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Todesblues in Chicago -  Ray Celestin

Todesblues in Chicago (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
592 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99313-5 (ISBN)
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Wenn Al Capone einen Auftrag erteilt, sollte man ihn lieber annehmen ... Chicago 1928. Bei einer illustren Party werden mehrere Mitglieder der High Society vergiftet. Mafiaboss Al Capone engagiert seinen Freund Dante, er soll herausfinden, wer für den Tod seiner Verbündeten verantwortlich ist. Dante nimmt den Auftrag widerstrebend an - denn er hat ein Geheimnis, das er vor Capone bewahren muss. Währenddessen suchen die Pinkerton-Detektive Ida und Michael eine vermisste Fabrikantenerbin. Die Spuren führen ins Rotlichtmilieu und in die Hinterzimmer der Jazzclubs. Ihre Wege kreuzen sich mit Dantes - und als sich herausstellt, dass die beiden Fälle zusammenhängen, sehen sich die drei Ermittler mit einem Täter konfrontiert, der ebenso mächtig wie wahnsinnig ist ...

Ray Celestin studierte Asiatische Kunstgeschichte und Sprachen in Großbritannien. Er ist Drehbuchautor für Film und Fernsehen und veröffentlichte bereits mehrere Kurzgeschichten. Auf seinen Debütroman Höllenjazz in New Orleans, der die britischen Bestsellerlisten und Feuilletons im Sturm eroberte, folgten mit Todesblues in Chicago und Gangsterswing in New York Band zwei und drei seiner »City Blues Quartett«-Reihe. Derzeit schreibt Ray Celestin an seinem vierten Roman.

Ray Celestin studierte Asiatische Kunstgeschichte und Sprachen in Großbritannien. Er ist Drehbuchautor für Film und Fernsehen und veröffentlichte bereits mehrere Kurzgeschichten. Auf seinen Debütroman Höllenjazz in New Orleans, der die britischen Bestsellerlisten und Feuilletons im Sturm eroberte, folgten mit Todesblues in Chicago und Gangsterswing in New York Band zwei und drei seiner "City Blues Quartett"-Reihe. Derzeit schreibt Ray Celestin an seinem vierten Roman.

 


New Orleans, August 1922


Louis Armstrong hastete den Bahnsteig hinunter, denn der Panama Limited war schon angerollt, den Pappkoffer in der einen, den Kornettkasten und die Fahrkarte in der anderen Hand. Mit Letzterer winkte er dem Bahnsteigschaffner, doch der würdigte sie keines Blickes. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, über den jungen Mann zu lachen, der sich, pausbäckig, verschwitzt und mit Gepäck überladen, abmühte, an den Waggons mit der Aufschrift Nur für Weiße vorbeizulaufen, um zu denen zu gelangen, auf die er aufspringen konnte, ohne Prügel fürchten zu müssen.

Der Zug pfiff, und Louis verdoppelte seine Anstrengungen, flitzte an einem Gepäckstapel und an einem amüsiert dreinblickenden Gepäckträger vorbei, erreichte den ersten Waggon, der mit dem Hinweis Für Farbige beschriftet war, schleuderte seinen Koffer hinein, nahm die Fahrkarte zwischen die Lippen, packte den Handlauf und schwang sich in den Zug. Just in diesem Augenblick gab der Lokführer ordentlich Dampf auf die Zylinder, und der Zug rollte stampfend aus dem Bahnhof hinaus ins Freie, wo der südliche Himmel in Flammen zu stehen schien.

Erschöpft hockte sich Louis auf den Boden und blieb einen Moment sitzen, um wieder zu Atem zu kommen. Seine Lunge brannte von zu wenig Bewegung und zu vielen Zigaretten. Er kramte nach einem Taschentuch, wischte sich damit den Schweiß vom Gesicht, um einigermaßen präsentabel auszusehen, und machte sich dann auf den Weg in sein Abteil. Als er es gefunden hatte, musste er feststellen, dass es eng und überfüllt war, in Beschlag genommen von einer großen Frau und einer ganzen Brut kleiner Kinder, die sich auf den beiden nackten Brettern aneinanderdrängten, die als Sitze dienten. Louis bedachte die Frau mit einem Lächeln, und sie fuhr die Kinder an, ihm Platz zu machen. Er schwang seinen Koffer in das Sisalnetz über den Sitzen.

»Wie heißt du, Junge?«, fragte die Frau, als Louis sich in eine Ecke gezwängt hatte.

»Louis Armstrong, Ma’am.«

»Bist du Mayanns Sohn?«

»Ja.«

»Ich kenne deine Mutter seit Jahren.« Ihr Tonfall deutete an, dass sie aus irgendeinem Grund stolz auf diese Tatsache war. »Wo fährst du hin?«

»Nach Chicago.«

»Wir auch. Hast du da Arbeit?«

»Ja, Ma’am. Ich spiele in Joe Olivers Band. Das zweite Kornett.«

»Joe Oliver?«, wiederholte die Frau und schob den Namen ein paar Sekunden in ihrem Gedächtnis hin und her, um zu schauen, ob er ihr etwas sagte. Dann zuckte sie die Achseln. »Na, dann wünsch ich dir viel Glück. Hast du schon was gegessen?«

»Nein, Ma’am.«

»Hast du was zu essen dabei?«

»Nein, Ma’am.«

Er hatte es so eilig gehabt, zum Bahnhof zu kommen, dass er keine Zeit gehabt hatte, sich irgendwo etwas zu kaufen. Die Frau sah ihn jetzt mit zusammengekniffenen Augen an. Der Zug hatte drei Speisewagen, einer servierte französische Gerichte à la carte, in einem anderen gab es eine Selbstbedienungstheke, und der dritte bot eine Auswahl kleiner Snacks, doch Schwarzen war in keinem von ihnen der Zutritt erlaubt. Die Frau machte »Ts, ts, ts«, dann rief sie dem ältesten Kind zu, es solle den Korb holen, und als das Kind ihn aus dem Netz gehievt und mitten im Abteil auf den Boden gestellt hatte, nahm sie das karierte Tuch herunter und verteilte Stücke von gebratenem Hühnchen und Wels, Maiskolben, panierte Okrabällchen, Maispfannkuchen und Limonadenflaschen. Kaum war er fünf Minuten aus New Orleans raus, hatte Louis schon das Gefühl, eine neue Familie gefunden zu haben.

Nachdem sie gegessen hatten, packten sie die Reste zurück in den Korb, und Louis spielte mit den Kindern, blickte aus dem Fenster, plauderte, rauchte, und dann schlief er ein, und der Tag wurde zur Nacht, und als er irgendwann aufwachte, sah er eine Galaxie von Stadtlichtern am Fenster vorbeifliegen, neonhelle Kleckse in der Dunkelheit, erahnte das dichte Gedränge unten auf den Straßen und dann das Summen der Natriumdampflampen in der Central Station an der 12th Street in Chicago.

Louis half der Frau aus dem Zug, und sie folgten dem Bahnsteig in die Bahnhofshalle. Er sah sich um, betrachtete die Menschen, bemerkte, wie schnell sie sich bewegten, wie sehr sie in Eile waren, wie elegant sie sich kleideten und wie schnittig, glatt und modern alles wirkte. Er fragte sich, ob er sich das alles einbildete, und drehte sich zum Zug um, zu den vielen Südstaatlern, die ihr Gepäck zusammenrafften, und der Unterschied sprang ihm förmlich ins Auge: die abgerissenen, altmodischen Kleider, die ramponierten Koffer, alles mit Armut überkrustet und mit dem Staub der Prärien des Südens.

Im Vergleich zu den Chicagoern sahen Louis’ Leute aus wie Flüchtlinge aus irgendeinem abgelegenen, Notleidenden Land, und in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass seine Ansichten über seine Heimat in dieser neuen Umgebung auf eine harte Probe gestellt werden würden, dass es ein Kampf werden würde, sich von dem Kontrast nicht zu sehr beeinflussen zu lassen. Den Süden zu verlassen war schwer genug: Es waren schon Schwarze gelyncht worden, bloß weil man gesehen hatte, wie sie am Schalter standen und eine Zugfahrkarte nach Norden kauften. In dem Irrglauben, es würde Jagdhunde von ihrer Fährte abbringen, streuten Mütter Pfeffer in die Schuhe ihrer Kinder, wenn die eine solche Reise unternahmen. Doch jetzt spürte Louis, dass diesen Menschen ein weiterer Kampf bevorstand, der Kampf, sich einzufügen, sich nicht übervorteilen zu lassen und sich selbst in dem Bemühen darum nicht zu verlieren.

»Und du weißt auch bestimmt, wo du hinmusst?«, fragte die Frau.

»Sicher, Ma’am. Joe Oliver schickt jemanden, der mich abholt«, antwortete Louis.

So, wie die Frau ihn anstarrte, war sie wohl nicht recht überzeugt. Doch dann nickte sie, sammelte ihre Kinder ein und wünschte ihm viel Glück. Sie war kaum in der Menschenmenge verschwunden, da bereute Louis auch schon, dass er sie angelogen hatte. Er drehte sich um und nahm die Unermesslichkeit des Bahnhofs und der Stadt in sich auf und erinnerte sich an die Geschichten über Jazzmusiker, die New Orleans verlassen hatten und an seltsamen Orten gestrandet waren. Übers Ohr gehauen von Veranstaltern und Schallplattenproduzenten, ohne einen Freund und ohne einen einzigen Cent, mussten sie auf der Straße betteln, um sich eine Zugfahrkarte nach Hause zu kaufen.

