Tödliche Fremde (eBook)
180 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98539-0 (ISBN)
Der Münchner Autor und Buchhändler Wolfgang Borsich lebt seit 1983 die meiste Zeit des Jahres auf Lanzarote. Dort schrieb er zunächst Lyrik und Reiseliteratur. Er begann zu fotografieren und gründete 1993 einen eigenen Verlag, der Bücher zu Themen der Kanarischen Inseln herausgibt. 2010 wurde er für seine Arbeiten über Lanzarote von der Lanzaroter Regierung ausgezeichnet. Nun hat er mit »Tödliche Fremde' - Ein Lanzarote Krimi« seinen ersten Roman verfasst.
Der Münchner Autor und Buchhändler Wolfgang Borsich lebt seit 1983 die meiste Zeit des Jahres auf Lanzarote. Dort schrieb er zunächst Lyrik und Reiseliteratur. Er begann zu fotografieren und gründete 1993 einen eigenen Verlag, der Bücher zu Themen der Kanarischen Inseln herausgibt. 2010 wurde er für seine Arbeiten über Lanzarote von der Lanzaroter Regierung ausgezeichnet. Nun hat er mit "Tödliche Fremde" – Ein Lanzarote Krimi" seinen ersten Roman verfasst.
1
Salas legte den Gurt an. In wenigen Minuten sollten sie starten. Dann würde er seiner Heimatstadt München den Rücken kehren. Seinem Beruf. Seiner Firma. Seinen Freunden. Vorerst für unbestimmte Zeit. Ein halbes Jahr vielleicht. Vielleicht auch länger.
Er blickte nach rechts zu der Frau, die gerade neben ihm Platz genommen hatte. Sie musste eine starke Raucherin sein. Der Zigarettendunst schien aus allen Poren zu dringen. Irgendwie erinnerte sie ihn an Dora. Ihre roten Haare, die Sommersprossen. Ihre Hände, wie sie auf den Oberschenkeln lagen, sodass die Ellenbogen nach außen zeigten, als hätte sie die Hände in die Hüfte gestemmt. Die langen schlanken Finger. Die grün lackierten Fingernägel …
Schnell drehte er den Kopf in die andere Richtung, als wollte er das Bild und die Erinnerung an Dora vertreiben, und schaute aus dem Fenster. Ein Flugzeugschlepper schob gerade den Airbus neben ihnen aus der Haltebucht.
Salas ließ den Kopf gegen die Lehne sinken. Die ganze Nacht über hatten Hermann Müller und er noch versucht, die letzten wichtigen Dinge zu besprechen. Welche Wünsche der eine oder andere Kunde geäußert hatte. Welche Aktien aus ihren Portfolios genommen und verkauft und welche hinzugekauft werden sollten. Schließlich sollte Hermann die Geschäfte allein weiterführen, bis Salas wieder zurückkäme – falls er zurückkäme. Aber Salas hatte sich kaum konzentrieren können, und so blieben am Ende viele Fragen offen. Etwa, wann sie ihre Algorithmen optimieren lassen sollten, oder wie zu reagieren wäre, falls Mr. Scott doch noch den Klageweg einschlug …
Hermann hatte ihn schließlich an den Flieger gebracht und die ganze Fahrt über auf ihn eingeredet: Dass Salas sich keine Sorgen machen müsse. Dass er sein Handwerk beherrsche. Und dass er ihn, wenn er Fragen hätte, doch telefonisch erreichen könne …
»Erhol dich erst mal gut! Ich komme allein klar«, hatte er ihm zum Abschied noch zugerufen und dabei so heftig gewunken, als würden sie einander tatsächlich das letzte Mal sehen.
Die Lautsprecher knackten. Eine weibliche Stimme bat um Aufmerksamkeit. Dann begann sie, die Sicherheitsvorkehrungen zu erklären. Die Stewardessen hatten sich schon im Gang aufgestellt. Jetzt zeigten sie, passend zum Text, auf die Notausgänge und hantierten mit Gurten, Schwimmwesten und Atemmasken in ihrer stummen Choreografie. Salas fragte sich, ob das im Ernstfall wirklich etwas nutzen würde. Könnte ich mich in meiner Panik erinnern, was ich zu tun habe? Und könnte ein Flugzeug auf dem bewegten Meer überhaupt notlanden? Oder wassern, wie man auch sagt? Ohne mit einem der Flügel ins Wasser einzutauchen? Dann wäre es nämlich schnell vorbei mit der gelungenen Notlandung. Vermutlich würde das Flugzeug bersten. Es würde auseinandergerissen. Vielleicht explodierte auch das Kerosin, das in den Tragflächentanks gelagert war. Oder man geriete so tief unter Wasser, dass man keine Chance mehr hätte, rechtzeitig an die Oberfläche zu kommen, bevor einem die Luft ausginge.
