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Opakalypse (eBook)

Ein bitterböser Altenheimroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
230 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98519-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Opakalypse -  Ingo Bartsch
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Ein bitterböser, tod(!)komischer und zugleich nachdenklicher Roman über die Missstände in der Altenpflege, soziale Ungerechtigkeit und den medizinischen Nutzen von Marihuana.  Jules Wicküler hat ein Problem: Dem Endzwanziger aus reichem Elternhaus wird der Geldhahn zugedreht - er braucht einen Job. In seiner Not bewirbt er sich bei einer Zeitarbeitsfirma, die ihn als Pflegehelfer an das Altenheim Haus Nikolaus vermittelt. Dort erwarten ihn Demenz, Körperausscheidungen, Stress, eine fiese Oberschwester und jede Menge Pflegemissstände. Nach anfänglichem Fluchtimpuls entwickelt Jules bald den Ehrgeiz, den alten Menschen im häufig urkomischen, doch leider viel zu oft auch furchtbaren Heimalltag zur Seite zu stehen. »Wenn man klug ist, und so klug wird hier zwangsläufig jeder, zieht man den Bewohnern nichts an, was zugeknöpft werden muss. Jeder Knopf, egal, ob zu- oder aufgeknöpft, ist Zeitverschwendung. Weite T-Shirts und Jogginghosen sind erste Wahl.«

Ingo Bartsch, Baujahr 1979, Erstzulassung 1980, ist Schriftsteller. Sein großes Ziel ist der Literaturnobelpreis 2040, dann die Titelverteidigung 2041 sowie im Jahr darauf das Double aus Literatur- und Friedensnobelpreis. Bis dahin schreibt er fleißig Bücher, die nobelpreisverdächtig unterhaltsam sind, etwa über höllische Altenheime oder eskalierende Schlagerköniginnen. Die erfreuliche Nachricht vom Nobelpreiskomitee wird ihn vermutlich in einer Bar oder auf dem Tennisplatz erreichen. Und Deutschland kann aufatmen: Zur Verleihung wird er sicher nicht in einem peinlichen Outfit erscheinen, denn er hat gleich drei Töchter, die ihn beraten.

Ingo Bartsch, 38, ist Lesebühnenveteran und Veranstalter der Mainzer Lesebühne "die Leselampe". Derzeit ist er Medienschaffender und in der Umschulung auf Sozialarbeiter befindlich. Ingo Bartsch lebt mit Frau und drei Töchtern bei Mainz.

5


Ich bin auf dem Weg zu Powerjob. Es ist kurz vor acht Uhr morgens. Ich komme mir vor wie ein Ethnologe im Dschungel: So sieht also die arbeitende Bevölkerung aus. Müde Blicke, Kopfhörer auf oder in den Ohren, Parfümwolken, Ledertaschen. Die Tram saugt sie ein und spuckt sie wieder aus. Sie entweichen in alle Richtungen wie Pusteblumensamen, verschwinden in Seitenstraßen und Gebäuden, werden von Unterführungen verschluckt und wieder ausgeschieden. Und ich mittendrin, aufgekratzt, unruhig. Ich habe nichts geraucht an diesem Morgen. Nadja hat es so gewollt. Ich leiste Gehorsam, um jedwede Eskalation zu vermeiden. Sie hat gesagt, es freue sie, dass ich meinem Leben einen Sinn geben will. Ich habe mir die Kränkung nicht anmerken lassen.

Das Logo von Powerjob sieht aus wie ein Penis, der in einem Blumenkübel steckt. Powerjob sitzt in einem unscheinbaren Gebäude. Ich bin wohl tausendmal an dieser Stelle mitten in der City vorbeigekommen, aber ich habe nie Notiz von diesem Haus oder dieser Firma genommen. Außerdem hier ansässig: ein Rechtsanwalt und Notar, eine Firma für IT-Sicherheit und eine Urologenpraxis. Es ist merkwürdig: Erst im Aufzug, auf dem Weg in den dritten Stock, in dem Powerjob seine Räumlichkeiten hat, führe ich mir mein doch recht gestörtes Verhältnis zu alten Menschen vor Augen.

