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1946: In den Ruinen von Babylon (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
435 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98766-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

1946: In den Ruinen von Babylon -  Carlo Feber
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Der spannende Auftakt zu einer historischen Krimireihe im Trümmer-Berlin nach 1945 - für Fans von Volker Kutscher  »Sein Blick schweifte zur toten Frau, die hinter den wie ein Gitter gesetzten Backsteinen aufrecht stand. Das erstarrte Gesicht war so blass und seltsam vornehm.« Berlin steht 1946 kurz vor den ersten freien Wahlen, als die Leiche der Politikerin Döring gefunden wird. Überraschend wird der heikle Fall dem nassforschen Curt Lanke und dem fronterfahrenen Hajo Steinert übertragen. Erst nach und nach begreifen die beiden Kommissarsanwärter, in welch hochgefährliches Spiel um Rache, Verrat und alte Rechnungen sie geraten sind ... »Ein überzeugendes Zeitgemälde mit glaubwürdigen Protagonisten in einer gut erzählten Geschichte.« ((Leserstimme auf Netgalley))

Carlo Feber arbeitet als freier Schriftsteller, Creative Writing-Dozent, Script Doctor und Schreib-Coach. Nach dem Studium der Politikwissenschaft in Berlin und Paris war er zunächst als Arbeitswissenschaftler und Projektmanager im Medienbereich tätig. Seit 1995 schreibt er Kriminal- und historische Romane.

CARLO FEBER arbeitet als freier Schriftsteller, Creative Writing-Dozent, Script Doctor und Schreib-Coach. Nach dem Studium der Politikwissenschaft in Berlin und Paris war er zunächst als Arbeitswissenschaftler und Projektmanager im Medienbereich tätig. Seit 1995 schreibt er Kriminal- und historische Romane.

1


In der Spätsommerhitze rochen die ausgebombten Häuser wieder nach Ruß und erloschenem Feuer. Die Linden in seiner Straße hatten die Nachbarn noch im Krieg abgeholzt. Der war jetzt über ein Jahr lang aus. Aber Günni hörte noch immer nachts in seinen Träumen die Fliegersirenen über Steglitz kreischen, dann hielt ihn die Angst lange wach. Aber das durfte keiner wissen, schon gar nicht Atze, der ihn wieder mitgenommen hatte – auf Fang. Außerdem musste er ja jetzt ein Großer sein, wo Vater tot war.

Durch die ausgebrannten Fensterhöhlen zog ein heißer Wind. Er wehte von den Schuttbergen rauen Staub, der feste auf Günnis Haut klebte. Der ging schlechter ab als Straßendreck, fand er, als er sich über die Wange rieb.

»Kiek ma, eine Trümmerbahn vor dem Kino.« Atzes Stimme kippte wieder.

Sein Freund war schon im Stimmbruch. Er deutete vor der Nummer 59 ihre Straße runter zu den ausgeleierten Schienen, die bis um die Ecke in die Ahornstraße reichten. Atze sagte immer noch Kino zum eingestürzten Eckhaus, obwohl nur eine Saalmauer hinter dem Trümmerhaufen aufragte, das Stück, wo mal die Leinwand gewesen war. Günni hatte mit ihm sogar einen Fetzen vom alten Filmvorhang gefunden, als sie im Winter nach Balkenholz gegraben hatten. Der Stoff war leider so zerrissen gewesen, dass Mutter ihn nicht hatte verhökern können. Ein heißer Windstoß fuhr in die schmutzigen Kittel der Frauen, die vom Schuttberg runter Putzbrocken in die Loren der Trümmerbahn warfen.

»Meine Mutter geht auch wieder Steine kloppen.«

»Da vorn?«

»Nee, am Bahnhof Wilmersdorf, da gibt’s Zulage.« Wofür, hatte Günni vergessen. Mutter war immer nur müde und sprach kaum noch mit ihm.

Die Mauerreste vor der 59 warfen zu wenig Schatten. Günni ging am zugenagelten Schreibwarenladen vorbei bis zum Wäschegeschäft in der 56, wo sogar ein neues Schaufenster die Sonne spiegelte.

»Bleib stehen!«

Günni stolperte fast, weil Atze ihn am Hosenträger zur Seite in den Hauseingang zerrte, wo er sich mit ihm in den Schatten drückte.

»Guck mal, vorm Café Schorn«, flüsterte Atze in sein Ohr.

Das lag dem Kino an der Straßenecke gegenüber. Noch bei seinem elften Geburtstag 1944 hatte er dort mit Mutter Kirschtorte gegessen, im ersten Stock. Sogar den Platz vorn im Eckturm hatte er haben dürfen. Der war nun weggebombt, wie die grüne Kupferkuppel auch. Immerhin hatten die ersten beiden Stockwerke überlebt und hinten sogar die Seitenflügel.

