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Das Schattenhaus (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
384 Seiten
Limes (Verlag)
978-3-641-25131-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Schattenhaus -  Tess Gerritsen
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Ein unheimliches altes Haus, eine verschwundene Frau und ein dunkles Geheimnis, das tief in die Vergangenheit reicht ...
Nach einem tragischen Ereignis flüchtet Ava von Boston auf eine abgelegene Halbinsel an der Küste Maines. Dort mietet sie ein altes herrschaftliches Haus und hofft, endlich zur Ruhe zu kommen und Inspiration für ihr neues Buch zu finden. Obwohl das Haus zunächst düster und unheimlich wirkt, übt es doch eine unerklärliche Anziehungskraft auf sie aus. Dann beginnt sie plötzlich seltsame Geräusche zu hören, und eines nachts glaubt sie eine schattenhafte Gestalt hinter den Vorhängen in ihrem Schlafzimmer zu sehen. Von den Dorfbewohnern erfährt sie von dem mysteriösen Verschwinden ihrer Vormieterin. Als Ava beginnt nachzuforschen, kommt sie hinter ein verstörendes Geheimnis, das verzweifelt gewahrt werden soll ...
Tess Gerritsen ist neben den Stand-alones »Gute Nacht, Peggy Sue«, »Kalte Herzen«, »Roter Engel«, »Trügerische Ruhe«, »In der Schwebe«, »Leichenraub« und »Totenlied« auch die Autorin der erfolgreichen Thriller-Reihe um das Ermittlerduo Rizzoli & Isles.

So gekonnt wie Tess Gerritsen vereint niemand erzählerische Raffinesse mit medizinischer Detailgenauigkeit und psychologischer Glaubwürdigkeit der Figuren. Bevor sie mit dem Schreiben begann, war die Autorin selbst erfolgreiche Ärztin. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem Thriller »Die Chirurgin«, in dem Detective Jane Rizzoli erstmals ermittelt. Seither sind Tess Gerritsens Thriller von den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Maine.

1


Solche Vorahnungen plagten mich nicht an jenem Tag Anfang August, als ich in den North Point Way einbog und zum ersten Mal nach Brodie’s Watch fuhr. Ich wusste nur, dass die Straße reparaturbedürftig war und der Belag von den Wurzeln der vordringenden Bäume unterminiert wurde. Die Frau von der Hausverwaltung hatte mir am Telefon erklärt, dass das Haus über hundertfünfzig Jahre alt und noch nicht ganz fertig renoviert sei. In den ersten paar Wochen würde ich noch damit leben müssen, dass zwei Zimmerleute oben im Turmzimmer ihre Hämmer schwangen, aber das war auch der Grund, warum ein Haus mit einem so imposanten Seeblick für einen Apfel und ein Ei vermietet wurde.

»Die letzte Mieterin musste vor ein paar Wochen die Stadt verlassen, Monate vor dem Auslaufen ihres Mietvertrags. Sie haben mich also genau im richtigen Moment angerufen«, sagte sie. »Der Eigentümer möchte das Haus nicht den ganzen Sommer leer stehen lassen, und er ist sehr daran interessiert, jemanden zu finden, der es pfleglich behandelt. Er hofft, wieder an eine Frau vermieten zu können. Frauen sind verantwortungsbewusster, meint er.«

Und jetzt hat er seine neue Mieterin gefunden: mich.

Auf dem Rücksitz miaut Hannibal, mein Kater, zum Gotterbarmen und verlangt, aus der Transportbox befreit zu werden, in der er gefangen ist, seit wir vor sechs Stunden in Boston losgefahren sind. Ich drehe mich zu ihm um und sehe, wie er mich durch die Gitterstäbe anfunkelt, ein massiger Maine-Coon-Kater mit wutblitzenden grünen Augen. »Wir sind fast da«, versichere ich ihm, obwohl ich allmählich schon befürchte, falsch abgebogen zu sein. Wurzeln und Frost haben den Asphalt rissig gemacht, und die Bäume scheinen immer näher zu rücken. Mein alter Subaru, schwer beladen mit Gepäck und Küchengeräten, schrappt über die Straße, als wir durch einen immer enger werdenden Tunnel aus Tannen und Kiefern rumpeln. Es gibt hier keinen Platz zum Wenden, mir bleibt nichts anderes übrig, als weiter diese Straße hinaufzufahren, wohin sie auch führen mag. Hannibal miaut wieder, diesmal noch dringlicher, wie um mich zu warnen: Halt jetzt an, bevor es zu spät ist.

