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GOTT (eBook)

Ein Theaterstück
eBook Download: EPUB
2020
160 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-25606-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

GOTT - Ferdinand Schirach
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Wem gehört unser Leben? Wer entscheidet über unseren Tod?
Richard Gärtner, 78, ein körperlich und geistig gesunder Mann, will seit dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben. Er verlangt nach einem Medikament, das ihn tötet. Mediziner, Juristen, Pfarrer, Ethiker, Politiker und Teile der Gesellschaft zweifeln, ob Ärzte ihm bei seinem Suizid helfen dürfen. Die Ethikkommission diskutiert den Fall.

Ferdinand von Schirach verhandelt in seinem neuen Theaterstück das Sterben des Menschen. Und wie schon in seinem ersten Drama »Terror« müssen wir am Ende selbst ein Urteil fällen. Wem gehört unser Leben? Wer entscheidet über unseren Tod? Wer sind wir? Und wer wollen wir sein?

Ergänzt wird der Band um Essays von drei namhaften Wissenschaftlern, die das Thema der ärztlichen Suizidbegleitung aus medizinethischer, juristischer und theologisch-philosophischer Perspektive beleuchten.

Der Spiegel nannte Ferdinand von Schirach einen »großartigen Erzähler«, die New York Times einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der Independent verglich ihn mit Kafka und Kleist, der Daily Telegraph schrieb, er sei »eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur«. Seine Bücher wurden vielfach verfilmt und zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern. Sie erschienen in mehr als vierzig Ländern. Die Theaterstücke Terror und Gott zählen zu den erfolgreichsten Dramen unserer Zeit, und Essaybände wie Die Würde des Menschen ist antastbar sowie die Gespräche mit Alexander Kluge Die Herzlichkeit der Vernunft und Trotzdem standen monatelang auf den deutschen Bestsellerlisten. Ferdinand von Schirach wurde vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er lebt in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm u.a. die Erzählsammlung Nachmittage sowie der Theatermonolog Regen.

ERSTER AKT


Der Deutsche Ethikrat tagt. Die Vorsitzende, Gärtner, Brandt, Keller, Biegler, Litten, Sperling und Thiel sind auf der Bühne. Auf den Tischen stehen Mikrofone. Vor allen Beteiligten liegen Akten, Laptops und Tablets.

VORSITZENDE

Direkt zum Publikum.

Meine Damen und Herren, ich eröffne diese Sitzung des Ethikrates, sie ist öffentlich. Ganz herzlichen Dank, dass Sie heute gekommen sind. Der Rat ist dieses Mal auf eigenen Entschluss tätig geworden. Es geht um folgenden Fall: Richard Gärtner, den ich hier begrüße,

Die Vorsitzende nickt Gärtner zu.

hat beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital beantragt. Das ist ein Medikament, das in anderen Ländern von Sterbehilfeorganisationen eingesetzt wird. Herr Gärtner erklärte, er wolle sich das Leben nehmen. Das Außergewöhnliche an der Situation ist, dass Herr Gärtner nicht unheilbar krank ist oder an Schmerzen leidet, sondern dass er völlig gesund ist. Das Bundesinstitut lehnte die Herausgabe des Medikaments ab. Daraufhin wandte sich Herr Gärtner an seine Hausärztin und bat sie um Beihilfe bei seinem Suizid. Soweit der Sachverhalt. Nun, meine Damen und Herren, die Frage, die wir uns vorgelegt haben, klingt also recht einfach: Ein Mensch möchte nicht mehr weiterleben und bittet um ärztliche Hilfe, sich zu töten. Vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht dazu ein Grundsatzurteil erlassen, das die Rechte von Menschen wie Herrn Gärtner garantiert. Wir haben damit heute eine sehr liberale Regelung der Sterbehilfe. Die gesellschaftliche Diskussion wird trotzdem nicht beendet sein – im Gegenteil. Die rechtliche Frage, ob ein Arzt einem Menschen beim Selbstmord helfen darf, ist zwar geklärt. Die ethische Frage aber bleibt. Sie lautet: Soll ein Arzt einem Menschen dabei helfen? Über sie wollen wir heute sprechen.