»Kolja steht Schmiere.«

Günni spähte die Straße hinunter. Vor dem mussten sie sich hüten. Auch wenn er dünn war wie sie alle, weil es nichts zu fressen gab. Kolja lehnte neben einem Schutthaufen am äußersten Café-Fenster und stellte den rechten Fuß neben das linke Knie an die Hauswand. Von seinen hellblonden Haaren leuchtete nur eine Strähne unter seiner Kappe hervor. »Wenn der sich bei der Hitze was aufn Kopp setzt, passt der wirklich auf.«

»Sag ich ja.« Atze kniff die Lider zusammen, weil er auf die Entfernung nicht so scharf sah.

Kolja kratzte sich am Knie und steckte dann die Hände in die kurze Hose. Früher mal hatte Günni ihn in der Grundschule bei den Großen im Hof gesehen. Dann war Krieg gewesen und viel Schule hatte es nicht mehr gegeben.

Atze rieb sich über den kurz geschorenen Kopf. »Die anderen sind bestimmt nicht weit.«

»Meinste, die passen uns ab?«

Sie hatten noch eine Rechnung offen. Günni wurde flau. Die blauen Flecken an Bauch und Schulter waren noch nicht ganz weg. Kolja hatte schnelle Fäuste, weil sein Vater ihm beim letzten Fronturlaub ein paar linke Haken beigebracht hatte, bevor er in Breslau gefallen war.

Atze stieß Günni an der Schulter. »Guck mal, das Wehrmachtszelt da schräg vorm Kino.«

Er hatte es gar nicht bemerkt, so staubig und niedrig, wie es war. Zwei Gasmänner krochen in blauen Arbeitsjoppen heraus. Sie knieten daneben und legten Rohre zurecht. »Deshalb gab’s früh kein Gas. War gar keine Sperre.« Mutter hatte geflucht, weil sie keinen Muckefuck hatte brühen können.

Atze schlug sich mit dem Handballen an die Stirn. »Die lauern drauf, dass einer von denen sich im Fleischerladen die Straße runter anstellen geht. Ab heute gelten die nächsten Karten. Die Wurst ist immer zuerst weg.« Wenn es überhaupt mal welche gab.

»Und dann lässt Kolja die anderen die Rohre und das Werkzeug klauen. Der eine Gasmann kann nur einem von denen hinterherrennen.«

Günni spähte wieder vom Hauseingang zu Kolja, der sich vorn am Café die Kappe in den Nacken schob und die Ahornstraße hinunterpeilte. Günni schaute Atze in die grünen Augen. »Ob wir uns dranhängen? Und einfach abstauben, was die übrig lassen?«

Atze zeigte ihm den Vogel. »Vorletzte Woche hat dir nicht gereicht? Die sind meist zu fünft, zu sechst. Drei bunkern das Eisenzeug, und drei haben wir auf dem Hals. Da kommt nix weiter rum wie ein Haufen Dresche.« Er legte Günni den Arm um die Schulter und zog ihn langsam aus dem Hauseingang der 56. Atze grinste breit. »Wenn die hier aufs Werkzeug lauern, sind sie nicht dort, wo wir hinwollen.«

Sein Freund wusste also schon, wie sie in das Farbenlager reinkommen würden. »Kürzen wir über die 54 ab.«

Zwei schwitzende alte Männer in Hosen aus grauem Armeestoff zerrten einen Rollwagen voll Holzkisten über den Bürgersteig. »Doprdele!«, fluchte einer.

Atze hielt sich die Nase zu, als sie die beiden überholten. »Die stinken ja noch schlimmer als wir.«

»Mutter versteht nicht, warum Adolfs Zwangsarbeiter nicht längst ab nach Hause sind.«

Atze zuckte nur mit den Schultern. »Meine wundert sich, warum überhaupt noch Leute nach Berlin reinkommen, wo es hier weniger zu fressen gibt als auf dem Land.«

Die 54 war wie die meisten Häuser in ihrer Straße nur halb ausgebombt. Die Nachbarn lästerten wie bei den Lebensmittelkarten über die neuen Rechenkünste: dass es so eine Sache war, wie viel größer heutzutage die kaputte als die andere Hälfte sein konnte.

Vor dem zugenagelten Ladengeschäft in der 54 unten rechts, wo Opa früher seine Schallplatten gekauft hatte, hopsten zwei Mädchen durch Himmel und Hölle. Kreide war eine von den wenigen Sachen, die es genügend gab.

Atze drückte einfach die schwere Tür im Hauseingang auf.