Durch die überhängenden Äste erblicke ich hier und da ein Stückchen grauen Himmel, dann weicht der Wald plötzlich einem breiten, mit Flechten bewachsenen Granithang. Das verwitterte Schild bestätigt, dass ich die Zufahrt zu Brodie’s Watch erreicht habe, doch der ansteigende Weg verliert sich in derart dichtem Nebel, dass ich vom Haus noch nichts sehen kann. Die Räder drehen durch, und Schotter spritzt auf, als ich meinen Weg über die nicht geteerte Auffahrt fortsetze. Dunstschwaden verschleiern den Blick auf windgepeitschtes Gestrüpp und kahle Granitflächen, doch ich kann die Möwen hören, die über uns kreisen, kreischend wie eine Legion von Geistern.

Und dann taucht plötzlich das Haus vor mir auf.

Ich stelle den Motor ab. Eine Weile sitze ich einfach nur da und starre zu Brodie’s Watch hinauf. Kein Wunder, dass es vom Fuß des Hügels aus nicht zu sehen war. Mit seinen grauen Schindeln ist es im Nebel perfekt getarnt, und nur ganz vage kann ich einen Erkerturm ausmachen, der in die tief hängenden Wolken ragt. Das muss doch wohl ein Irrtum sein – man hat mir gesagt, dass es ein großes Haus sei, aber mit einem solchen Herrenhaus habe ich nun wirklich nicht gerechnet.

Ich steige aus und betrachte die Schindeln, von Wind und Wetter zu silbrigem Grau verblasst. Auf der Veranda schwingt eine Schaukel quietschend vor und zurück, wie von einer unsichtbaren Hand angestoßen. Sicherlich ist das Haus zugig, die Heizung uralt, und ich stelle mir feuchte Zimmer vor, erfüllt von Schimmelgeruch. Nein, das ist nicht das, was mir als Refugium für den Sommer vorgeschwebt hat. Ich hatte auf ein ruhiges Plätzchen zum Schreiben gehofft, einen stillen Rückzugsort.

Einen Ort der Heilung.

Doch dieses Haus wirkt abweisend auf mich, seine Fenster starren mich an wie feindselige Augen. Die Möwen schreien lauter, mahnen mich, die Flucht zu ergreifen, solange ich noch kann. Ich weiche zurück und will gerade wieder in meinen Wagen steigen, als ich das Knirschen von Reifen auf dem Schotterweg vernehme. Ein silberfarbener Lexus hält hinter meinem Subaru, eine blonde Frau steigt aus und winkt, während sie auf mich zugeht. Sie ist ungefähr in meinem Alter, schlank und attraktiv, und alles an ihr strahlt Optimismus und Selbstvertrauen aus, von ihrem Brooks-Brothers-Blazer bis hin zu ihrem Lächeln, das zu sagen scheint: Ich bin Ihre beste Freundin.

»Sie sind Ava, stimmt’s?«, sagt sie und streckt die Hand aus. »Entschuldigen Sie bitte die kleine Verspätung. Ich hoffe, Sie haben nicht allzu lange warten müssen. Ich bin Donna Branca, die Hausverwalterin.«

Während wir Hände schütteln, suche ich schon fieberhaft nach Ausreden, um aus dem Mietvertrag auszusteigen. Dieses Haus ist zu groß für mich. Zu abgelegen. Zu unheimlich.

»Wunderschön hier, nicht wahr?«, schwärmt Donna und deutet auf die kahlen Granitfelsen. »Zu schade, dass man wegen des Wetters gerade nichts sehen kann, aber wenn der Nebel sich erst mal verzogen hat, wird der Seeblick Sie von den Socken hauen.«

»Es tut mir leid, aber dieses Haus ist nicht ganz das, was …«

Aber sie geht schon die Verandastufen hinauf, die Hausschlüssel in der Hand. »Sie hatten Glück, dass Sie genau im richtigen Moment angerufen haben. Gleich nachdem wir miteinander gesprochen haben, kamen zwei weitere Anfragen zu diesem Haus rein. Diesen Sommer ist in Tucker Cove die Hölle los, die Touristen reißen sich regelrecht um die Ferienwohnungen. Offenbar will dieses Jahr niemand den Sommer in Europa verbringen. Die Leute machen lieber Urlaub vor der Haustür.«

»Es freut mich zu hören, dass es noch andere Interessenten für das Haus gibt. Ich glaube nämlich, dass es für mich eine Nummer zu …«

»Voilà. Immer rein ins traute Heim.«

Die Tür schwingt auf und gibt den Blick auf glänzendes Eichenparkett und eine Treppe mit kunstvoll geschnitztem Holzgeländer frei. Sämtliche Ausreden, die mir auf der Zunge lagen, lösen sich mit einem Mal in Luft auf, und eine unwiderstehliche Macht scheint mich über die Schwelle zu ziehen. Im Eingang blicke ich zu einem Kristalllüster und einer Decke mit aufwendigen Stuckornamenten auf. Ich hatte damit gerechnet, dass das Haus kalt und feucht sein würde, dass es nach Staub und Schimmel müffeln würde, doch was ich jetzt rieche, ist frische Farbe und Politur. Und das Meer.

