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Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz -  Ödön von Horváth

Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz (eBook)

Horváth, Ödön von - Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
235 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961707-7 (ISBN)
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Horváths 1932 erschienener Theaterklassiker, dessen Uraufführung die Nationalsozialisten zunächst verhinderten, ist heute von den Bühnen nicht wegzudenken: In Anlehnung an das berühmte Zitat aus dem 1. Korintherbrief des Paulus 'Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen' handelt das Stück vom Schicksal der alleinstehenden, arbeitslosen Elisabeth, die immer wieder von Männern verstoßen, verlassen, verraten wird, und von ihrem Kampf um ein bisschen Glück im Leben. Diese Ausgabe, die auch Vorstufen des Stücks enthält, wird zusammen mit Martin Vejvar herausgegeben und kommentiert von Klaus Kastberger, dem Gesamtherausgeber der neuen historisch-kritischen Horváth-Ausgabe. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Ödön von Horváth (9.12.1901 Su?ak, heute ein Stadtteil von Rijeka - 1.6.1938 Paris) ist vor allem für seine sozialpolitischen Dramen und Romane bekannt. Der österreichisch-ungarische Schriftsteller geht u. a. der Frage nach der Verantwortung und Schuld innerhalb einer Gesellschaft nach. Zu seinen bekanntesten Werken zählen 'Geschichten aus dem Wiener Wald' und 'Jugend ohne Gott'.

Ödön von Horváth (9.12.1901 Sušak, heute ein Stadtteil von Rijeka – 1.6.1938 Paris) ist vor allem für seine sozialpolitischen Dramen und Romane bekannt. Der österreichisch-ungarische Schriftsteller geht u. a. der Frage nach der Verantwortung und Schuld innerhalb einer Gesellschaft nach. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Geschichten aus dem Wiener Wald" und "Jugend ohne Gott".

Glaube Liebe Hoffnung

Material zur Textgenese
Vorarbeit: Kasimir und Karoline / Glaube Liebe Hoffnung-Szenerie
Vorarbeit: Typoskripte von Lukas Kristl
Vorarbeit: Stiefmutter
Konzeption: Glaube Liebe Hoffnung in zwei Teilen
Konzeption: Glaube Liebe Hoffnung in sieben Bildern
Arbeiten zur "Randbemerkung"

Material zum Kontext
Artikel von Lukas Kristl
Gerichtsakten zum Fall Klara Gramm

Editorische Notiz
Anmerkungen
Literaturhinweise
Nachwort

[11]Erstes Bild


Szene Nummer 1


Schauplatz: Vor dem Anatomischen Institut mit Milchglasfenstern.

Elisabeth will es betreten und sieht sich noch einmal fragend um, aber es ist nirgends eine Seele zu sehen.

In der Ferne intoniert ein Orchester den beliebten Trauermarsch von Chopin und nun geht ein junger Schupo (Alfons Klostermeyer) langsam an Elisabeth vorbei und beachtet sie scheinbar kaum.

Es ist Frühling.

Szene Nummer 2


ELISABETH (spricht den Schupo plötzlich an, während der Trauermarsch in der Ferne verhallt). Entschuldigens bitte -- aber ich suche nämlich die Anatomie.

SCHUPO. Das anatomische Institut?

ELISABETH. Dort wo man halt die Leichen zersägt.

SCHUPO. Das dort ist das hier.

ELISABETH. Dann ist es schon gut.

  (Stille.)

SCHUPO (lächelt). Gebens nur acht, Fräulein --- da drinnen stehen die Köpf in Reih und Glied.

ELISABETH. Ich habe keine Angst vor den Toten.

SCHUPO. Ich auch nicht.

ELISABETH. Mir graust es noch lange vor nichts.

SCHUPO. In diesem Sinne --- (er salutiert legere und ab).

[12]Szene Nummer 3


Elisabeth sieht dem Schupo spöttisch nach --- dann fasst sie sich ein Herz und drückt auf den Klingelknopf des Anatomischen Instituts. Man hört es drinnen klingeln und schon erscheint der Präparator in weissem Mantel. Er steht in der Türe und fixiert die anscheinend unschlüssige Elisabeth.

