionsfirma mitgeteilt. Noch so eine Plattitüde. Es hatte sie innerlich fast zerrissen, doch sie konnte sich nicht unendlich weit verbiegen.
Deswegen stand Laura Flemming jetzt ohne da. Ohne Projekt. Ohne Büro. Und ohne Mann. Dass sie keine klischeehaften Sätze schrieb, bedeutete ja nicht, dass sie auch keine zu hören bekam.
Matthias hatte sie gleich alle drei bemüht. Es war nicht das, wonach es aussah. Nicht das, was sie dachte. Es war nur Sex. Womit die beiden vorherigen Aussagen widerlegt waren. Es war nämlich genau das, wonach es aussah. Und was sie dachte. Matthias lag mit einer anderen Frau im gemeinsamen Ehebett. Einer nackten Frau. Im Alter seiner Tochter. Eine Studentin, die kurzzeitig bei ihm Gasthörerin gewesen war, wie Laura später erfahren hatte.
Der Wagen mit den Getränken rammte ihren Ellenbogen. Laura stöhnte auf, weil ihr der Schmerz bis in den Nacken fuhr. Die Stewardess entschuldigte sich, blickte sie aber nicht einmal an. Laura schaute ihr verstimmt hinterher, während sie den Getränkewagen weiter durch den engen Gang schob.
Grenzenlose Freiheit über den Wolken? Von wegen.
Links drängte sich ein ums andere Mal jemand an ihr vorbei, rechts neben ihr saß Georg, der sich so breitmachte, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihren Arm eng an den Körper zu pressen, wenn sie ihn nicht ständig versehentlich berühren wollte.
Immerhin gab es keine kostenlose Bordverpflegung mehr. Laura hätte beim besten Willen nicht gewusst, wie sie unter diesen Bedingungen hätte essen sollen.
Wenn sie wenigstens Britta neben sich hätte. Aber weil sie die beiden Alleinreisenden waren und die Ehepaare nicht auseinanderreißen wollten, hatten sie denen großzügig Fenster und Mitte überlassen und selbst die Gangplätze genommen. Wie sie nun nach gut vier Flugstunden wusste, völlig überflüssigerweise. Georg und Antonia hatten während des gesamten Flugs kaum ein Wort miteinander geredet.
Zum Glück war die Sache bald überstanden.
Der Bordlautsprecher knisterte, der Pilot meldete sich aus dem Cockpit.
»Meine Damen und Herren, hier spricht der Kapitän. Wir beginnen in Kürze mit dem Landeanflug auf Santa Cruz«, verkündete er. »Wir haben klare Sicht und einen wolkenlosen Himmel. Die Temperaturen liegen bei dreiundzwanzig Grad im Schatten. Unsere Crew wünscht Ihnen einen wunderbaren Aufenthalt auf Madeira.«
Laura durchlief bei diesen Worten ein wohliger Schauer. Sie freute sich auf den Moment, in dem sie aus der geöffneten Tür des Flugzeugs treten würde. Auf die Sonne, die Wärme und das Gefühl von Freiheit.
Leider war bis dahin noch eine Hürde zu überwinden.
Laura schloss die Augen. Sie flog ohnehin nicht besonders gern, aber das Schlimmste war der Druck auf den Ohren, wenn das Flugzeug in den Sinkflug ging. Vor ein paar Jahren hatte sie sich spezielle Ohrenschützer angeschafft, die den Schmerz ein wenig linderten, doch es war und blieb unangenehm. Um sich abzulenken, ließ sie ein paar Szenen vor ihrem geistigen Auge vorbeitreiben.
Wie sie dieser langbeinigen Studentin die schwarze Netzstrumpfhose um den Hals legte und ganz langsam zuzog, bis ihr die staunenden Augen aus den Höhlen quollen und ihre gelenkigen Gliedmaßen unkontrolliert zu zucken begannen.
Wie sie dasselbe bei ihrem Mann tat.
Oder sollte sie lieber eine durchsichtige Plastiktüte nehmen, die sich bei jedem panischen Atemzug an Mund und Nase saugte? Damit würde sie nicht nur seine Qualen verlängern, sondern ihn auch noch demütigen.
Ihre Mundwinkel hoben sich unwillkürlich. Das wären schon drei Folgen der Serie, aus der nun wegen des Streits mit ihrer Co-Autorin nichts wurde.
Lauras Fantasie waren in dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt. Mit solchen Bildern verdiente sie ihr tägliches Brot. Davon abgesehen war es eine hervorragende Möglichkeit, Dampf abzulassen.
Seit sie die beiden erwischt hatte, schwankte sie zwischen Wut und Verzweiflung, zwischen Trotz und Depression. Sie wollte Matthias umbringen, und zugleich wollte sie ihn nicht verlieren. Sie wollte ein neues, freies Leben ohne ihn beginnen, aber sie vermisste schon jetzt seine Zärtlichkeit und Wärme, seinen klugen ruhigen Blick und seinen scharfen Verstand. All das, was er jetzt an diese blauäugige Studentin verschenkte.
