Family Business (eBook)
357 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76335-3 (ISBN)
Beaumont, Texas, Golfküste, Mitte der Siebziger. Die junge Privatdetektei »Phelan Investigations« ist dringend auf Aufträge angewiesen, und seien sie noch so seltsam und schwierig. Für einen Klienten, der anonym bleiben will, sollen Delpha Wade und ihr Boss Tom Phelan seinen lange verschollenen Bruder finden. Ein einfacher Fall von Familienzusammenführung? Falsch. Je tiefer die beiden graben, desto undurchsichtiger und mysteriöser wird die Affäre. Nur eines ist klar: Einer der Brüder scheint ein ziemlich übler Killer zu sein. Aber welcher von beiden? Nur gut, dass zu Delphas besten Eigenschaften ihre Sensibilität zählt - und deswegen hört sie einem jungen Mädchen ganz genau zu. Denn dieses Mädchen kann den Menschen ganz tief ins Herz schauen, selbst ins schwärzeste.
<p>Lisa Sandlin, geboren in Beaumont, Texas, lehrte lange Zeit in Omaha, Nebraska, lebt und arbeitet heute in Santa Fe, New Mexico. Für ihre Kurzgeschichten genießt sie höchstes literarisches Renommee und wurde vielfach ausgezeichnet. Für ihren ersten Roman, <em>Ein Job für Delph</em>a (st 4779), erhielt sie den Shamus Award und den Hammett Award.</p>
1
Sobald die Polizei das Büro freigegeben hatte, beförderte Phelan das gelbe Absperrband in den Müll und beauftragte eine Reinigungsfirma damit, mit einem Dampfstrahler das Blut vom Holzboden zu entfernen und den Fleck abzuschleifen. Er zahlte sogar eine Wochenendzulage. Trotzdem roch es komisch – nach Bleiche und darunter ein Hauch von etwas nicht mehr Lebendigem. Er schob die Fenster hoch und die hereinwabernde Augusthitze Beaumonts gab der ächzenden Klimaanlage den Rest.
Das Radio kaperte seine Aufmerksamkeit: Der Senat hatte ausnahmsweise mal seine Arbeit getan und Kissinger und Nixon den Geldhahn für die Bombardierung Kambodschas zugedreht. Pfoten weg, Jungs. Die Nachrichten blendeten in Why can’t we be friends? von War über. War der DJ von KJET zynisch? Sentimental? Beides?
Phelan bückte sich in einer abgetragenen Jeans und Unterhemd zu dem Farbeimer und stemmte ihn mit einem Schraubenzieher auf. Unter dem Deckel strahlte ihm Apollo White entgegen. Er ließ etwas von dem warmen Weiß in die Farbwanne schwappen und tränkte die Lammfellrolle darin.
Nachdem er damit einmal über die schimmelgrüne Wand gerollt war, trat er einen Schritt zurück und riss die Augen auf. Wahnsinn, wie von Flutlicht bestrahlt.
Das Büro musste ja ziemlich schäbig gewirkt haben. Schmuddelig. Ob Miss Wade das bemerkt hatte? An ihm war es komplett vorbeigegangen. Die beiden Räume, die er für sein Detektivbüro angemietet hatte, waren ihm wie ein Palast vorgekommen.
Erneut tauchte er die Rolle in die Farbe und fuhr damit schwungvoll über die Wand. Schwer zu sagen, ob es gut war, ein bisschen grell vielleicht. Aber Hauptsache, das Büro sah irgendwie anders aus und nicht mehr wie der Ort, an dem Deeterman versucht hatte, sie umzubringen.
Das Telefon klingelte. Er wischte sich die rechte Hand mit einem Lumpen ab, schob die Abdeckplane von dem Metallschreibtisch – und, Scheiße, hinterließ einen Handabdruck auf dem schwarzen Hörer, als er abnahm.
»Phelan Investigations.«
»Spreche ich wohl mit Mr Phelan persönlich?«
Eine ältere tiefe Stimme, überaus höflich.
Höchstpersönlich, dachte Phelan und sagte: »Ja, Sir. Was kann ich für Sie tun?« Er sah auf die Wand hinter dem Schreibtisch, die die Farbe am dringendsten nötig hatte: Sie war mit rostroten Spritzern und Flecken übersät.
»Mein Name ist Xavier Bell. Ich glaube, ich habe mit Ihrer Sekretärin gesprochen, Miss Delpha Wade. Sie hat mir Ihre Honorarsätze genannt. Ich würde gerne nächsten Monat persönlich bei Ihnen vorbeikommen, und da dachte ich, ich melde mich jetzt schon einmal an.«
»Das ist angesichts unserer engen Termine eine gute Idee, Sir. Wann würde es Ihnen denn passen? Dann schau ich in unserem Kalender, ob wir was frei haben.« Genauer gesagt: Er würde einen Blick auf die gähnend leeren Seiten des Tischkalenders werfen.
»Vielleicht dürfte ich erst einmal kurz meinen Kalender konsultieren, Mr Phelan?«
»Klar.« Im Hintergrund war leises Murmeln zu hören, so als konsultierte Mr Bell keinen Kalender, sondern ein ganzes Gremium. Das war ihm recht, seinetwegen konnte sich der Mann mit der UN-Vollversammlung beratschlagen.
Er winkte die Männer herein, die eine neue gebrauchte Couch für das Sekretariat lieferten. Zwei dick gepolsterte Sessel, die sich zu einer kurzen Couch zusammenschieben ließen. Hübsches Aquamarinblau, wie das Meer, bevor das erste Schiff zu Wasser gelassen wurde. Er hatte sie billiger gekriegt. Ursprünglich war die Couch ein aus mehreren zusammengehörenden Stücken bestehendes »Modularmöbel« gewesen, wie es bei L&B Pre-Owned Furniture hieß, aber Lester, dem Möbelhändler, fehlte ein Endstück. Pech, wenn man seinen Ellbogen auf einer schönen bequemen Armlehne abstützen wollte.
