Unschuldige Täter (eBook)
428 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-11597-0 (ISBN)
Keigo Higashino, geboren 1958 in Osaka, Japan. Nach seinem Ingenieursstudium begann der Kapitän einer Bogenschützenmannschaft Kriminalromane zu schreiben. Viele seiner Kriminalromane wurden für Kino und Fernsehen adaptiert und mit Preisen ausgezeichnet. Sein größter Erfolg war »Verdächtige Geliebte«. In seiner Heimat wurde der Kriminalroman mehr als zwei Millionen Mal verkauft. Higashino lebt zurückgezogen in Tokio.
Keigo Higashino, geboren 1958 in Osaka, Japan. Nach seinem Ingenieursstudium begann der Kapitän einer Bogenschützenmannschaft Kriminalromane zu schreiben. Viele seiner Kriminalromane wurden für Kino und Fernsehen adaptiert und mit Preisen ausgezeichnet. Sein größter Erfolg war »Verdächtige Geliebte«. In seiner Heimat wurde der Kriminalroman mehr als zwei Millionen Mal verkauft. Higashino lebt zurückgezogen in Tokio. Ursula Gräfe geboren 1956 in Frankfurt/Main, wo sie auch Japanologie studierte und heute lebt. Seit 1989 übersetzt sie aus dem Englischen und Japanischen. Ihr besonderes Interesse gilt der süd- und ostasiatischen Literatur. Besonders gelobt wurden ihre Übertragungen des Werks von Haruki Murakami.
»Was den Roman aber noch zusätzlich lesenswert macht, sind kluge Dialoge und interessante Schilderungen japanischer Gegebenheiten, die zur Erweiterung des KrimileserInnenhorizontes beitragen.«
Fritz Popp, Österreichisches Bibliothekswerk, 03.07.2020
»Raffiniert aufgebaut, packend geschrieben, reich an überraschenden Wendungen.«
Hans Durrer, Bücher & Bilder, 08.04.2020
»Für mich war dieses Buch wieder ein echtes Highlight und ich empfehle es auf jeden Fall sehr gerne weiter!.«
Kriminetz, 25. Mai 2020
Kapitel 1
Er wusste, wo er vom Shinkansen in den Regionalzug umsteigen musste, und rannte die Treppe hinauf. Als er auf dem Bahnsteig ankam, war der Zug schon eingefahren und die Türen standen offen. Aus den Waggons tönten lebhafte Stimmen.
Kyohei Esaki stieg durch die nächste Tür ein und blickte sich missmutig um. Seine Eltern hatten ihm versprochen, dass es nach den Obon-Feiertagen nicht mehr so voll sein würde, aber es gab kaum freie Plätze. Alle Vierersitze waren von mindestens drei Personen besetzt. In der Hoffnung, eine Sitzgruppe mit höchstens zwei Personen zu finden, ging Kyohei durch den Waggon.
Es waren viele Familien unterwegs. Die meisten Kinder waren in seinem Alter, also etwa in der fünften Klasse. Alle waren bester Laune und redeten laut durcheinander.
Kyohei fand das übertrieben. Was war so toll daran, zum Baden ans Meer zu fahren? Was war überhaupt so toll an dem blöden Meer? Im Schwimmbad machte es doch viel mehr Spaß. Am Meer gab es ja noch nicht mal Wasserrutschen.
Am Ende des Waggons fand er einen Platz. Auch hier saß zwar jemand, aber immerhin hatte er einen Zweiersitz für sich.
Kyohei ließ seinen Rucksack auf den leeren Platz neben sich fallen. Ihm gegenüber saß ein großer Mann mit randloser Brille. Er trug Hemd und Jackett, las in einer Zeitschrift und nahm keine Notiz von ihm. Auf dem Titelblatt waren unverständliche Muster und Wörter zu sehen, die er noch nie zuvor gelesen hatte. Aber wie ein Tourist wirkte der Mann nicht.
Auf der anderen Seite des Ganges saßen ein dicker älterer Mann mit weißem Haar und eine mondgesichtige Frau einander gegenüber, vermutlich ein Ehepaar. Die Frau goss grünen Tee aus einer Plastikflasche in einen Becher und reichte ihn dem Alten, der ihn mit mürrischer Miene austrank und brummig fragte, wie viel er denn eigentlich noch trinken solle. Beide waren normal gekleidet. Sicher waren sie auf dem Heimweg von einer kleinen Reise.
