Die Cannabis-Connection (eBook)
352 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-31045-2 (ISBN)
Thomas Hoeps (*1966) lebt und arbeitet in Krefeld. Er jobbte im DaimlerBenz-Datenarchiv, im physikalischen Labor, am Pferde-Wettschalter und als Journalist, bis er über Terrorismus in der deutschen Literatur promovierte. 1997 veröffentlichte er seinen Debütroman Pfeifer bricht aus, es folgten Gedichte, Erzählungen und ein Theaterstück. Er erhielt u. a. den Literaturförderpreis der Stadt Düsseldorf und den Nettetaler Literaturpreis. Hoeps ist Leiter des Niederrheinischen Literaturhauses in Krefeld.
Thomas Hoeps (*1966) lebt und arbeitet in Krefeld. Er jobbte im DaimlerBenz-Datenarchiv, im physikalischen Labor, am Pferde-Wettschalter und als Journalist, bis er über Terrorismus in der deutschen Literatur promovierte. 1997 veröffentlichte er seinen Debütroman Pfeifer bricht aus, es folgten Gedichte, Erzählungen und ein Theaterstück. Er erhielt u. a. den Literaturförderpreis der Stadt Düsseldorf und den Nettetaler Literaturpreis. Hoeps ist Leiter des Niederrheinischen Literaturhauses in Krefeld. Jac. Toes (*1950 in Den Haag/Niederlande) lebt und arbeitet als freier Gerichtsreporter in Arnheim. Nach dem Studium der Niederländischen Literatur war er als Lehrer tätig. Er engagierte sich in Arnheim in der Hausbesetzerszene und gründete 1980 einen Piraten-Radiosender. Seit 1995 arbeitet er ausschließlich als Schriftsteller und Drehbuchautor. 1998 erhielt Toes den niederländischen Krimipreis Gouden Strop für Fotofinish. In Deutschland wurde er für sein Werk mit der Goldenen Handschelle ausgezeichnet.
2
Amsterdam, 11. Oktober 1982
ME, weg ermee – Bullen weg!«
Die Kinnladen aufeinandergepresst, die Lippen zusammengekniffen, in seiner Kehle lassen Angst und Scheu einen Kloß anwachsen, den er nicht mehr schlucken kann. Neben ihm schreien sich Kiki und Sander die Stimmen heiser, vor ihm explodieren Kanonenschläge und Feuerwerksraketen auf dem Bürgersteig, der Geruch verbrannten Pulvers erfüllt die Luft.
In Schlachtordnung marschieren sie Richtung Frontlinie an der Jan Luijkenstraat, gleich hinter dem Reichsmuseum, wo das Blaue Pack damit beschäftigt ist, das Lucky Luijk zu räumen.
Keine halbe Stunde zuvor war die Telefonkette der besetzten Häuser, die sie hier nach ihren illegalen Bewohnern Kraakpanden nannten, in Gang gesetzt und Alarm geschlagen worden. Nach dem Anruf in ihrem Haus hatte Kiki die Info an die Kraker von fünf anderen Häusern weitergegeben, von denen jedes wiederum weitere fünf zum Einsatz rief.
In der kleinen Autowerkstatt im Keller warf Sander ihm eine weite braune Lederjacke und einen Mopedhelm zu. Das unverzichtbare Palästinensertuch hatte er sich schon vorher selbst gekauft. Kiki griff nach seinem Unterarm und schrieb mit Kugelschreiber eine Nummer auf die Haut.
»Für den Fall, dass du einen Anwalt brauchst.« Sie tätschelte seine Wange. »Guck nicht so schissig, es ist ja nicht der Zweite Weltkrieg.«
Als er die Jacke angezogen hatte, schob sie ihm einige dicke Zeitungen durch die Ärmel bis zu den Oberarmen. »Heb mal die Arme hoch und bleib still stehen.«
Er gehorchte sofort und verwandelte sich in ein Standbild von Madame Tussaud. In der vergangenen Nacht hatte er zum ersten Mal mit Kiki geschlafen, und zur Not hätte er Handstand gemacht, um wieder in den Genuss ihrer Berührungen zu kommen. Sie nahm ein Stück Gartenschlauch von der Wand, bog es zu einer Schleife zusammen und baute sich vor ihm auf. Dann schlug sie mit voller Kraft auf seinen Oberarm. Er zuckte zusammen, während schon der zweite Schlag folgte.
