Einsames Grab (eBook)
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491214-1 (ISBN)
Eva Ehley studierte Literaturwissenschaften und Mathematik und arbeitete als Lehrerin. In ihren Texten erzählt sie allerdings von Dingen, über die man in der Schule nichts lernt. Hier werden Neurotiker leicht zu Mördern, während Egoisten unter Umständen ein Helfersyndrom entwickeln. Eva Ehleys Sylt-Krimis sind klassische Whodunnits mit Tendenz zum Psychothriller. Und sie sind nicht nur an der Nordsee Kult. Ehleys Texte wurden vielfach preisgekrönt u.a. mit dem Agatha-Christie-Krimipreis. Die Autorin lebt in Berlin. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Eva Ehley studierte Literaturwissenschaften und Mathematik und arbeitete als Lehrerin. In ihren Texten erzählt sie allerdings von Dingen, über die man in der Schule nichts lernt. Hier werden Neurotiker leicht zu Mördern, während Egoisten unter Umständen ein Helfersyndrom entwickeln. Eva Ehleys Sylt-Krimis sind klassische Whodunnits mit Tendenz zum Psychothriller. Und sie sind nicht nur an der Nordsee Kult. Ehleys Texte wurden vielfach preisgekrönt u.a. mit dem Agatha-Christie-Krimipreis. Die Autorin lebt in Berlin. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Purer Lesegenuss [...]. Ein Must-Read für den Sommer – nicht nur für Sylt-Fans.
Samstag, 30. Januar, 09.28 Uhr, Landhaus Severin*s, Morsum Kliff
Maria Wallot zieht sich die Schlafbrille vom Gesicht und blickt auf ihr Handy. Erstaunt stellt sie fest, dass sie zwei Stunden länger als üblich geschlafen hat. Für eine Frau Mitte fünfzig ist das durchaus nichts Alltägliches und ein sicheres Zeichen dafür, dass die Entspannung bereits eingesetzt hat.
Maria springt aus dem Bett und läuft zum Fenster. Sie zieht die Vorhänge auf und blinzelt ins Licht. Draußen ist es gleißend hell.
Über Nacht ist eine dünne Schneedecke gefallen, auf die nun die Morgensonne scheint. Heide und Dünen haben sich in eine weiße Märchenlandschaft verwandelt. Schneekristalle glitzern auf den sperrigen Trieben des Heidekrauts und den bizarren Ästen der kahlen Kartoffelrosen, die überall im Naturschutzgebiet wachsen. Nur an den Hängen der Dünen scheint stellenweise noch der gelbe Sand durch die zarte weiße Schicht. Auf dem Weg hinunter zum Strand sind im puderfeinen Schnee kaum Fußspuren zu sehen.
Aber weiter hinten ist richtig was los. Direkt neben der Straße wühlt ein kleiner Bagger in der Erde. Mehrere Arbeiter in gelber Kleidung stehen um große helle Säcke mit stabilen Tragegriffen herum. Die Männer sind offenbar damit beschäftigt, die stark wurzelnden Rosen herauszureißen, um mehr Platz für das empfindlichere Heidekraut zu schaffen. Maria erinnert sich, dass diese Arbeiten schon in ihrer Kindheit alle paar Jahre durchgeführt wurden, um das ursprüngliche Gleichgewicht im Naturschutzgebiet zu erhalten.
Schade, dass es ausgerechnet heute sein muss, es wird diese ganze Schneeidylle zerstören, denkt sie bedauernd. Doch dann öffnet sie das Fenster und beugt sich weit hinaus. Die kalte, klare Luft vertreibt schlagartig jede Müdigkeit aus ihrem Körper. Es prickelt auf ihren nackten Armen und im Gesicht. Tief atmet sie durch. Genauso hat sie Morsum im Winter in Erinnerung. Und ein besseres Begrüßungswetter für ihren heiklen Gast aus Hamburg hätte sie sich nicht wünschen können.
Sonnenschein!
Sonnenschein, der Alice Zabriski den Beginn eines neuen und besseren Lebensabschnitts nach den Katastrophen der jüngsten Vergangenheit ankündigen soll. Sonnenschein, der seinen Glanz auch auf die kommende Zusammenarbeit mit Verlegerin und Ghostwriter werfen wird. Der das erste Treffen erhellen und good vibrations in die Zukunft senden soll.