Zum Beispiel vermeide ich es, meine kriegsgeschädigte Großmutter Elvira zu besuchen. Außer ihr habe ich keine meiner Großeltern kennengelernt. Nur diese mürrische Frau, die zurückgezogen in einer Zweizimmerwohnung lebt, die sie über und über mit christlichen Devotionalien dekoriert hat, gipfelnd in einer überdimensionierten, detailgetreuen Nachbildung der Geburtsszene Jesu, die mitten in ihrem Wohnzimmer auf zwei Tapeziertischen steht und keinen Platz lässt für Dinge, die normalerweise in ein Wohnzimmer gehören. Oma Elvira hat kein Sofa, keinen Wohnzimmertisch, keinen Fernseher. Nur Little Bethlehem mit den Kunststoffabbildern seiner Helden: Baby Jesus mit Josef und Maria, die drei Könige, der Engel, Ochse und Esel, Schafe und Ziegen, alle sind sie da. Sogar Kaiser Augustus steht herum, allerdings etwas abseits. Das echte Stroh für den Stall bezieht Oma Elvira aus einer nahen Tierbedarfshandlung. Der Stern von Bethlehem baumelt von der Decke, an der Wand ist ein Schalter, mit dem sie den heiligen Himmelskörper dimmen kann.

Wenn man Oma Elvira besucht, wird das Radio etwas leiser gedreht. Nur etwas. Meine Großmutter ist schwerhörig und hört den Schlagersender den ganzen Tag in Konzertsaallautstärke. Sitzt der Enkel am Küchentisch, regelt sie die Volksmusik von großem auf kleinen Konzertsaal runter. Dann schiebt sie mir die Schüssel hin, in der braune Bananen, mit Druckstellen übersäte Äpfel und saisonaler Kompost liegen. »Da, iss mal was Gesundes«, schimpft sie, ohne dass ich mir etwas habe zuschulden kommen lassen. Und nahtlos knüpft sie an: »Wir hatten ja damals nichts. Du weißt ja gar nicht, was wir damals mitgemacht haben, als der Tommy die Bomben auf uns geworfen hat.« Damit beginnt ihre Lebensgeschichte als Hörbuch, begleitet von den Hits Andrea Bergs und Howard Carpendales. Ich sitze in der von warmer, säuerlich riechender Luft erfüllten Küche, schalte mein Gehirn aus und lasse es über mich ergehen. Ich besuche Großmutter Elvira circa einmal jährlich. Und das ist schon eine harte Dosis.

Es erscheint mir mit einem Mal völlig grotesk, in der Altenpflege zu arbeiten. Oma Elvira mal x. Was hat mich geritten? Doch da spüre ich schon eine feingliedrige, kühle Hand in meiner.

»Herr Wicküler? Dana Dick, wir haben telefoniert. Herzlich willkommen bei Powerjob!«

Ich entsinne mich. Jetzt bin ich also da. Dana Dick und das Penislogo.

»Julius Wicküler, freut mich auch.«

»Nehmen Sie doch hier Platz, Herr Wicküler. Herr Mecht ist gleich für Sie da.«

Sie parkt mich in einem Raum, der bis auf einen Tisch und drei Stühle vollkommen leer ist. Auf dem Tisch steht eine Schale mit kleinen Gummibärchentüten, auf denen der Powerjob-Penis abgebildet ist. Ich schaue Dana Dick hinterher. Eine hübsche Frau, etwa mein Alter, filigraner Körperbau, goldblonde Locken bis fast zum Po. Als sie außer Sichtweite ist, beginne ich, die Gummibärchen zu frühstücken.

