Sommer bei Nacht (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32145-6 (ISBN)
Jan Costin Wagner, Jahrgang 1972, lebt als Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt am Main. Seine Romane um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa wurden von der Presse gefeiert, vielfach ausgezeichnet (u. a. Deutscher Krimipreis, Nominierung zum Los Angeles Times Book Prize) und in 14 Sprachen übersetzt. Tage des letzten Schnees und Das Licht in einem dunklen Haus wurden 2019 und 2022 vom ZDF u.a. mit Henry Hübchen und Bjarne Mädel verfilmt. Sommer bei Nacht erhielt den Radio Bremen Krimipreis, Am roten Strand ist nominiert für den Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi.
Jan Costin Wagner, Jahrgang 1972, lebt als Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt am Main. Seine Romane um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa wurden von der Presse gefeiert, vielfach ausgezeichnet (u. a. Deutscher Krimipreis, Nominierung zum Los Angeles Times Book Prize) und in 14 Sprachen übersetzt. Tage des letzten Schnees und Das Licht in einem dunklen Haus wurden 2019 und 2022 vom ZDF u.a. mit Henry Hübchen und Bjarne Mädel verfilmt. Sommer bei Nacht erhielt den Radio Bremen Krimipreis, Am roten Strand ist nominiert für den Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi.
Space Grau,
elegante Glasoberfläche,
verbesserte Features,
neue Generation,
nach IP67
klassifiziert,
der neu verbaute
A11-Bionic-Prozessor mit
64 Bit liefert mit
seiner
Leistung
Hochaufgelöstes
in 4 bis 8K.
Christian steht im Schatten. Er fühlt sich wohl, geborgen, beschützt. Die Kühle scheint den überhitzten Tag, der draußen wartet, ad absurdum zu führen. Der Mann, der vor dem Bildschirm sitzt und die flimmernden Bilder ablaufen lässt, ist gelangweilt. Das ist ungewöhnlich.
Häufig geraten die Menschen in Unruhe, wenn sie mit einer polizeilichen Ermittlung konfrontiert werden. Sie geraten unwillkürlich in eine Art Rollenspiel, darum bemüht, einer Erwartung zu entsprechen. Oder aber, in seltenen Fällen, einer Erwartung nicht zu entsprechen. Dieser Parkhauswächter hier wirkt vor allem genervt. Von sich? Vom Leben? Von Dingen, die unerwartet Mühe bereiten?
Christian betrachtet die laufenden Bilder und am rechten unteren Bildrand die Zeitangabe. 11.32 Uhr. 11.33 Uhr. 11.34 Uhr.
Gerade als der Mann sich auf seinem Stuhl zurücklehnt, sieht Christian das, was seine Augen gesucht haben.
»Stopp«, sagt er.
»Was?«
»Stopp! Ich möchte das als Standbild sehen.«
»Standbild«, murmelt der Parkhauswächter.
Während Christian die beiden grauen, schwarzen Silhouetten betrachtet, kehren die Spiegelungen zurück. Der Gedanke, dass es nicht echt ist. Er steht nicht wirklich hier, vor dem grauen Bild. Er ist außen vor, steht außerhalb, betrachtet sich selbst und den Parkhauswächter. Zwei Fremde.
»Und jetzt?«, fragt der Parkhauswächter.
»Können Sie das näher ranholen? Die beiden, den Jungen und den Mann?«
»Klar«, sagt der Wachmann.
Christian wendet sich den beiden Silhouetten auf dem Bildschirm zu. Eine groß, eine klein. Ein Mann, ein Junge. Der Junge hält etwas in der Hand. Etwas Großes. Ein Stofftier?
»Und?«, murmelt der Wachmann.
»Ich brauche einen Ausdruck«, sagt Christian.
»Okay«, sagt der Wachmann.
Christian fokussiert noch einmal das Bild. Jetzt ganz bei sich, das andere, falsche Bild, in dem alles nicht wirklich passiert, hat sich zurückgezogen, wie eine Schildkröte in ihren Panzer. Er versucht, Gesichtszüge auszumachen, in Gedanken Konturen einzuzeichnen. Es gelingt ihm nicht.
Das Einzige, was er jetzt, bei näherem Hinsehen, wirklich erkennen kann, ist das Stofftier. Ein großer grauer Teddybär.
