Das Wunder von Madrid (eBook)
448 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00355-2 (ISBN)
Geboren am 18.11.1906 in München als ältester Sohn Thomas und Katja Manns. Klaus Mann schrieb mit 15 Jahren erste Novellen. Es folgten die Gründung eines Theaterensembles mit Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens, 1929 unternahm er eine Weltreise «rundherum». In der Emigration (mit den Stationen Amsterdam, Zürich, Prag, Paris, ab 1936 USA) wurde er zur zentralen Figur der internationalen antifaschistischen Publizistik. Er gab die Zeitschriften «Die Sammlung» (1933-35) und «Decision» (1941-42) heraus, kehrte als US-Korrespondent nach Deutschland zurück. 1949 beging er aus persönlichen und politischen Motiven Selbstmord, nachdem er in dem von Pessimismus erfüllten Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes noch einmal zur Besinnung aufgerufen hatte. Mann sagte sich früh vom Daseinsgefühl der Eltern-Generation los und stellte die Lebenskrise der «Jungen» in der stilistisch frühreifen Kindernovelle und in der Autobiographie des Sechsundzwanzigjährigen Kind dieser Zeit dar. Seine bedeutendsten Romane schrieb Mann im Exil: Symphonie Pathétique, Mephisto. Roman einer Karriere, und Der Vulkan. In der Autobiographie Der Wendepunkt gelangt Klaus Manns Diktion zu Reife und gelassener Sachlichkeit. Er sprach stellvertretend für eine Generation, die in den 20-er Jahren ihre prägenden Eindrücke empfing, mit einem engagierten Freiheitsbewusstsein zu neuen Ufern aufbrechen wollte und zwischen den Fronten einer zerrissenen Nachkriegswelt an der Machtlosigkeit des Geistes verzweifelte.
Uwe Naumann, geboren 1951 in Hamburg. Studium der Germanistik, Soziologie und Pädagogik in Hamburg und Marburg. 1976 Erstes, 1979 Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. 1983 Promotion. 1984 bis 1985 Mitarbeiter der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur, Universität Hamburg. Seit 1985 Mitarbeit im Lektorat der Rowohlt Verlage, 2000 bis 2012 Programmleiter Sachbuch bei Rowohlt, danach Koordinator E-Book. Seit Ende 2016 im Ruhestand, weiterhin beratende Tätigkeit für Rowohlt. Lehrbeauftragter an den Universitäten Lüneburg und Mainz. Herausgeber der Reihe «rowohlts monographien». Features, Essays und Kritiken für verschiedene Rundfunkanstalten. Herausgeber der Werke von Klaus und Erika Mann und von Heinar Kipphardt. Edierte die Bildbände «‹Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß›. Klaus Mann (1906–1949)», 1999, und «Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum», 2005. Zahlreiche weitere Editionen, vor allem zur deutschsprachigen Exilliteratur. Michael Töteberg, geboren 1951, leitete lange Jahre die Agentur für Medienrechte im Rowohlt Verlag und war dort verantwortlich für Literaturverfilmungen wie «Babylon Berlin» und «Tschick». Er verfasst Filmkritiken und ist Herausgeber unter anderem der Schriften von Rainer Werner Fassbinder und Tom Tykwer sowie des «Metzler Film Lexikons». Zudem ist er Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien der Roman «Falladas letzte Liebe» (2021). Geboren am 18.11.1906 in München als ältester Sohn Thomas und Katja Manns. Klaus Mann schrieb mit 15 Jahren erste Novellen. Es folgten die Gründung eines Theaterensembles mit Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens, 1929 unternahm er eine Weltreise «rundherum». In der Emigration (mit den Stationen Amsterdam, Zürich, Prag, Paris, ab 1936 USA) wurde er zur zentralen Figur der internationalen antifaschistischen Publizistik. Er gab die Zeitschriften «Die Sammlung» (1933-35) und «Decision» (1941-42) heraus, kehrte als US-Korrespondent nach Deutschland zurück. 1949 beging er aus persönlichen und politischen Motiven Selbstmord, nachdem er in dem von Pessimismus erfüllten Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes noch einmal zur Besinnung aufgerufen hatte. Mann sagte sich früh vom Daseinsgefühl der Eltern-Generation los und stellte die Lebenskrise der «Jungen» in der stilistisch frühreifen Kindernovelle und in der Autobiographie des Sechsundzwanzigjährigen Kind dieser Zeit dar. Seine bedeutendsten Romane schrieb Mann im Exil: Symphonie Pathétique, Mephisto. Roman einer Karriere, und Der Vulkan. In der Autobiographie Der Wendepunkt gelangt Klaus Manns Diktion zu Reife und gelassener Sachlichkeit. Er sprach stellvertretend für eine Generation, die in den 20-er Jahren ihre prägenden Eindrücke empfing, mit einem engagierten Freiheitsbewusstsein zu neuen Ufern aufbrechen wollte und zwischen den Fronten einer zerrissenen Nachkriegswelt an der Machtlosigkeit des Geistes verzweifelte.
