Lola (eBook)
350 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76168-7 (ISBN)
South Central, L.A. Lola Vasquez ist klein, zierlich, unscheinbar, anscheinend eine chica unter vielen in der Latino-Gang The Crenshaw Six. Die Gang versucht, möglichst unauffällig zu agieren, und zu dieser Strategie in einer Mucho-macho-Welt gehört auch, dass Lola nicht sichtbar wird, denn in Wahrheit ist sie die Chefin der Gang, ebenso brillant wie rücksichtslos.
Die Karten werden neu gemischt, als sie in einen Krieg zwischen einem etablierten Großdealer, einem expansionswilligen mexikanischen Kartell und einem neuen Großlieferanten gezogen wird. Auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft mischen mit - eine Gang wie jede andere.
Lolas Achillesferse ist ihre Familie, ihre Crack-Mutter und ihr nicht allzu schlauer Bruder. Als es hart auf hart kommt, muss Lola ein paar Entscheidungen fällen, die alles andere als leichtfallen ...
<p>Melissa Scrivner Love ist die Tochter eines Polizisten und einer Gerichtsstenographin. Sie studierte Englische Literatur an der New York University und zog danach nach Los Angeles. Sie arbeitete für eine Reihe von Fernsehserien, darunter <em>Life</em> und <em>CSI Miami</em>. Für eine Episode von Person of Interest wurde sie mit einem Edgar ausgezeichnet. Für ihren ersten Roman, <em>Lola</em>, erhielt sie den Dagger Award 2018. Sie lebt in Los Angeles.</p>
Melissa Scrivner Love ist die Tochter eines Polizisten und einer Gerichtsstenographin. Sie studierte Englische Literatur an der New York University und zog danach nach Los Angeles. Sie arbeitete für eine Reihe von Fernsehserien, darunter Life und CSI Miami. Für eine Episode von Person of Interest wurde sie mit einem Edgar ausgezeichnet. Sie lebt in Los Angeles. 2020 erscheint der Sequel zu Lola: American Heroin. Sven Koch, geboren 1967, studierte Komparatistik in München. Seit 1994 ist er als Redakteur und Übersetzer tätig. Andrea Stumpf studierte Germanistik und Philosophie. Sie lebt als freie Übersetzerin in München.
1
Glut
Lola steht am Rand des verdorrten Rasenvierecks ihres und Garcias Garten. Er ist drüben am Grill, mit Grillzange in der einen, Corona mit Limette in der anderen Hand, und wird von einer Gruppe von Männern mit nackten Oberarmen und Schweiß auf der Stirn umringt. Ihr übliches Outfit – geripptes Achselhemd und löchrige Cargohose – offenbart ihre Crenshaw-Six-Tätowierungen. Wäre Lola mit Garcia allein, würde sie sich mit ihm abwechseln und sich auch um das rauchende Fleisch kümmern, aber so hält sie Abstand von der Glut, während das Nachmittagslicht in Huntington Park lange Schatten wirft. Jetzt steht sie im Zentrum einer Gruppe von Frauen, die ihre Hälse jedem hohen Gackern zuwenden, das Tratsch verspricht. Alle haben eine Hüfte seitlich ein wenig vorgeschoben, so als könnte jeden Augenblick ein Kind daraufgesetzt werden, das sie in den Schlaf wiegen müssen.
Am lautesten spricht Kim. Ihre Stimme klirrt wie Kleingeld auf dünnem Glas.
»Diese Chicas schwirren immer rum, als wären wir zu blöd zu kapieren, was sie abziehen. Ich an deiner Stelle, Lola, würd der Bitch ja stecken, dass sie meinen Kerl nicht anmachen soll.«
Lolas Blick erfasst eine Frau, jünger als sie, höchstens siebzehn, die um die Männer und speziell um Garcia rumscharwenzelt. Aber Lola kann sie verstehen. Jeder im Viertel weiß, was Garcia beruflich macht.
In Huntington Park, ein fast ausschließlich von Latinos bewohnter Vorort von Los Angeles, östlich von South Central, gibt es zwei ordentliche Jobs: schwarz gärtnern für die reichen Weißen in der Westside oder Zwölf-Stunden-Schichten in einer Fabrik in Vernon schieben. Die glücklichen unter den Fabriksklaven arbeiten in der Fleischproduktion; wer kein Glück hat, landet in einem der Tierkörperverwertungsbetriebe und bedient Maschinen aus schimmerndem Metall, in denen Fleisch und Knochen zermahlen werden.
