Fürchte dich vor morgen (eBook)
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99706-5 (ISBN)
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der »Sisters in Crime« und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch »Wer nicht hören will, muß fühlen« erhielt sie die »Agathe«, den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der "Sisters in Crime" und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch "Wer nicht hören will, muß fühlen" erhielt sie die "Agathe", den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Kapitel 1 –
In die Pilze
Im Morgendunst sieht alles so verwaschen aus. Vielleicht ist aber auch nur Völxens müder Blick noch ein wenig getrübt, denn es ist verdammt früh, besonders wenn man bedenkt, dass heute Sonntag ist. Schweren Schrittes stapft Hauptkommissar Bodo Völxen durch den Wald bergan, seinem Nachbarn Jens Köpcke hinterher. Der Nordhang liegt noch komplett im Schatten, die Temperaturen sind empfindlich kühl und das Gras feucht vom Tau. Man merkt, dass es bis zum Herbst nicht mehr lange hin ist. Im Zeitlupentempo erklimmt die aufgehende Sonne den Kamm des Deisters, jenes dicht bewaldeten und angeblich äußert pilzreichen Mittelgebirgsrückens südlich von Hannover. Immer wieder einmal muss Völxen verstohlen gähnen. Selbst schuld! Was musste er auch gestern so herumjammern? Wie fast jeden Abend standen er und sein Nachbar in der Dämmerung am Zaun der Schafweide, zischten ein lauwarmes Herrenhäuser, und Völxen beschwerte sich bitterlich: Er sei nun bestimmt schon ein Dutzend Mal im Deister Pilze suchen gegangen, aber stets vergeblich, es sei wie verhext.
Dabei kann es doch nicht so schwierig sein. Alle Welt brüstet sich dieser Tage mit Fotos einer reichen Pilzausbeute in den sozialen Medien. Nicht, dass der Hauptkommissar persönlich in diesen Niederungen des Internets verkehren würde. Seine Frau Sabine zeigt ihm ab und an die einschlägigen Posts der Trophäen von Bekannten, und Völxen vernimmt dabei sehr wohl die unterschwellige Botschaft und fühlt sich wie ein Versager.
Irgendwann in dieser Leidenszeit gelangte Völxen zu der Einsicht, dass es überhaupt nichts bringt, stundenlang planlos durch die Wälder zu streifen. Nachdenklich betrachtete er daraufhin seinen Terriermischling Oscar, um schließlich die existenzielle Frage aufzuwerfen: »Wozu füttert man dich eigentlich das ganze Jahr durch?«
Nach Rücksprache mit einem der Trainer der Hundestaffel der Polizeidirektion Hannover besorgte Völxen ein paar Übungsexemplare in der Markthalle der Landeshauptstadt. Zu Hause ließ er Oscar an den Steinpilzen schnüffeln und versteckte diese anschließend im weitläufigen Garten seines ländlichen Anwesens. Nach kurzer Zeit und unter Einsatz etlicher Leberwurstleckerlis kapierte der Hund, was man von ihm verlangte. Und tatsächlich: Oscar erschnüffelt und verbellt seither jeden Steinpilz. Im heimischen Garten. Dort, und nur dort, klappt die Pilzsuche hervorragend. Im Wald dagegen sind die Verlockungen durch andere Gerüche einfach zu groß und zu viel für den wankelmütigen Oscar.
»Du musst früher aufstehen, Kommissar, sonst sind die anderen schneller!«, hat ihm der Hühnerbaron gestern Abend, am Ende von Völxens Jammertirade, geraten.
»Ich bin früh aufgestanden.«
»Was so ein Städter halt unter früh versteht.«
Das ist auch so eine Sache. Seit über dreißig Jahren lebt die Familie Völxen nun schon in dem umgebauten alten Bauernhof, dessen Obstwiese und Schafweide an Köpckes Grundstück grenzt. Dennoch gelten er und seine Frau – er noch mehr als Sabine – für den Hühnerbaron und den Rest der Dorfbewohner nach wie vor als Städter, und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Also hat Völxen den Städter, wieder einmal, unwidersprochen hinuntergeschluckt, denn danach meinte Jens Köpcke gnädig: »Wenn du willst, zeig ich dir morgen mal ein paar Pilzstellen.«
Was wiederum einen Freundschaftsbeweis erster Güte darstellt.