Um halb zwölf wird sich Maria mit Fred Hübner, dem auserkorenen Ghostwriter, auf dem Morsumer Bahnhof treffen. Um zwölf kommt dann der Zug aus Hamburg mit der traumatisierten Archäologin an Bord. Geplant ist ein kleiner Fußweg zurück zum Hotel. Das Gepäck kann ein Taxi bringen, aber für Frau Zabriski wäre ein erster Eindruck von der idyllischen Umgebung schön, hat sich Maria überlegt. Und in der mittäglichen Wintersonne ist der zwanzigminütige Spaziergang allemal lohnend.
Maria singt unter der Dusche und geht summend hinunter zum Frühstück. Das Haus ist nicht ausgebucht, vier Pärchen und zwei Einzelreisende sitzen in dem hellen Restaurant, das Fensterfronten nach drei Seiten bietet. Man grüßt sich oder nickt sich zumindest freundlich zu. Dann Zeitungsrascheln und leise Unterhaltungen. Kaffee, Müsli, Eierspeisen. Kraft tanken, den Tag beginnen.
Als sie zum Bahnhof aufbricht, ist es bereits kurz nach elf. Sie will den Journalisten nicht warten lassen, den sie am Telefon als intelligent und zuverlässig kennengelernt hat. Natürlich ist Maria über Fred Hübners Alkoholvergangenheit informiert. Sie hat äußerst gründlich recherchiert, aber dann entschieden, dass sie Vertrauen haben wird. Hübner ist seit mehreren Jahren trocken und hat sich echte Meriten als Biograph ungewöhnlicher Personen erworben. Er wird auch mit der psychisch labilen Alice Zabriski zurechtkommen, davon ist sie überzeugt.
Während sie die Allee entlangeilt, die nach Westen und damit zum Bahnhof führt, wird die Stille immer wieder durch das Kreischen von Motorsägen unterbrochen. Beim Näherkommen sieht Maria, dass ein Trupp Arbeiter damit begonnen hat, die Alleebäume zu beschneiden. Ausgerechnet heute! Vielleicht sollte sie ihren Gast doch gleich mit dem Taxi zum Hotel bringen. Andererseits hat Alice Zabriski als Folge ihrer Gefangenschaft eine Engephobie entwickelt, die ihr den Aufenthalt in Flugzeugen, Fahrstühlen, WC-Kabinen und eben auch Autos fast unmöglich macht. Maria kann nur hoffen, dass die nervtötenden Sägegeräusche nicht auch irgendwelche Erinnerungen wachrufen werden. Sicherheitshalber spricht sie einen der Arbeiter an und erkundigt sich nach der Mittagspause. Zwischen zwölf und eins würden die Arbeiten ruhen, erfährt sie. Glück gehabt.
Am Morsumer Bahnhof wird Maria Wallot schon von Fred Hübner erwartet. Er lehnt neben einem Rennrad und trägt eine enge Funktionshose, einen Fleeceblouson, dick gepolsterte Handschuhe und einen schnittigen Helm. Nicht gerade ein klassisches Businessoutfit, aber vielleicht gerade deswegen vertrauenerweckend.
Fred Hübners Händedruck, natürlich ohne die Handschuhe, ist angenehm fest, sein Blick direkt und offen. Er ist eher groß, ebenso wie Maria selbst, und wirkt überhaupt nicht so, als habe er die sechzig schon überschritten. Maria, die bisher nur mit dem Journalisten telefoniert hat, gratuliert sich insgeheim zu ihrer guten Auswahl. Unkonventionell, aber vertrauenerweckend, so wollte sie es. Und ein paar heftige Kurven im Lebenslauf werden in den Augen Alice Zabriskis nur von Vorteil sein.
»Aber wo ist Ihr Gepäck?«, erkundigt sie sich mit Blick auf das Rennrad. »Sie werden doch auch mit uns im Landhaus wohnen, oder?«
»Da drüben steht das Taxi mit meinen Sachen. Ich habe den schönen Tag gleich fürs morgendliche Fitnesstraining genutzt. Das stört Sie doch nicht, oder?« Seine letzten Worte werden bereits vom Geräusch des sich nahenden Zuges geschluckt.
Maria mustert die Aufschriften der Waggons.
»Die erste Klasse ist vorn. Sie wissen, wie Frau Zabriski aussieht?«
»Als sie freigekauft und ausgeflogen wurde, kam das sogar in der Tagesschau. Jeder in diesem Land weiß, wie Alice Zabriski aussieht. Ich schätze mal, das ist ein Teil ihres Problems.«
Bevor Maria antworten kann, steigt Alice Zabriski einige Meter vor ihnen aus dem Zug. Sie ist klein und zierlich, das Gesicht ist blass mit einer scharf geschnittenen Nase und Augen, die sehr tief in den Höhlen liegen. Sie trägt einen roten Wollrock, der ihr bis zu den Knöcheln reicht. Darunter Wanderstiefel und darüber eine grobe Daunenjacke. Suchend blickt die Archäologin sich um. Misstrauen liegt in ihrem Blick und eine Angst, die sich nur schlecht verbergen lässt. Der Stock, auf den sie sich stützt, zittert leicht in ihrer Hand.