Garcia verdient sein Geld weder so noch so, er hat sich für keine der sauberen Möglichkeiten entschieden. Er ist der Anführer der Crenshaw Six. Jeder, der um diesen Grill herumsteht, kann die von der Gang kontrollierten Straßenecken im Schlaf runterbeten – vom Altersheim an der Ecke Gage und State Street bis zum Zebrastreifen an der Mittelschule auf der Höhe der Marconi Street. Doch würde keiner wegen moralischer Skrupel auf schöne Spareribs und ein paar kühle Coronas verzichten. Drogen sind zwar keine angesehene, aber eine nachvollziehbare Art, sich in den Ghettos von Los Angeles den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Mitglieder der Crenshaw Six haben ihre Regeln – kein Verkauf an Kinder, kein Ansprechen von Alten, es sei denn, sie haben Schmerzen. Dieser Gangkodex lässt die Leute hier in der Gegend stillhalten, und alle – sowohl die mit sauberer Arbeit als auch die, die zum Überleben Verbrechen begehen – kommen miteinander aus. Alle mögen Ribs, hatte Lola zu Garcia gesagt, als sie die Partyidee aufgebracht hatte.
Garcia hatte anfangs keine Lust dazu gehabt. Er war müde von der Arbeit, die Geschäfte laufen schließlich gut, auch wenn das aus Furcht, sein Glück auf die Probe zu stellen, keiner von ihnen je aussprechen würde. Ihre kleine Goldgrube in South Central Los Angeles – als dazu zugehörig empfanden sie sich, auch wenn sie knapp hinter der Ostgrenze von South Central waren –, in der es eine Ladenzeile voller Waschsalons, fetttriefender Taquerias und Kautionsbüros mit Glasfronten gab, ist natürlich nicht die Wall Street. Hier kriegt man keine zweite Chance, niemand kommt hier wieder auf die Beine. Für Comebacks hat keiner Zeit. Statt einer Minimalstrafe in einem Weißenknast gibt’s hier eine Kugel in den Kopf – als Opfer der Umstände oder als Kollateralschaden. Erfolgsgeschichten sind die Ausnahme, und noch seltener welche mit Happy End.
Trotzdem, hatte Lola zu Garcia gesagt, sie sollten was von ihrem Extrageld in die Hand nehmen und mit den Nachbarn ein bisschen Spaß haben – genau wie normale Leute mit einer Glücksträhne andere zum Essen einladen und ihnen ein paar Bier spendieren, im Viertel für Abwechslung sorgen und den Zusammenhalt stärken. Sie ging aus etwas, das nie zur Auseinandersetzung wurde, als Siegerin hervor, weil Garcia einfach die Schultern zuckte und sagte: »Ich besorg das Fleisch.«
Als sie jetzt dem Mädchen zusieht, das ihren Mann abcheckt, fühlt Lola einen undefinierbaren Gefühlsschwall in sich aufsteigen. Jemand will etwas, was ihr, Lola, gehört. Garcia schätzt mit einem kurzen Blick Busen und Hintern ab, beachtet das Mädchen aber nicht weiter. Die anderen Männer tun es ihm nach, taxieren sie wohlwollend, reden dann aber weiter über, wie Lola vermutet, Geschäftliches, obwohl sie hier in ihrem Kreis von Frauen kein Wort versteht: Das Geschnatter, wer ein paar Pfund zugelegt hat und welches Nagelstudio in der Gegend zu teuer ist, ist einfach zu laut.