Können Deutschland und Frankreich Freunde sein?
Als ich ein Junge war, hatten die Städtenamen Paris, Nice, Marseille eine ungeheure Faszination für mich. Bei dem Wort Paris fuhr ich zusammen, wie man später, als erwachsener Mensch, bei der Nennung eines geliebten Namens zusammenfährt. Die Namen jener Städte, in denen die großen Abenteurer-Geschichten spielen, ließen mich ziemlich kalt: ich träumte nicht von Kairo, San Francisco, Bagdad oder Rio de Janeiro. Ich träumte auch nur selten von Rom, Venedig oder Athen. Meine knabenhafte Phantasie malte sich die Landschaft des französischen Südens – der Côte d'Azur – aus, unermüdlich und immer wieder begeistert versuchte sie, sich die Champs-Élysées, die grands boulevards und die Seine-Quais vorzustellen. Ich kannte Paris, Marseille und Nice schon ein wenig, ehe ich selber zum ersten Mal wirklich hinkam.
Während des Kriegs – und ich bin im Kriege ein Kind gewesen – durften wir keine französische Gouvernante haben: sie wäre auf den Straßen der Stadt München gesteinigt worden. Ich begann also erst auf dem Gymnasium, Französisch zu lernen. Das Gymnasium, das ich in München besuchte, war ein «humanistisches». Wir lasen Homer und Xenophon im Urtext; aber der Unterricht im Englischen und Französischen war miserabel. Unser Französisch-Lehrer – Gott hab ihn selig – hatte eine grausige Aussprache. Wir konnten mit Mühe sagen: «La maison de ma grandemère est très belle» – aber wirklich nicht viel mehr. Meist lernte ich in der Schule etwas weniger, als verlangt wurde. Aber im Französischen war ich ehrgeizig. Die Großmutter und ihr schönes Haus genügten mir nicht. Ich begann, mich mit der französischen Literatur zu beschäftigen – auf eigene Faust und ohne daß jemand mir dabei geholfen hätte. Unter eifriger Benutzung eines Lexikons las ich die Gedichte von Arthur Rimbaud und von Paul Verlaine. Ich war hingerissen von der Kraft Rimbauds, die alle Literatur wie ein Gefängnis empfand und sich aus diesem Gefängnis in die Wirklichkeit, in die Freiheit des Lebens rettete; ich war gerührt und bezaubert von der Melancholie und der problematischen Frömmigkeit Verlaines – des großen Sünders, der alle seine Sünden verführerisch besingt und der sie alle bereut. Ein paar Jahre später – ich war siebzehn Jahre alt – handelte der erste Aufsatz, den ich veröffentlichte, von Rimbaud und von seiner schwierigen Freundschaft mit Verlaine. Damals wußte ich schon etwas besser Bescheid in der Welt des französischen Geistes, und ich brauchte nicht mehr soviel das Lexikon zu benutzen, wenn ich Baudelaire oder Mallarmé, Stendhal oder Flaubert, Balzac oder Victor Hugo las.