Er konnte seine Erleichterung kaum verbergen, als sie den Schlauch endlich sinken ließ. »Du bist mein Schutzengel. Ich habe nichts gespürt.«
Eine kleine Lüge. Er fühlte die Schläge noch nachglühen, aber seine Wehleidigkeit sollte die Großartigkeit ihrer Fürsorge auch nicht ansatzweise herabwürdigen.
Sander sah ihn prüfend an, während er sich sein Palästinensertuch um den Hals wickelte.
»Du hast doch kein Adressbuch dabei? Oder einen Kalender?«
Er schüttelte brav den Kopf.
Sander drückte ihm ein Fläschchen Zitronensaft in die Hand. Als Marcel es in seine Tasche stopfte, fand er ein paar Rollen darin. Pfefferminz? Er zog eine heraus und versuchte, die kleinen Buchstaben auf der Umwicklung zu entziffern.
»Reibkopfböller«, erklärte Sander. Schau mal nach, ob da auch eine Streichholzschachtel ist.«
Er durchsuchte erneut die Taschen der Lederjacke und zog eine hervor.
»Nur zünden, wenn du danach definitiv abhauen kannst«, hatte Sander gewarnt.
Bis zu diesem Moment sind alle Böller noch in seiner Tasche. Eine Sirene nähert sich heulend. Ein Polizeibus rast vorbei, verfolgt von einem Schwarm aus Steinen, wütendem Pfeifen und Buhrufen.
Zeit, sich den Schal über Mund und Nase zu ziehen und Teil der anonymen Menge zu werden. Aber vor allem ist er froh, auf diese Weise verbergen zu können, dass er nicht mitschreit. Obwohl seine Solidarität mit den Krakern außer Frage steht. Doch er ist nur Gast in diesem Land, vor gerade zwei Wochen eingetroffen in dieser pulsierenden Stadt, ein Auftakt nach Maß für seine Reise durch Europa. Da sollte man sich eigentlich doch halbwegs … oder ist das schon wieder zu spießig gedacht? Wahrscheinlich, nein, ganz sicher. Aber wie sollte auch ein bisschen Krawall gleich die Resultate von zehn Jahren Anstandstraining erschüttern? Und überhaupt ist der entscheidende Grund für sein Schweigen ein anderer.
Er ist ein Deutscher. Und gegenüber schreienden Deutschen sind Niederländer seit dem 10. Mai 1940 nun mal allergisch. Das hat er schnell gelernt in der kurzen Zeit, in der er bei seinen neuen Freunden im Kraakpand logiert, ja, sogar hier, im befreiten Gebiet der Hausbesetzerszene. Eine Erbsünde, die ihm kein Dezibel Stimmanhebung gestattet, ohne dass ihm jemand mit einem Finger unter der Nase in rasselndem Deutsch eine Hitlerimitation entgegenschmettert. Der Unterschied zu den Reaktionen der Leute draußen äußert sich bei den Krakern immerhin in einem darauffolgenden Lachkick und einem freundschaftlich weitergereichten Joint, der die Wunden der Vergangenheit wieder wohlig wattiert.
Er zieht Kikis Arm noch fester an sich heran. Links von ihm läuft Sander in graugrüner Militärjacke und mit aufgezogenem Mopedhelm, auf den Schultern einen kleinen, straff gebundenen Rucksack.
Schon zwei Wochen, in denen er auf diesem wilden Karussell mitfährt, angetrieben von der Energie aus Freiheit und Widerstand, zwei Pole, zwischen denen das Leben nie stillzustehen scheint. Seinen Schlafsack hatte er bereits an drei verschiedenen Adressen aufgerollt. Erst in der vorgesehenen Jugendherberge, dann in einer Studentenbude und schließlich im Kraakpand. Marcels Vater würde jubeln: Der brave Sohn in einem besetzten Haus! Aber der Großvater würde sicher sofort alle Hebel in Bewegung setzen, ihn zurückzuholen.
Auf seiner Jacke prangt ein knallroter Button mit einem schwarz umzirkelten A. Ein Geschenk gestern von Kiki. Sie nahm ihn von ihrem eigenen Pulli ab und steckte ihn an seinen Ärmel. Als Zeichen, sagte sie. Aber für was? Gehört er nun zu den Anarchisten oder den Autonomen? Oder zu ihr? In seiner Stadt in Deutschland laufen nur die Punks mit dem Zeichen umher, bierüberschüttetes Pogen, No-Future-Frust, Stinkefinger gegen all die hässlichen, keifenden Klein- und Großbürger. Verhinderte KZ-Wärter. Aber hier, hier ist der Button das Zugangsticket zu einer Welt voller spielerischer Aktion und immer wieder neuen Überraschungen.