Lola nickt zustimmend – nie wieder geht sie zu Oasis Nails –, dann gilt ihre Aufmerksamkeit wieder den Männern. Jorge, ein Gangmitglied mit Mondgesicht, der seine Baseballcap verkehrt rum aufhat, tippt was auf einem der gehackten iPhones der Crenshaw Six. Weil die Telefone über keines der großen kommerziellen Netze kommunizieren, kann Jorge sagen, was er will. Marcos, ein drahtiger, harter Mann mit tiefliegenden Augen, schnappt sich ein halbrohes Sparerib vom Grill und zerrt mit spitzen Zähnen daran. Zu seinen Füßen hofft Valentine, die Pitbull-Hündin, die Lola vor einem Jahr aus einer Hundekampfarena gestohlen hat, dass ein Stück für sie abfällt. Lolas kleiner Liebling ist das einzige weibliche Wesen, das am Grill geduldet wird. Valentine muss in Marcos den Außenseiter erkannt haben, der als Einziger aus den Reihen der Crenshaw Six schon gesessen hat – sechs Jahre in einem Hochsicherheitsbundesgefängnis –, nachdem er an seinem achtzehnten Geburtstag festgenommen worden war. Marcos war zwar schon seit drei Jahren draußen, aber trotzdem isst er immer noch, sobald es was zu essen gibt, schläft, wenn irgendwo ein Stuhl steht, vögelt, wenn sich ein Mädchen anbietet, wie dieses Mädchen jetzt. Marcos isst als Erster, weil er wie die anderen Männer weiß, dass das Mädchen da sein wird, sobald er sich ihr zuwendet. Die Ribs werden jedoch sofort in den hungrigen Mäulern der ganzen Nachbarschaft verschwinden, sobald Garcia sie vom Grill auf die Teller legt.
Am liebsten würde Lola die Scharwenzlerin beiseitenehmen und ihr sagen, dass es schon okay ist, sich an einen Kerl ranzumachen, aber hier wie eine Möchtegern-Model auf dem Laufsteg rumzustolzieren gehe gar nicht.
»Die Kleine weiß schon, dass sie sich den Boss angeln muss«, meint Kim, als sie Lolas Blick bemerkt.
»Die ist keine Gefahr«, sagt Lola.
»Na, er hat sich aber schon mal rumkriegen lassen«, sagt Kim, weil Garcia vor Lola mit Kim zusammen war. »Wenn Carlos hier wär, dann wär sie hinter dem her, kannst du wetten drauf. Solche wie die wollen immer den Obermacker.«
Die umstehenden Frauen erstarren, weil sie wissen, dass das ein Seitenhieb auf Lola ist, die kurz nacheinander mit zwei Gangleadern zusammen war. Aber Lola empfindet nur einen kurzen Stich beim Gedanken an Kims älteren Bruder Carlos, den Anführer der Crenshaw Six, bis er vor drei Jahren ermordet worden war. Damals war Carlos der Freund von Lola und Garcia der von Kim. Und die Crenshaw Six waren die Crenshaw Four, weil nur Carlos, Garcia, Jorge und Marcos dazugehörten. Unter Carlos kontrollierte die Gang auch keine Straßenecken, sondern überfiel andere Gangs, wenn die an abgefuckten Küchentischen saßen und Koks und Heroin verschnitten. Daher war’s auch keine so große Überraschung, dass Carlos erschossen wurde und wie unzählige andere Leichen, nach denen wahrscheinlich kein Hahn krähte, im Angeles National Forest landete.
Doch Kim vermisst Carlos immer noch, einmal im Monat ruft sie die Cops an und fragt nach dem neuesten Stand in seinem noch immer ungelösten Fall. Lola hat Mitleid mit Kim. Carlos war charismatisch und fröhlich, jeder im Viertel mochte ihn, Lola eingeschlossen. Doch nur Kim scheint nicht zu kapieren, dass die Cops sich kaum den Arsch aufreißen, um rauszukriegen, wer so einen kleinen Latinoghetto-Robin-Hood umgebracht hat.
»Mit Carlos am Grill würde das Fleisch verbrennen, weil er dauernd mit allen quatschen würde«, bemerkt Lola jetzt, und die Spannung in der Ladies-Runde löst sich in Kichern auf. ...
Erscheint lt. Verlag | 11.3.2019 |
---|---|
Übersetzer | Sven Koch, Andrea Stumpf |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Anti-Heldin • Bandenkrieg • Drogen • Drogenmilieu • Edgar Award • Frauen in Führungspositionen • Frauen in Männerwelt • Korruption • Latino-Gang • Lola deutsch • Los Angeles • Mexiko • Nordamerika (USA und Kanada) • ST 5115 • ST5115 • Starke Frauen • suhrkamp taschenbuch 5115 • USA Westen • USA Westen Pazifikstaaten Pacific States • USA Westen: Pazifikstaaten Pacific States • Vereinigte Staaten von Amerika USA |
ISBN-10 | 3-518-76168-4 / 3518761684 |
ISBN-13 | 978-3-518-76168-7 / 9783518761687 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,5 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich