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Infernal (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
542 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2449-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Infernal - Greg Iles
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Bei dem Besuch eines Kunstmuseums stellt die Fotojournalistin Jordan Glass verwirrt fest, dass andere Museumsbesucher sie neugierig anstarren. Nur wenige Augenblicke später entdeckt sie eine bizarre Sammlung von Gemälden eines unbekannten Künstlers, die in der Kunstwelt für Furore gesorgt haben. Die Bilderserie heißt 'Die schlafenden Frauen', und zeigt verschiedene, angeblich schlafende Frauen nackt. Der Schlag trifft Jordan, als sie auf einem der Bilder ihr eigenes Gesicht erkennt - so, wie es die anderen Besucher offensichtlich auch getan haben. Doch Jordan weiß sofort, dass auf dem Bild nicht sie selbst, sondern ihre Zwillingsschwester abgebildet wurde. Jane verschwand vor einem Jahr spurlos und bis zu diesem Tag fehlt jedes Lebenszeichen von ihr. Ist das Bild der langersehnte Hinweis, was mit Jane geschehen ist? Und schlafen die Frauen auf dem Gemälde tatsächlich? Oder ist alles viel grausiger als gedacht?

Greg Iles wurde 1960 in Stuttgart geboren. Sein Vater leitete die medizinische Abteilung der US-Botschaft. Mit vier Jahren zog die Familie nach Natchez, Mississippi. Mit der »Frankly Scarlet Band«, bei der er Sänger und Gitarrist war, tourte er ein paar Jahre durch die USA. Mittlerweile erscheinen seine Bücher in 25 Ländern. Greg Iles lebt heute mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Natchez, Mississippi. Fünf Jahre hat er kein Buch herausgebracht, da er einen schweren Unfall hatte, nun liegen im Aufbau Taschenbuch seine Thriller 'Natchez Burning', 'Die Toten von Natchez vor', 'Die Sünden von Natchez' und 'Blackmail' vor.

1


Ich habe aufgehört, Leute zu schießen, kurz nach dem Gewinn des Pulitzer. Das war vor sechs Monaten. Mit Menschen war ich schon immer begabt, aber sie haben mich auch fertig gemacht – und das, lange bevor ich den Preis erhielt. Trotzdem schoss ich weiter, auf einer blinden Suche, der ich mir nicht einmal bewusst war. Es fällt wahrscheinlich schwer, das zu glauben, doch der Pulitzer war für mich nicht der gleiche Meilenstein wie für die meisten anderen Fotografen. Mein Vater hat ihn zweimal gewonnen. Das erste Mal 1966 für eine Serie in McComb, Mississippi. Das zweite Mal 1972 für ein Bild von der kambodschanischen Grenze. Diese Auszeichnung hat er nie in Empfang genommen. Der belichtete Film wurde von amerikanischen Marines auf der falschen Seite des Mekong aus seiner Kamera gezogen. Die war alles, was sie fanden. Zwanzig Aufnahmen auf Tri-X brachten Licht in den Ablauf der Ereignisse. Mein Vater hatte den Motor seiner Nikon F2 auf fünf Bildern in der Sekunde stehen, als er die brutale Exekution einer weiblichen Gefangenen durch einen Soldaten der Roten Khmer schoss und anschließend das Gesicht des Henkers, während dessen Pistole auf den ebenso tapferen wie törichten Mann herumschwang, der die Kamera auf ihn gerichtet hielt. Ich war damals gerade zwölf Jahre alt und zehntausend Meilen weit entfernt, doch die Kugel traf mich mitten ins Herz.

Jonathan Glass war lange vor diesem Augenblick eine Legende, doch Ruhm ist kein Trost für ein einsames Kind. Ich habe meinen Vater nicht annähernd oft genug gesehen, als ich klein war, und in seine Fußstapfen zu treten war für mich eine Möglichkeit, ihn besser kennen zu lernen. Ich trage noch immer seine mit Kampfspuren übersäte Nikon mit mir herum. Ein Dinosaurier nach heutigen Maßstäben, doch mit ihr habe ich meinen Pulitzer gewonnen. Meinen Vater hätte es wahrscheinlich amüsiert, dass ich aus Sentimentalität seine alte Kamera benutze, doch ich weiß, was er zu meinem Preis gesagt hätte. Nicht schlecht, für eine Frau.