»Morgen früh um fünf Uhr auf meinem Hof, ich fahre«, ordnete Köpcke an.
Um fünf? Und das, obwohl Ende August die Sonne erst nach sechs Uhr aufgeht und nicht einmal Köpckes Hühner zu dieser Unzeit aufstehen. Völxen musste schwer schlucken, doch er hat den Mund gehalten und gedacht: Der frühe Vogel fängt den Wurm, beziehungsweise den Pilz.
Jetzt freut er sich schon auf Sabines Gesicht, wenn er, der Held der Morgenstunde, zum Frühstück mit einem prall gefüllten Korb prächtiger Steinpilze erscheinen wird. Die kann sie dann seinetwegen ruhig fotografieren und posten, wo immer sie möchte.
Seit einer gefühlten Ewigkeit wandern sie nun schon durchs Dickicht, denn natürlich, so Köpcke, wachsen Pilze nicht rechts und links des Weges, und falls doch, dann hat sie längst einer vor ihnen geerntet.
Ein frischer Wind fährt durch die Baumwipfel und zaust Völxens graublondes Resthaar, sein Magen knurrt, und außerdem beschleicht ihn allmählich der Verdacht, dass die Pilzstellen, die sein Nachbar ihm zeigen will, nicht gerade die besten sind, sondern eher die 2-B-Lagen. Gerade sind sie nämlich an einer solchen angekommen, aber die Pilze dort sind so mickrig und von Schnecken zerfressen, dass sie sie gar nicht erst mitnehmen.
Köpcke murmelt etwas von schlechtem Pilzwetter, und Völxen hat Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Wie konnte er nur auf den Hühnerbaron, dieses Schlitzohr, hereinfallen, hadert er mit sich selbst. Kein Pilzsammler, der noch ganz bei Trost ist, verrät seine Pilzplätze, zumindest nicht die, die etwas taugen. Er könnte gemütlich im Bett liegen und sich noch mal umdrehen, anstatt hier, von Mücken umschwirrt, durch den Wald zu stolpern. Die Orientierung hat er längst verloren, er ist praktisch davon abhängig, dass Köpcke ihn zu dem Wanderparkplatz hinter Wennigsen zurückführen wird. Dieser Gedanke bereitet ihm Unbehagen. Da hilft auch kein Google Maps, wenn man sich abseits der Pfade der Zivilisation bewegt.
Und nun macht ihm auch noch Oscar Kummer. Während der ganzen Zeit ist er mehr oder weniger brav bei Fuß gegangen, hat sich lediglich einmal in Wildschweinkot gewälzt, an einem Fuchshaufen geknabbert und ansonsten die Aufforderung seines Herrchens – such die Pilze, Oscar, such, such! – hartnäckig ignoriert. Jetzt plötzlich, ohne dass er ein Kommando erhalten hätte, stürmt der Terrier davon und bricht durch ein Gebüsch. Ein paar Farnwedel bewegen sich noch und signalisieren, wo er langläuft, dann ist er weg. Das alles, ohne auch nur einen Laut von sich gegeben zu haben.
»Oscar! Hierher! Oscar, verflucht noch eins!«
Völxens Geschrei verhallt ohne Wirkung. Das fehlt ihm noch, dass der Hund wildert. Noch dazu, da Jens Köpcke ihn vorhin extra noch gewarnt hat, Völxen müsse gut auf Oscar achten, denn mit dem hiesigen Revierförster sei nicht zu spaßen.
»Dieser elende Mistköter!«
Köpcke sagt nichts dazu. Beide sind stehen geblieben und horchen. Wind rauscht in den Bäumen, Vögel zwitschern.
»Oscaaaar!«, brüllt Völxen.
»Hast du keine Hundepfeife dabei?«, fragt Köpcke.
»Nein. Der würde sowieso nicht gehorchen. Wenn er erst mal im Jagdmodus ist, hört der auf gar nichts mehr.«
»Dann kannst du dir das Geschrei ja auch sparen«, bemerkt Köpcke.
»Es hilft mir aber, mich abzureagieren.«
»Was machen wir jetzt?«, fragt der Hühnerbaron.