Es war um diese Zeit, daß ich zum ersten Mal nach Frankreich kam. Den ersten Vorschuß, den mir ein Verleger gab, benutzte ich zu einer Reise nach Paris, Südfrankreich und dem französischen Nordafrika. Unvergeßliche erste Begegnung mit einer Landschaft und mit einem Volke, das mir so fremd und doch auch auf eine sonderbare Art so vertraut war! Es ist, wie wenn man eine Gegend in der Wirklichkeit sieht, die man schon aus Träumen und aus Vorstellungen kennt. Als ich zum ersten Mal vor einem Pariser Café mit einem Vermouth auf der Straße saß, kam ich mir vor wie zu Hause. Zum ersten Mal : der wundervolle Blick von der Place de la Concorde, die Champs-Elysées hinunter, zum Arc de Triomphe; zum ersten Mal, aus dem Fenster eines Hotelzimmers, die Aussicht auf den Vieux Port von Marseille; zum ersten Mal die schön geschwungene Kurve der Promenade des Anglais in Nice … Ich werde das Glück nie vergessen, mit dem ich alle diese Herrlichkeiten kennenlernte.
Dann kamen die Begegnungen mit den französischen Menschen: die Begegnung mit den einfachen Leuten, mit der Patronne des Hotels, mit den Kellnern in den Restaurants, den Matrosen auf den Schiffen, mit den Chauffeuren der Taxis und der Autobusse: Ich liebte es, mit allen diesen Menschen zu reden; ich war stolz darauf, daß ich ihre Sprache verstand und mich auch schon ein wenig in ihr ausdrücken konnte; ich interessierte mich für die Verhältnisse ihres Lebens ; ich freute mich an ihrer Intelligenz, ihrem Witz, ihrer natürlichen Liebenswürdigkeit. – Wenig später kamen Beziehungen zu der intellektuellen Elite des Landes hinzu. Ich habe viele Repräsentanten der modernen französischen Literatur gekannt, und mit einigen von ihnen bin ich befreundet. Männern wie André Gide, Edmond Jaloux, Jean Cocteau, Julien Green, Jean Giraudoux, André Malraux verdanke ich die bedeutendste intellektuelle Anregung. Auf Figuren wie Romain Rolland oder Henri Barbusse habe ich – nicht nur um ihres Werkes, sondern vor allem auch um ihrer menschlichen Haltung willen – immer mit Verehrung geschaut. Jahrelang war einer meiner besten Freunde ein junger französischer Dichter. Sein Werk und seine Person wurden geliebt und hatten Wirkung in einem Kreis von jungen Menschen, der zahlenmäßig klein war, aber in allen europäischen Ländern seine Vertreter hatte. Ich weiß nicht, ob die Bücher dieses jungen Dichters auch in den Vereinigten Staaten Leser hatten. Eine seiner letzten Absichten war, nach Amerika zu kommen und den Kontakt zu der Jugend dieses großen Landes zu suchen. Dieser Plan konnte nicht mehr ausgeführt werden. Mein französischer Freund ist tragisch zugrunde gegangen; der Name dieses jungen Dichters, der nicht mehr lebt, ist René Crevel.
Ich liebe Frankreich. Ich liebe die französischen Menschen, und ich liebe die französische Landschaft. Ich liebe die Städte Frankreichs, und ich liebe die Erde Frankreichs. Ich liebe die französische Kunst, und ich liebe die großen politischen Traditionen der französischen Politik. Ich habe immer geglaubt, daß ein Deutscher Frankreich, den westlichen Nachbarn, lieben darf und lieben soll. Ich habe immer geglaubt, daß ein Deutscher viel von Frankreich zu lernen hat – und, wie ich hinzufügen muß, ein Franzose vielleicht auch einiges von Deutschland. Ich habe viel gelernt, als ich in Frankreich lebte und als ich mich mit französischen Dingen beschäftigte. Dieses – wie gesagt – ist meine persönliche Angelegenheit und mein persönliches Erlebnis.