Szene Nummer 4


PRÄPARATOR. Sie wünschen?

ELISABETH. Ich möchte hier jemand Zuständigen sprechen.

PRÄPARATOR. In was für einer Angelegenheit?

ELISABETH. In einer dringenden Angelegenheit.

PRÄPARATOR. Haben Sie einen angehörigen Toten bei uns?

ELISABETH. Es dreht sich um keinen angehörigen Toten, es dreht sich um mich selbst persönlich.

PRÄPARATOR. Wieso denn das hernach?

ELISABETH. Sind der Herr hier eine zuständige Instanz?

PRÄPARATOR. Ich bin der Präparator. Sie können sich mir ruhig anvertraun.

  (Stille.)

ELISABETH. Man hat mich nämlich extra darauf aufmerksam gemacht, dass man hier seinen Körper verkaufen kann -- das heisst: wenn ich einmal gestorben sein werde, dass dann die Herren da drinnen mit meiner Leiche im Dienste der Wissenschaft machen können, was die Herren nur wollen -- dass ich aber dabei das Honorar gleich ausbezahlt bekomme. Schon jetzt.

PRÄPARATOR. Das ist mir neu.

ELISABETH. Man hat mich aber extra darauf aufmerksam gemacht.

PRÄPARATOR. Wer denn?

[13]ELISABETH. Eine Kollegin.

PRÄPARATOR. Was sind Sie denn von Beruf?

ELISABETH. Jetzt habe ich eigentlich nichts. Es soll ja noch schlechter werden. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen.

  (Stille.)

PRÄPARATOR. Seine eigene Leiche verkaufen -- auf was die Leut noch alles kommen werden?

ELISABETH. Man möchte doch nicht immer so weiter.

PRÄPARATOR. Ein krasser Irrtum -- (er holt aus seiner Tasche eine Tüte Vogelfutter und füttert damit die Tauben, die vom Dache des Anatomischen Instituts herabfliegen – die Tauben kennen den Präparator gut und setzen sich auf seine Schulter und fressen ihm aus der Hand).

Szene Nummer 5


Jetzt begleitet der Oberpräparator einen Baron mit Trauerflor aus dem Anatomischen Institut in das Freie.

OBERPRÄPARATOR. Wird prompt erledigt, Herr Baron, und abermals mein innigstes Beileid.

BARON. Danke, Herr Oberpräparator. Ich mache mir die heftigsten Vorwürfe.

OBERPRÄPARATOR. Aber die staatsanwaltschaftlichen Erhebungen haben doch die völlige Haltlosigkeit der gegen Herrn Baron erhobenen etwaigen Beschuldigungen ergeben! Wir alle sind in Gottes Hand.

BARON. Trotzdem ich stand vor Verdun und an der Somme, aber nichts hat mich so erschüttert, wie diese Katastrophe gestern. Wir waren ja erst seit drei Monaten verheiratet und ich steuerte den Unglückswagen -- in der Unglückskurve. Zwischen Lechbruck und Steingaden. Nur gut, dass der Leichnam freigegeben ist.

[14]OBERPRÄPARATOR (entdeckte inzwischen den Präparator). Augenblick bitte! (Er nähert sich dicht dem Präparator und schreit ihn an.) Sie füttern schon wieder die Tauben? Was bilden Sie sich denn ein? Saustall sowas! Drinnen liegen die Finger und die Gurgeln nur so herum, dass es eine wahre Freud ist! Tuns die beiden Herzen und die halberte Milz gefälligst in die Schublad! Kreuzkruzifix, ist das aber eine Schlamperei!

PRÄPARATOR. Aber das Fräulein dort wollte doch ihre Leiche verkaufen, Herr Oberpräparator --

OBERPRÄPARATOR. Ihre Leiche? Schon wieder?

  (Stille.)

BARON. Beispiellos.