Lester stand im Türrahmen und sah zu, wie zwei L&B-Arbeiter die alte karierte Couch packten und hochstemmten. Als sie sie an ihm vorbeitrugen, deutete er auf den Karostoff und hielt sich die Nase zu. Phelan legte die Hand über die Sprechmuschel und schnaubte verächtlich. Dann rollte Lester einen nur leicht abgewetzten Mandantenstuhl herein und stellte ihn neben die Polstersessel. Mit angehobenen Augenbrauen schob er den blutbefleckten Lederstuhl hinaus, den selbst Wasserstoffperoxid und Lederreiniger nicht hatten retten können. Noch einmal steckte er den Kopf durch die Tür und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Phelan spreizte die Finger: fünf, ungefähr um die Zeit würde er rüberkommen und bezahlen. Lester streckte den Daumen in die Höhe und polterte die Treppe hinunter.
Mr Bell hustete kurz Schleim ab. Er hatte sich für Freitag, den 7. September, um zehn Uhr morgens entschieden. Ob das passen würde?
»Ja«, sagte Phelan. »Sind Sie eigentlich der Gentleman, der nicht … gefunden werden will?« Miss Wade hatte ihm berichtet, dass jemand angerufen hatte, der unsichtbar bleiben wollte. Für jemanden.
»Ich will, dass Sie meinen Bruder suchen, Mr Phelan. Daher kann man wohl eher sagen, dass er derjenige ist … der nicht gefunden werden will.« Mit weiteren Einzelheiten wollte Mr Bell lieber warten, bis sie unter vier Augen miteinander sprechen konnten.
Okey-dokey. Der Termin war in dem Kästchen mit der 7 im September eingetragen. Phelan hängte ein, nahm die mit Apollo White getränkte Lammfellrolle und rollte damit über die Flecken und verspachtelten Stellen an der Wand. Seine Laune hellte sich zusehends auf.
Die Wand mit dem Fenster, das zum New Rosemont Hotel hinaussah, war fast fertig, er musste nur noch einmal über die Fensterlaibung rollen. Himmel, das Büro sah jetzt schon ganz anders aus.
Als Nächstes nahm er sich die Wand mit der Verbindungstür vor. Die ging schnell. Er stellte die Farbwanne hinter seinem Schreibtisch vor der Wand ab, die am dringendsten gestrichen werden musste – eine Explosion aus rotbraunen Flecken und Spritzern wie ein erstarrtes Feuerwerk –, dann hüpfte er schnell ein bisschen auf der Stelle und kreiste mit den Schultern, um sie zu lockern. Das Telefon klingelte.
Schon wieder? Das lief ja wie geschmiert. Triumphierend ballte er eine Faust, dann umfasste er den Hörer mit einem Lumpen und hob ab.
Sein Gesicht wurde hart. »Ja, ich bin Tom Phelan. Entschuldigung, aber wiederholen Sie das bitte – wer sind Sie? Okay, Doktor, verstanden. Wohin haben sie sie gebracht?«
Phelan drückte kurz auf die Gabel, dann drehte er die Wählscheibe mit rasendem Zeigefinger. »Es ist dringend!«, blaffte er die Empfangsdame am anderen Ende der Leitung an und erschreckt stellte sie ihn sofort durch. Sobald Miles Blankenship Esq., Rechtsanwalt, sich meldete, platzte Phelan mit seinem Anliegen heraus: Eine Freundin von ihm sei in Polizeigewahrsam und brauche dringend einen Rechtsbeistand, und außerdem dürfe sie keinesfalls einen Fuß in eine Zelle setzen.
Kurz umriss er die Situation: Hatte Miles die Schlagzeilen im Enterprise über die ermordeten Kinder gelesen? Der Mann, der sie ermordet hatte, war in der Orleans Street umgebracht worden – hatte Miles davon gehört? Okay. Das Ganze war in Phelans Büro passiert, und getan hatte es Phelans Sekretärin. Reine Notwehr. Der Mann hatte sie mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Da war noch was, das Miles unbedingt wissen musste. Sie war nach vierzehn Jahren in Gatesville auf Bewährung draußen. Die Anklage hatte damals auf Totschlag gelautet: Sie hatte einen Mann getötet, der sie vergewaltigt hatte.
»Dann ist das also der zweite –«
»Sie ist erst seit fünf Monaten draußen. Ich will nicht, dass sie wieder eingebuchtet wird.«
»Das hab ich schon verstanden, Tom. Sag mal, war sie bewaffnet bei der Sache in deinem Büro?«
»Nein. Sie war nicht bewaffnet. Sie hat eine Whiskyflasche zerschlagen und ihn mit dem Flaschenhals erwischt.« ...
Erscheint lt. Verlag | 17.2.2020 |
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Reihe/Serie | Ein Job für Delpha | Ein Job für Delpha |
Übersetzer | Andrea Stumpf, Sven Koch |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Bird Boys |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Delpha 2 • Delpha Wade 2 • Ein Job für Delpha • Hammett Prize 2015 • Kriminalroman • Privatdetektiv • Shamus Award 2016 • Spannung • ST 5028 • ST5028 • suhrkamp taschenbuch 5028 • Thriller |
ISBN-10 | 3-518-76335-0 / 3518763350 |
ISBN-13 | 978-3-518-76335-3 / 9783518763353 |
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