Der sanfte Hauch des Todes (eBook)
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99709-6 (ISBN)
Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, ist promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Seit 1995 ist er schriftstellerisch tätig und lebt heute in Karlsruhe und Regensburg. Seine Gerlach-Krimis wurden bereits zweimal für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, ist promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Er hat drei erwachsene Töchter und lebt heute in Karlsruhe und Regensburg. Seit 1995 ist er schriftstellerisch tätig. Die Alexander-Gerlach-Romane waren bereits zweimal für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert und standen mehrfach auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
1
»Wo?«, fragte ich ins Telefon, schon halb im Stehen. Der automatische Blick zur Uhr: zwei Minuten nach elf.
»Im Wald oberhalb von Rohrbach«, sagte Klara Vangelis in ihrer üblichen leicht unterkühlten Sachlichkeit. »Er liegt noch keine zwölf Stunden, meinen die Kollegen.«
»Woraus schließen sie das?«
»Der Regen. Die Leiche ist trocken, und in der vergangenen Nacht hat es zwischen zehn und zwölf geregnet.«
Das Opfer war ein junger Mann, erfuhr ich, als wir Minuten später in einem Dienstwagen mit Blaulicht auf dem Dach in den Heidelberger Süden rasten.
»Wer er ist, wissen wir noch nicht. Er hat nichts bei sich gehabt.« Meine Kollegin setzte zum Überholen an, scherte knapp vor dem Gegenverkehr wieder ein. Wie immer schlug mir ihre Fahrweise auf den Magen. »Der Täter hat ihm nur das gelassen, was er am Leib trug.«
»Er wird auch nicht wieder lebendig, wenn wir bei einem Autounfall ums Leben kommen«, brummte ich.
Vangelis lächelte siegessicher und war schon wieder auf der linken Spur. Manchmal kam mir der Verdacht, dass sie es genoss, mich leiden zu sehen. Vielleicht hatte sie die Enttäuschung immer noch nicht verwunden, dass ich ihr den Job des Kripochefs vor der Nase weggeschnappt hatte. Sie war die Tochter griechischer Eltern, jedoch in Deutschland zur Welt gekommen, und in manchen Dingen deutscher als jeder andere in der Heidelberger Polizeidirektion.
Im Rückspiegel sah ich weit hinter uns noch ein Blaulicht blitzen. Wahrscheinlich die Spurensicherung oder der Notarzt, den die beiden uniformierten Kollegen, die zurzeit den Tatort bewachten, ebenfalls alarmiert hatten.
»Wer hat ihn gefunden?«
»Ist noch nicht bekannt.« Vangelis spielte ständig mit der Lichthupe, um die Wirkung unseres Martinshorns und des blauen Gefunkels auf dem Dach noch zu verstärken. »Anonymer Anruf.«
Die meisten Fahrzeuge vor uns machten bereitwillig Platz. Einige wenige Fahrer beharrten stur auf ihrem vermeintlichen Recht auf was auch immer und wurden von meiner Fahrerin in oft waghalsigen Manövern überholt. Warum hatte ich sie bloß ans Steuer gelassen? Ich wusste doch, dass sie fuhr wie ein Gangster. Früher war sie hin und wieder sogar kleine Rallyes gefahren und hatte nicht selten gewonnen. Dieses Hobby hatte sie jedoch aufgegeben, als sie Mutter eines kleinen Sohnes wurde, der inzwischen wohl längst laufen und sprechen gelernt hatte. Meine Erste Kriminalhauptkommissarin sprach grundsätzlich nie über private Dinge mit mir. Über andere Kanäle hatte ich jedoch erfahren, dass sie vom Vater ihres Sohnes längst wieder getrennt lebte. Die Erziehung ihres Kindes überließ sie ihren Eltern, die in Schriesheim ein Restaurant betrieben.
»Das macht Ihnen Spaß, nicht wahr?« Instinktiv hielt ich mich am Griff über der Beifahrertür fest.
Anstelle einer Antwort lachte Vangelis nur.
Heute war Dienstag, der zweiundzwanzigste Oktober. Bis auf einige Regenschauer hatten wir in diesem Herbst bisher nur sonnige und für die Jahreszeit zu warme Tage erlebt.
