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Unkraut: Tatort Neukölln (eBook)

Berlin-Krimi
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40383-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unkraut: Tatort Neukölln -  Sebastian Kretz
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Die Straßen von Neukölln-Süd Harm Harmsen könnte so ein guter Ermittler sein. Wären da nicht die zahlreichen Neurosen, seine Abscheu vor Computern und anderem neumodischen Quatsch sowie die für einen Ostfriesen nicht ganz untypische Sturheit. Bei seinem neuesten Fall bekommt Harmsen daher die zwanzig Jahre jüngere Peggy Storch zur Seite gestellt: digitale Forensikerin, brillant, aufsässig, Teamarbeit liegt auch ihr nicht so. Zwei Ermittler mit Stärken und Schwächen. Und sie sollen sich offenbar gegenseitig kontrollieren. Der Mord hat in einer Laubenpiepersiedlung südlich des S-Bahn-Rings stattgefunden. War dies eine politische Gewalttat? Ein Beziehungsdelikt? Schlichte Habgier? Die Freundin des Toten wirkt ehrlich erschüttert, doch Peggys DNA-Analyse belastet sie schwer. Allerdings führen die hypermodernen Recherchemethoden in eine Sackgasse. Und aus der finden die beiden sich gegenseitig so herzlich verachtenden Ermittler am Ende nur gemeinsam heraus. Ein Roman, drei Hauptrollen: Harm Harmsen, Peggy Storch, Berlin

Sebastian Kretz, geboren 1982, ist in Ostfriesland aufgewachsen und lebt seit 2005 in Berlin. Er hat Politikwissenschaft studiert und die Deutsche Journalistenschule in München besucht. Als Autor und Reporter arbeitet er hauptsächlich für das Geo-Magazin. Die von Peggy Storch verwendeten High-Tech-Verfahren hat er 2015 für eine Geo-Reportage beim BKA recherchiert.

Sebastian Kretz, geboren 1982, ist in Ostfriesland aufgewachsen und lebt seit 2005 in Berlin. Er hat Politikwissenschaft studiert und die Deutsche Journalistenschule in München besucht. Als Autor und Reporter arbeitet er hauptsächlich für das Geo-Magazin. Die von Peggy Storch verwendeten High-Tech-Verfahren hat er 2015 für eine Geo-Reportage beim BKA recherchiert.

Dienstag, 10. Mai


Was soll Harmsens Frust tun außer wachsen, wenn am nächsten Morgen schon wieder ein Anruf dem Wecker zuvorkommt? Diesmal, und das ist keine nebensächliche Beobachtung, klingelt das Mobiltelefon. Bekanntlich gehört Harmsen nicht zu denen, die in der massenhaften Verbreitung dieses Geräts einen Segen erkennen: Im Gegensatz zur Funktionsweise des klassischen Festnetzapparats – abnehmen, auflegen – überfordert ihn seine Bedienung. Außerdem liegt seines nicht neben dem Bett, sondern in irgendeiner Polsterritze. Damit es das Piepsen einstellt, muss er kaltfüßig und schlaftrunken ins Wohnzimmer tapsen. Als er es zwischen einer Rückenlehne und einem Sitzkissen hervorzieht, setzt es gleich den nächsten Schreck: Auf der Anzeige leuchtet die Buchstabenfolge dëzrnaaatsLëitr (lachen Sie nicht, die Tasten folgen beim Eingeben von Namen nicht Harmsens, sondern ihrem eigenen Willen).

Der Kommissar, der sich bereits in diesem Film wähnt, in dem derselbe Tag ewig aufs Neue beginnt, drückt die Taste mit der Eins und hält das Gerät ans Ohr. Schleudert es aber sogleich wieder aufs Sofa, weil es in unverschämter Lautstärke direkt an seinem Ohr weiterklingelt. Zupft es aus der Polsterritze hervor, führt den Finger über sämtliche Tasten, landet durch einen glücklichen Zufall auf dem grünen Hörer, den er presst, bis seine Fingerkuppe weiß wird. «Moin, ja, Harmsen hier, hallo?» Scheint keiner dran zu sein. «Hören Sie mich? Hallo? Harmsen hier. Harmsen!»

Aus den fünf senkrecht angeordneten Lautsprecherlöchern quillt ein Seufzer, gefolgt von einer Pause. «Harmsen, nachdem Sie gestern zum wiederholten Mal bei der Besprechung mit Abwesenheit geglänzt haben, sind wir hier zu einem Entschluss gekommen.» Soweit Harmsen weiß, zieht der Chef Dritte nur zu Rate, wenn ihm Folter oder der Entzug seiner privaten Kaffeemaschine droht; andererseits verschleiert das wir so schön das ich, und der Dezernatsleiter gehört zu jener Sorte Arschloch, das sich nicht am Ende eines stabilen Rückgrats befindet.

