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Die Weinprobe von Lissabon (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
416 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43744-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Weinprobe von Lissabon -  Paul Grote
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Im Wein liegt die Wahrheit. Und manchmal auch der Tod. Nicolas Hollmanns Welt scheint rundum in Ordnung zu sein: Der Familienvater gestaltet sein Weingut am Rio Douro ökologisch und zukunftsfest. Seine eingespielte Mannschaft hilft ihm dabei nach Kräften. Alles wäre gut - wären da nicht zwei Morde und ein dummer Zufall bei einer Weinprobe in Lissabon. Wie sich herausstellt geht es um Drogenschmuggel in ganz großem Stil. Hollmann kann und will die Dinge nicht auf sich beruhen lassen. Doch sein Gegner bleibt - vorerst - im Dunkeln.

Paul Grote ist Deutschlands bekanntester Weinkrimi-Autor. Als Reporter in Südamerika entdeckte er sein Interesse für Wein und Weinbau und machte ihn zu seinem Thema. Seitdem hat er die wichtigsten europäischen Weinbaugebiete bereist und 18 Weinkrimis veröffentlicht.

Paul Grote ist Deutschlands bekanntester Weinkrimi-Autor. Als Reporter in Südamerika entdeckte er sein Interesse für Wein und Weinbau und machte ihn zu seinem Thema. Seitdem hat er die wichtigsten europäischen Weinbaugebiete bereist und 18 Weinkrimis veröffentlicht.

Andreas Fechter


Als Strohmann war er nützlich


Fehler? Nein – er machte keine Fehler, niemals. Er nannte das still lächelnd seinen ganz persönlichen Stil. Wenn er etwas in Angriff nahm, ging er extrem gründlich vor, jeden noch so kleinen Schritt durchdachte er genau und schloss von vornherein jedes Risiko aus. Fehler konnte er sich nicht erlauben. Diese Strategie funktionierte, sie war das Geheimnis seines Erfolgs, da er genau wusste, was er erreichen wollte, was er sich zutraute und wie weit er gehen durfte.

Er kannte seine Reichweite. Die Ziele stimmte er grundsätzlich mit seinen Fähigkeiten ab. Und die wuchsen. Annahmen und Wahrscheinlichkeiten gab es in seinem Denken nicht. Imponderabilien, unvorhergesehene Zwischenfälle, blieben zwar nie ausgeschlossen, aber sogar sie kalkulierte er in ihrer möglichen Wirkung und den Konsequenzen bereits ein.

Sowohl für Situationen wie für Menschen hatte er einen untrüglichen Instinkt. Er hatte bereits in der Schulzeit begriffen, dass das Risiko zu groß war, sich auf etwas wie Worte zu verlassen; jedes Versprechen war heikel. Nie hatte er sich einer Prüfung gestellt, wenn er nicht sicher war, sie zu bestehen. Er empfand es als lächerlich, wenn andere von »Bauchgefühlen« sprachen. Der Bauch war zum Essen da und der Kopf zum Denken. So einfach.

Er wusste nicht immer sofort, wen er vor sich hatte, Freunde – wenn es sie denn gab – oder einen Feind. War sein Gegenüber nicht einzuschätzen, so mied er jede Nähe, jeden persönlichen Kontakt, bis er sich aus der Distanz ein klares und eindeutiges Bild gemacht hatte. Konnte er ihm oder ihr nicht aus dem Wege gehen, blieb von seiner Seite her alles im Vagen, gab es mit dem Betreffenden weder eine Verabredung, noch traf er eine Absprache. Er stand grundsätzlich auf der richtigen, auf seiner Seite.

Auch das Verlieren war genau geplant. Strategisch eingesetzt, konnte es ihm nützlich sein, es täuschte den Gegner. Doch damit trumpfte er niemals auf. Das wäre ein schwerer Fehler gewesen. Misstrauen und Verschwiegenheit waren Charakterzüge, die er an sich besonders schätzte.

Er ließ sein Gegenüber stets so nah wie nötig an sich heran, um sich Klarheit zu verschaffen. Manch einer verwechselte es mit Nähe – wie lächerlich. Sie war lediglich erforderlich, um den anderen zu riechen. Er besaß eine ausgezeichnete Nase, in jeder Hinsicht, besonders in Bezug auf Wein. Als Prüfer wäre er bestens geeignet gewesen, doch noch fehlte ihm das Vokabular, Weine richtig zu beschreiben.