Er läuft. Wieder hat er das Gefühl, den Sommer zu durchqueren. Eine Schneise hineinzuschlagen. Es fühlt sich angenehm an, in Bewegung zu sein. Das Parkdeck ragt vor ihm auf wie ein Ungeheuer. Ein grauer Dinosaurier, umgeben von einer blassen bunten Welt.
Mark Lederer und zwei uniformierte Kollegen, eine Frau und ein Mann, stehen bei den Aufzügen, bei den Kassenautomaten. Zwei weitere Uniformierte laufen die Flächen ab, werfen Blicke in die stillstehenden Autos. Die Autos schlafen. Traumlos.
»Christian ist unten bei dem Parkhauswächter. Sie prüfen das Überwachungsvideo«, sagt Mark Lederer.
»Gut«, sagt Ben. Er steigt in den Aufzug, fährt ein Stockwerk nach unten. Als er aussteigt, sieht er schon Christian in dem Kabäuschen stehen, das hell beleuchtet ist, umgeben von Schatten. Christian winkt ihn heran. Vor dem Bildschirm sitzt ein Mann, der schwer atmet.
»Wir haben hier was«, sagt Christian. »Das könnte der Junge sein. Können aber natürlich ebenso gut ein Vater und sein Sohn sein, die vom Flohmarkt kommen.«
Ben nickt. Kneift die Augen zusammen, öffnet sie weit, versucht, das schwammig graue Bild scharf zu stellen. »Geht das irgendwie schärfer? Oder größer?«
»Nein, ich fürchte nicht«, murmelt der Parkhauswächter.
»Das ist erst mal das Beste, was wir bekommen konnten«, sagt Christian.
»Okay.« Ben tritt näher heran. Dinosaurier-Gruppe, denkt er. Ein Junge mit gestelltem Lächeln, hinter dem ein ehrliches, offenes Lächeln darauf gewartet hat, den Weg auf seine Lippen zu finden.
»Das ist er«, sagt er.
»Ja?«, sagt Christian.
Ben nickt. Die beiden sehen tatsächlich aus wie Vater und Sohn. Gemeinsam unterwegs, schlendernd. Es muss eine Kamera sein, die einen Bereich außerhalb des Parkhauses abdeckt. Die beiden laufen die Straße entlang. Ben sieht Jannis, im grauen, weißen, schwarzen Sommer, hinter den Pixeln sieht er sein Lächeln. Ein verschlüsseltes Lächeln, eines, das erst noch entpackt werden muss, vom richtigen Format, in der richtigen Auflösung, bevor es Raum greifen kann. Wenn der Fotograf endlich gegangen ist.
»Das ist Jannis«, sagt Ben. »Und von dem Stoffteddy gibt es noch einen.«
»Was?«, fragt Christian.
»Ich habe so einen gesehen, gerade eben«, sagt Ben. »So einen Teddybären. Liegt draußen bei dem Flohmarkt auf einem der Tische.«
Sie geht vorsichtig näher heran. Bleibt stehen. Die Polizisten sind zurückgekommen, sie waren in dem Parkhaus. Jetzt stehen sie in dem Klassenraum, im Schatten. Komisch kühl ist es hier.
Sie steht auf der Schwelle, unbemerkt. Die beiden Polizisten stehen mit zwei anderen, die weiße Kleidung tragen, vor den Tischen, auf denen die schönen Sachen liegen. Sie hatte sich, als sie angekommen sind, schon ein paar Sachen ausgesucht, die sie kaufen wollte.
Der riesige Teddy hat nicht dazugehört, aber die Polizisten scheinen an ihm besonders interessiert zu sein. Sie hat diesen Teddy erst mal gar nicht gesehen. Er lag noch nicht da, als sie ankamen. Die Polizisten haben ihn reingebracht, von draußen, aus der Sonne, mit Handschuhen, obwohl Sommer ist. Vorsichtig, als sei er zerbrechlich. Oder verletzt, an der Pfote.
Sie besprechen sich, während sie den Teddy beobachten. Die weiß Bekleideten nicken. Draußen sind andere Polizisten damit beschäftigt, ein Gebiet abzusperren. Alle wurden aufgefordert, zur Seite zu treten, die Rasenfläche zu verlassen. Sie weiß nicht, wo Mama ist. Sie weiß gar nichts.