Im Zug nach Amsterdam hatte er sich noch ganz auf eine Reise mit höchstens flüchtigen Begegnungen eingestellt. Niederländisch Grundkurs, Französisch Grundkurs, Englisch Leistung, alles mit Eins. Die trotzdem drohende Einsamkeit hatte ihm keine Angst gemacht. Der Europatrip war Wunsch und Geschenk seines Vaters gewesen. Ein ewiger Hippie mit der sehnlichsten Hoffnung, der Junge sollte endlich mal locker werden nach dem glanzvoll bestandenen Abitur. Während der Großvater in seltener Eintracht mit dem verlorenen Sohn die Reise des Enkels befürwortete, von der Grand Tour schwärmte und ihm einen Berg von Literatur zur Vorbereitung hinlegte. Bevor du Wirtschaft oder Jura studierst – entscheiden kannst du dich ja nach deiner Rückkehr.
Ein fremdes Leben, von dem er sich gerade in Lichtgeschwindigkeit zu verabschieden scheint, denn hier gehört er jetzt schon voll und ganz dazu. Seit ihm der erste Joint unter die Nase gehalten wurde. Also ziemlich genau dem zweiten Tag in Amsterdam.
Da hatte er sich im Vondelpark vor einem Frühlingsschauer in ein schummriges Zelt gerettet, aus dem Reggaemusik schallte. Er hatte noch nie eine Zigarette angefasst, aber dieses Zeug zog er, ohne zu husten, gleich tief in die Lungen ein. Sich mit einem Lächeln bedankend, wollte er den Joint zurückgeben, aber ein Finger wies zu seiner Seite, auf ein Gesicht, das sich irgendwo hinter einer Menge Dreadlocks verbarg. Dann spürte er schon, wie sein Körper zu kribbeln begann und immer leichter wurde, Schwebezeit. Jemand sprach ihn mit »Heinz« an.
»Ich heiße aber …« Aber wie kleinlich wollte man denn sein. Er grinste.
Zwei Stunden später lief er mit seinen neuen Kameraden zu einer Ente. Sie fuhren in ein ruhiges Viertel am Stadtrand, dessen Namen er nicht richtig aussprechen konnte. Oilenstede, Oelenstede, er wiederholte es immer wieder, bis sich die ganze Meute in einem heftigen Lachkick verlor.
Sie parkten vor einem Hochhaus, über dessen Eingang jemand »Residenz Betonrost« gepinselt hatte. Irgendwann viel später fiel er in einer Studentenbude auf der Couch in tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen holte er seinen Rucksack aus der Jugendherberge. Und am Abend stand er schon zusammen mit einem Schlaks namens Sander Schmiere, während der Rest der Truppe Parolen gegen den Häuserleerstand auf die Wände in der Innenstadt malte.
Die Haschdealer fanden in ihm einen guten Kunden, denn er bezahlte seine Unterkunft mit großzügig verteilten pieces. Trotzdem musste er sie schon zwei Tage nach der nächtlichen Malaktion wieder verlassen, als der eigentliche Bewohner des Apartments wiederauftauchte und überrascht feststellte, dass der Nachbar es in einen Partyraum umgewandelt hatte.
»Ich wüsste da noch einen Schlafplatz.« Kiki nahm ihn unter ihre Fittiche und verschaffte ihm ein eigenes Zimmer in ihrem besetzten Haus.
Logisch, dass er sich zum Dank jetzt an diesem lichten Herbsttag mit auf den Weg zu einem Kraakpand macht, das die »Lakaien des Kapitals« räumen wollen. Sich wehren und zugleich gegen Wohnungsnot, Leerstand, Spekulanten und Luxussanierer zu demonstrieren, prima. Aber vor allem gut, um sich in der wuchtigen Anwesenheit und im gerechten Zorn so vieler...
Erscheint lt. Verlag | 10.7.2019 |
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Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Amsterdam • Berlin • Cannabis • Deutschland • Haschisch • Kriminalroman • Legalisierung • Marihuana • Niederlande • Spannung |
ISBN-10 | 3-293-31045-1 / 3293310451 |
ISBN-13 | 978-3-293-31045-2 / 9783293310452 |
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