Die Reichsgründung 1870/71 (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75033-5 (ISBN)
Michael Epkenhans ist Geschäftsführender Beamter und Stellvertreter des Kommandeurs sowie Leitender Wissenschaftler im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.
2 Das Streben nach Einheit und Freiheit
zwischen der Revolution 1848 und der «Neuen Ära»
in Preußen
Die Revolution von 1848. Die Reichsgründung im Januar 1871 war nicht der erste Versuch, einen einheitlichen deutschen Nationalstaat zu gründen. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 hatten die versammelten Fürsten und Staatsmänner das 1806 auf Druck Napoleons I. aufgelöste Heilige Römische Reich deutscher Nation nicht wieder auferstehen lassen. Eine starke Mitte passte nicht in die europäische Staatenlandschaft. Zudem bestand der Dualismus zwischen Österreich, der alten Vormacht des Reiches, und Preußen weiterhin fort. Als Kompromiss hatten sie den Deutschen Bund gegründet. Dieser war ein lockerer Staatenbund aus 41 Mitgliedsstaaten, darunter drei ausländische Könige, der englische, dänische und niederländische, die über Territorien in Deutschland herrschten.
Aus Sicht der jungen Nationalbewegung war dieser lockere Bund jedoch zu wenig. Maßgeblich angetrieben durch die Ideen der Französischen Revolution von 1789 hatte diese sich auf deutschem Boden wie auch in anderen Regionen Europas im Kampf gegen Napoleon formiert. «Nation» bedeutete für die Anhänger dieser Bewegung die Einheit von Sprache und Territorium, von Geschichte und Kultur. Doch es ging nicht nur um Einheit; auch Freiheit war eine Kernforderung der nationalen Bewegung. Trotz zahlreicher Unterdrückungsversuche hatte diese Bewegung zunehmend an Stärke gewonnen. Die Revolution von 1830 und das Hambacher Fest 1832 machten deutlich, dass sich die Bewegung auch von harter Unterdrückung durch die Vormächte des Deutschen Bundes, Österreich und Preußen, auf die Dauer nicht abschrecken ließ. Die Zeit, so ihre Auffassung, würde für sie und gegen die Anhänger der alten Ordnung arbeiten.
Die Ereignisse im Februar/März 1848 schienen der Nationalbewegung recht zu geben. Als im Februar 1848 Revolutionäre die Monarchie in Paris stürzten und die Republik proklamierten, schwappten die Unruhen schnell nach Deutschland über. Von Süddeutschland ausgehend, kam es zu massenhaften, teilweise gewaltsamen Protesten gegen das alte Regime. Während einige Monarchen zur Rettung ihrer Herrschaft freiwillig die «Märzforderungen» – Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Geschworenengerichte, Auflösung stehender Heere zugunsten einer allgemeinen Volksbewaffnung und, soweit noch nicht geschehen, die Einführung von Verfassungen – erfüllten und liberale «Märzministerien» ernannten, kam es vor allem in Berlin und Wien zu blutigen Kämpfen. Aber auch dort setzten sich die Revolutionäre durch. Entscheidend für diesen Erfolg der revolutionären Bewegung war deren Breite: Studenten, Angehörige des Bildungs- und des Besitzbürgertums, Arbeiter, Handwerker und Bauern gingen dieses Mal gemeinsam auf die Straße und verliehen damit dem Protest gegen die bestehende Ordnung trotz unterschiedlicher Ziele im Einzelnen eine ungeheure Durchschlagskraft.
Einheit und Freiheit von unten? Symbolisch bedeutsam für den Erfolg der Revolution war der Einzug der über 585 in freien, gleichen und indirekten Wahlen gewählten Abgeordneten in die Frankfurter Paulskirche am 18. Mai. Sie sollten eine Verfassung für ganz Deutschland ausarbeiten und damit zugleich ein gemeinsames «Dach» für den ersehnten einheitlichen Nationalstaat schaffen.
Die Aufgaben, die die versammelten Abgeordneten zu lösen hatten, waren gewaltig. Nach langen Verhandlungen einigten sich die Abgeordneten schließlich im März 1849 auf eine Verfassung für ein einiges und freies Deutschland. Erbkaiser sollte der König von Preußen werden. Anstatt eines Großdeutschlands sollte es nur ein Kleindeutschland geben, da Österreich nicht bereit war, seine nichtdeutschen Gebiete aufzugeben. Der Reichstag sollte aus zwei Kammern bestehen – einem Staatenhaus, in dem die Vertreter der Bundesstaaten saßen, und einem Volkshaus, dessen Abgeordnete in freien, gleichen, geheimen und direkten Wahlen von allen Männern über 25 Jahren gewählt wurden. Die Macht lag dabei eindeutig beim Parlament – der Kaiser hatte nur ein aufschiebendes Veto.
