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Aussage gegen Aussage (eBook)

Urteile ohne Beweise

*****

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
224 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99411-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aussage gegen Aussage -  Alexander Stevens
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Wenn das Bauchgefühl vor Gericht entscheidet Wenn vor Gericht gestritten wird, steht es oft Aussage gegen Aussage. Dann gilt: Im Zweifel für den Angeklagten. Oder? Weit gefehlt, weiß Alexander Stevens, Fachanwalt für Strafrecht. Denn Richter können auch verurteilen, wenn es keine anderen Beweise außer der bloßen Aussage des Gegners oder eines einzigen Zeugen gibt. Aber wie entscheiden Richter solche Pattsituationen, vor allem wenn es um heikle Fälle wie Geld- und Beziehungsstreitigkeiten, Gewalt- und Sexualdelikte oder sogar Mord geht? Nach Bauchgefühl? Alexander Stevens beschreibt seine spannendsten Fälle,  bei denen es Aussage gegen Aussage stand, und präsentiert dabei das richterliche Ergebnis erst zum Schluss, sodass man selbst überlegen kann: Wie würde ich entscheiden? Mit kriminalistischem Insiderwissen und großem Erzähltalent hat sich Alexander Stevens bereits mehrfach einen Platz auf der SPIEGEL-Bestsellerliste erschrieben. Von ihm erschienen im Piper Verlag ebenfalls  »9 1/2 perfekte Morde«, »Verhängnisvolle Affären« und »Der perfekte Mord?«. 

Dr. Alexander Stevens gehört zu Deutschlands bekanntesten Strafverteidigern. Sein Podcast 'True Crime' erreichte bisher über 33 Millionen Menschen und gehört zu den erfolgreichsten Podcasts der ARD. Zuletzt erschienen von ihm bei Piper der Spiegel-Bestseller »9 ½ perfekte Morde«, »Verhängnisvolle Affären«, »Aussage gegen Aussage« und »Der perfekte Mord?«.

Dr. Alexander Stevens ist Fachanwalt für Strafrecht und einem breiten Publikum als Buchautor und Anwalt in verschiedenen TV-Formaten bekannt (u.a. "Die spektakulärsten Kriminalfälle der Geschichte", "Richter Alexander Hold" und "Paragraphen-Schlupflöcher"). Zuletzt erschien von ihm bei Piper der Spiegel-Bestseller "9 ½ perfekte Morde" sowie "Verhängnisvolle Affären".

Nur zweier Zeugen Mund tut Wahrheit kund


Manche Menschen mag man, mit anderen kommt man nicht so sonderlich gut klar. Und manche polarisieren einfach, weil sie bei ihren Mitmenschen regelmäßig starke Gefühle auslösen – entweder man liebt sie, oder man hasst sie.

So wie Karl K. – schon als Person, aber ganz besonders in seiner Tätigkeit als Strafverteidiger sorgte er für gespaltene Meinungen. Nicht wenige seiner Mandanten verehrten ihn wie einen Messias, selbst hart gesottene Verbrecher vertrauten ihm ihr Leben an. Doch in Justizkreisen war Karl verhasst wie kein Zweiter. Es gab kaum einen Richter oder Staatsanwalt, der nicht sofort die Augen verdrehte, wenn sein Name fiel. Der Hass auf Karl war hier wirklich flächendeckend und reichte vom hohen Bundesrichter bis hin zum Amtsanwalt für Verkehrsordnungswidrigkeiten. Sein erbitterter Ehrgeiz, sein forsches und freches Auftreten bei Gericht und sein sehr, sehr konfrontativer Verhandlungsstil mochten dazu beigetragen haben, seinen Ruf zumindest bei der Justiz dauerhaft zu ruinieren. Mit zahlreichen Richtern, Staatsanwälten und Kriminalkommissaren war Karl schon so heftig aneinandergeraten, dass diese außerhalb des Gerichtssaals kein Wort mit ihm wechselten. Und alle anderen hatten genug Geschichten über ihn gehört, dass sie ihm noch voreingenommener gegenübertraten als den Angeklagten.

Auch unter den meisten Anwaltskollegen genoss Karl kein sonderlich gutes Standing, viele sprachen abschätzig über ihn, und nicht wenige hielten ihn für einen aufgeblasenen Nichtskönner, der seine Mandanten geradewegs in den Knast verteidigte. An Gesprächsstoff über Karl mangelte es nicht, denn ob Terroristen, Mörder, Mafiabosse, Drogendealer oder prominente Sternchen aus Funk und Fernsehen, Karl K. verteidigte sie alle und hatte damit auch selbst einen entsprechend hohen Bekanntheitsgrad erlangt – ein Ruhm, den ihm der ein oder andere Neider unter den Kollegen womöglich nicht gönnte.