OBERPRÄPARATOR. Wir haben es zwar schon weiss Gott wie oft dementiert, dass wir keine solchen lebendigen Toten kaufen, aber die Leut glauben halt den amtlichen Verlautbarungen nichts! Die bilden sich gar ein, dass der Staat für ihren Corpus noch etwas daraufzahlen wird -- gar so interessant kommen sie sich vor! Immer soll nur der Staat helfen, der Staat!

BARON. Eine völlig beispiellose Ansicht über die Pflichten des Staates.

OBERPRÄPARATOR. Wird schon noch anders werden, Herr Baron.

BARON. Hoffentlich.

Szene Nummer 6


DER VIZEPRÄPARATOR (erscheint mit dem Hute des Oberpräparators rasch in der Tür des Anatomischen Instituts). Telefon, Herr Oberpräparator!

OBERPRÄPARATOR. Wer? Ich?

VIZEPRÄPARATOR. Es dreht sich etwas um das Gutachten in [15]Sachen Leopoldine Hackinger aus Brünn. Herr Oberpräparator sollen sofort in die Klinik zum Professor -- (er überreicht ihm seinen Hut).

OBERPRÄPARATOR. Sofort! (Er zieht hastig seinen weissen Mantel aus und übergibt ihn dem Vizepräparator, der wieder im Anatomischen Institut verschwindet; zum Baron) Pardon Baron! Die Kapazitäten kriegens mir scheint nicht heraus, an was dass diese Sudetendeutsche gestorben ist. Die Pflicht ruft --

BARON. Oh bitte!

OBERPRÄPARATOR. -- und abermals mein innigstes Beileid!

BARON. Oh danke!

OBERPRÄPARATOR. Habe die Ehre, Herr Baron! (rasch ab nach rechts).

BARON. Wiedersehen -- (langsam ab nach links).

  (Und wieder ertönen in weiter Ferne einige Takte des Chopinschen Trauermarsches. Langsam fängt es an zu dämmern, denn es ist bereits spät am Nachmittag.)

Szene Nummer 7


PRÄPARATOR (sieht dem Oberpräparator nach). Ein schlechter Mensch. Die armen Tauben. Glaubens mir, Fräulein: Das Beste ist, Sie springen zum Fenster hinaus.

ELISABETH. Sie sind aber ein sehr freundlicher Mann, Herr Oberpräparator.

PRÄPARATOR. Ich mein es gut mit Ihnen. Wer kauft eine Leiche? Heutzutag!

ELISABETH. Morgen ist auch ein Tag.

PRÄPARATOR. Es wird nicht anders.

ELISABETH. Das glaub ich nicht.

PRÄPARATOR. Sondern vielleicht?

  (Stille.)

ELISABETH (lächelt). Nein -- das lasse ich mir auch von Ihnen [16]nicht nehmen, dass ich noch einmal Glück haben werde. Sehens zum Beispiel, wenn ich jetzt meine Leiche hätt verkaufen können, nämlich um hundertfünfzig Mark --

PRÄPARATOR (unterbricht sie). Hundertfünfzig Mark?

ELISABETH. Jawohl.

  (Stille.)

PRÄPARATOR (grinst). Sie Kind -

ELISABETH. Wie belieben?

PRÄPARATOR. Was ist denn Ihr Vater von Beruf?

ELISABETH. Ein Inspektor.

PRÄPARATOR. Inspektor? Respekt!

ELISABETH. Aber er kann mir halt auch nicht unter die Arme greifen, weil meine Mama im März das Zeitliche gesegnet hat und da hat er gleich soviel...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2020
Reihe/Serie Reclams Universal-Bibliothek
Reclams Universal-Bibliothek
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Deutsch • Deutsch-Unterricht • Dramen Weimarer Republik • gelb • gelbe bücher • Horváth Drama • Horváth Dramen Entwürfe • Klassenlektüre • Lektüre • Liebe • Liebe Pflicht und Hoffnung • Literatur Klassiker • Literatur Weimarer Republik • Lukas Kristl • Pflicht und Hoffnung • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Schullektüre • Theaterklassiker • Volksstück • Weltliteratur
ISBN-10 3-15-961707-6 / 3159617076
ISBN-13 978-3-15-961707-7 / 9783159617077
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