Als die Abgeordneten in Frankfurt die Verfassung beschlossen und dem preußischen König die Kaiserkrone antrugen, war die Revolution freilich bereits gescheitert. In Wien wie auch in Berlin hatte inzwischen die Gegenrevolution gesiegt. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der sich seiner wiedererlangten Stärke bewusst war, lehnte diese Krone, der, wie er verächtlich meinte, der «Ludergeruch der Revolution» anhaftete, ab. Der Gedanke der Volkssouveränität widersprach seinen Vorstellungen vom Gottesgnadentum des Monarchen. Da die Nationalversammlung die militärische Macht der Monarchen nicht angetastet hatte und daher nicht über eigene Streitkräfte verfügte, waren die in Frankfurt verbliebenen Abgeordneten, die schließlich nach Stuttgart auswichen, machtlos. In Sachsen, in der Pfalz und in Baden schlugen preußische Truppen unter der Führung des Bruders des preußischen Königs, Prinz Wilhelm, alle Aufstände blutig nieder, die die Ziele der 1848er Bewegung doch noch verwirklichen wollten. Zahlreiche Menschen wurden zum Tode, Tausende zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Viele Tausende flüchteten zudem ins Ausland oder wanderten in die Vereinigten Staaten aus.
Ob, warum bzw. inwieweit die Revolution scheiterte, ist bis heute umstritten. Die Fülle der Probleme wie auch die unterschiedlichen Ziele der jeweiligen Trägergruppen und die langwierige Suche nach Kompromissen haben ihren Erfolg sicherlich behindert. Dennoch sollten die Erfolge nicht übersehen werden: Der Gedanke an einen einheitlichen und freiheitlichen Nationalstaat war anschließend aus dem politischen Leben der Deutschen nicht mehr wegzudenken.
«Kleindeutschland» von oben oder «Großösterreich»? Doch so abfällig der preußische König Friedrich Wilhelm IV. der Krone aus «Dreck und Letten» gegenüberstand; von seinesgleichen hätte er diese schon angenommen. Dies zeigt eine häufig vergessene Station auf dem Weg zum deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung, die «Erfurter Union», so hieß dieses Staatenbündnis nach dem Tagungsort im Erfurter Augustinerkloster. Gänzlich neu war der Gedanke, Österreich mit seinen vielen Völkern und die deutschen Staaten unter Führung Preußens in einem weiteren und engeren Bund zusammenzuschließen, nicht. Bereits Heinrich v. Gagern, 1848/49 zunächst Präsident der Nationalversammlung, dann Reichsministerpräsident, hatte diesen Vorschlag in die Diskussion eingebracht. Die Wiener Politik hatte diesen dann jedoch bald obsolet werden lassen.
Nach dem Ende der Paulskirche war es nun ein Vertrauter des preußischen Königs, der umtriebige General und konservative Politiker Joseph Maria v. Radowitz, der im Moment der Niederschlagung der Revolution preußischer Außenminister war, der diese Idee aufgriff. «Revolution nein, nationaler Verfassungsstaat ja» (Wolfram Siemann) lautete die Devise. Radowitz’ Plan war, zumindest auf den ersten Blick, keineswegs unrealistisch. Auch wenn die großen Mittelstaaten – Bayern, Hannover, Sachsen und Württemberg – wie Preußen der Reichsverfassung und der Übertragung der Erbkaiserwürde an Preußen nicht zugestimmt hatten, so hatten immerhin 28 Kleinstaaten im April 1849 dieses Vorhaben ausdrücklich unterstützt. Die Basis für eine kleindeutsche Lösung der «Deutschen Frage» unter preußischer Führung war insofern auch unter den Regierenden nicht gering.
Im Gegensatz zum Gagern’schen Vorschlag sollte die Union, die Radowitz und dem preußischen König vorschwebte, jedoch einen grundlegend konservativen Charakter haben. Anfänglich sah es tatsächlich so aus, als wenn dies ein Weg für die Zukunft sein könnte. So gelang es Preußen nicht nur, zahlreiche Staaten des «Dritten Deutschland» auf seine Seite zu ziehen, sondern auch manche Liberale stellten sich auf dessen Seite und stellten bisherige Vorbehalte zurück. «Den Unterzeichneten», hieß es in einer Erklärung im Sommer 1849, «stehen die Zwecke, welche durch die Reichsverfassung vom 28. März erreicht werden sollten, höher als das starre Festhalten an der Form, unter der man dieses Ziel anstrebte.»
Letztlich scheiterte Radowitz, und mit ihm Friedrich Wilhelm IV. Ein Teil der Liberalen boykottierte diesen Versuch, durch Anpassung an die reale Lage zu retten, was zu retten war. Viel entscheidender aber war, dass Österreich unter seinem energischen General und Ministerpräsidenten Felix Fürst v. Schwarzenberg nach Niederschlagung der Revolution in Ungarn auf die deutsche «Bühne»...
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2020 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
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Schlagworte | 19. Jahrhundert • Deutschland • Erinnerung • Geschichte • Historiografie • Kaiserreich • Nation • Politik |
ISBN-10 | 3-406-75033-8 / 3406750338 |
ISBN-13 | 978-3-406-75033-5 / 9783406750335 |
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