BIEGLER

Suizid.

VORSITZENDE

Wie bitte?

BIEGLER

Wir sollten »Suizid« sagen, nicht »Selbstmord«. Sich selbst zu töten ist kein Mord.

VORSITZENDE

Gut. Richtig. Wie also ist das Problem zu entscheiden? Soll ein Arzt beim Suizid helfen? Wäre das ethisch richtig? Darüber werden wir heute diskutieren. Wir haben dazu Herrn Gärtner mit seinem Anwalt, Herrn Biegler, und seiner Hausärztin eingeladen. Wir haben auch drei Sachverständige gebeten, uns bei unserer Entscheidung zu unterstützen:

Nickt den Genannten jeweils zu.

Frau Professorin Litten von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität, Herr Professor Sperling von der Bundesärztekammer und Herr Bischof Thiel.

Zum Publikum.

Meine Damen und Herren, Sie sind als Mitglieder des Ethikrates unabhängig. Sie werden bei der späteren Abstimmung ausschließlich dem folgen, was Sie für vernünftig und richtig halten. Gibt es noch Fragen oder Anregungen?

Die Vorsitzende sieht ins Publikum, dann zu Brandt, Gärtner und Biegler, die alle verneinend den Kopf schütteln.

Danke. Dann beginnen wir jetzt.

Herr Gärtner, darf ich Sie hier nach vorne bitten?

Gärtner geht nach vorne und setzt sich.

VORSITZENDE

Ich danke Ihnen, dass Sie Ihren Fall öffentlich gemacht haben und uns hier Auskunft geben.

GÄRTNER

Eigentlich will ich das nicht.

VORSITZENDE

Verzeihen Sie: Was wollen Sie nicht?

GÄRTNER

Auskunft geben.

VORSITZENDE

Das verstehe ich. Aber wir wollen Ihre Situation ja begreifen. Also, Herr Gärtner, können Sie uns bitte schildern, worum es Ihnen genau geht?

GÄRTNER

Ich will sterben.

VORSITZENDE

Warum? Sie sind doch nicht krank, soweit ich weiß?

GÄRTNER

Bis auf so ein paar Alterszipperlein bin ich sogar ziemlich gesund.

VORSITZENDE

Warum wollen Sie dann sterben?

GÄRTNER

Ich will nicht mehr.

VORSITZENDE

Mögen Sie uns das erklären?

GÄRTNER

Eigentlich nicht.

BIEGLER

Zu Gärtner.

Richard, Du musst schon ein bisschen mit den Leuten sprechen.

GÄRTNER

Ja, ist gut. Ich bin 78 Jahre alt, ich war 42 Jahre verheiratet, Elisabeth ist vor drei Jahren gestorben.

VORSITZENDE

Elisabeth?

GÄRTNER

Meine Frau.

VORSITZENDE

Woran ist sie gestorben?

GÄRTNER

Hirntumor. Groß wie ein Tischtennisball. In einer Klinik.

VORSITZENDE

Das tut mir sehr leid. Darf ich Sie fragen, was Sie beruflich gemacht haben?

GÄRTNER

Ich war Architekt. Freiberuflich.

VORSITZENDE

Wann haben Sie damit aufgehört?

GÄRTNER

Nach Elisabeths Tod.

VORSITZENDE

Haben Sie Kinder?

GÄRTNER

Zwei Söhne. Einer ist Bundestagsabgeordneter, der andere ist auch Architekt. Dazu drei Enkelkinder.

VORSITZENDE

Weiß Ihre Familie von Ihrem Sterbewunsch?

GÄRTNER

Natürlich. Die Kinder.

VORSITZENDE

Und?

GÄRTNER

Wir haben das seit Elisabeths Tod immer wieder diskutiert. Alle Argumente rauf und runter. Sie haben es akzeptiert. Die Enkel sind noch zu klein.

VORSITZENDE

Was hat sich mit dem Tod Ihrer Frau für Sie geändert?

GÄRTNER

Alles.

VORSITZENDE

Können Sie es uns konkreter sagen?