»Frau Zabriski, wie schön, Sie wiederzusehen. Hatten Sie eine angenehme Fahrt?« Maria Wallot legt alles, was sie an Wärme und Zuneigung aufbieten kann, in ihre Stimme.
Die Angesprochene kneift kurz die Augen zusammen, als müsse sie sich in Erinnerung rufen, wer sie hier willkommen heißt, dann nickt sie und erlaubt sogar einem kleinen Lächeln, auf ihrem Gesicht Platz zu nehmen.
»Ja, danke. Es war angenehmer, als ich erwartet hatte. Und Sie sind …?«
Ihr Blick streift Fred Hübner. Für Sekunden steht Irritation darin.
»Ich würde gern Ihr Ghostwriter werden. Nur falls wir uns mögen, natürlich. Fred Hübner ist mein Name.«
Erleichtert stellt Maria fest, dass das offene Lächeln und die unverstellte Art des Journalisten gut bei Zabriski anzukommen scheinen. Fast schon amüsiert mustert sie den Helm und die Radfahrerkluft.
»Sie wollen mich aber nicht auf Ihrem Rad transportieren«, scherzt sie.
»Nur, wenn Sie darauf bestehen.«
»Ich dachte, wir gehen zu Fuß«, wirft Maria ein. Es klingt ziemlich lahm. »Oder ist das mit dem Stock für Sie zu beschwerlich?« Sie könnte sich dafür ohrfeigen, dass sie dieses Detail nach den ersten beiden Treffen mit Frau Zabriski nicht in Erinnerung behalten hat. Ganz blöder Planungsfehler.
»Nein, ich bewege mich gern. Der Stock ist auch eher der Besorgnis meines Arztes geschuldet. Er hält mich, glaube ich, für fragiler, als ich bin. So ein alter Archäologendino ist nicht so leicht kleinzukriegen.«
Alice Zabriski nickt im Takt ihrer Worte. Es wirkt, als wolle sie dadurch deren Wahrheitsgehalt erhöhen.
Fred Hübner nimmt dem Zugbegleiter den Rollkoffer der Archäologin ab und trägt ihn zu dem wartenden Taxifahrer. Dann machen die drei sich auf den Weg zum Hotel. Die Wintersonne steht mittlerweile recht hoch am Himmel und wärmt sogar ein wenig. Immer wieder hebt Alice Zabriski das Gesicht ins Licht und schließt kurz die Augen.
»Die Insel wird Ihnen guttun«, versichert Maria und gratuliert sich insgeheim zu der Ortswahl. »Wer hier nicht zur Ruhe kommt, dem ist nicht mehr zu helfen.« Den irritierten Blick Zabriskis ignoriert die Verlegerin geflissentlich. Stattdessen weist sie auf die weiten Wiesen rechts und die letzten schmucken Friesenhäuser links des Weges. »Da vorn hört die Bebauung dann ganz auf, und das Naturschutzgebiet beginnt. Und dort hinten können Sie schon das Hotel sehen. Es ist das einzige Haus weit und breit.«
Beim Anblick des gedrungenen reetgedeckten Gebäudes scheint sich Alice Zabriski tatsächlich zu entspannen. Sie schreitet kräftiger aus und vergisst manchmal sogar, den Stock zu benutzen. Zum Glück halten sich die Baumarbeiter an die geplante Pausenzeit, so dass die drei Spaziergänger ohne Lärmbelästigung bis kurz vor das Hotel gelangen. Als sie auf Höhe des großen Parkplatzes sind, der mitten in den Wiesen für die Touristen angelegt worden ist, die das...
Erscheint lt. Verlag | 24.3.2021 |
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Reihe/Serie | Winterberg, Blanck und Kreuzer ermitteln | Winterberg, Blanck und Kreuzer ermitteln |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Gewicht | 1 g |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Archäologin • Bastian Kreuzer • Bestseller • Ermittlertrio • Fred Hübner • Frühling • Heidekraut • kopfloses Skelett • Mord • Regio-Krimi • Schnee • Silja Blanck • Spannung • Sven Winterberg • Sylt-Krimi • Sylt-Reihe • Sylt-Thriller • totes Mädchen • Verschwörung |
ISBN-10 | 3-10-491214-9 / 3104912149 |
ISBN-13 | 978-3-10-491214-1 / 9783104912141 |
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