Das alles hatte ihm sehr geholfen, als er nach Lissabon gekommen war und die Stelle in der Reederei OSC als Abteilungsleiter angetreten hatte. Susanne und Tochter Helena hatte er sechs Monate später nachkommen lassen. Er hatte das Terrain sondieren müssen, ohne sich von der Familie ablenken und einschränken zu lassen.

Die wenigen Wochen Sprach-Intensivkurs in Hannover waren bei Weitem nicht ausreichend gewesen. So hatte er den Unterricht hier in Lissabon fortgesetzt: täglich eine Stunde allein mit einem Lehrer. Im Radio hörte er nur portugiesische Sender, beim Fernsehen halfen die Bilder und Szenen, die Worte in den richtigen Kontext zu stellen. Innerhalb eines halben Jahres hatte er die Sprache erlernen wollen. Er hatte das Ziel erreicht, zur Verblüffung aller Kollegen, aber für ihn war es eine Selbstverständlichkeit. Was er sich vornahm, setzte er grundsätzlich im Rahmen eines selbst gesteckten Zeitplans um. Er konnte sich auf sich selbst verlassen. Sonst auf niemanden, geschweige denn auf Susanne. Sie war launisch.

Dass das Gesagte hier in Portugal und in diesem Umfeld längst nicht das Gemeinte war, anders als in Deutschland, hatte ihm, im Gegensatz zur portugiesischen Grammatik, niemand beibringen müssen. Ein Nein gab es nicht, und ein Ja bedeutete noch lange keine Zustimmung. Er wusste, wer ihm etwas einbrachte, mit wem er ein Stück des Wegs teilen musste, um weiter voranzukommen.

Und er wusste genau, wer seinen Aufstieg in der Reederei behinderte, ob gewollt oder nicht. Wer stärker war, zumindest einstweilen, den analysierte er, äußerst sachlich, man hätte seine Warte als durchaus objektiv bezeichnen können. Das war für seine schnelle und steile Karriere enorm nützlich gewesen, auch die vermeintliche Loyalität Vorgesetzten gegenüber. Dann kam der Moment, an dem sich alle Schwachstellen seines Gegenübers offenbarten, er den berühmten wunden Punkt kannte – jeder war damit behaftet. Das war das Blatt des Siegfried.

Die Sagen der Germanen hatten ihn als Jungen enorm beeindruckt. Doch neben dem Wissen um die verletzliche Stelle zwischen den Schulterblättern war es notwendig, sich über den Zeitpunkt Gewissheit zu verschaffen, an dem er den Speer werfen musste. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen …

Langsam schob er sich mit dem Bürostuhl vom Schreibtisch zurück, stand in Anbetracht des vor ihm liegenden Feierabends in aller Ruhe auf und trat an das Panoramafenster seines Büros. Seit drei Jahren genoss er die grandiose Aussicht über den tiefblauen Tejo. Ein wenig weiter rechts überspannte die im Abendrot leuchtende Brücke des 25. April den Strom, an ihrem Ende die Cristo-Rei-Statue vor Almada am jenseitigen Ufer. Eine eilige Personenfähre hinterließ in den blassblauen Wellen einen Streifen weißes Kielwasser. Linker Hand wich das Ufer zurück, von Lissabon war genauso wenig zu sehen wie von der flachen Vasco-da-Gama-Brücke.

Bevor er dieses Büro bezogen hatte, war ihm lediglich die traurige Aussicht auf die Rua da Cintura vergönnt gewesen, auf billige graue Lagerhäuser und die Parkplätze – eine Aussicht, geteilt mit drei Kollegen, die mittlerweile unter ihm arbeiteten. Der jetzt anstehende Schritt hinauf in die oberste Etage des Reedereigebäudes als Junior Executive Officer, als JEO, war lediglich eine Frage von Tagen. Der Plan stand. Nach dem CEO werde ich der zweite Mann in unserer Lissaboner Niederlassung sein, sagte er sich und gefiel sich in der neuen Rolle. Damit werde ich mein Ziel erreicht haben, den strategisch notwenigen Posten für den nächsten Schritt. Von dieser Position aus lassen sich meine Vorhaben am besten verwirklichen. Der CEO wird nichts tun, ohne mich zu informieren, und die Mitarbeiter kommen nur über mich an ihn heran. Dafür werde ich sorgen. So habe ich beide Seiten unter Kontrolle und gewinne Einfluss auf sämtliche Entscheidungen.