Aber es ist doch vielleicht auch ein Symptom. Es beweist, welch großen pädagogischen Einfluß die reiche französische Kultur auf einen jungen deutschen Intellektuellen ausüben kann. Keinem jungen deutschen Intellektuellen, der an Luther, Goethe und Nietzsche erzogen ist, wird es schaden, wenn er sich noch ein wenig durch Voltaire, Victor Hugo und Zola erziehen läßt.
Wenn ich also von meiner Liebe zu Frankreich spreche – einer Liebe, die mein ganzes Leben bis heute begleitet hat und es weiter begleiten wird –, erwähne ich sie, um hinzufügen zu können : Viele junge Menschen haben in Deutschland wie ich empfunden – und nicht nur junge. Die Deutschen, die zu meiner Altersklasse gehören oder noch jünger sind als ich, haben den Weltkrieg nicht miterlebt – oder sie waren doch Kinder während des großen Krieges und nicht dazu fähig, seinen Ernst und seine Furchtbarkeit zu begreifen. Als wir anfingen zu denken, war das erste, was wir uns klarmachten, daß der Krieg etwas Schauerliches gewesen war – etwas Schauerliches, das sich keinesfalls wiederholen durfte. Wir schworen uns : Es darf kein Krieg mehr sein, wir wollen an keinem mehr teilnehmen. Wir haßten den Krieg, und wir haßten die Männer, von denen wir glaubten, daß sie persönlich am Ausbruch des Krieges schuldig oder mitschuldig gewesen seien. Aber wir haßten kein einziges Volk, das am Kriege teilgenommen hatte. Vor allem waren wir nicht dazu zu bringen, Frankreich zu hassen, das man uns – in der Schule, als wir Kinder waren – als den Erbfeind dargestellt hatte. Wir glaubten nicht, daß es einen Erbfeind geben könnte. Wir machten uns lustig über diesen Begriff. In unserer Liebe zu Frankreich war wohl auch etwas Opposition gegen die Lehrer, die uns soviel vom Erbfeind erzählt hatten. Aber es waren nicht nur wir Jungen, die die unbedingte Versöhnung, die wirkliche Freundschaft mit Frankreich wollten und erstrebten. Viele Ältere dachten wie wir; einige wenige hatten sogar schon mitten während des Krieges so gedacht. Diese wenigen hatten den Krieg mit Frankreich immer als ein unseliges Mißverständnis, als einen tragischen europäischen Bruderkampf empfunden. Zu diesen Hellsichtigen – es waren ihrer nicht viele – hatte mein Onkel Heinrich Mann gehört. Seine erste literarische Arbeit während des Krieges war ein großer Essay über den französischen Romancier Emile Zola gewesen: eine kühne und gründliche Analyse und zugleich eine überschwengliche Huldigung an den großen Naturalisten – den eigentlichen Helden der Dreyfus-Affäre. Man mag sich vorstellen, daß die Publikation dieser Studie über den Franzosen im Jahre 1915 wie eine Bombe einschlug und fast von der gesamten Öffentlichkeit als eine ungeheure Provokation empfunden wurde, die man Heinrich Mann niemals ganz verziehen hat. Während des Krieges hatten nur wenige Schriftsteller die klare und mutige Gesinnung Heinrich Manns. Aber nach dem Kriege – etwa von 1918 bis 1925 – war fast die ganze deutsche Intelligenz pazifistisch und frankophil – oder behauptete es doch zu sein. (Später sollte sich herausstellen, daß diese Behauptung, in vielen Fällen, eine Lüge war.) Alle besseren Deutschen wollten um diese Zeit die vollkommene Versöhnung mit Frankreich und glaubten daran, daß sie möglich sei. Die maßgebenden Zeitungen des demokratischen deutschen Bürgertums – die «Vossische Zeitung» zum Beispiel oder...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2019 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Essays / Feuilleton |
Schlagworte | Bürgerkrieg • Exil • Faschismus • Kriegsgegner • Madrid • Nationalsozialismus • Schriftsteller • USA • Widerstand |
ISBN-10 | 3-644-00355-6 / 3644003556 |
ISBN-13 | 978-3-644-00355-2 / 9783644003552 |
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