Und dann hätte er mich umarmt. Gott, wie sehr ich diese Umarmung vermisse. Sie verschlang mich völlig, wie die Umarmung eines großen Bären, und beschützte mich vor der Welt. Seit achtundzwanzig Jahren habe ich diese Arme nicht mehr gespürt, und doch sind sie mir noch genauso vertraut wie der Geruch des Olivenbaums, den er vor meinem Fenster pflanzte, als ich acht wurde. Damals betrachtete ich den Baum nicht als das großartige Geburtstagsgeschenk, doch später, nachdem mein Vater verschwunden war, erschien mir der süße Duft, der nachts durch mein offenes Fenster trieb, wie sein über mich wachender Geist. Es ist lange her, dass ich unter diesem Fenster geschlafen habe.

Für die meisten Fotografen bedeutet der Gewinn des Pulitzer Triumph und Bestätigung, den entscheidenden Durchbruch, den Punkt, an dem das Telefon zu läuten beginnt und die Traumjobs angeboten werden. Für mich war es der Haltepunkt. Ich hatte bereits zweimal den Capa Award gewonnen, der für Leute, die sich auskennen, der wichtigere von beiden Preisen ist. 1936 schoss Robert Capa das unvergängliche Foto eines spanischen Soldaten in dem Augenblick, als ihn die tödliche Kugel trifft, und Capas Name ist ein Synonym für Tapferkeit im Kugelhagel. Capa nahm sich in Europa, kurz nachdem er und Cartier-Bresson und zwei weitere Freunde Magnum Fotos gegründet hatten, meines damals noch jungen Vaters an. Drei Jahre später, 1954, trat Capa in einer Gegend, die zu dieser Zeit Französisch Indochina hieß, auf eine Landmine und gab damit das tragische Vorbild, dem auf die eine oder andere Weise mein Vater, Sean Flynn (Errols verwegener Sohn) und ungefähr dreißig weitere amerikanische Fotografen während der drei Jahrzehnte der Konflikte folgen sollten, die der Öffentlichkeit als Vietnamkrieg ein Begriff sind. Doch die Öffentlichkeit weiß entweder nichts vom Capa Award, oder sie schert sich nicht darum. Es ist der Pulitzer, den sie kennt, und das öffnet seinen Gewinnern die Türen.

Nachdem ich ihn hatte, trudelten neue Aufträge ein. Ich lehnte sie allesamt ab. Ich war neununddreißig Jahre alt, unverheiratet (wenngleich nicht ohne Möglichkeiten), und ich hatte, bereits fünf Jahre bevor ich den Pulitzer in mein Regal stellte, jenen mentalen Zustand erreicht, den man gemeinhin als »ausgebrannt« bezeichnet. Der Grund dafür ist simpel. Mein Job bestand im Grunde genommen aus nichts anderem als einer Dokumentation des grausigen Weges, den der Tod über die Welt nimmt. Tod kann natürlich sein, doch ich habe ihn meist als eine Manifestation des Bösen erlebt. Und wie andere Profis, die dieses Gesicht des Todes sehen – Cops, Soldaten, Priester, Ärzte –, altern Kriegsberichterstatter schneller als normale Menschen. Die Jahre zeigen sich nicht unbedingt äußerlich, doch man spürt sie tief in sich, im Mark und im Herzen. Sie ziehen dich auf eine Weise runter, die nur wenige außerhalb unserer kleinen Bruderschaft begreifen. Ich sage Bruderschaft, weil es kaum Frauen in diesem Job gibt. Warum, ist unschwer zu erraten. Wie Dickey Chappelle, eine Frau, die Kriegsschauplätze vom Zweiten Weltkrieg bis Vietnam fotografierte, einmal gesagt hat: Das ist kein Ort für das Feminine.

Und doch war es nichts von alldem, was mich aufhören ließ. Man kann über ein leichenübersätes Schlachtfeld gehen und auf ein kleines Kind stoßen, das auf seiner toten Mutter liegt, und spürt doch nicht einen Bruchteil dessen, was man spüren würde, wenn man jemanden verliert, den man liebt. Der Tod hat mein Leben mit nahezu unerträglichem Verlust interpunktiert, und ich hasse ihn dafür. Der Tod ist mein schlimmster Feind. Hybris, vielleicht – doch damit kann ich leben. Als mein Vater die Kamera auf den mörderischen Roten Khmer richtete, muss er gewusst haben, dass er sein Leben verwirkt hatte. Er hat das Foto trotzdem geschossen. Er ist nicht aus Kambodscha zurückgekehrt. Das Bild jedoch kehrte zurück, und es hat eine Menge dazu beigetragen, die öffentliche Meinung über diesen Krieg zu ändern. Mein ganzes Leben lang habe ich nach diesem Vorbild gelebt, nach dem ungeschriebenen Kodex meines Vaters. Deswegen war auch niemand stärker erschüttert als ich selbst, als der Tod erneut über meine Familie kam. Und diesmal ließ mich die Begegnung zerbrechen.