Als wir den Tatort im Wald oberhalb von Rohrbach erreichten, war es Viertel vor zwölf. Der Platz hätte idyllischer nicht sein können. Eine kleine, verwunschene Lichtung, von hohen Laub- und Nadelbäumen und lichtem Gebüsch umgeben, vielleicht dreihundert Meter von einem kleinen Wanderparkplatz am Rand der Landstraße entfernt, von wo ein unbefestigter Fahrweg hierher führte. Vereinzelte Pfützen zeugten vom kurzen nächtlichen Regen. Die Schranke, die mir am Beginn des Wegs aufgefallen war, sah aus, als wäre sie schon sehr lange nicht mehr geschlossen worden.
Vögel zwitscherten fröhlich, aus dem Tal wehten Verkehrsgeräusche herauf. Ein schweres Motorrad blubberte, Lkws brummten, ein Pkw-Motor wurde von einem sportlichen Fahrer auf höchste Drehzahlen gejagt. Nie werde ich begreifen, wie man auf ein Pedal treten Sport nennen kann.
Das Gras auf der Lichtung wiegte sich im frischen Herbstwind. Buntes Laub tanzte Ringelreihen, eine freundliche Sonne beschien die Szenerie, die so lieblich hätte sein können, so friedlich, wäre da nicht die Leiche gewesen.
Der Tote lag auf dem Rücken und mit ausgestreckten Beinen in der Mitte der fast kreisrunden Lichtung, an deren südlichem Rand ich zwei grob gezimmerte Bänke neben einer kleinen Feuerstelle sah. Dahinter stand eine schon etwas baufällige Schutzhütte mit bemoostem Dach. Die Hände seines Opfers hatte der Mörder vermutlich posthum auf dem Bauch wie zum Gebet gefaltet.
Ein uniformierter Kollege kam eilig auf uns zu. Er wirkte erleichtert, weil er und sein Mitstreiter jetzt nicht mehr allein waren mit dem Toten. Ich schätzte den Uniformierten auf etwa dreißig Jahre, er war athletisch gebaut, blass, aber gefasst.
»Er hat ihm den Dings abgeschnitten«, erklärte er atemlos anstelle einer Begrüßung.
»Seinen was?«, fragte Vangelis mit krauser Stirn.
»Na.« Der Kollege kratzte sich unbehaglich am Kopf. »Den Penis halt. Daran ist er wahrscheinlich auch gestorben. Wie es aussieht, ist er verblutet. Der Täter hat ihn ausbluten lassen wie … wie Schlachtvieh.«
»Gott im Himmel!« Vangelis, die sonst nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, erblasste ebenfalls.
Wir gingen einige Schritte näher an den Toten heran. Der obere Teil der Jeans, die der junge, kräftig gebaute Mann trug, stand offen und war schwarz von Blut. Den Oberkörper bekleidete ein hellgrauer Kapuzenpulli, dessen Aufdruck ich aus der Entfernung nicht lesen konnte. Am linken Fuß sah ich einen weißen, noch relativ neuen Sportschuh von einer der teureren Marken, am rechten nur eine rote Socke.
Um den Toten herum standen in einem Radius von vielleicht fünf Metern etwa zwanzig rote Grablichter, die alle noch brannten. Der Mörder hatte seine grausame Tat offenbar regelrecht inszeniert.
»So etwas habe ich noch nie gesehen.« Auch Vangelis schluckte bei dem makabren Anblick.
Bremsen quietschten in unserem Rücken, die Spurensicherung rückte an, zwei Frauen, zwei Männer sprangen aus ihrem grauen Kombi, stiegen – als führten sie eine oft geübte Pantomime auf – in ihre weißen Overalls, zogen Latexhandschuhe an, die Kapuzen über die Haare, zerrten wortlos schwere Metallkoffer aus dem Laderaum ihres Fahrzeugs.
Man begrüßte sich, und der Uniformierte wiederholte seinen knappen Bericht. Der anonyme Anruf bei der Heidelberger Polizeidirektion war vor anderthalb Stunden gekommen, von einem Prepaidhandy.