»Schön kühl.« Günni roch Bohnerwachs. Aber das Linoleum auf den Treppenstufen war so verkratzt und stumpf wie bei ihnen in der 42 auch. Er horchte mit Atze nach oben.

»Wir haben Glück«, flüsterte er.

Wenn neue Lebensmittelkarten galten, tratschte niemand mit den Nachbarn. Wer Arbeit hatte, ging später, wer keine hatte, stand auch gleich am zugewiesenen Laden an.

Günni folgte Atze nach oben. Den Stuck im Treppenhaus hatte jemand im ersten und zweiten Stock gründlich abgestaubt.

Auf den Stufen ins dritte Stockwerk blendete Günni das Licht durch die Lücke links in der provisorischen Wand aus Pappe. Im Sommer kümmerten sich die Leute im Haus nicht darum. Rechts die Wohnungstür war grau gestrichen.

»Die Treppe ins vierte haben sie schon verheizt.« Atze deutete auf eine Sägekante, bevor er die Pappe ein bisschen weiter auseinanderbog.

Günni schlüpfte hinter ihm aufs Notdach über dem zweiten Stock. Bei der im dritten übrig gebliebenen Wohnung hatten die Leute die Risse in den Wänden zugestopft.

»Lieber am Rand lang, bin schon mal fast eingekracht.« Atze lief dort, wo sich unter der Dachpappe die Wände abzeichneten, bis zur Hofseite hin.

Günni fühlte den von der Sonne aufgeheizten Teerbelag unter den dünnen Sohlen. Im Hinterhof erhob sich ein Schuttberg. Halb drüber weg, halb drum herum hatten die Leute aus dem Haus einen Pfad frei geräumt. Vom Seitenflügel waren noch die ersten beiden Etagen übrig. Hie und da hing Wäsche auf Leinen in den Fenstern.

»Das stinkt nach verschissenen Windeln.« Atze verzog die Nase.

Hinten im Hof stand ein leerer Waschkessel, unter dem eine Lache verdunstete.

Atze schlich geduckt an der Außenkante über die Teerpappe zur Straßenseite hin. »Ich zeige dir jetzt meinen Spähplatz.«

Günnis Herz hüpfte. Jetzt waren sie endlich richtig Freunde. Er folgte bis ganz nach vorn zu den hüfthohen Mauerresten des dritten Stocks.

Atze kniete sich hin. »Das war mal der Erker im Wohnzimmer von Doktor Felsenstein. Da war ich als Kind wegen Husten.«

Die Seiten und eine halbe Fensterbank waren noch übrig. Die schirmten sie von der Straße unten ab.

Atze hob den Kopf über die Mauerkante. »Von hier kiekst du wie der große schwarze Adler allen auf die Köppe.«

Günni tauchte auch hoch. Die ganze Straße erstreckte sich unter ihm. »Die Frauen schieben gerade die Loren der Trümmerbahn ums Eck.«

Atze kniff die Augen zusammen. »Wichtiger ist, ob Kolja noch Schmiere steht.«

Günni nickte. »Ob wir drüben in der 10 und 12 Gemüse stibitzen können?« Er deutete zur anderen Straßenseite, wo Leute auf den Notdächern oder dem, was vom Nebenhaus übrig war, Kübelgärten angelegt hatten, mit Erde, die sie aus den Parks hergeschafft hatten, und wo sie Gemüse und Kaninchenfutter zogen.

Aber Atze riss ihm den Arm runter. »Tarnung, Kamerad!« Er rollte mit den Augen. »Wohl alles vergessen, was sie dir als Pimpf beigebracht haben.«

Günni kauerte sich in den Halbschatten des Erkerrests.

»Schlaumeier. Was glaubst du, warum ich hier hocke?« Atze hob den Zeigefinger. »In der 10 hockt ’ne Olle den ganzen Tag dabei und gießt für die Nachbarn mit. In der 12 humpelt einer mit ohne Bein herum und zuppelt an den Pflanzen.«

Günni hob den Kopf über die Erkerkante. »Und in der 4 hinten, der zugewachsene Balkon?«

»Blindgänger.« Atze pikte ihn fest auf den großen Knopf des Hosenträgers mitten auf...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2021
Reihe/Serie Die vergessenen Jahre
Die vergessenen Jahre
Die vergessenen Jahre
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1946 • 2.Weltkrieg • 40er Jahare • Babylon Berlin • Berlin 1946 • Berlinkrimi • Besatzungszeit • Historischer Kriminalroman • Kriminalroman • Ku´damm 53 • Nachkriegsdeutschland • Spannung
ISBN-10 3-492-98766-4 / 3492987664
ISBN-13 978-3-492-98766-0 / 9783492987660
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