Gespenster-Krimi 21 (eBook)
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-8402-4 (ISBN)
Im Tempel der Dämonen
von Earl Warren
Herman van Buyten lief der Schweiß in Strömen über die Stirn, als er die Spitzhacke schwang und die morsche Mauer endlich nachgab. Ein finsterer Gang tat sich vor ihm auf. Feuchtkalte Moderluft wehte heraus.
Die hübsche Chris Anderson schauderte. 'Wollen wir da wirklich hinein?'
'Natürlich.' Frankie Dassoon nahm die Öllampe auf. 'Alles ist genauso, wie der Brahmane es uns sagte. Wir folgen dem Gang, gehen in die Kammer und sprechen die Worte. Dann tut sich die Geheimtür auf, und wir gelangen zu dem Schatz.'
Er ging vorneweg. Die beiden anderen folgten ihm, bis sie an eine Tür aus massiven Holzbohlen kamen, die Dassoon öffnete. In dem großen, saalartigen Raum, den die drei nun betraten, roch es noch intensiver nach Moder und Fäulnis. An den Wänden standen Statuen bizarrer Götterfiguren mit dämonischen Fratzen ...
»Versuchen wir es«, sagte der kräftige Holländer van Buyten. »Sprechen wir die Formel, die der Brahmane uns gelehrt hat. Wenn er uns auf den Arm genommen hat, gehen wir eben wieder nach oben.«
Die drei riefen die magischen Worte in der uralten fremden Sprache. Sie wiederholten sie dreimal.
»Seht ihr«, sagte Dassoon und zuckte mit den Schultern. »Nichts pas…«
Ein Donnerschlag krachte. Frankie Dassoon wurde das Wort von den Lippen gerissen. Aus dem Nichts erschien plötzlich mitten in der Luft ein Totenschädel. Er glühte im Halbdunkel, als sei er mit Leuchtfarbe bestrichen. Die leeren Augenhöhlen des Totenschädels starrten die drei jungen Leute an. Die weißen Zahnreihen grinsten.
Chris Anderson stieß einen erstickten Schrei aus. Das blonde Mädchen, das ohne das seltsam geformte Feuermal auf der linken Gesichtshälfte bildhübsch gewesen wäre, wich bebend zurück.
Herman van Buyten, nicht eben der Schnellste im Denken, sperrte den Mund auf. Frankie Dassoons Hand zitterte so sehr, dass die Öllampe wackelte und die Schatten an den Wänden im schwankenden Lichtschein zu tanzen anfingen.
»Was ist das?«, fragte Chris Anderson mit vor Schreck tonloser Stimme.
»Pst«, zischte Dassoon, »nicht bewegen.«
Der Rat war unsinnig, aber die anderen befolgten ihn.
»Um Gottes willen«, sagte die blonde Chris.
Das Feuermal leuchtete noch intensiver in ihrem bleichen Gesicht. Ein geisterhaftes, hohles Seufzen scholl durch den Höhlensaal. Aus den leeren Augenhöhlen des Totenschädels quoll Blut. Rot rann es über die ausgebleichten Knochen und tropfte hinab auf den Boden.
»Nein«, stöhnte Chris Anderson. »Nein. Das darf es nicht geben.«
Irgendwo ertönte ein Gong. Der Klang hallte durch den Höhlensaal, und selbst die Steine schienen zu vibrieren. Den beiden jungen Männern und dem Mädchen fuhr der Gongschlag in die Knochen. Wie gebannt starrten sie den phosphoreszierenden Totenschädel mit den blutenden Augen an.
Wieder dröhnte der Gong.
In einer dunklen Nische, die den dreien bisher noch nicht aufgefallen war, glühte ein grünliches Licht auf.
»Ob das die Geheimtür ist?«, fragte van Buyten.
»Ruhig, verdammt!«
In der Nische stieg etwas vom Boden empor, bildete einen flimmernden, silbrig schimmernden Nebel, der allmählich Konturen gewann. Menschliche Konturen. Der Nebel verdichtete sich, wurde fest und stofflich.
Bald waren Farben und Umrisse zu erkennen. Vor ihnen stand ein kleiner alter Mann mit kahlgeschorenem Schädel und faltigem Gesicht, das Kinn herrisch erhoben. Er trug eine gelbe Kutte und stützte sich auf einen langen Stab. Seine Augen waren wie tiefe, dunkle Schächte.