Sie steht in einem Bild, das nicht stimmt. Der Raum ist zu kühl, die Polizisten sind zu ernst. Bis auf einen, der manchmal plötzlich aussieht, als würde er lachen müssen. Die anderen bemerken es nicht, aber sie sieht es, weil es ihr ähnlich geht. Mit dem Mann stimmt was nicht, und mit ihr stimmt auch was nicht. Weil sie manchmal fast lachen muss, weil sie es einfach nicht glauben kann.
Das alles hier kann nicht wirklich passieren, nichts davon stimmt.
Jannis kommt gleich um die Ecke geflitzt, lachend. Sie wartet die ganze Zeit darauf, dass das endlich passiert. Jannis lacht, Mama lacht und ist böse, aber nur kurz, weil Jannis wieder da ist. So ein Teddy, das geht Sarah seit einigen Minuten durch den Kopf, würde Jannis gefallen. Warum ist der Teddy hier, wenn Jannis weg ist?
Der Teddy liegt auf dem Tisch. Die Polizisten stehen um ihn herum, als würden sie ihn behandeln wollen. Operieren. Die Polizisten sind Chirurgen, der Teddy ist krank.
Sie mag den Teddy nicht, sie weiß nicht, warum. Es ist keine Schande, krank zu sein.
Als Ben den Blick von dem Stoffbären abwendet, sieht er Sarah, die Schwester, auf der Schwelle zum Klassenraum stehen.
Er geht auf sie zu, sucht nach Worten, während er läuft. Er findet keine, und sie schweigt, während er ihr gegenübersteht.
»Komm, wir gehen raus«, sagt er schließlich.
Er geht voran, es fühlt sich gut an. Richtig. Der Sonne entgegen. Die Fläche draußen, die grüne Wiese, ist inzwischen abgesperrt worden, mit roten Bändern, die im lauen Wind flattern. Die Besucher des Flohmarkts stehen am Rand der Szenerie, an der Straße, schweigend, manche tuscheln miteinander, als sei unter den gegebenen Umständen alles vertraulich. Alles geheim, im Verborgenen.
Ein Gedanke zuckt auf, ein Gefühl, ein helles Bild, das er in der Nacht gesehen hat.
»Jannis rennt manchmal weg«, sagt sie. »Also, ein paar Meter. Dann kommt er eigentlich zurück.«
Er sieht sie an. Sucht ihre Augen, weicht aus, als ihre Augen seine finden. Er nickt.
»Ist der Teddy wichtig?«, fragt sie.
Die Worte hallen nach. Er sieht Christian, der jetzt in einiger Entfernung, am Rand neben den Absperrbändern, bei einer blonden Frau steht. Helle Haare. Vermutlich Frau Spahn, die Lehrerin. Die Frau spricht, Christian hört zu.
»Vielleicht«, sagt er. »Wir wissen es noch nicht.«
»Okay«, sagt Sarah.
»Sag bitte noch mal, wann genau du Jannis zuletzt gesehen hast.«
»Als wir ankamen. Wir haben Sachen abgegeben. Drinnen, in dem Raum, in dem der Teddy liegt.«
»Gut. Und Jannis …«
»Ist rausgerannt. Glaube ich, nachdem er sein Schiff abgestellt hatte. Mama hat noch mit den Lehrerinnen gesprochen.«
»Und dann seid ihr raus …«
»Mama hat nach Jannis gesehen, aber er war nicht da. Wir sind einmal herumgelaufen. Um das Gebäude. Haben Leute gefragt. Irgendwann wurde es … ja, komisch.«
Er nickt. »Könnte es sein, dass Jannis hier jemanden gekannt hat. Einen Mann?«
»Was für einen Mann?«
»Kennt er Leute hier? Sind vielleicht Freunde von euch da gewesen? Väter oder Brüder von Klassenkameradinnen?«
»Na ja, hier waren viele Leute, die wir kennen. Aber wir haben alle gefragt, keiner hatte Jannis gesehen.«
In den Augenwinkeln sieht er Christian. Er kommt auf sie zu.
»Frau Spahn hat Jannis...
Erscheint lt. Verlag | 16.1.2020 |
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Reihe/Serie | Die Ben-Neven-Krimis |
Die Ben-Neven-Reihe | Die Ben-Neven-Reihe |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Entführung • Ermittlung • Kimmo Joentaa • Kindesentführung • Kriminalroman • Krimireihe • Missbrauch • Mord • Wiesbaden |
ISBN-10 | 3-462-32145-5 / 3462321455 |
ISBN-13 | 978-3-462-32145-6 / 9783462321456 |
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