«Wir schätzen Ihren Scharfsinn. Sehr.»

Ach so, denkt der Kommissar. Das war doch gar nicht so schwer.

«Aber das Verbrechen schläft nicht nur nicht, Harmsen. Das Verbrechen surft heutzutage im Internet, wie unsereins die Zeitung liest. Da müssen wir mithalten, Harmsen. Mithalten! Und deshalb haben wir beschlossen, dass wir Ihnen ein bisschen unter die Arme greifen. Kennen Sie Peggy Storch, zehnte Mordkommission? Eine der Jüngsten im Dezernat, hat aber mehr drauf als drei Alte zusammen. Expertin für digitale Forensik. Mit der stimmen Sie sich in Zukunft ab.»

Jesusmariaundjosef, Allah, Buddha, Beelzebub, wer auch immer mithört, möge eingreifen! Als habe der Dezernatsleiter Harmsens abendliche Befürchtungen mitgeschnitten und mache sich nun das Vergnügen, das Schreckensszenario Punkt für Punkt umzusetzen. Harmsen nutzt die Redepause des Chefs, um Kopf und Schultern abzusenken, kommt aber nicht weit.

«Und glauben Sie nicht, die Storch ist Ihnen unterstellt, bloß weil Sie zwanzig Jahre älter sind. Wenn sie ’n Haar nach Wiesbaden schicken will, schickt sie ihr Haar nach Wiesbaden. Wenn sie ’n Geschoss im Elektronenmikroskop zersägen will, zersägt sie das Ding, und wenn’s zwei Wochen dauert. Auf Deutsch: Sie haben ihr nix zu sagen. Und wenn Sie wieder Probleme machen, Harmsen, dann ist das Erste, was die Storch macht, bei mir anrufen. Dann ist Schluss mit Columbo. Morgen um neun in meinem Büro, ich mach Sie bekannt. Ach ja: Die Storch sitzt mit bei Ihnen im Zimmer.»

Der einzige vernünftige Gedanke, den Harmsen fassen kann, ist, dass er sich dringend glaubwürdige Wehwehchen ausdenken muss, damit das zügig klappt mit der Frühpensionierung. Bis dahin bleibt ihm wenig anderes übrig, als die Situation über sich ergehen zu lassen: Sein Widerstand ist, wenn überhaupt, passiv, besteht also darin, Gewünschtes zu unterlassen. Unerwünschtes abzuwehren, widerspräche seinem Gemüt. Er wird nicht am Bürosessel der neuen Kollegin sägen und ihr auch nicht im Treppenhaus ein Bein stellen. Er wird einfach warten, bis sie vorübergeht. Denn das ist das Gute am Leben: Alles geht irgendwann vorüber.

Zu Harmsens Gunsten müssen wir aber etwas klarstellen: Der Kommissar mag im Lauf der Jahre abgestumpft sein. Trotzdem gibt es Dinge, die ihm am Herzen liegen, zum Beispiel die Bibi oder ein kühles Pils zum Essen. Und auch mit der Gerechtigkeit hat er noch nicht ganz abgeschlossen. Die Gerechtigkeit ist, wenn Sie so wollen, ein Tortenboden, auf dem sich schichtenweise Harmsen’sche Gleichgültigkeit türmt. Der Boden ist kaum sichtbar, er biegt sich in alle Richtungen, doch er trägt seine Last. Oder, wie Harmsen immer zur Bibi sagt: Wer’s war, der war’s, und den muss man finden.

Deshalb gibt der Kommissar dem Drang, da weiterzumachen, wo er gestern Nachmittag angefangen hat, nämlich mit dem Calvados auf dem Sofa, nicht nach. Schlüpft stattdessen in jenes Paar brauner Kunstlederslipper, ursprünglich Größe zweiundvierzig, im Lauf der Neunziger aber auf dreiundvierzig geweitet, von denen die Bibi ihm einreden will, sie seien oll. Klemmt die Pulloverärmel beim Anlegen des Trenchcoats zwischen Ringfinger und Handballen und vermeidet so das unsortierte Gefühl gestauten Stoffs am Ellbogen, unter dessen Einfluss kein Mensch konzentriert ermitteln kann. Dann liefert er Gschwendtners Mobiltelefon bei der Kriminaltechnik ab und fährt zur Deutschen Freiheit.