Schweigend sah er Herman van Buyten, Chris Anderson und Frankie Dassoon an. Auf der linken Gesichtshälfte hatte der alte Mann ein Feuermal, das fast genauso aussah wie das von Chris Anderson.
Der unheimliche alte Mann starrte das Mädchen an. Er nickte.
»Ja«, sagte er, und merkwürdigerweise verstand jeder der drei jungen Leute die Worte in seiner Muttersprache. Herman van Buyten auf Holländisch, Chris Anderson in Oxford-Englisch und Frankie Dassoon in echtem Brooklyndialekt. »Du bist das Opfer. Du wirst meine Stelle einnehmen.«
Der alte Mann mit der gelben Kutte und dem Faltengesicht deutete mit seinem Stab auf Chris Anderson.
»Du hast das Dämonenzeichen«, sagte er. »Komm her zu mir, Mädchen.«
Eine übernatürliche Kraft ging von den dunklen bezwingenden Augen aus. Wider ihren Willen trat das blonde Mädchen mit dem Feuermal langsam an den alten Mann und die Nische heran.
Aus den Augenhöhlen des in der Luft schwebenden Totenkopfs tropfte kein Blut mehr. Die Augen begannen zu glühen wie Kohlen. Chris Anderson trat wie in Trance den von dem giftigen Leuchten eingehüllten Mann in der gelben Kutte gegenüber. Jetzt aus der Nähe sah sie, dass sein vom Feuermal entstelltes Gesicht von Bosheit, Grausamkeit und Fanatismus geprägt war.
Frankie Dassoon hatte Angst wie noch nie zuvor in seinem Leben. Seine Knie schlotterten, und sein Herz schlug hart wie ein Hammer gegen seine Rippen. Er schluckte krampfhaft. Der kalte Angstschweiß brach ihm aus.
Etwas Schreckliches stand bevor, das spürte Frankie Dassoon mit allen Fasern seines Herzens. Ihm war, als hätten seine Knochen sich in flüssiges Blei verwandelt. Er konnte sich nicht bewegen und stand vor Entsetzen an die Stelle gebannt.
Herman van Buyten stammelte unverständliche Worte. Er bekreuzigte sich mehrmals mit zitternder Hand.
Chris Anderson trat in die von grünlichem Licht erfüllte Nische, und der Alte ging heraus. Er holte mit dem Stab aus und stieß mit der Spitze wie mit einem Speer zu.
Das Holz drang dem blonden Mädchen in die Brust. Chris Anderson schrie auf, dass es in der Höhle widerhallte. Ihre Hände verkrampften sich um das harte Holz des Stabes. Das Gesicht mit dem Feuermal verzerrte sich.
Chris Andersons Schrei wurde zu einem Röcheln. Das blonde Mädchen brach in die Knie, und mit unbewegtem Gesicht zog der alte Mann den Stab aus ihrem Körper.
Blut spritzte. Chris Anderson sank in der Nische vornüber, fiel mit einer langsamen müden Bewegung auf das Gesicht und regte sich nicht mehr.
Jetzt brach der Bann, der auf Frankie Dassoon gelegen hatte.
»Sie haben Chris getötet!«, schrie der junge Mann. »Sie Ungeheuer!«
Der unheimliche Alte rief mit donnernder, widerhallender Stimme ein paar Worte in einer unbekannten Sprache. Im Dunkel im Hintergrund des gewaltigen Höhlensaals begann es sich zu regen. Schatten bewegten sich lautlos und schnell auf Herman van Buyten und Frankie Dassoon zu.
Van Buyten sah zuerst, was da in den Lichtkreis der Öllampe gelangte. Der abgebrühte Holländer, sicher nicht leicht zu beeindrucken und zu erschrecken, schrie auf.
Grässliche Ungeheuer waren es. Große Spinnen, wie noch kein Mensch im zwanzigsten Jahrhundert sie je in natura gesehen hatte. Die haarigen dicken Beine waren zwei Meter lang. Vier Augen, paarweise übereinander angeordnet, glotzten die beiden jungen Männer an, nichts Gutes verheißend.