Die Wut kochte wieder hoch. Laura hätte am liebsten mit den geballten Fäusten gegen die Rückenlehne ihres Vordermannes getrommelt. Aber vor all den Menschen hier im Flieger wollte sie sich diese Blöße nicht geben. Lieber würde sie noch ein paar qualvolle Todesarten für Matthias und dieses Biest ersinnen.
Der harte Ruck, als das Fahrwerk des Flugzeugs auf der Landebahn aufsetzte, riss sie aus ihren Gedanken.
»Bleiben Sie bitte zu Ihrer eigenen Sicherheit angeschnallt sitzen, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben«, mahnte die Chefstewardess.
Laura riss sich zusammen, bis die Treppe an das Flugzeug herangefahren wurde. Dann sprang sie auf, öffnete das Gepäckfach über den Sitzen, nahm ihren Rucksack heraus und schulterte ihn. Ohne auf den Rest der Gruppe zu warten, ließ sie sich mit den anderen Fluggästen zum Ausstieg schieben.
Gleißendes Licht. Ein fast durchsichtiger blassblauer Himmel. Milde Luft. Ein leichter Wind, der den Duft von Blumen und Salzwasser über das Rollfeld zu treiben schien, jenseits der grauen Piste das tiefe Blau des Atlantiks. Laura sah sich nach einem Bus um und stellte fest, dass man einfach zu Fuß zum Ankunftsgebäude laufen konnte, so klein war der Flugplatz. Dabei klang Cristiano Ronaldo Madeira International Airport doch nach etwas Übergroßem. Aber so war es ja oft. Kleine Dinge, große Namen.
»Ist das nicht wunderschön?« Britta, die zu ihr aufgeschlossen hatte, legte ihr den Arm um die Schultern. »Du wirst sehen, hier hast du dein Burn-out in ein paar Tagen vergessen.«
Laura schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Für sie war es der erste Besuch auf der Insel. Britta dagegen war schon oft auf Madeira gewesen. Sie kam jedes Jahr für eine Woche mit drei befreundeten Ehepaaren hierher. Laura war bisher nie dabei gewesen, weil Matthias Gruppenreisen ablehnte. Nachdem sie ihn in flagranti mit seiner Studentin erwischt hatte und Brittas eigener Mann kurzfristig verhindert war, hatte Britta sie zum Mitkommen überredet. Auf dem Flughafen in Hamburg hätte sie beinahe einen Rückzieher gemacht, aber als sie jetzt durch diese wohltuende Wärme schritt und die Sonne auf ihrer Haut spürte, dachte sie, dass es doch eine gute Entscheidung gewesen war. Diese Insel würde ihr Kraft geben und sie heilen.
Eine halbe Stunde später standen sie vor dem Flughafengebäude in der Sonne und warteten auf Yannick, der sich um den Mietwagen kümmerte. Der Fitnesstrainer vom Hamburger Reisebüro RelaxTours begleitete die Gruppe jedes Jahr. Dieser Service rechtfertigte sowohl die Bezeichnung Recreation-Wanderung als auch den stolzen Preis für die einwöchige Reise.
Georg und Antonia hatten sich irgendwo im Flughafen einen dunklen, mit Nüssen besetzten Kuchen besorgt und verzehrten ihn genüsslich.
Laura wunderte sich darüber, dass Britta mit diesen Menschen über all die Jahre hinweg befreundet geblieben war. Keines der Ehepaare schien so recht zu ihr zu passen. Mit den drei Frauen war Britta gemeinsam zur Schule gegangen. Es war eine eingeschworene Clique gewesen, und später hatten sie den Kontakt aufrechterhalten. Dabei hatten sich die Lebensläufe keinesfalls parallel entwickelt. Alle vier Frauen hatten ihren Lebensmittelpunkt in Hamburg, aber damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon.
Laura selbst hatte Britta im Studium kennengelernt. Sie erinnerte sich dunkel an einige Begegnungen mit Brittas Schulfreundinnen, bei Geburtstagsfeiern und bei Brittas Hochzeit. Ansonsten waren es getrennte Kreise geblieben.
Stefan, der Ehegatte von Inga, ein schlaksiger Mann mit Hemd und Hose aus einem bräunlichen naturbelassenen Leinenstoff und langen blonden Rastalocken, wies mit großer Geste in Richtung Rollfeld.
»Du kannst froh sein, dass du erst in diesem Jahrtausend nach Madeira geflogen bist«, teilte er ihr mit. »Vorher war dies einer der anspruchsvollsten Flughäfen der Welt, und lediglich die erfahrensten...
Erscheint lt. Verlag | 31.5.2021 |
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Reihe/Serie | Ein Madeira-Krimi | Ein Madeira-Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Atmosphäre • Commissario Mord • Cozy Crime • Culture Clash • deutsche Ermittlerin im Ausland • Fernweh • Krimi für den Strand • Krimi für den Urlaub • Kulinarik • Landschaft • Madeira • Natur • Portugal • portugiesischer Ermittler • Reiselust • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-8437-2518-7 / 3843725187 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2518-7 / 9783843725187 |
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