Man lässt mich eine halbe Stunde und sechzehn Gummibärchentütchen lang sitzen. Dann platzt ein kahlköpfiger Mann mit einem Headset dermaßen unvermittelt herein, dass ich zusammenfahre.

»Gideon Mecht, grüße Sie! Bitte füllen Sie das hier aus, ich bin gleich bei Ihnen.«

Er wirft ein paar Zettel und einen Kugelschreiber auf den Tisch. Überall ist das Logo drauf. Ich blicke zu ihm hoch. Er trägt ein Namensschild: G. Mecht, Head of HR-Recruiting. Und natürlich das Logo.

»Unsere Gummibärchen schmecken Ihnen wohl ausgesprochen gut, Herr Wicküler?«

»Etwas hart. Sie waren alle abgelaufen.«

Das einnehmende Recruitinglächeln verschwindet aus Mechts Gesicht und er aus dem Raum.

Die Fragebögen fragen mich nach meiner beruflichen Erfahrung im Pflegewesen: null heißt keine, eins heißt wenig Erfahrung, zwei heißt angelernt, drei heißt ausgebildet. Ich kreuze fast überall die Null an, nur bei ein paar Tätigkeiten wie Körperpflege und Nahrungsanreichung wähle ich die Eins. Bei Hauswirtschaft lüge ich die einzige Zwei hin.

Nach zehn Minuten ist Mecht wieder da. Er diktiert eine Gummibärchenbestellung in sein Headset, »die mit unserem Logo, Sie wissen ja«, und nimmt mir gegenüber Platz. Ich erinnere mich an Nadjas Anweisungen: gerade sitzen, aber Brust nicht zu weit raus. Dem Gegenüber freundlich, dabei auch verbindlich in die Augen sehen. Deutlich, hochdeutsch und mit klarer Stimme sprechen.

Mecht betrachtet die ausgefüllten Bögen ungefähr zwei Sekunden lang, dann schiebt er sie zur Seite. »Schön. Wir brauchen noch diverse Unterlagen von Ihnen, Herr Wicküler, die sollten Sie bald nachreichen. Wann können Sie anfangen?«

»Äh – wie jetzt, anfangen?«

»Na, anfangen zu arbeiten. Ab sofort, ab dem nächsten Ersten … Das müssen wir schon wissen, Herr Wicküler.«

»Na ja, eigentlich kann ich ab sofort …«

»Prächtig!«, ruft Mecht. Ich hatte noch etwas hinzufügen wollen, aber sein Redeschwall begräbt meinen Nebensatz unter sich wie ein Erdrutsch. »Wir haben einen Kunden, der genau ab jetzt genau jemanden wie Sie sucht, Herr Wicküler. Ich werde noch heute Ihre Daten durchgeben. Soweit ich das überblicke, dürfte der Sache nichts im Wege stehen. Heute ist Donnerstag, ich gehe davon aus, dass Sie spätestens Montag anfangen können, wenn wir morgen einen Vororttermin beim Kunden machen und Sie den Vertrag unterschreiben. Frau Dick wird Ihnen eine Checkliste ausdrucken, auf der vermerkt ist, welche Unterlagen wir noch von Ihnen benötigen. Wann haben Sie morgen Zeit, Herr Wicküler?«

»Ich dachte … also … das Vorstellungsgespräch …«

»Herr Wicküler, haben Sie morgen Zeit?«

Ich bin völlig überfordert. Mein Kopf nickt.

»Prächtig! Dann gebe ich dem Kunden Bescheid. Wie viel Uhr passt Ihnen, sagen wir zehn Uhr?«

Entgeistert starre ich ihn an. Mein Kopf nickt immer noch.