Die vier Mundwerkzeuge zuckten.
An zweien glitzerten große Gifttropfen. Die haarigen Leiber der Spinnen waren dick wie große Fässer. Die vorderen der acht Gangbeine waren stark verkürzt und zu einer Art Grabschaufeln umgebildet.
Sechs dieser Ungeheuer rückten gegen van Buyten und Frankie Dassoon vor. Der Totenkopf mit den glühenden Augen und der unheimliche Alte beobachteten die Szene.
Bald schon befanden sich die Riesenspinnen dicht vor den beiden Männern. Während Herman van Buyten wie am Spieß schrie und wie angewurzelt dastand, sprang Dassoon mit einem wilden Satz über die vorderen Beine der Spinne rechts von ihm hinweg und raste zum Ausgang. Sofort wurde er von drei Spinnen verfolgt.
Dassoon hatte die Öllampe fallen lassen. Sie war zerbrochen. Das auslaufende Öl erstickte die Flamme des Dochts. Nur das grünliche Leuchten aus der Nische, in der Chris Anderson lag, erhellte noch etwas den unterirdischen Saal.
Dassoon packte die schwere Bohlentür. Ehe er sie zuschmetterte, warf er einen raschen Blick zurück. Herman van Buytens Schreien schwoll noch mehr an. Es erfüllte den ganzen Saal.
Frankie Dassoon warf die schwere Bohlentür zu und rannte den stockdunklen Gang entlang, den er wenige Minuten zuvor mit Herman van Buyten und Chris Anderson gekommen war. Selbst durch die dicke Tür waren die Schreie des Holländers noch zu hören.
Drei Spinnen waren über Herman van Buyten hergefallen. Lange haarige und harte Beinpaare hielten ihn fest. Eine der Grabschaufeln zuckte nieder und trennte van Buytens linken Arm kurz unter dem Ellbogengelenk ab.
Der Holländer, zu Boden gezwungen, sah drei Paar Giftzangen sich seinem Körper nähern. Er wurde fast wahnsinnig vor Grauen. Glühend drangen die Bisse in sein Fleisch. Wie Feuer brannte es, und das Brennen breitete sich rasch aus, erfüllte van Buytens ganzen Körper.
Ein Paar Giftzangen drang in seinen Hals, und die grässlichen Schreie des Holländers erstickten zu einem Gurgeln. Der gemarterte Körper bäumte sich noch einmal auf. Ein Blutschwall quoll aus van Buytens Armstumpf.
Dann endlich brachen seine Augen.
Der Tod war nach all dem Grauen eine Erlösung für den Holländer.
Die Fresswerkzeuge der Spinnen begannen zu arbeiten, aber Herman van Buyten spürte es nicht mehr.
Frankie Dassoon rannte währenddessen durch den finsteren Gang. Er stieß sich an den Wänden, stolperte und stürzte, raffte sich aber immer blitzschnell wieder auf und hetzte weiter. Sein Atem ging keuchend. Entsetzen presste sein Herz zusammen wie eine eisige Faust.
Jeden Moment glaubte Dassoon, die Riesenspinnen würden über ihn herfallen. Endlich erreichte er die Treppenstufen, die nach oben führten. Dassoon stürzte hart auf eine Kante. Er schlug sich die Kniescheibe so an, dass er glaubte, sie sei gebrochen.
Mit Tränen des Schmerzes in den Augen, die rechte Hand auf die schmerzende Kniescheibe gepresst, humpelte Frankie Dassoon die feuchten, schlüpfrigen Treppenstufen hinauf. Die Falltür zu der nach unten führenden Treppe stand offen.
Dassoon gelangte in die Ruine des alten Hindutempels, dessen Dach längst zerstört war. Über ihm leuchteten die Sterne. Es roch nach Moschus aus dem Dschungel, und Zikaden zirpten. Dassoon hockte sich auf einen Steinblock nieder und massierte seine schmerzende Kniescheibe.
Da sah er ein Funkeln über sich. Er zuckte entsetzt zusammen und blickte nach...
Erscheint lt. Verlag | 30.7.2019 |
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Reihe/Serie | Gespenster-Krimi |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7325-8402-X / 373258402X |
ISBN-13 | 978-3-7325-8402-4 / 9783732584024 |
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