Es dauerte nicht lange, bis der Zug sich in Bewegung setzte. Kyohei nahm die Plastiktüte mit seinem Mittagessen aus dem Rucksack. Die in Alufolie gewickelten Onigiri waren noch warm. Dazu gab es frittiertes Hähnchen und Omelette aus einer Tupperdose. Beides Lieblingsgerichte von ihm.
Er trank aus seiner Wasserflasche und stopfte sich ein Onigiri in den Mund. Bald breitete sich vor dem Fenster das Meer aus. Es war ein schöner, nahezu wolkenloser Tag, kleine weiße Schaumkronen sprenkelten das glitzernde Wasser.
»Nur solange wir in Osaka zu tun haben«, hatte seine Mutter Yuri drei Tage zuvor verkündet. Es war das erste Mal, dass Kyohei allein zu Verwandten fahren sollte, die so weit weg wohnten.
»Meinst du, das geht? Harigaura ist nicht gerade ums Eck«, wandte sein Vater ein, der gerade ein Glas Whisky geleert hatte.
»So weit ist es nun auch wieder nicht. Kyohei ist doch schon in der fünften Klasse. Die kleine Hana von den Kobayashis ist ganz allein nach Australien geflogen«, widersprach ihm Yuri, während sie etwas in den Computer tippte. Wie jeden Abend rechnete sie im Wohnzimmer die Tageseinnahmen aus.
»Aber ihre Eltern haben sie zum Flughafen gebracht, und als sie ankam, haben ihre Verwandten sie abgeholt. Die übrige Zeit saß sie nur im Flugzeug, da braucht man sich keine Sorgen zu machen.«
»Wo ist der Unterschied? Er muss ja nur ein Mal umsteigen, und deine Schwester wohnt doch ganz nah am Bahnhof. Ich zeige es dir auf der Karte, du wirst sehen, es ist ganz einfach.« Der letzte Satz war an Kyohei gerichtet.
»Ja, gut«, erwiderte Kyohei, den Blick auf sein Videospiel geheftet. Widerstand war zwecklos, das wusste er. Solange seine Eltern auf Geschäftsreise in Osaka waren, musste er wohl oder übel in Harigaura ausharren – in diesem Nest. Als seine Großmutter noch gelebt hatte, hatten seine Eltern ihn immer zu ihr nach Hachioji geschickt, das war wenigstens in Tokio. Aber weil sie im vergangenen Jahr gestorben war, musste er jetzt zu Onkel und Tante.
Kyoheis Eltern führten eine Boutique. Sie waren ständig beschäftigt und häufig unterwegs, um Werbung für ihre selbstentworfenen Stücke zu machen. Manchmal nahmen sie Kyohei mit, aber wenn er Schule hatte, ging das nicht. Dann ließen sie ihn auch mal eine Nacht allein.
Doch nun eröffneten sie in Osaka ein neues Geschäft und würden wegen der Vorbereitungen mindestens eine Woche dort sein.
»Du hast recht, er ist alt genug dafür. Eine ganze Woche am Meer, das wird super, Kyohei. Da unten gibt es tolles Essen. Deine Tante wird dir jede Menge frischen Fisch vorsetzen«, beendete sein Vater mit whiskyschwerer Zunge die Diskussion. Über seinen Kopf hinweg hatten seine Eltern beschlossen, ihn abzuschieben. So wie immer.
In hohem Tempo fuhr der Zug die Küste entlang. Kyohei hatte seine Onigiri verschlungen und spielte mit seiner Konsole, als das Handy in seinem Rucksack klingelte. Er drückte auf Pause und holte es hervor.
Es war seine Mutter. Er verdrehte die Augen, dann hob er ab.
»Hallo?«
»Kyohei, wo bist du?«, fragte sie überflüssigerweise. Sie war es schließlich gewesen, die das Ticket besorgt hatte.
»Im Zug«, antwortete er leise. Wo sollte er sonst sein?
»Sehr gut. Also hat alles geklappt?«
»Klar«, sagte er genervt.