Mecht zückt sein Smartphone, wählt und korrespondiert via Headset. »Herr Seitenberger, grüße Sie. Sitzen Sie bequem? Dann kann ich die Rakete ja starten lassen. Ich habe jemanden für Ihre Vakanz in WB 2. Ja, ja, prächtig, nicht wahr? Der junge Mann kann sofort anfangen und … Moment« – er wirft einen Blick auf meine Fragebögen – »ja, er ist deutscher Muttersprachler. Ja, ganz recht! Wir wären dann morgen, zehn Uhr, bei Ihnen. Prächtig, Herr Seitenberger, prächtig! Ciao, ciao!« Er strahlt mich an. »Herr Wicküler, wir sehen uns morgen, zehn Uhr, vor der Seniorenresidenz Haus Nikolaus, Haupteingang. Prächtig, nicht wahr? Frau Dick druckt Ihnen eine Wegbeschreibung aus. Darf ich Ihnen noch Ihr Willkommensgeschenk geben?« Er überreicht mir einen Schlüsselanhänger aus Filz, natürlich mit dem Logo.

Kurz darauf stehe ich wieder vor dem Gebäude. Mein sogenanntes Vorstellungsgespräch hat nicht einmal ein Zehntel der Zeit in Anspruch genommen, die ich mich mit Nadja darauf vorbereitet habe. Genauer gesagt, hätte mir Nadjas Bootcamp erspart bleiben können. Es sieht so aus, als hätte ich den Job, ohne auch nur drei Sätze in dem vermeintlichen Vorstellungsgespräch geäußert zu haben. Ich weiß nichts über meine Arbeitszeiten, meinen Lohn, meine Arbeit an sich. Ich bin genau so dumm wie vorher. Bloß habe ich jetzt einen neuen Schlüsselanhänger.

Zu Hause rauche ich ein paar Joints. Wie ein Sandsack werde ich von verschiedenen Emotionen hin und her geprügelt. Da ist Euphorie: Ich habe mich eigenständig um einen Job beworben und bekomme ihn wahrscheinlich! Da ist Angst: Was wird mich in der Seniorenresidenz erwarten? Da ist Selbstüberschätzung: krass, wie ich das Vorstellungsgespräch gerockt habe! Der Job wird mir umso leichter fallen. Und da ist Aufrichtigkeit: Ich habe keine Lust, zu arbeiten. Ich finde Arbeit scheiße. Ich bin faul. Ich will nicht. Ich will nicht. Ich will …

Nadja taucht aus dem Nebel auf wie ein böses, blutdürstiges Tier in einem Horrorfilm. »Du bist nicht hingegangen, stimmt’s?«, sagt sie mit Blick in meine glasigen roten Augen, bereit, mich zu zerfleischen.

»Doch, bin ich«, triumphiere ich.

»Ach.«

»Ja. Und weißt du was?«

»Was denn?«

»Ich werde morgen den verdammten Arbeitsvertrag unterschreiben.«

»Den verdammten Arbeitsvertrag, Jules?«

»Den verdammten Arbeitsvertrag, jawohl. Womit du sicher nicht gerechnet hast.«

»Das habe ich nicht.«

Meine Eier sind plötzlich so groß wie zwei Medizinbälle. »Ich kann sofort anfangen. Die haben zwar versucht, mich auszubremsen, aber ich...

Erscheint lt. Verlag 2.4.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Altenheim • Altenpflege • bitterböse • Buch • Buch Altenpflege • Bücher • Demenz • ebook bestseller • Enthüllung • Großmutter • Großvater • Horror Pflege • Humor • Humor Bücher • Marihuana • Neuerscheinung 2019 • Oma • Omi • Opa • Opi • Parodie • Personalmangel • Pflege • Pflege-Austand • Pflegeberufe • Pflegeheim • Pflegekräfte • Pflegemissstand • Pflegenotstand • Rentner • Sarkasmus • Schwarzer Humor • Soziale Ungerechtigkeit • Unterhaltung ebook • Zustand in Pflege
ISBN-10 3-492-98519-X / 349298519X
ISBN-13 978-3-492-98519-2 / 9783492985192
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