Wieder betrachtete er die Brücke des 25. April. Sie faszinierte ihn. Sie war das Sinnbild für die Verbindungen, die er mit seiner Arbeit schuf. Aber die wahren Brücken waren die Schiffe und letztlich das, was sie transportierten. Auf der Pier von Alcântara unter ihm stapelten sich die Container hoch übereinander, auf den Metallwänden las er die Namen der Reedereien, die sie über die Meere beförderten: MAERSK, Südkoreas Hanjin, Hamburg-Süd, ach, die gehörte mittlerweile auch zu MAERSK, und dann gab es noch die chinesische COSCO und hundert andere.

Auf die brasilianische Aliança verließ er sich besser nicht, Brasilianer waren unzuverlässig, obwohl Aliança zur Oetker-Gruppe gehörte und für seine Transporte hilfreich gewesen wäre. Dann war da noch die Overseas Shipping Company, kurz und prägnant OSC, schwarz auf weiß die Buchstaben. Das waren die firmeneigenen Container, meine Verfügungsmasse, sagte er sich, und ein befriedigtes Lächeln spielte um seine Lippen. Der Weg hierher war weit gewesen – und er würde noch viel weiter gehen …

Als Junge hatte er Schiffe gebastelt, sie mit allem Möglichen beladen und davon geträumt, sie über die Ozeane zu schicken. Dass man das zum Beruf machen und damit Geld verdienen konnte, sehr viel Geld, war ihm später in den Sinn gekommen, vorausgesetzt, man verfügte über eine kostbare Fracht, vermied schwierige Fahrwasser, steuerte die richtigen Häfen an und bekleidete eine entsprechende Position im Management der Macht. Als Erster Offizier hatte man sowohl die Mannschaft wie auch den Kapitän im Blick. Bald, sehr bald sogar …

Andreas Fechter trat näher an die getönte Scheibe seines klimatisierten Büros, so nah, dass sein Atem das Glas beschlug. Zufrieden sah er den Portalhubwagen nach, die, hochbeinigen Insekten gleich, über die Pier eilten und die Container von der Verladebrücke zu den Stellplätzen brachten. Der breite Radstand und die hohen Aufbauten erinnerten ihn an die Vollernter, die in wenigen Tagen wieder in den Weinbergen unterwegs sein und sich breitbeinig über die Weintrauben hermachen würden. Die Weinlese begann in diesem Jahr später als gewöhnlich. Das Frühjahr war kalt und nass gewesen, zumindest in der Region Lissabon, riesigen Schaden allerdings hatten die jüngsten Hitzetage angerichtet. Doch für seine Zwecke gab es auf der Quinta da Fonte genügend Wein.

Gedämpft von der dicken Glasscheibe, hörte er das schrille Warnsignal der langsam vorrückenden Verladebrücke, sie hob die Container vom Schiff und setzte sie auf der Pier ab. Seit dem Morgen wuchsen die Aufbauten des dort festgemachten Containerfrachters langsam aus dem Wasser, je weiter er entladen wurde. Oder hatte die Tide ihn angehoben? Richtig, der höchste Wasserstand war jetzt erreicht.

Die Welt vor ihm war die Welt, die er sich immer gewünscht hatte, und er blickte in kühler Erwartung dem Schiff entgegen, das fast bedächtig im weiten Fahrwasser vom Atlantik heraufkam. Es wird die City of Ikorodu sein, endlich, sie wird vor dem Frachter festmachen, dachte er und griff mit Genugtuung nach seinem Fernglas. Mit jeder ihrer Ladungen, die hier an Land gebracht und sicher weitertransportiert wurde, wuchs sein Vermögen. Das war entscheidend, denn auf dieser Welt zählte nichts...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2020
Reihe/Serie Europäische-Weinkrimi-Reihe
Europäische-Weinkrimi-Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Cosy Crime • Drogenschmuggel • Geisenheim • Hessen • Krimi • Kriminalroman • Kulinarischer Krimi • Lissabon • Lissabon Krimi • Norte • Portugal • Portugal-Krimi • Südamerika • Urlaubslektüre • Wein • Weinanbau • Weingut • Weinkrimi • Weinkrimi Portugal
ISBN-10 3-423-43744-8 / 3423437448
ISBN-13 978-3-423-43744-8 / 9783423437448
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