Der Turm der blauen Pferde (eBook)
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31970-5 (ISBN)
Bernhard Jaumann, geboren 1957 in Augsburg, arbeitete nach dem Studium als Gymnasiallehrer. Zurzeit lebt er in Bayern und Italien. Er schrieb mehrere Krimiserien, für die er vielfach ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman 2003 und für die beste Kurzgeschichte 2008. Für seinen Roman »Die Stunde des Schakals« erhielt er 2011 den Deutschen Krimipreis. Seit 2018 erscheint bei Galiani seine Krimireihe um die Münchner Kunstdetektei von Schleewitz, deren ersten beiden Bände von der Presse als »raffiniert konstruierte Unterhaltung« (NDR) und »große Kunst« (Berliner Zeitung) gelobt wurden.
Bernhard Jaumann, geboren 1957 in Augsburg, arbeitete nach dem Studium als Gymnasiallehrer. Zurzeit lebt er in Bayern und Italien. Er schrieb mehrere Krimiserien, für die er vielfach ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman 2003 und für die beste Kurzgeschichte 2008. Für seinen Roman »Die Stunde des Schakals« erhielt er 2011 den Deutschen Krimipreis. Seit 2018 erscheint bei Galiani seine Krimireihe um die Münchner Kunstdetektei von Schleewitz, deren ersten beiden Bände von der Presse als »raffiniert konstruierte Unterhaltung« (NDR) und »große Kunst« (Berliner Zeitung) gelobt wurden.
Starnberger See, Sommer 2017
Der Blick von der Terrasse der Villa war beeindruckend. In der Ferne schimmerte die Kette der Alpengipfel, und unten auf dem Starnberger See kreuzte eine Unmenge weißer Segelboote. Klara Ivanovic versuchte sich vorzustellen, dass das scheinbar ziellose Hin und Her einem geheimen Sinn folgte. Wenn die Spuren der Boote auf dem gleißenden Wasser sichtbar blieben, könnte man womöglich ein Muster erkennen, Schriftzeichen, die sich zu einer Botschaft formten. Zumindest für jemanden, der sie zu deuten verstand.
Egon Schwarzer, der Hausherr, hatte Klara und Rupert die Plätze mit dem besten Blick auf den See angeboten. Vielleicht aus Höflichkeit, vielleicht auch, weil es ihm im Blut lag, zu zeigen, was er besaß. Mein Grundstück, meine Villa, mein Panorama. Alles solide zusammengeschraubt, hatte Rupert auf der Herfahrt vom Münchner Büro gesagt. Das war wörtlich zu nehmen, denn Egon Schwarzer hatte sein Vermögen mit Schrauben gemacht, Flachkopf-, Rundkopf-, Senkkopf-, Vierkant-, Sechsrund-, Kopfschlitzschrauben. Irgendwann hatte er sein Unternehmen verkauft und sich mit prall gefüllten Taschen dem Kunstbetrieb zugewandt. Inzwischen nannte er die bedeutendste Privatsammlung der klassischen Moderne in Deutschland, wenn nicht in Europa sein Eigen.
»Echt schön haben Sie es hier«, sagte Rupert. Da er für die Kundenbetreuung zuständig war, verzichtete Klara auf einen Kommentar und lächelte freundlich. Schönheit und Echtheit waren schillernde Konzepte, doch leider gingen sie viel seltener Hand in Hand, als man glaubte. Klara blickte auf den See hinab. Das Falsche an Postkartenidyllen war, dass kein Makel die Schönheit störte. Den Makel gab es aber immer. Man musste sich nur in die Idylle hineinbewegen, um ihn zu spüren.
»Kunstdetektei von Schleewitz«, las Schwarzer von Ruperts Karte ab, als wüsste er nicht genau, wen er zu beauftragen gedachte. Er schob die Sonnenbrille wieder über die Augen und fragte: »Alter Adel? Irgendwo aus dem Osten?«
»Schlesien«, sagte Rupert, »aber da waren wir nur ein paar Jahrhunderte. Bis 1945.«
»Ja, die Russen«, sagte Schwarzer.
»Ist lange her«, sagte Rupert.
»Sie wissen natürlich, dass die damals ordentlich geplündert haben, auch was Kunst anging?«
»Sollen wir das Bernsteinzimmer für Sie finden?« Rupert lachte und ging dann in einen geschäftsmäßigen Ton über. »Wir sind keine Schatzsucher. Die Detektei ist auf Provenienzforschung spezialisiert. Wir arbeiten Kanzleien zu, die Restitutionsforderungen im Bereich Raubkunst vertreten, und übernehmen durchaus auch die Feldarbeit, wenn es um die Entlarvung von Fälschungen geht, aber …«
»Kommen Sie!« Schwarzer stand ruckartig auf. Ohne sich nach seinen Gästen umzusehen, ging er auf die offene Terrassentür zu.