»Gar nichts. An Ort und Stelle stehen bleiben und warten, bis er wiederkommt. Der findet auf seiner eigenen Spur zurück.«
»Klingt, als wäre das nicht das erste Mal, dass er dir ausbüxt.«
»Das steht so in den Hundebüchern«, antwortet Völxen.
»Pst! Ich hör was«, flüstert der Hühnerbaron.
Und wirklich. In einiger Entfernung tönt das für einen Terrier typische schrille Kläffen durch den Wald.
»Er hat Pilze gefunden!«, jubelt Völxen. »Hörst du es? Er verbellt sie. Guter Hund!«
»Pilze verbellen?«, wiederholt sein Gegenüber.
»Hab ich ihm beigebracht. Man nennt das Konditionierung«, lässt Völxen seinen Nachbarn wissen.
»Konditionierung!« Jens Köpcke tippt sich unter seiner Schiebermütze an die Stirn. »Der jagt einen Hasen. Oder er spinnt einfach, wie sonst auch.«
Auf derlei unqualifizierte Kommentare geht der stolze Hundebesitzer erst gar nicht ein. So schnell es seine müden Beine und sein moderates Übergewicht erlauben, setzt er sich ohne Rücksicht auf die Flora des Waldes in Bewegung, schnurstracks in die Richtung, aus der das Gebell ertönt. Köpcke hat Mühe, ihm hinterherzukommen.
Sie stoßen auf einen Weg, eigentlich mehr ein Trampelpfad, dem sie folgen. Das Bellen ist nun ganz nah. Der Pfad führt auf eine Lichtung, und dort sieht Völxen zu seiner großen Erleichterung Oscar, der tatsächlich etwas verbellt.
Aber es ist kein Pilz.
Völxen bleibt so abrupt stehen, dass der Hühnerbaron ihn von hinten anrempelt. »’tschuldigung, Kommissar. Warum hältst du auch so plötzlich …?« Der Rest des Satzes bleibt Köpcke in seinem kurzen Hals stecken. »Hol mich der Teufel! Ist das … ist das …?«
»Ich denke, du bleibst besser mal hier stehen, Jens, und rührst dich nicht vom Fleck.« Völxen merkt, wie brüchig und mürbe seine Stimme auf einmal klingt. Kein Wunder, er ist zutiefst schockiert und kann nicht fassen, was er vor sich sieht.
»Oscar, hierher!« Es hätte energisch klingen sollen, hört sich aber eher panisch an.
Überraschenderweise gehorcht der Terrier sofort, fast als wäre er froh, die Verantwortung für seinen außergewöhnlichen Fund abgeben zu können.
Völxen leint ihn an. »Nimm ihn bitte mal«, sagt er zu seinem Nachbarn.
Köpcke, der leichenblass geworden ist und sich an einem Baumstamm festhält, ergreift wortlos die Leine.
Vorsichtig nähert sich der Hauptkommissar dem, was Oscar angekläfft hat. Es ist eine Frau mit langem braunem Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden ist. Sie liegt auf dem Rücken. Ein riesiger Speer steckt in ihrer Brust, und zwar so tief, dass Völxen nur wenig von der Klinge sehen kann. Die Tote ist mit einer olivgrünen Hose mit vielen Taschen, einem grauen Sweatshirt und festen, geschnürten Halbstiefeln aus beigefarbenem Leder bekleidet. Es ist eine sehr junge Frau, um die...
Erscheint lt. Verlag | 11.1.2021 |
---|---|
Reihe/Serie | Hannover-Krimis | Hannover-Krimis |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | aussteigen • Band 10 • Bestsellerautorin • Ermittlungen • Gemeinschaft • Hannover • Hannover-Krimi • Kommissar Völxen • Krimi • Mord • Neuerscheinungen 2021 • Prepper • Prepper Buch • Prepper-Szene • Rache • Regiokrimi • spiegel bestseller • Survival-Training • Susanne Mischke • Verschwörungstheorien • Völxen • Wald • Weltuntergang |
ISBN-10 | 3-492-99706-6 / 3492997066 |
ISBN-13 | 978-3-492-99706-5 / 9783492997065 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 3,7 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich