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Keine Paraden mehr (eBook)

Band 2 der Tetralogie 'Das Ende der Paraden'
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2018 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31656-8 (ISBN)
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Ehekrieg, verletzte Gefühle, Schuld und Sühne: ein fulminantes Buch, in dem ein privates und ein Weltendrama mit Donnergrollen aufeinanderstoßen. Christopher Tietjens ist ein Gentleman, wie er im Buche steht. Und deshalb hat er jahrelang die Intrigen, Eskapaden und die Untreue seiner attraktiven Gattin Sylvia so aufgenommen, wie er es auch von anderen Vertretern der höheren Gesellschaftsschichten erwarten würde: keine Szenen. Und seine eigenen Gefühle für Valentine Wannop unterdrückt, weil ein Gentleman seine Frau nicht betrügt. Und statt die Trennung öffentlich zu machen, die Tietjens nach einem hasserfüllten Streit mit seiner Frau für selbstverständlich hielt, ist er direkt in die Schützengräben Frankreichs geflohen, wo ein unbarmherziger Stellungskrieg zwischen den Alliierten und den Deutschen tobt. Doch auch hier hat Tietjens keine Ruhe: Während er inmitten einer Feuerpause versucht, sein aus vielen Nationalitäten bestehendes Ersatzbataillon für einen wichtigen Einsatz zu organisieren, erhält er die Nachricht, dass seine Frau auf dem Weg in das französische Kriegsgebiet ist. Als Sylvia in dem von verwundeten, frierenden und ausgezehrten Soldaten überfüllten Frontlager eintrifft, überzieht sie ihren Mann mit einem Sperrfeuer von Verleumdungen und Unterstellungen. Tietjens Vorgesetzter kann einen Skandal nur dadurch verhindern, dass er ihn erneut in die vordersten Einsatzlinien schickt ... Band 2 der Tetralogie Ende der Paraden.

Ford Madox Ford (1873-1939) wurde als Sohn eines Deutschen und einer Engländerin unter dem Namen Ford Hermann Hueffer geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er auf englischer Seite teilnahm, legte er seinen deutschen Namen ab und lebte in Frankreich und Amerika. Er war mit vielen Künstlern und Schriftstellern wie Joseph Conrad, D. H. Lawrence, Wyndham Lewis, Ezra Pound und Ernest Hemingway befreundet.

Ford Madox Ford (1873-1939) wurde als Sohn eines Deutschen und einer Engländerin unter dem Namen Ford Hermann Hueffer geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er auf englischer Seite teilnahm, legte er seinen deutschen Namen ab und lebte in Frankreich und Amerika. Er war mit vielen Künstlern und Schriftstellern wie Joseph Conrad, D. H. Lawrence, Wyndham Lewis, Ezra Pound und Ernest Hemingway befreundet. Joachim Utz übersetzte u.a. Yeats, Owen, Spender und Tomlinson und wurde in der Presse für seine "hoch sensible, nuancenreiche und vokabelvirtuose" Übertragung der Werke von Ford Madox Ford gelobt.

II


Unmittelbar danach wurde Entwarnung geblasen. Sie kam ziemlich unerwartet. Die traurig-heiteren, lang gezogenen Töne verklangen kummervoll in einer Nacht, die nach dem unfassbaren Höllenlärm gerade erst still geworden war. Der Mond war trotzdem aufgegangen; rund, lustig und grotesk stieg er hinter der Kuppe eines der von Hütten bedeckten Hügel empor und sandte auf die Hüttenreihen von Tietjens lange, sentimentale Strahlen, die den Ort in eine schlummernde Pastorale verwandelten. Jedes Geräusch betonte nur die Stille, durch die Zelluloidfenster fiel schwaches, trübes Licht. Auf der Lagerstraße der A-Kompanie gönnte Tietjens seinen Lungen eine kurze Erholung von den Koksgasen. Mit leiser Stimme, wie aus Ehrfurcht vor dem Mondlicht und dem mittlerweile scharfen Frost, fragte er Sergeant-Major Cowley, dessen Kennzahlen vom Mond vergoldet wurden:

»Wo zum Teufel ist das Ersatzbataillon?«

Der Sergeant-Major blickte etwas umwölkt an einer Reihe weiß getünchter Steine entlang, die sich den schwarzen Hügel hinabzog. Über dem nächsten Hügelkamm hing der Widerschein von dem Blick entzogenen Bränden.

»Dort hinten brennt ein Hunnenflugzeug ab. Auf dem Exerzierfeld der Siebenundzwanziger. Das lässt sich unser Ersatzbataillon nicht nehmen, Sir«, sagte er.

