SØG. Dunkel liegt die See (eBook)
528 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43837-7 (ISBN)
Jens Henrik Jensen wurde 1963 in Søvind, Dänemark, geboren. Er hat 25 Jahre als Journalist gearbeitet und war in verschiedenen Funktionen, u.a. als Redakteur und Ressortleiter, für die Tageszeitung >JydskeVestkysten< tätig. Seit 2015 widmet er sich ganz dem Schreiben. Sein Debütroman >Wienerringen< erschien 1997, in den folgenden Jahren veröffentlichte er die Kazanski-Trilogie sowie die Nina-Portland-Reihe. Im Rahmen der Recherche für seine Bücher reiste Jensen nach Murmansk, Krakau und durch den Balkan. Weitere Reisen führten ihn nach Australien und Neuseeland sowie nach Nord- und Südamerika. Mit seiner jüngsten Serie um den traumatisierten Ex-Elitesoldaten Niels Oxen wurde er zum Shootingstar der internationalen Krimiszene und eroberte auch in Deutschland soforrt die Top 5 der SPIEGEL-Bestenliste. 2017 gewann Jens Henrik Jensen den Danish Crime Award.
Jens Henrik Jensen wurde 1963 in Søvind, Dänemark, geboren. Er hat 25 Jahre als Journalist gearbeitet und war in verschiedenen Funktionen, u.a. als Redakteur und Ressortleiter, für die Tageszeitung ›JydskeVestkysten‹ tätig. Seit 2015 widmet er sich ganz dem Schreiben. Sein Debütroman ›Wienerringen‹ erschien 1997, in den folgenden Jahren veröffentlichte er die Kazanski-Trilogie sowie die Nina-Portland-Reihe. Im Rahmen der Recherche für seine Bücher reiste Jensen nach Murmansk, Krakau und durch den Balkan. Weitere Reisen führten ihn nach Australien und Neuseeland sowie nach Nord- und Südamerika. Mit seiner jüngsten Serie um den traumatisierten Ex-Elitesoldaten Niels Oxen wurde er zum Shootingstar der internationalen Krimiszene und eroberte auch in Deutschland soforrt die Top 5 der SPIEGEL-Bestenliste. 2017 gewann Jens Henrik Jensen den Danish Crime Award.
ERSTER TEIL
1
Dieses Lächeln … Dieses verfluchte Lächeln brannte ihr auf der Haut. Sie hatte das Foto in den Hosenbund geschoben, auf die nackte Haut, damit es so trocken wie möglich blieb.
Ihre Beine fühlten sich fremd und eiskalt an. Als sie endlich einen Unterschlupf fand, war die abgewetzte Jeans vollkommen durchnässt, aber sie fror nicht. Obwohl die alte Lammfelljacke außen klitschnass war, hielt sie warm. Sie hatte sie im letzten Moment doch noch eingepackt, weil sie ahnte, dass es in Estland Mitte Oktober verdammt kalt sein könnte.
Der Regen prasselte auf das Dach und erzeugte einen metallischen Ton, der die Luft nahezu vibrieren ließ. Sie saß auf einer Planke am Boden eines ausrangierten Schiffscontainers, umgeben von einer so massiven Dunkelheit, dass es keinen Unterschied machte, wenn sie die Augen schloss. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und wartete. In regelmäßigen Abständen drückte sie den Knopf, der die Ziffern auf ihrer Armbanduhr aufleuchten ließ – noch eine halbe Stunde.
Das Lächeln … Dieses verfluchte Lächeln löste ein nervöses Flattern in der Gegend ihres Zwerchfells aus.
Sie zündete sich eine Zigarette an, die dritte innerhalb kurzer Zeit. Die Flamme des Feuerzeugs verscheuchte die Dunkelheit, doch es war nichts zu sehen außer vier nackten Metallwänden und dem dichten Nebel des Zigarettenrauchs, der sich über ihr zu einer wogenden Decke zusammenfand, als sie den Rauch durch die Lippen ausstieß. Erst jetzt entdeckte sie, dass ihr Hosenbein einen Riss bekommen hatte, als sie über den Zaun geklettert war.
Sie hatte sich gründlich umgesehen, bevor sie zur Tat schritt. Links vom Hafen lag die Konzerthalle wie eine niedergetretene Betonpyramide mit breiten Stufen, die übers Dach und auf der anderen Seite wieder hinunter bis zu der kleinen Kaianlage mit dem Hubschrauberlandeplatz führten. Das Gebäude wirkte heruntergekommen, aber schön war es wahrscheinlich nie gewesen. Vom Dach des Gebäudes aus hatte sie sorgfältig die Umgebung studiert, bevor das matte Herbstlicht in die Dämmerung überging. Der Hafen war Tallinns pulsierendes Herz, mit einem gewaltigen Aufkommen an Passagieren und Fracht. Das große Hauptterminal A und daneben das etwas kleinere Terminal B, flankiert vom Terminal C, der Hafenverwaltung und dem pastellblauen Zollgebäude, umringten den großen Parkplatz, auf dem ein Schwarm Reisebusse Gäste ausspuckte oder aufnahm, während große Lastwagen nach jeder neuen Schiffsankunft mit dröhnenden Motoren vom Gelände donnerten.