Er schüttelte den Gedanken ab und sah sich nach einer Toilette um, um sich frisch zu machen, damit er die Reise annähernd mit einem Gefühl von Sauberkeit fortsetzen konnte. Er entdeckte ein Schild und folgte dem Pfeil zu einigen Marmorstufen, die zu zwei Türen hinunterführten, auf denen die gewohnten Symbole für Männer und Frauen waren. Doch er konnte keinen Hinweis darauf finden, ob die Toiletten für Weiße oder für Farbige waren, und so stand er zögernd eine Minute lang da.

»Junge, du siehst verlorener aus als eine Schneeflocke in der Hölle«, sagte eine Stimme hinter ihm, und als er sich umdrehte, stand da ein alter Schwarzer in der Uniform eines Bahnhofsgepäckträgers und grinste. Etwas an dem Verhalten und den Worten des Mannes verriet Louis, dass er so eine Situation schon öfter erlebt hatte, dass er öfter Neuankömmlingen aus dem Süden half, die von dem, was sie gerade erlebten, wie benommen waren.

»Wo kommst du her?«

»New Orleans.«

»New Orleans?«, wiederholte der Mann mit sauertöpfischer Miene. »Für New Orleans hab ich nicht viel übrig. Finde den Biergeruch unausstehlich.«

Louis war unsicher, was er von der Bemerkung halten sollte.

»Wohin musst du?«, fragte der Mann.

»Southside.«

»Alle Schwarzen, die aus diesen gottverdammten Zügen steigen, wollen nach Southside, Junge. Wo in Southside, das ist die Frage.«

»Ins Lincoln Gardens. Ich werde in Joe Olivers Band spielen.«

»King Oliver?« Der Mann wurde plötzlich munter. »Bist du etwa der neue Kornettspieler, von dem alle reden?«

Louis runzelte die Stirn. Das konnte nur eine Verwechslung sein, denn seit wann wurde Papa Joe King genannt?

Der Gepäckträger führte ihn nach draußen, setzte ihn in ein Taxi und wies den Fahrer an, ihn direkt zum Lincoln Gardens Café zu bringen. Louis saß auf der Kante des Sitzes und sah die Stadt vorüberziehen. Sie fuhren aus dem Bahnhof, die State Street hinunter, an etwas vorbei, das aussah wie ein Rotlichtbezirk, und im Handumdrehen hatte Louis das Gefühl, dass sie im Herzen der Southside waren, dem Black Belt, der neuen Heimat des Jazz. Es war nach zehn, mitten in der Woche, und die Straßen waren so voll und belebt wie an einem Samstag in der Bourbon Street. Das Taxi fuhr an Jazzclubs und Bluesbars vorbei, an Chop-Suey-Läden und Billardsalons, Kinos und Varietés, hell erleuchtet von Neonreklamen in allen erdenklichen Farben, die grell in die Dunkelheit strahlten.

Sie fuhren unter Hochbahnen hindurch und an Straßenbahnen entlang, und in der Ferne leuchteten endlose Reihen von Wolkenkratzern in der Nacht, was Louis das Gefühl gab, die ganze Stadt würde auf einer Sternschnuppe reiten und vor Elektrizität, Chrom und Tempo nur so glühen. Von den Schwarzen, die in eleganten Anzügen und Kleidern durch die Straßen eilten, über den Verkehr und die vorbeirauschenden Züge bis hin zu den blinkenden Neonschildern – alles pulsierte vor unzähligen neuen Möglichkeiten.

Das Taxi bog links auf die 31st Street und setzte ihn vor dem Lincoln Gardens ab. Louis blickte an dem Gebäude hinauf und entdeckte das Schild über dem...

Erscheint lt. Verlag 2.4.2019
Reihe/Serie City-Blues-Reihe
City-Blues-Reihe
City-Blues-Reihe
Übersetzer Elvira Willems
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Dead Man’s Blues
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Al Capone • Bestseller • Boardwalk Empire • Chicago • City Blues Quartett • Entführung • Geschenk für Männer • historischer Krimi • Höllenjazz • Höllenjazz in New Orleans • Jazz • Krimi Neuerscheinungen 2019 • Krimireihe • Louis Armstrong • Mafia • Mord • Peaky Blinders • Prohibition • Thriller • Todesblues • Vergiftung
ISBN-10 3-492-99313-3 / 3492993133
ISBN-13 978-3-492-99313-5 / 9783492993135
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