Als die Triebwerke gestartet wurden, fuhr Salas aus seinen Gedanken hoch. Jetzt bewegte sich auch ihr Airbus aus der Haltebucht auf das Rollfeld hinaus.
Salas hatte Lust, die Frau neben ihm zu fragen, ob sie glaube, dass diese Sicherheitsbelehrung sie im Ernstfall retten könnte. Aber dann ließ er es lieber. Nicht weil er sie nicht erschrecken wollte. Salas wollte einfach nur seine Ruhe. Keinen Kontakt! Nicht reden. Mit niemandem! Schweigen. So lange und wann immer es ging.
Wieder schaute er zum Fenster hinaus und beobachtete, wie sie zur Startbahn fuhren.
Und wieder knackten die Lautsprecher.
»Ready for take off.«
Salas zog seinen Gurt etwas enger. Die Triebwerke heulten auf. Er genoss den Start, die zunehmende Geschwindigkeit. Wie ihn die Beschleunigungsenergie in die Rückenlehne drückte! Fast so stark wie bei seinem Aston Martin, wenn er Vollgas gab. Aber wann, dachte er, kann ich die Kraft meines Wagens auf den öffentlichen Straßen schon mal voll nutzen?
Er sah zu, wie er sich von seiner Heimat immer weiter entfernte. Die Felder und Wiesen, die Dörfer, die immer kleiner wurden; sie erinnerten ihn an Inseln in der bewaldeten Landschaft. In der Ferne erblickte er die Alpen. Auf manchen Gipfeln lag noch Schnee. Wie lange war er nicht mehr zum Skifahren gekommen? Wann war er das letzte Mal auf einen Berg gestiegen? Einen Augenblick lang verspürte er Wehmut. Dann flogen sie durch eine dünne Wolkendecke hindurch. Jetzt waren nur noch das Blau des Himmels zu sehen und einige Gipfel der höchsten Berge, die durch die Wolken stachen.
Als sie ihre Reisehöhe erreicht hatten, kam die Stewardess mit dem Servierwagen vorbei, der mit Snacks und Getränken bepackt war. Da es keinen Champagner gab, bestellte Salas einen Piccolo.
Nachdem er den Sekt getrunken hatte, richtete er sich zum Schlafen ein. Er blies seine Halskrause auf, die ein Kopfkissen ersetzen sollte, und legte sie um den Nacken. Zuletzt öffnete er den Sicherheitsgurt und stellte seine Rückenlehne zurück. Kurze Zeit später war Salas eingeschlafen.
Irgendwann riss ihn ein regelmäßiges Knacken aus dem Schlaf. Dieses Mal waren es nicht die Lautsprecher.
Es war die rothaarige Frau neben ihm!
Sie hatte eine Tüte pipas aufgerissen und schob sich einen Sonnenblumenkern nach dem anderen in den Mund. Und jedes Mal gab es ein knackendes Geräusch, wenn sie die Schale mit den Schneidezähnen aufbrach, um mit der Zunge den Kern herauszupulen. Dann: Flopp! Sie spuckte die Schale mit einem lauten Flopp in eine Tüte, die sie wohl eigens dafür mitgebracht hatte.
Salas schaute zu ihr hinüber. Plötzlich trafen sich ihre Blicke. Schnell hielt sie ihm die Tüte vor die Nase und lächelte schief.
»¡Coge!«, sagte sie.
Salas schüttelte den Kopf. Das Knacken ging weiter. Wieder musste er an Dora denken. Ob er sie noch einmal in diesem Leben sehen oder wenigstens mit ihr reden wollte? Eher nicht, dachte er. Dabei habe ich sie noch bis vor Kurzem heiraten wollen …
Jetzt starrte er minutenlang nach vorne auf den Vorhang hinter dem Cockpit. Bis er merkte, dass sich wieder einmal längere Zeit nichts in ihm bewegt hatte. Kein Gedanke und kein Gefühl. Nichts. Absolute Leere. Als hätte sich sein Gehirn eigenständig abgeschaltet.