Sie war dort unten inmitten einer Horde finnischer und schwedischer Reisender herumgelaufen und hatte sich ihre Umgebung in allen Details eingeprägt. Das hier war wirklich das Gegenstück zum Amoklauf der Dänen in den deutschen Grenzläden. Die Finnen kostete es nur ein paar Stunden Fährzeit von Helsinki, während es für die Schweden von Stockholm und Kapellskär fast eine Tagesreise bedeutete, doch alle schienen offenbar nur ein Ziel zu haben – Alkohol.
Bewaffnet mit den unvermeidlichen Marktrollern zog sich der Strom, schwer beladen mit Bier aus dem großen Einkaufszentrum des Hafens, Sadamarket, hinunter zu den Passagierterminals. Im Sadamarket gab es alles, was das Touristenherz an billigen Kopien von Markenwaren begehrte, außerdem Souvenirs und vor allem ein gut sortiertes Spirituosenlager.
Beim Terminal D, der wie eine Enklave mit eigenem Anleger ein Stück entfernt lag, hatte sie schließlich einen Hafenarbeiter dazu bringen können, sich das Foto anzusehen. Er meinte, der Overall des Mannes ähnele denen der Tallink-Reederei. Deshalb richtete sie nun ihre Aufmerksamkeit auf das Hauptterminal.
Sie drückte die Glut auf dem Metallboden aus und wurde wieder von der Dunkelheit verschluckt.
Das Lächeln … Dieses verfluchte Lächeln auf dem Foto war ihr bis ins Mark gedrungen. Zum Umkehren war es zu spät. Und sie wollte auch gar nicht umkehren. Dieses Flattern in der Magengegend, wo das Zwerchfell saß, war eigentlich gar nicht unangenehm, es fühlte sich eher an wie ein prickelndes Gefühl unerlöster Spannung.
Es war unmöglich, an die Männer heranzukommen, die sie eigentlich befragen wollte, denn der Hafen war durch hohe Zäune hermetisch abgeriegelt. An der Zollstation auf der rechten Seite des Terminals, wo die Lastwagen kontrolliert wurden, saßen hellwache Zöllner an den Schlagbäumen. Ebenso auf der linken Seite, wo die Personenwagen hineinfuhren – zu Fuß konnten Fahrgäste gar nicht auf das Gelände gelangen. Sie gingen vom obersten Stockwerk des Terminals über die lange überdachte Brücke direkt an Bord, genau wie auf einem Flughafen.
Es hatte nur eine Möglichkeit gegeben: Im Schutz der Dunkelheit war sie über das offene Geländestück zwischen Konzertsaal und Hafen geschlichen, hatte den Zaun überwunden und, während sie sich dicht am Wasser hielt, weit außerhalb der Lichtkegel gewaltiger Scheinwerfer, nach einem Schutz vor dem Regen Ausschau gehalten. Drei kaputte Container, die man neben einem Haufen Eisenschrott abgestellt hatte, waren ihre Rettung gewesen. Die Riegel der ersten beiden waren festgerostet, doch es gelang ihr, die Luke des dritten aufzutreten. Und jetzt saß sie hier – und wartete.
Eine Kakophonie großer Lastwagenmotoren drang nach einer Weile durch den Geräuschteppich des Regens. Sie erhob sich mit steifen Beinen, schob die Luke vorsichtig einen Spalt weit auf und schaute sich wachsam um, bevor sie hinaustrat.
Das gesamte Hafengelände um die Anleger lag im Flutlicht der Scheinwerfer, die an einer Reihe hoher Masten hingen. Der heftige Regen, der ihr geradewegs ins Gesicht peitschte, schlug Silberfunken aus dem harten Licht. Sie wischte sich die Augen mit dem feuchten Ärmel ab, und für einen kurzen Moment verschwanden die Lichtreflexe, sodass sie deutlich die schwarzen Silhouetten emsiger Arbeiter erkennen konnte, die wie flackernde Schatten hin- und herliefen. Die Männer räumten den Kai frei, während eine Herde Trucks mit orangefarbenen Blinklichtern Kühlcontainer an ihren Platz bugsierte.
Hinten zwischen einer Reihe hoher Kräne glitt ein wahres Lichtermeer langsam näher. Das war die Tallink-Fähre Meloodia, die wie ein überladener Weihnachtsbaum von Helsinki heranstampfte, pünktlich auf die Minute.