Der Salon wurde durch Fenstertüren erhellt, deren Sprossen harte Schatten auf das Eichenparkett warfen. Der große Raum war nur spärlich möbliert. Ein Sekretär, ein kleiner Wandtisch mit Spiegel, ein Sofa und ein paar Stühle, die nicht so wirkten, als habe schon einmal jemand darauf gesessen. Alles war in klaren, elegant reduzierten Formen gehalten und passte perfekt zusammen. Wiener Werkstätte, schätzte Klara, und angesichts des Schwarzer’schen Vermögens wahrscheinlich Originale vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Das galt auch für die meist kleinformatigen Bilder an den Wänden. Da links, das war unverkennbar ein Kandinsky. Daneben hingen zwei in Form und Farbpalette typisch plakative Landschaften Gabriele Münters, gefolgt von einem expressiven weiblichen Akt, der von Jawlensky stammen könnte.
Schwarzer ging zielstrebig auf eine Staffelei an der hinteren Wand des Raums zu. Er wartete, bis Rupert und Klara zu ihm aufgeschlossen hatten, nahm die Sonnenbrille ab, steckte sie in den Hemdausschnitt und zog mit einer fast achtlosen und gerade deswegen großspurig wirkenden Bewegung die Decke von dem Gemälde auf der Staffelei.
»Das ist doch …«, sagte Rupert.
»Franz Marc, Der Turm der blauen Pferde«, sagte Schwarzer. »Seit Kriegsende verschollen. Ich habe es letzten Dienstag gekauft. Für drei Millionen. Ein absolutes Schnäppchen, wenn es echt ist. Ist es Ihrer Meinung nach echt?«
»Ich …« Für einen Moment schien es selbst Rupert die Sprache verschlagen zu haben. »Ich bin da eher Laie. Für derlei Fragen ist meine Kollegin, Frau Ivanovic, zuständig.«
Klara starrte auf das Bild. Der Turm der blauen Pferde, eine Ikone der klassischen Moderne. In Bildbänden, auf Postkarten und Kalenderblättern war sie wahrscheinlich zehntausendfach reproduziert worden. Die blauen Pferde hingen in Versicherungsbüros und Rentnerküchen, sie prangten auf Porzellanvasen und stritten sich mit Justin-Bieber-Postern um die Vorherrschaft in Mädchenzimmern. Zweifelsohne war Marcs Gemälde im Massengeschmack angekommen. Und dadurch für eine authentische, um neue Erfahrungen ringende Kunst verloren, wie Klaras Vater sagen würde. Nur noch historisch interessant!
Dass es 1913 bei der überwiegenden Mehrheit des Publikums Hohn, ja Empörung ausgelöst hatte, schien heute unvorstellbar. Doch das lag nur daran, dass die Revolution, die damals ausgerufen worden war, auf ganzer Linie gesiegt hatte. Die Maler der Brücke und des Blauen Reiters hatten genau das geschafft, was die heutigen Künstler anstrebten: die Sehweisen radikal zu verändern. Die bittere Ironie dieses Siegs war offensichtlich. Je mehr man sich an blaue Pferde und abstrakte Kompositionen gewöhnte, desto mehr ging der Revolution die Luft aus. Bis ihre gemalten Protestschreie als hübsche Wanddekoration endeten. Und doch hatte dieses Bild auf der Staffelei da etwas an sich! Ein Geheimnis, das durch die unzähligen Reproduktionen nicht ganz zerstört worden war.
»Halten Sie es für echt, Frau Ivanovic?«, fragte Schwarzer.
Mein Gott, dachte Klara. Das war ja, als würde man von einem Lebensmittelchemiker verlangen, aus ein paar Metern Entfernung ein salmonellenbefallenes Ei zu identifizieren. Sie sagte: »Das müssen die Spezialisten entscheiden. Ohne genauere Untersuchung …«
»Ich habe schon Baumgartner zugezogen, aber mich würde Ihre Meinung interessieren. Keine Angst, ich lege Sie nicht darauf fest. Mir geht es um den unmittelbaren Eindruck, den das Bild auf Sie macht.«
Klara blickte auf das Bild, versuchte den Duktus der Pinselstriche nachzuempfinden. Wenn es eine Fälschung war, dann eine sehr gute. Natürlich war das möglich. Nicht erst seit Beltracchi wusste man, dass begnadete Fälscher über Jahre hinweg die ganze Fachwelt zum Narren halten konnten. Der unmittelbare Eindruck, mein Gott! Nichts konnte mehr täuschen. Fakt war, dass Der Turm der blauen Pferde seit siebzig Jahren vermisst wurde. Da sollte man bei seiner wundersamen Wiederauffindung lieber einmal zu viel als einmal zu wenig zweifeln.