Säße er überhaupt in diesem Flugzeug, wenn ihn nicht der Arzt zu einer längeren Auszeit gedrängt hätte? Wenn er ihm nicht gesagt hätte, dass es die einzige Möglichkeit wäre, seine chronische Erschöpfung zu überwinden?
Obwohl Salas nicht gern sein eigenes Blut rauschen hörte, steckte er sich Stöpsel in die Ohren – das einzige Mittel gegen seine pipa-knackende Nachbarin.
Irgendwann wurde er von einem Ellenbogenrempler geweckt, und er blickte die Frau neben sich an. Sie zeigte auf die Stewardess, die gerade etwas zu ihm sagte. Er nahm die Stöpsel heraus …
»Schnallen Sie sich bitte an! Wir sind bereits im Sinkflug«, forderte sie ihn auf und lächelte. »Haben Sie gut geschlafen?«
Salas blickte sich verlegen um. Hoffentlich hatte er nicht geschnarcht. Er nickte und legte den Gurt an.
Salas würde sein Leben auf Lanzarote radikal entschleunigen und nur das tun, worauf er wirklich Lust hatte. Und plötzlich fühlte er zum ersten Mal so etwas wie Vorfreude auf die Insel. Wie oft wollte er sie schon besuchen! Auf den Spuren seiner Eltern, die vor knapp fünfzig Jahren hier waren. Sein Vater hat damals viele Fotos auf Lanzarote geschossen. Von der Landschaft und von den Leuten. Bilder einer Insel, auf der Salas angeblich gezeugt worden ist. Er hatte fast alle dabei. Und er wollte schon seit Langem die damaligen Schauplätze mit dem heutigen Zustand vergleichen und aktuelle Fotos dazu schießen. Nie hatte es geklappt. Das lag vor allem an Dora, die ihren Urlaub lieber in der Toskana verbrachte.
Auch wenn er nicht wissen konnte, was ihn auf Lanzarote erwarten würde, ob er seine Probleme in den Griff bekäme oder ob sie noch schlimmer würden, so fühlte er sich jetzt trotzdem wohl. Im Gegensatz zu meinem Beruf, dachte er, wo Ungewissheit nervenaufreibend und geschäftsschädigend sein kann, ist sie in diesem Fall doch eher erholsam. Und zumindest einige Dinge sind ja gewiss. Die Hotelsuite ist für ein halbes Jahr gebucht. Hermann wird mich in München gut vertreten. Da habe ich überhaupt keine Zweifel. Ich habe vorerst keine beruflichen Verpflichtungen mehr. Ich kann also tun und lassen, was ich will. Wann hatte ich das schon mal?
Bald erblickte Salas auf der linken Seite eine kleine Insel, hinter der eine größere lag, die von oben aus betrachtet wie ein Stück schwimmendes Holz aussah. Auf dem Bildschirm vor ihm konnte er lesen, dass es die Inseln Lobos und Fuerteventura waren.
Der Pilot drehte eine steile Rechtskurve. Jetzt konnte Salas auch Lanzarote sehen. Im Landeanflug zogen sie an der stark besiedelten Küste vorbei. Sie flogen immer dichter über dem Meer, als sollte das Flugzeug tatsächlich auf dem Wasser landen.
Salas drehte sich zu seiner rothaarigen Nachbarin, die verschreckt dreinblickte und sich am Vordersitz festkrallte.
»Wussten Sie, dass die Luftfahrtingenieure nicht von einer Landung sprechen, sondern dass es sich bei diesem Vorgang wissenschaftlich betrachtet um einen kontrollierten Absturz handelt?«
Die Augen der Frau weiteten sich.
»Ist mir nur grad eingefallen«, meinte Salas und blickte wieder zum Fenster hinaus.
*
Als Salas die Gangway hinabstieg und Lanzaroter Boden betrat, die Ledertasche und den Borsalino in der Hand, sein beiges Leinensakko über dem Arm, umfing ihn eine angenehme Wärme. Wie eine herzliche Umarmung. Als wäre es das Wesen der lanzaroteños, ihre Besucher auf diese Art willkommen zu heißen. Ein...
Erscheint lt. Verlag | 2.4.2019 |
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Reihe/Serie | Salas ermittelt | Salas ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bücher für den Urlaub • Insel • Krimi Insel • Kulinarischer Krimi • Lanzarote • Mord • salas • Spanienkrimi • Urlaubskrimi • Zwillinge |
ISBN-10 | 3-492-98539-4 / 3492985394 |
ISBN-13 | 978-3-492-98539-0 / 9783492985390 |
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Größe: 5,1 MB
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