Vermutlich aus all diesen Gründen hielt sich auch das hartnäckige Gerücht um den sogenannten Karl-Bonus, demzufolge angeblich jeder Angeklagte, der sich von Karl K. verteidigen ließ, vom Gericht einen extra saftigen Aufschlag auf die Strafe aufgebrummt bekam. Und tatsächlich war es auffällig, dass Karls Mandanten besonders oft die volle Härte des Gesetzes spürten, wurden sie trotz seines erbitterten Einsatzes dennoch einmal schuldig gesprochen. Aber letztlich war dieses Gerücht nicht wirklich zu untermauern, denn Richter haben bei der Bemessung der Strafe einen erheblichen Spielraum. Das Gesetz gibt ihnen nur den Strafrahmen vor, der Rest bleibt ihnen überlassen. Und wenn ein nicht geständiger Angeklagter für schuldig befunden wird, wird ihm manchmal eben auch das Verhalten des Verteidigers zugerechnet – Richter sind eben auch nur Menschen. Wenn Karl also mal wieder die Zeugen in nahezu unerträglicher Art und Weise angegangen und das Gericht über Wochen mit langwierigen Reden und Beweisanträgen gequält hatte, dann konnte man sich gut vorstellen, dass manch ein Richter Karls Mandanten am Ende vielleicht noch ein bisschen härter bestrafte und das nur, weil er am liebsten den »Konfliktverteidiger« Karl K. gleich mit in den Knast gesteckt hätte.

Jedenfalls drängte sich dieser Verdacht bei einem von Karls Fällen nun besonders auf. Es ging dabei um einen Drogendealer, der laut Anklage in 26 Fällen mit gut 130 Kilo Rauschgift gehandelt haben sollte – eine extrem große Menge, die bei einer Verurteilung auch eine entsprechend hohe Strafe nach sich gezogen hätte. Bei derartig komplexen Verfahren ist es nicht zuletzt angesichts des großen Umfangs einer etwaigen Beweisaufnahme durchaus üblich, dass Anwalt, Staatsanwalt und Richter ein sogenanntes Rechtsgespräch über die Straferwartung im Falle eines Geständnisses und gegebenenfalls auch der Offenbarung weiterer Mittäter, Komplizen oder Abnehmer führen – für das Gericht aus Gründen der Zeitersparnis, für den Verteidiger, um dem Mandanten auf diese Weise eventuell einen großzügigen Strafbonus zu sichern.

Nach Karls Einschätzung war aber die Beweislage hier eher dürftig, weshalb er durchaus bereit war, auf ein solches Gespräch zu verzichten und sich stattdessen auf seine extrem langwierige und hochaggressive Freispruchverteidigung zu verlassen. Andererseits war anzunehmen, dass sein Mandant trotz allem nicht völlig ungeschoren davonkommen würde. Ein gewisses Restrisiko bestand jedenfalls. Deshalb bat der Mandant Karl schließlich doch, bei den beiden zuständigen Berufsrichtern auszuloten, mit welcher Strafe er im Falle eines vollumfänglichen Geständnisses zu rechnen habe. Die Antwort: etwa knapp unter 5 Jahre Gefängnis, teilte ihm Karl später mit. Der Mandant lehnte ab.

Eine richtige Entscheidung – zumindest in Karls Augen. Denn so durfte er einmal mehr alle Register seiner konfrontativen Freispruchverteidigung ziehen. Und wie immer nutzte er jede prozessuale Möglichkeit, um es den Richtern so richtig schwer zu machen. Ein Beweisantrag nach dem anderen, ein Befangenheitsantrag nach dem anderen, eine Verhandlungspause nach der anderen (um sich mit seinem Mandanten »ausführlich« zu besprechen), langatmige und pathetische Erklärungen nach jeder einzelnen Beweiserhebung – kurzum: Die Richter waren bereits nach den ersten Minuten sichtlich genervt von Karls überaus »engagierter« Strafverteidigung. Dem Mandanten dagegen gefiel’s.

Am Ende schien sich Karls äußerst harter Verteidigungsstil sogar auszuzahlen. Denn auch wenn er die beiden Richter, die beiden Schöffen, die Staatsanwältin, ja sogar die Gerichtsschreiberin bis aufs Blut gereizt hatte, von den angeklagten 26 Tatvorwürfen des Drogenhandels mit insgesamt 130 Kilo Rauschgift waren am Schluss gerade noch 7 Taten mit insgesamt »nur« 26 Kilo gerichtsfest nachweisbar. Und wenn es beim Geständnis für 130 Kilo »irgendetwas mit knapp unter 5 Jahren« gegeben hätte, dann sollte es doch für 26 Kilo deutlich weniger geben, oder? So dachten zumindest Karl und sein Mandant, dem er bereits eine baldige Haftentlassung schmackhaft gemacht hatte. Ein echter Erfolg – so könnte man meinen.

Doch Karl K. und sein Mandant erlebten bei der Urteilsverkündung eine böse Überraschung: achteinhalb Jahre Gefängnis – trotz Freispruchs in 19 von 26 Fällen. Eine ziemlich saftige Strafe.

 

Jetzt werden Sie sich womöglich denken: Richtig so, wer mit Drogen dealt, gehört schließlich hinter Schloss und Riegel und der Schlüssel für immer weggeworfen. Vielleicht fragen Sie sich aber auch, wie es eigentlich möglich ist, dass Karls Mandant im Falle eines Geständnisses für 26 Taten/130 Kilo Drogen eine Strafe von knapp unter 5 Jahren Gefängnis bekommen hätte, für gerade einmal 7 Taten/26 nachgewiesene Kilo Drogen aber 8,5 Jahre Haft bekam. Demnach hätte er bei einem Geständnis für das Fünffache an Drogen nur etwa die Hälfte an Strafe erhalten. Kann das gerecht sein?

Wenn das mal kein »Karl-Bonus« war, dachte sich vermutlich auch Karl und focht das Urteil beim Bundesgerichtshof an. Wie meistens fühlte er sich siegessicher. Schließlich hatte der Bundesgerichtshof schon Jahre zuvor entschieden, dass es gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens verstößt, wenn die Differenz zwischen dem in Aussicht gestellten und dem verhängten Strafmaß zu weit auseinanderklafft – der Jurist spricht dabei von der sogenannten Sanktionsschere. Denn wenn der Unterschied zwischen der Strafe bei Geständnis und der Strafe ohne Geständnis unverhältnismäßig hoch ist, übt das einen unzulässigen Druck auf den Angeklagten aus, und viele würden dann wohl von Anfang an auf eine ordentliche Verteidigung verzichten oder sich angesichts einer extrem hohen Straferwartung sogar genötigt sehen, ein falsches Geständnis abzulegen. Daher gilt als Faustregel bei der Strafzumessung, dass ein Geständnis eine Strafmilderung von nicht viel mehr als einem Drittel der Strafe zur Folge haben soll. Umgekehrt heißt das aber auch, dass Verurteilungen, welche die für den Fall eines Geständnisses in Aussicht gestellte Strafe um mehr als 30 Prozent übersteigen, unzulässig sein können.

In seiner Revision gegen die Verurteilung seines Mandanten machte Karl K. beim Bundesgerichtshof eben das geltend. Schließlich überstieg das Urteil mit seinen 8,5 Jahren die angebotene Strafe von knapp unter 5 Jahren um satte 42 Prozent – ganz abgesehen davon, dass der Angeklagte in den meisten Fällen ja auch noch freigesprochen worden war. Eine klare Sanktionsschere und damit höchste Erfolgsaussichten für Karl und den Drogendealer auf eine Aufhebung des unverhältnismäßig hohen Urteils durch den Bundesgerichtshof.

Aber Karl schien auch dort keine Freunde zu haben. Die hohen Richter bestätigten das Urteil ihrer Kollegen. Dabei echauffierte sich der Senat in seinem Beschluss sogar noch wortreich über Karls »konfrontativen« Verhandlungsstil, obwohl es eigentlich nichts zur Sache tat. Sehr deutlich führten die Bundesrichter aus, dass Karl das Verfahren in unverantwortlicher Art und Weise verschleppt habe, was mit der Aufgabe einer ordnungsgemäßen Verteidigung nicht mehr zu erklären sei – eine Feststellung, die Balsam für die geschundenen Seelen vieler von Karl geplagter Richter und Staatsanwälte sein musste, die ja schon immer wussten, dass Karl vor Gericht nur um des Krawalls willen Krawall machte.

Doch damit nicht genug. Die beiden Richter des Ausgangsgerichts hatten nämlich das von Karl vorgebrachte Verständigungsgespräch keineswegs bestätigt. Vielmehr bestritten sie, dass es überhaupt jemals eine Absprache zwischen ihnen und Karl gegeben hatte. »Zu keiner Zeit« hätten sie »ein bestimmtes Strafmaß oder eine Strafobergrenze in Aussicht...

Erscheint lt. Verlag 3.2.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Recht / Steuern Allgemeines / Lexika
Recht / Steuern Strafrecht
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anwalt • Bestsellerautor • Beweislage • Fallgeschichten • Falschaussage • Gerichtsurteile • Im Zweifel für den Angeklagten • True Crime • unschuldig verurteilt • wahre Fälle
ISBN-10 3-492-99411-3 / 3492994113
ISBN-13 978-3-492-99411-8 / 9783492994118
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