GÄRTNER

Elisabeth und ich waren Mitglieder in einer Reihe von Wohltätigkeitsorganisationen und kulturellen Vereinigungen. Wir sind zusammen ins Konzert gegangen, ins Theater, zu Einladungen. Wir sind viel gereist, sie wollte die ganze Welt sehen. Das alles habe ich aufgegeben. Alleine kann ich es nicht. Sie fehlt mir. Sie fehlt mir, wenn ich aufwache, und sie fehlt mir, wenn ich einschlafe. Sie fehlt bei allem, was ich tue, und bei allem, was ich sehe. Sie ist weg und ich bin noch da. Das ist nicht richtig.

Pause, dann leise.

Nicht nach 42 Jahren.

VORSITZENDE

Halten Sie es für ausgeschlossen, noch einmal einen Sinn in Ihrem Leben zu sehen? Vielleicht durch Ihre Enkel?

GÄRTNER

Nein. Ich liebe meine Enkel. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen. Aber seit Elisabeths Tod bin ich nur noch die Hälfte.

VORSITZENDE

Haben Sie es einmal mit einer Behandlung versucht?

GÄRTNER

Wie meinen Sie das?

VORSITZENDE

Waren Sie bei einem Psychologen oder Psychotherapeuten?

GÄRTNER

Ach so. Ja, das war ich. Reden hilft nichts, ich habe es zwei Jahre lang probiert. Dann sollte ich Medikamente nehmen, die seien sehr gut, wurde gesagt. Aber das will ich nicht. Ich will einfach nur in Ruhe sterben.

VORSITZENDE

Ich verstehe. Möchte jemand Herrn Gärtner noch etwas fragen? Herr Biegler vielleicht?

BIEGLER

Direkt zu Gärtner.

Warum willst Du nicht ganz normal sterben, wie jeder andere auch?

GÄRTNER

Ich sagte schon, das Leben bedeutet mir nichts. Nichts mehr. Und ich will nicht irgendwann ins Krankenhaus, ich will nicht an Schläuchen hängen, ich will nicht aus dem Mund sabbern, und ich will nicht dement werden. Ich will als ordentlicher Mensch sterben, so, wie ich gelebt habe.

BIEGLER

Erzähl bitte von Elisabeths Sterben.

GÄRTNER

Nein.

BIEGLER

Sie ist in einem Krankenhaus gestorben.

GÄRTNER

Ja.

BIEGLER

Und sie hat gelitten.

GÄRTNER

Anderthalb Jahre lang.

BIEGLER

Schmerzen, Ausfälle, Stürze mit Brüchen, Verwirrung, Hilflosigkeit. All das, wovor Du Dich jetzt fürchtest.

GÄRTNER

Sie war sehr arm dran.

BIEGLER

Verzeih bitte: Am Ende hat sie die Ärzte gebeten, sie zu erlösen.

GÄRTNER

So hat sie es genannt, ja. Sie war gläubig.

BIEGLER

Hat sie ein Mittel bekommen?

GÄRTNER

Nein. Sie hat mich dann gebeten, ihr etwas zu besorgen, um das Leiden zu beenden. Ich konnte das nicht, ich wusste ja nicht einmal wie. Irgendwann haben die Ärzte ihr sehr viel Morphium gegeben.

BIEGLER

Ist sie friedlich gestorben?

GÄRTNER

Pause.

Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Das quält mich immer noch. Sie ist gestorben, als ich mal für eine halbe Stunde rausgegangen bin. Als ich wiederkam, war sie tot. Bitte frag jetzt nicht weiter, Biegler.

BIEGLER

Ja. Aber eins musst Du uns noch sagen. Warum bist Du hier?

GÄRTNER

Darüber haben wir doch lange...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Ärzte • Berlin • Deutschland • eBooks • gesellschaftspoli • Gesellschaftspolitik • Juristen • Leben • Recht • Schweiz • Selbsttötung • Spiegel-Bestellerautor • SPIEGEL-Bestsellerautor • Sterbehilfe • Sterben • Suizid • Terror • Theaterstück • Theologen • Urteil
ISBN-10 3-641-25606-2 / 3641256062
ISBN-13 978-3-641-25606-7 / 9783641256067
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