Sie wollte warten, bis die erste Hektik vorüber war und sich der Autostrom vom Fährdeck herunter in Bewegung setzte. Sie wollte sich vorsichtig nähern und sich auf Englisch erkundigen, zögernd und entschuldigend wie eine schiffbrüchige Frau, die die Hilfe eines starken Seemanns brauchte.
Der Regen troff aus ihrem Haar, lief ihr in den hochgeschlagenen Kragen und das Rückgrat hinunter. Sie schauderte. Vielleicht war das nicht nur die Kälte. Sie blickte sich wachsam über die Schulter um und ärgerte sich, dass sie dieses merkwürdige Schuldbewusstsein verspürte. Sie befand sich auf verbotenem Terrain. Wenn sie erwischt wurde, konnte das Konsequenzen haben, die sie schon längst nicht mehr überblickte.
Sie hockte sich neben den Container. Jetzt musste sie nur noch dem Schauspiel folgen und handeln, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Unerträglich langsam glitt die Fähre an den Kai heran, und auch als sie bereits vollkommen unbeweglich an ihrem Platz lag, verging noch eine ganze Zeit, bevor sich die Klappe wie das Maul eines Wals öffnete und eine Zahnreihe aus grellen Autoscheinwerfern entblößte.
Sie ließ den ersten Schwung langer Überlandtrucks aus dem Bug herausrollen. Auf die Entfernung war es unmöglich, die Hafenarbeiter von der Schiffsmannschaft zu unterscheiden. Noch einmal rieb sie mit dem Ärmel über ihr nasses Gesicht und versuchte krampfhaft, etwas zu erkennen. Es schien, als sei inzwischen etwas mehr Ruhe unter den dahinhuschenden Schatten am Bug eingekehrt. Drei der Männer standen jetzt zusammen, suchten offenbar gegenseitig etwas Windschutz, während sie die Fahrzeuge betrachteten. Ein Feuerzeug flammte auf und erhellte eines der Gesichter. Sie machte sich bereit.
Es war wie Anlaufnehmen. Als müsste sie in der Zeit zurückgehen zu einem Punkt, der ihr ganzes Leben verändert hatte.
Sie hatte eine Rechnung offen mit dem Jahr 1993. Seit elf Jahren suchte das Lächeln des Seemanns sie heim. Jetzt war sie ihm zufällig auf die Spur gekommen. Und diese Chance würde sie sich nicht entgehen lassen.
Sie lief los, im langen Spurt hinüber zur Breitseite des Terminalgebäudes. Sie presste sich gegen die Mauer, während sie ihren Atem wieder unter Kontrolle brachte. Dann schlich sie weiter zur Ecke und trat ins Licht hinaus, als wäre sie gerade aus der Tür ein paar Meter hinter ihr gekommen. Sie ging, wie es jeder in dem strömenden Regen tun würde – mit hastigen Schritten, beide Hände in den Jackentaschen, die Schultern hochgezogen. Sie trat direkt auf die drei Männer an der Rampe zu. Alle trugen Overalls in den Farben der Tallink-Reederei. Sie war eine Frau in Not, rief sie sich in Erinnerung, wurde langsamer und machte zögerliche Schritte.
»Hello! Excuse me, I’m sorry … Can you help me, please?«
Die drei Männer drehten sich verwundert nach ihr um. Sie zog den Reißverschluss auf, holte das Foto hervor und hielt die Jacke darüber, um es gegen den Regen zu schützen. Mit unsicherer Stimme sprach sie weiter: »Ich suche nach diesem Mann. Kennen Sie ihn?«
Sie deutete auf das Foto, und der älteste der drei Männer trat ganz nah an sie heran und schob fast seinen Kopf unter ihre Jacke, während er die Aufnahme betrachtete. Sie beobachtete seinen Gesichtsausdruck, doch der verriet nichts. Der Mann sah sie misstrauisch an, dann schaute er zu...
Erscheint lt. Verlag | 21.5.2021 |
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Reihe/Serie | Nina-Portland-Trilogie | Nina-Portland-Trilogie |
Übersetzer | Christel Hildebrandt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Abenteuer • Alleinerziehende Mutter • Axtschiff • bücher 2021 • Danehof-Trilogie • Dänemark • ermordete Mannschaft • Esberg • Geheimdienste • Hohe See • international • Küste • MS Bärbel • Mutter-Sohn-Beziehung • Nervenkitzel • Neue Thriller • Niels Oxen • Politthriller • Schiff • Seefahrt • Skandinavien • skandinavischer Thriller • skandinavische Spannung • Sog • SOG Dunkel liegt die See • Thriller 2021 • Thriller nach wahrer Begebenheit • thriller skandinavien • toughe Ermittlerin • toughe junge Ermittlerin • wahre Begebenheiten |
ISBN-10 | 3-423-43837-1 / 3423438371 |
ISBN-13 | 978-3-423-43837-7 / 9783423438377 |
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