»Sei nett, wenn du ankommst. Und vergiss nicht, ihnen das Geschenk zu geben.«
»Mach ich. Ich leg jetzt auf.«
»Und mach deine Hausaufgaben. Jeden Tag ein bisschen. Sonst gibt es am Ende wieder eine Katastrophe.«
»Jaaha, ich weiß«, sagte er und legte auf, weil sie sowieso nur das wiederholte, was sie ihm schon am Bahnhof gesagt hatte. Warum machte sie das nur immer?
»He!«, sagte eine tiefe Stimme, nachdem er das Handy in den Rucksack gepackt hatte und gerade seine Konsole wieder zur Hand nehmen wollte. Kyohei ignorierte es, bestimmt war nicht er gemeint.
»He, du da«, ertönte es wieder, diesmal ziemlich gereizt.
Kyohei sah auf. Der weißhaarige Alte auf der anderen Sitzbank funkelte ihn drohend an.
»Telefonieren ist hier verboten«, sagte er streng.
Kyohei konnte es nicht fassen. Dass es noch Leute gab, die sich über so etwas aufregten. Er war wirklich in der tiefsten Provinz gelandet.
»Ich wurde angerufen«, verteidigte er sich.
Der alte Mann deutete mit seinen runzligen Händen auf den Rucksack. »Du musst das Handy ausschalten. Man darf hier nicht telefonieren. Da, guck!« An der Wand hing ein Schild: RUHEBEREICH. HANDYS BITTE AUSSCHALTEN.
»Äh …«
»Verboten! Kapiert?«, triumphierte der Alte.
Kyohei holte sein Handy aus dem Rucksack und hielt es dem Mann vor das Gesicht. »Das ist aber ein Handy für Kinder.«
Der Alte zog argwöhnisch die weißen Brauen zusammen. Offenbar wusste er nicht, was das war.
»Selbst wenn ich es ausschalte, geht es wieder an, sobald mich jemand anruft. Ganz ausschalten kann man es nur mit einer Geheimnummer, die kenn ich aber nicht. Ich kann also nichts machen.«
Der Alte kratzte sich am Kinn und überlegte.
»Dann musst du dich eben umsetzen. Das hier ist der Ruhebereich.«
»Jetzt lass doch das Kind in Frieden«, schaltete seine Frau sich ein und lächelte Kyohei zu. »Mach dir nichts draus.«
»Kommt nicht in Frage. Er muss lernen, die Regeln zu befolgen«, sagte der Alte mit lauter Stimme, sodass jetzt auch andere Fahrgäste aufmerksam wurden.
Kyohei seufzte. Was für ein nerviger alter Knacker. Als er aufstand und schon die Plastiktüte mit den Essensresten in seinen Rucksack packen wollte, um sich umzusetzen, drückte ihn plötzlich jemand an der Schulter zurück auf den Sitz.
Verdutzt beobachtete er, wie der Mann von gegenüber seine Zeitschrift zur Seite legte und seelenruhig die Alufolie aus Kyoheis Tüte hervorkramte, sie glättete, ihm das Handy aus der Hand nahm und es in die Folie einwickelte.
»Das müsste genügen«, sagte der Mann und reichte ihm das kleine Paket. »Du musst dich nicht umsetzen.«
Kyohei nahm es schweigend entgegen. Ob das wirklich funktionierte?
»Und was soll das jetzt bewirken?«, fragte der Alte unwirsch.
»Aluminium blockiert elektromagnetische Felder«, erklärte der Mann, der sich schon wieder in seine Zeitschrift vertieft hatte. »Jetzt ist es, als wäre das Handy ausgeschaltet. Zufrieden?«
Kyohei sah verblüfft zwischen den beiden Männern hin und her. Auch der Alte musterte den anderen Fahrgast erstaunt, räusperte sich aber verlegen, als er Kyoheis Blick bemerkte, und schloss die Augen. Seine Frau...
Erscheint lt. Verlag | 17.3.2020 |
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Übersetzer | Ursula Gräfe |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestsellerautor • Bodenschätze • Japan • Krimi • Kriminalkommissar • Kriminalroman • Küste • Leiche • Meer • Meeresboden • Meeresgrund • Mord • Natur • Rohstoffe • Stieg Larsson • Tiefsee • Tiefseebohrungen • Umwelt • Umweltzerstörung |
ISBN-10 | 3-608-11597-8 / 3608115978 |
ISBN-13 | 978-3-608-11597-0 / 9783608115970 |
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