»Männerstimme, eher jung als alt. Hat behauptet, er sei hier spazieren gegangen und hätte eine Leiche gesehen.«
Vangelis zückte ihr eigenes Smartphone, tippte kurz darauf herum und gab jemandem in der Direktion mit verhaltener Stimme die Anweisung, den Besitzer dieses Handys ausfindig zu machen. Möglicherweise gehörte es dem Täter selbst oder jemandem, der ihn vergangene Nacht beobachtet hatte.
Die Spurensicherer achteten sorgfältig darauf, wohin sie ihre Füße setzten, um nichts zu übersehen, keine Spuren zu zerstören. Eine der Frauen begann aus allen denkbaren Perspektiven Fotos zu schießen. Das nächste Fahrzeug brummte heran. Der Arzt.
Vangelis und der überraschend junge, schmale Mann mit runder, randloser Brille und Intellektuellenstirn schienen sich von früheren Begegnungen dieser Art zu kennen.
»Hier laufen doch bestimmt jeden Morgen hundert Jogger vorbei«, sagte ich mit Blick auf den Weg.
»Das Gras steht hoch«, entgegnete Vangelis finster. »Und der Tote liegt flach am Boden. Außerdem, wer guckt beim Joggen schon in der Gegend herum?«
Da hatte sie recht. Die meisten Jogger hatten sogar Stöpsel in den Ohren, um nichts zu hören oder zu sehen von ihrer Umgebung, während sie ihre Strecke liefen, die sie schon tausendmal gelaufen waren.
»Geben Sie mir mal die Nummer von diesem unbekannten Handy«, bat ich den Kollegen, der immer noch bei uns stand, als suchte er Schutz, und nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Er fasste in seine Hosentasche, förderte einen zerknitterten Zettel zutage.
»Er hat mit unterdrückter Nummer angerufen.« Mit der flachen Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
Die wenigsten Menschen wissen, dass bei der Polizei auch unterdrückte Nummern angezeigt werden, dass dieser billige Trick also nicht überall und immer funktioniert. Zudem wird grundsätzlich jeder Anruf aufgezeichnet.
»Ja?«, meldete sich eine mürrische Stimme nach dem dritten Tuten. »Wenn Sie wegen dem Corsa anrufen, der ist schon weg. Hab’s bloß noch nicht geschafft, die Anzeige zu …«
»Gerlach hier«, unterbrach ich den Wortschwall des Menschen am anderen Ende. »Kripo Heidelberg.«
»Äh. Polizei? Wegen dem Corsa jetzt, oder was?«
Noch immer war ich mir nicht im Klaren darüber, ob ich mit einer Frau oder einem Mann verbunden war.
»Mit wem spreche ich denn?«
»Ich … äh … Sie sind echt von der Polizei? Und … und was wollen Sie von mir?«
»Sie haben heute Morgen eine Leiche gefunden.«
»Wenn das ein Witz sein soll, dann ist es ein verdammt schlechter.«
»Mit wem spreche ich denn bitte?«
»Ich hab in meinem ganzen Leben noch keine Leiche gefunden, du Spinner! Ist das hier so eine Radioverarsche, oder was soll der Quatsch?«
Schließlich ließ der Mensch am anderen Ende sich doch dazu herab, mir seinen Namen zu nennen. Ich sprach mit Yvonne Kübelbeck, wohnhaft in Nußloch, nur fünf Kilometer von der Stelle entfernt, wo ich mich befand.
»Hat sonst noch jemand Zugriff auf Ihr Handy?«
»Wie kommen Sie darauf? Nein. Höchstens die Miriam, meine Tochter. Sie darf es aber bloß nehmen, wenn sie mich vorher gefragt hat, dass sie mir nicht wieder das ganze...
Erscheint lt. Verlag | 5.10.2020 |
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Reihe/Serie | Alexander-Gerlach-Reihe |
Alexander-Gerlach-Reihe | Alexander-Gerlach-Reihe |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Alexander Gerlach • Bestsellerautor • Deutscher Krimi • deutsche Spannung • Ermittlerkrimi • Familie • Grausamer mord • Heidelberg Krimi • Kriminalroman • persönlicher Fall • Rache • Regionalkrimi • Serienmörder • Serientäter • Tochter • Wolfgang Burger |
ISBN-10 | 3-492-99709-0 / 3492997090 |
ISBN-13 | 978-3-492-99709-6 / 9783492997096 |
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