Ich schleppte mich sieben Monate lang zur Arbeit und hatte zwischendurch einen kreativen Anfall, der mir den Pulitzer einbrachte, dann klappte ich auf einem Flughafen zusammen. Ich lag sechs Tage im Krankenhaus. Die Ärzte nannten es ein »posttraumatisches Stresssyndrom«. Ich fragte sie, ob sie für diese Diagnose eine Bezahlung erwarteten. Meine engsten Freunde – und mein Agent – sagten mir auf den Kopf zu, dass ich für eine Weile aufhören müsste zu arbeiten. Ich war der gleichen Meinung. Mein Problem war, ich wusste nicht wie. Setzen Sie mich an einen Strand in Tahiti, und im Geiste fotografiere ich, suche in den Augen von Passanten oder Kellnern nach dem Leben dahinter. Manchmal denke ich, dass ich selbst zur Kamera geworden bin, ein Instrument zur Aufzeichnung der Realität, und dass die komplizierten, teuren Apparate, die ich bei meiner Arbeit mit mir führe, nichts anderes sind als eine Verlängerung meines Verstandes und meiner Augen. Für mich gibt es kein Ausspannen. Solange ich die Augen offen habe, arbeite ich.

Glücklicherweise bot sich dann doch noch eine Lösung an. Mehrere New Yorker Verleger waren seit Jahren hinter mir her – ich sollte endlich ein Buch machen. Alle wollten das Gleiche: meine Kriegsbilder. Als ich nach meinem Zusammenbruch mit dem Rücken zur Wand stand, ging ich einen Handel mit dem Teufel ein. Als Gegenleistung dafür, dass ein Lektor bei Viking eine Anthologie mit meinen Arbeiten über den Krieg zusammenstellen durfte, nahm ich einen doppelten Vorschuss entgegen. Einen für die Anthologie, einen für das Buch meiner Träume. Das Buch meiner Träume kommt ohne Menschen daher. Ohne Gesichter jedenfalls. Nicht ein einziges Paar betäubter oder gehetzter Augen. Der Arbeitstitel lautet »Wetter«.

»Wetter« war es auch, was mich in jener Woche nach Hongkong führte. Ich war einige Monate zuvor dort gewesen, um den Monsun zu schießen, wie er über eine der am dichtesten besiedelten Städte der Welt rollt. Ich schoss den Victoria Harbour vom Peak und ich schoss den Peak von Central, und ich staunte über die verschiedenen Arten, wie Arme und Reiche Regenfälle ertrugen, die so stark und unerbittlich waren, dass manche »Langnase« in alkoholische Exzesse oder Schlimmeres getrieben worden wäre. Dieses Mal war Hongkong lediglich Zwischenstation auf dem Weg in das »richtige« China, auch wenn ich zwei Tage Aufenthalt eingeplant hatte, um meine Mappe über die Stadt zu vervollständigen. Doch am zweiten Tag fiel mein gesamtes Buchprojekt in sich zusammen. Es geschah ohne Vorwarnung und kam aus heiterem Himmel über mich. So wie alle wirklich wichtigen Dinge im Leben.

Ein Freund bei Reuters hatte mir den Tipp gegeben, unbedingt das Hongkong Museum of Art zu besuchen, um ein paar chinesische Aquarelle anzusehen. Er sagte, die alten chinesischen Maler hätten in ihren Bildern von der Natur eine nahezu perfekte Reinheit erreicht. Ich weiß überhaupt nichts über Kunst, doch ich dachte mir, dass die Aquarelle vielleicht einen Blick wert wären, und sei es nur wegen der Perspektive. Also bestieg ich am späten Nachmittag die altehrwürdige Star Ferry und setzte zur anderen Seite des Hafens über, nach Kowloon, um von dort aus zu Fuß zu gehen. Nach zwanzig Minuten im Museum war Perspektive das Letzte, was ich noch im Sinn gehabt hätte.

Der...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2020
Reihe/Serie Greg Iles Bestseller Thriller
Greg Iles Bestseller Thriller
Übersetzer Axel Merz
Sprache deutsch
Original-Titel Dead Sleep
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 20.Jahrhundert • Cynthia Sheperd • Ermittlung • Karen Rose • Mord • Natchez • Spannung • Thriller • Tot • Verbrechen
ISBN-10 3-8412-2449-0 / 3841224490
ISBN-13 978-3-8412-2449-1 / 9783841224491
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