»Die Renovierungsarbeiten sind fast abgeschlossen«, erklärt Donna. »Die Zimmermänner haben noch ein wenig oben im Turmzimmer und auf dem Witwenbalkon zu tun, aber sie werden versuchen, Sie nicht zu stören. Und sie arbeiten nur an Werktagen, sodass Sie am Wochenende das Haus für sich haben. Der Eigentümer war bereit, die Miete für den Sommer zu senken, weil ihm klar ist, dass die Handwerker eine Unannehmlichkeit sind, aber sie werden nur noch ein paar Wochen hier sein. Danach haben Sie dieses fantastische Haus den ganzen Rest des Sommers für sich allein.« Sie sieht, wie ich die Deckenleisten bewundere. »Sie haben gute Arbeit geleistet bei der Renovierung, nicht wahr? Ned, unser Zimmermann, ist ein Meister in seinem Fach. Es gibt niemanden, der dieses Haus so in- und auswendig kennt wie er. Kommen Sie, ich zeige Ihnen auch noch den Rest. Da Sie vermutlich Rezepte ausprobieren werden, möchten Sie sicher zuerst einen Blick in die fantastische Küche werfen.«

»Habe ich Ihnen erzählt, was ich mache? Ich kann mich nicht erinnern, es erwähnt zu haben.«

Sie lacht ein wenig verlegen. »Sie haben am Telefon gesagt, dass Sie Food-Autorin sind, und ich konnte es mir nicht verkneifen, Sie zu googeln. Ich habe schon Ihr Buch über Olivenöle bestellt. Ich hoffe, Sie werden es mir signieren.«

»Mit Vergnügen.«

»Ich glaube, Sie werden feststellen, dass dieses Haus der perfekte Ort zum Schreiben ist.« Sie geht voran in die Küche, einen hellen, luftigen Raum mit schwarzen und weißen Bodenfliesen, angeordnet in einem geometrischen Muster. »Die Küche verfügt über einen Gasherd mit sechs Brennern und einen extragroßen Backofen. Ich fürchte, an Kochgeschirr ist nur das Nötigste vorhanden, nur ein paar Töpfe und Pfannen, aber Sie sagten ja, dass Sie Ihre eigenen Sachen mitbringen.«

»Ja. Ich habe eine lange Liste von Rezepten, die ich ausprobieren muss, und ich gehe nirgendwohin ohne meine Messer und Pfannen.«

»Und worum geht es in Ihrem neuen Buch?«

»Um die traditionelle Küche Neuenglands. Ich interessiere mich dafür, wie in den Seemannsfamilien gekocht wurde.«

Sie lacht. »Ich schätze mal, gesalzener Kabeljau mit noch mehr gesalzenem Kabeljau.«

»Es geht auch um ihre Lebensweise. Die langen Winter und die kalten Nächte, und all die Gefahren, denen sich die Fischer aussetzten, nur um ihren Fang nach Hause zu bringen. Es war nicht leicht, vom Meer zu leben.«

»Nein, das war es sicher nicht. Und der Beweis dafür ist im nächsten Raum.«

»Was meinen Sie?«

»Ich zeig’s Ihnen.«

Wir gehen weiter in einen kleinen Salon, wo im Kamin schon Holzscheite und Kienspäne zum Anzünden bereitliegen. Über dem Sims hängt ein Ölgemälde eines Schiffs, das auf aufgewühlter See krängt und dessen Bug die windgepeitschte Gischt durchschneidet.

»Dieses Gemälde ist nur eine Kopie«, sagt Donna. »Das Original ist im Historischen Verein ausgestellt, unten im Ort. Dort haben sie auch ein Porträt von Jeremiah Brodie. Er war eine ziemlich beeindruckende Erscheinung. Groß, mit pechschwarzen Haaren.«

»Brodie? Heißt...

Erscheint lt. Verlag 27.4.2020
Übersetzer Andreas Jäger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Shape of Night
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte eBooks • einsames Haus • Krimi • Kriminalromane • krimi neuerscheinungen 2022 bestseller • Krimis • Küste • Maine • Mystery Thriller • rätselhafte Todesfälle • Spannung • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel-Bestsellerautorin • Stand-Alone • Thriller • Thriller Buch • Totenlied • Weltbestsellerautorin
ISBN-10 3-641-25131-1 / 3641251311
ISBN-13 978-3-641-25131-4 / 9783641251314
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