Deren Sicherheit wird durch einen Maschendrahtzaun gewährleistet, der sich zwischen mannshohen Betonstelen spannt. Warum, grübelt Harmsen, als er auf den Parkplatz ruckelt, knicken solche Stelen immer nach innen ab? Als solle der Zaun nicht Gesindel am Eindringen, sondern Schrebergärtner am Entwischen hindern. Er ist aber noch aus einem anderen Grund interessant. Harmsen will herausfinden, ob sich die Person oder Gruppe von Personen, die Gschwendtners Eingeweide umgrub, womöglich gewaltsam Zugang verschaffte: Um das Gelände der Kolonie vorschriftsmäßig zu betreten, muss man zwar keine Sicherheitsschleuse passieren. Doch man kommt geradewegs am Vereinsheim vorbei. Angenommen, der oder die Täter waren keine Schrebergärtner, sondern Unholde aus einem anderen Bereich der Gesellschaft. Wenn die an einem Sonntagabend durch die Kleingärten schleichen, wäre das auffällig. Warum nicht an anderer Stelle den Zaun überklettern? Oder gleich per Bolzenschneider einen Durchschlupf schaffen? Vermutlich würde sogar eine Astschere genügen.

Die Kolonie zu Fuß zu umrunden, bedeutet einen Fußweg von gut einem Kilometer. Harmsen schickt sich an, die Wirbelsäule zu krümmen, um die Senkel fester zu binden, erkennt die Nutzlosigkeit seines Vorhabens aber, noch bevor sein Blick auf die Slipper fällt. Vielleicht sollte er auf die Bibi hören und doch ein Paar Schnürschuhe kaufen.

Falls Sie schon einmal einen Zaun entlangpatrouilliert sind, ohne abzuschweifen, dürften Sie charakterfester sein als Harmsen. Der drohenden Leere im Kopf begegnet er mit dem Bestimmen der Bäume am Straßenrand: Ahorn, Platane, Linde, wieder Ahorn. Bisher keine Spur gewaltsamen Eindringens.

Als Nächstes beginnt er, sich dem Für und Wider des Kleingärtnertums zu widmen. Seine Vorurteile über die politischen Ansichten des gemeinen Laubenpiepers kennen Sie ja bereits. Zumal er es für fragwürdig hält, dass eine Stadt, deren Bewohner unter steigenden Wohnkosten leiden, ein Dreißigstel ihrer Fläche freihält, weil die Schreberszene partout nicht auf selbst gezogenen Blumenkohl verzichten will. Blumenkohl zählt sowieso zum Scheußlichsten, das menschlicher Züchtergeist hervorgebracht hat. Wenn irgendein Teufel den Kantinenspeiseplan mit solchen beschönigend als Röschen bezeichneten Geschwulsten verschandelt, können Sie bloß hoffen, dass sich eine Ausgabekraft erbarmt und das Elend unter einer Suppenkelle gebräunten Paniermehls beerdigt. Der Kommissar zieht es in solchen Fällen vor, gleich ins Alanya-Grillhaus zu gehen, wobei der Fairness halber erwähnt werden sollte, dass Sie auch in einem orientalischen Imbiss vor Brassica oleracea var. botrytis L. nicht gefeit sind.

Zaun weiterhin intakt.

Andererseits vertritt der Kommissar als Sympathisant der Sozialdemokratie die Ansicht, auch dem kleinen Mann gebühre ein Flecken Grün. Und das Industriegebiet südlich des alten Flughafens mit seinen Dutzenden Laubenkolonien grenzt unmittelbar an die Neuköllner Mietskasernen, in denen zur Kaiserzeit zehntausendweise kleine Männer mit ihren großen Familien eingepfercht wurden, immer schön im Westwind, der den Rauch der Fabriken herübertrug.

Das Einzige, was Harmsens Patrouille ergibt, ist, dass sich auf der Rückseite des Geländes ein kleiner Hinterausgang mit unversehrtem Sicherheitsschloss befindet. Ansonsten ist der Zaun makellos. Natürlich können Sie nie ausschließen, dass einer seine Leiter dabeihatte. Und warum sollte es unter den Stabhochspringern, bloß weil sie eine Nischensportart ausüben, keine Mörder geben? Aber ein unbeschädigter Zaun deutet doch stärker als ein beschädigter darauf hin, dass der oder die Täter zur Kolonie gehören.

Gegen halb zwölf betritt Harmsen, von der Zaunumrundung erschöpft, die Deutsche Freiheit durch den Haupteingang. Bevor er aber dazu kommt, in Richtung der Laube des besagten Norbert Jumasz abzubiegen, läuft er in eine Wolke jenes Geruchs, den Reporter gern als süßlich beschreiben, obwohl er eher an milde Fäulnis erinnert. Der Kommissar, dessen Jugend sich keine Dreiviertelstunde von der niederländischen Grenze entfernt abspielte, käme niemals auf die Idee, seinen Dienstausweis zu...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2018
Reihe/Serie Harmsen und Storch ermitteln
Harmsen und Storch ermitteln
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Berlin • DNA • Forensik • Humor • Kleingarten • Kriminalroman • Neukölln
ISBN-10 3-644-40383-X / 364440383X
ISBN-13 978-3-644-40383-3 / 9783644403833
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