Schwarzer verlor die Geduld. »Es ist das Original, sagt Baumgartner. Zu neunundneunzig Prozent. Und auf das eine Prozent Unsicherheit verzichtet er nie. Das steht sozusagen in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen.«
Dr. Anian Baumgartner war die unbestrittene Franz-Marc-Koryphäe, Herausgeber des Werkverzeichnisses und Autor zahlloser Studien. Schwarzer wäre auch schön blöd gewesen, drei Millionen auf den Tisch zu legen, ohne sich bei einem Spezialisten rückzuversichern.
»Trotzdem«, sagte Schwarzer, »hätte ich gern eine lückenlose Provenienzgeschichte. Bekannt ist ja, dass die Nazis das Bild beschlagnahmt haben und Göring höchstpersönlich es 1937 in Besitz nahm. Doch wo befand es sich zwischen 1945 und heute? Können Sie das für mich herausfinden?«
»Eher, als halb Europa nach dem Bernsteinzimmer umzugraben«, sagte Rupert. »Von der juristischen Seite muss ich Sie aber darauf hinweisen, dass seit dem Washingtoner Abkommen Nazi-Raubkunst …«
»… von staatlichen Stellen zu restituieren ist.« Schwarzer winkte ab. »Nun bin ich zwar keine staatliche Stelle, aber ich weiß natürlich um meine Verantwortung. Die Berliner Nationalgalerie hat den Turm der blauen Pferde 1919 angekauft. Sie ist die rechtmäßige Eigentümerin, und der werde ich das Bild selbstverständlich zurückgeben. Ich will mich bloß nicht blamieren und mit großem Tamtam eine Fälschung überreichen.«
»Gut«, sagte Rupert, »dann schießen Sie mal los! Wer hat Ihnen das Bild angeboten?«
Dass ein van Gogh nach hundert Jahren auf einem Dachboden entdeckt wurde oder eine für fünf Euro auf dem Flohmarkt erworbene Leinwand einen übermalten Rembrandt preisgab, konnte man immer wieder lesen, doch die Geschichte, die Schwarzer erzählte, klang noch unglaublicher. Er hatte einen Vortrag im Franz-Marc-Museum in Kochel besucht. Als er nach Hause fahren wollte, stand auf dem Parkplatz neben seinem Mercedes ein kleiner Lieferwagen, bei dem ein Mann wartete. Etwa dreißigjährig, ein Meter fünfundsiebzig groß, blond, untersetzt, in Jeans und T-Shirt. Er sprach Schwarzer mit Namen an und bat ihn mit starkem bayerischen Dialekt, einen Blick in den Laderaum zu werfen. Dort lag Der Turm der blauen Pferde. Schwarzer dachte an einen Scherz à la Vorsicht Kamera und sah sich nach einer versteckten Filmcrew um. Ungerührt bot ihm der Mann das Gemälde zum Kauf an, für drei Millionen Euro.
»In kleinen, gebrauchten Scheinen, nehme ich an«, hatte Schwarzer halb belustigt, halb verärgert gesagt.
Der Mann hatte genickt. »Und keine Fragen!«
»Hören Sie, Herr …«
»Beilhart. Josef Beilhart.«
»Ich habe meine Zeit nicht gestohlen, Herr Beilhart, und nun einen schönen...
Erscheint lt. Verlag | 10.1.2019 |
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Reihe/Serie | Kunstdetektei von Schleewitz ermittelt |
Kunstdetektei von Schleewitz ermittelt | Kunstdetektei von Schleewitz ermittelt |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bayern • Beltracchi • Berchtesgarden • Beutekunst • Der Blaue Reiter • Der blaue Reiter Detektive • Detektive • Die Stunde des Schakals • E-Leseexemplar • Fälschung • Franz Marc • Göring • Gurlitt • Krimi • Krimireihe • Kunst • Kunstfälschung • Kunst-Fälschung • Kunstkrimi • Kunstraub • München • Nazis • Raubkunst |
ISBN-10 | 3-462-31970-1 / 3462319701 |
ISBN-13 | 978-3-462-31970-5 / 9783462319705 |
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