Tietjens sagte:

»Du lieber Himmel!« in einem zugleich sarkastischen und verständnisvollen Ton. Er fügte hinzu, »Ich habe wirklich geglaubt, wir hätten diesen Dreckskerlen Disziplin beigebracht in den sieben Wochen, seit sie hier sind … Sie erinnern sich, wie wir sie zum ersten Mal antreten ließen und dieser diensttuende Lance-Corporal aus dem Glied trat und einen Stein nach einer Möwe schmeißen wollte … Und der Sie Oberpfuscher No.1 genannt hat! … Ordnung und militärische Disziplin schädigendes Verhalten? Wo bleibt unser kanadischer Sergeant-Major? Wo ist der Offizier für das Ersatzbataillon?«

Sergeant-Major Cowley sagte:

»Sergeant-Major Ledoux sagte, sie seien losgerannt wie eine wild gewordene Kuhherde irgendwo am … eben an so’nem Fluss, wo sie her sind. Nicht zu bremsen gewesen, Sir. War ihr erster deutscher Flieger … Und heut Nacht gehn sie an die Front, Sir.«

»Heute Nacht?«, rief Tietjens. »Nächste Weihnachten!« Der Sergeant-Major sagte:

»Arme Jungs!« und schaute weiter ins Leere. »Ich habe wieder’n Guten gehört, Sir«, sagte er. »Warum reagiert ein Gefreiter nicht, wenn der König vor ihm salutiert?: Weil er tot ist … Aber wenn Sie eine Kompanie durch ein Gatter auf ein Feld führen und wollen sie hinterher wieder rauskriegen, kennen aber nicht die Kommandos für Richtungswechsel aus dem Exerzierreglement. Was würden Sie tun, Sir? … Sie müssen diese Kompanie rauskriegen, dürfen aber nicht ›Ganze-Abteilung-Kehrt‹, oder ›Nach-Rechts‹ oder ›Nach-Links-Schwenkt‹ rufen … Gibt noch einen übers Salutieren … Der befehlshabende Offizier des Ersatzbataillons ist Second-Lieutenant Hotchkiss … Aber der ist Offizier beim Kommando der Luftwaffe und schon über sechzig. Im Zivilleben ist er Hufschmied, Sir. Ein Offizier vom Luftwaffen-Kommando, Sir, hat mich gefragt, ganz höflich, ob Sie nicht jemand anderen abstellen könnten. Er bezweifle, sagt er, dass Second-Lieutenant Hitchcock … Hotchkiss es bis zum Bahnhof schaffen würde, ganz zu schweigen die Männer zu führen, weil der nur Kavallerie-Befehle kennt, wenn überhaupt. Er ist erst seit vierzehn Tagen in der Armee …«

Tietjens drehte der idyllischen Szenerie den Rücken zu und sagte:

»Ich nehme an, der kanadische Sergeant-Major und Lieutenant Hotchkiss werden tun, was sie für ihre Männer tun können, dass sie zurückkommen.«

Er trat wieder in die Hütte.

Im Licht einer unwirklich hellen Sturmlampe schien Captain Mackenzie niedergeschlagen in einer Woge zusammenrollender Papiere vor ihm auf dem Tisch zu baden.

»Da liegt der ganze Mist«, sagte er, »eben eingetroffen aus allen Hauptquartieren der gesamten dummen Welt.«

Tietjens sagte freundlich:

»Worum geht’s?« Es handle sich, antwortete der andere, um Befehle aus dem Garnisons-Hauptquartier, Befehle von der Division, Befehle von der Nachschubabteilung, ein halbes Dutzend Formulare von den Zweihundertzweiundvierzigern. Fürchterlicher Rüffel von der Ersten Armee, vom Garnisons-Hauptquartier weitergeleitet, weil das Ersatzbataillon Hazebrouck vorgestern nicht erreicht hat. Tietjens sagte:

»Antworten Sie ihnen höflich, dass wir Befehl hatten, das Ersatzbataillon nicht ohne die vierhundert kanadischen Eisenbahnspezialisten – das sind die Burschen mit den Pelzkapuzen – in Marsch zu setzen. Sie sind erst um fünf heute Nachmittag aus Etaples hier eingetroffen, ohne Blankobefehl oder Marschpapiere. Oder überhaupt irgendwelche Papiere.«

Mit noch finstererem Gesicht studierte Mackenzie einen kleinen bräunlichen Zettel mit einer Notiz:

»Scheint für Sie privat zu sein«, sagte er. »Ich kann sonst nicht klug daraus werden. Es ist aber nicht als privat gekennzeichnet.«

Er schnippte den bräunlichen Zettel über den Tisch.

Tietjens ließ sich wuchtig auf seine Fleischkonservenkiste sinken. Zuerst las er auf dem braunen Papier die Initialen der Unterschrift, »E.C. Genl.«. Und dann: »Halt mir um Himmels willen deine Frau vom Leib. Ich will keine Weibsbilder in meinem Hauptquartier sehen. Du machst mir mehr Ärger als mein gesamtes Kommando.«

Tietjens stöhnte auf und sackte auf seiner Konservenkiste noch tiefer in sich zusammen, als wäre ihm von einem überhängenden Ast ein unsichtbares Raubtier in den Nacken gesprungen. Der Sergeant-Major an seiner Seite sagte mit der vollendeten Ruhe des perfekten Kammerdieners:

»Colour-Sergeant Morgan und Lance-Corporal Trench von der Depot-Ordonnanz sind so nett und helfen uns bei der Schreibarbeit für das Ersatzbataillon. Warum gehen Sie und die anderen Offiziere nicht eine Kleinigkeit essen, Sir? Der Colonel und der Kaplan haben eben das Kasino betreten, und ich habe die diensttuende Kasino-Ordonnanz angewiesen, Ihr Essen warm zu halten … Morgan und Trench kennen sich beide gut aus mit dem Papierkram. Wir können Ihnen die Papiere zum Unterschreiben an den Tisch bringen lassen …«

So viel fraulich sanfte Fürsorglichkeit machte Tietjens wütend und gehässig. Zum Teufel könne er sich scheren, sagte er dem Sergeant-Major, denn er werde diese Baracke nicht verlassen, bis das Ersatzbataillon in Marsch gesetzt sei. Captain Mackenzie könne tun wie ihm beliebe. Der Sergeant-Major teilte Captain Mackenzie mit, Captain Tietjens gebe sich genauso viel Mühe mit seinen Operetten-Detachements wie ein Adjutant der Coldstreams in Chelsea, der ein Ersatzbataillon der Guards ausrücken lasse. Genau dies sei der Grund, wetterte Captain Mackenzie, warum sie ihre Ersatzbataillons vier Tage früher rausschickten als irgendein anderes Depot eines Infanterie-Bataillons in diesem Lager. Das müsse er schon zugeben, fügte er widerwillig hinzu und senkte wieder den Kopf über seine Papiere. Vor Tietjens’ Augen schwankte die Hütte langsam auf und ab. Als hätte ihm eben jemand in den Magen getreten. Schocks lösten solche Wirkungen bei ihm aus. Reiß dich um Himmels willen zusammen, sagte er sich. Mit seinen breiten Händen griff er ein Blatt bräunlichen Papiers und schrieb eine Reihe dicker feuchter Buchstaben darauf

a

b

b

a

a

b

b

a und so weiter.

Abfällig fragte er Captain Mackenzie:

»Wissen Sie, was ein Sonett ist? Geben Sie mir die Reime für ein Sonett. Hier haben Sie das Schema.«

Mackenzie brummelte:

»Natürlich weiß ich, was ein Sonett ist. Worauf wollen Sie hinaus?«

Tietjens sagte:

»Geben Sie mir die vierzehn Endreime eines Sonetts und ich schreibe die Zeilen dazu. In weniger als zweieinhalb Minuten.«

Mackenzie erwiderte verächtlich:

»Wenn Sie das schaffen, mache ich in drei Minuten lateinische Hexameter daraus. In weniger als drei Minuten.«

Sie wirkten wie Männer, die sich tödliche Beleidigungen an den Kopf warfen. Tietjens hatte ein Gefühl, als paradiere, hypnotisiert und in tödlicher Absicht, eine riesige Raubkatze um ihre Hütte. Er hatte in dem Glauben gelebt, von seiner Frau getrennt zu sein. Seitdem sie an jenem Morgen um vier Uhr aus der gemeinsamen Wohnung gegangen war, vor Monaten, vor Ewigkeiten, als die Morgendämmerung gerade die Schornsteinkappen über den Dachfirsten der Georgianischen Häuser gegenüber sichtbar werden ließ, hatte er nichts mehr von seiner Frau gehört. In der vollkommenen Morgenstille hatte er deutlich gehört, wie sie zu dem Chauffeur »Paddington« gesagt hatte und wie danach rund um Gray’s Inn alle Spatzen erwacht waren … Plötzlich kam ihm mit Schrecken in den Sinn, dass es vielleicht gar nicht die Stimme seiner Frau gewesen war, die »Paddington« gesagt hatte, sondern die ihrer Zofe … Er war ein Mann, der sein Leben weitgehend nach bestimmten Verhaltensregeln richtete. Eine Regel war: Denke im Augenblick eines Schocks nie über dessen Ursache nach. Der Verstand war dann zu angegriffen. Opfer eines Schocks müssen sorgfältig nachdenken. Denken in einem allzu sensitivierten Zustand führt zu Schlussfolgerungen, die zu weit gehen. Deshalb rief er...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2018
Übersetzer Joachim Utz
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Das Ende der Paraden • der aufrecht blieb • Der Mann • Der Mann, der aufrecht blieb • Ehekrise • Erster Weltkrieg • Ford Madox Ford • Manche tun es nicht • Zapfenstreich
ISBN-10 3-462-31656-7 / 3462316567
ISBN-13 978-3-462-31656-8 / 9783462316568
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